Mit einem „Bremer Appell“ ist die 80. Konferenz der Präsidentinnen und Präsidenten der Landesarbeitsgerichte zu Ende gegangen. An der Konferenz, die vom 7. bis 8. Mai 2018 in Bremen stattfand, nahmen auch die Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts, Ingrid Schmidt, und Vertreterinnen des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales teil. Auf der diesjährigen Jahreskonferenz standen zentrale Fragen des Arbeitsrechts und der Gerichtsverwaltung im Brennpunkt. Neben der Situation des Elektronischen Rechtsverkehrs und der Elektronischen Akte in der Arbeitsgerichtsbarkeit wurde u. a. auch über die aktuelle Entwicklung der arbeitsrechtlichen Gesetzgebung intensiv diskutiert. So kamen die nach dem Koalitionsvertrag der Großen Koalition vorgesehenen Neuerungen im Befristungsrecht, sowohl bei der sachgrundlosen, als auch bei der Befristung mit Sachgrund, bei der Brückenteilzeit, der Arbeit auf Abruf, im Arbeitszeitgesetz sowie im Betriebsverfassungsrecht zur Sprache. Zudem befasste sich die Präsidentenkonferenz u. a. mit Fragen der Reform der Juristenausbildung, der Außendarstellung der Gerichte, der Rechtstellung ehrenamtlicher Richterinnen und Richter in der Arbeitsgerichtsbarkeit, der IT-basierten Rechtsantragstelle und dem Inkrafttreten der Datenschutz-Grundverordnung Ende Mai 2018.
Mit dem „Bremer Appell“ haben die 80. Präsidentenkonferenz und die Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts gemeinsam an den Gesetzgeber appelliert, die Zeit der gerade begonnenen aktiven gesetzgeberischen Arbeit zu nutzen, um in Kernbereichen des Arbeitsrechts für Rechtsklarheit zu sorgen. Denn zahlreiche arbeitsrechtliche Vorschriften entsprechen nicht mehr der durch die Europäische Union geprägten Rechtslage. So ist zum einen § 622 Abs. 2 S. 2 BGB seit einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs aus dem Jahre 2010 als nationale Gesetzesvorschrift nicht mehr anwendbar, weil sie gegen das Diskriminierungsverbot wegen des Alters verstößt. Denn danach werden zu Unrecht bei der Berechnung der Beschäftigungsdauer Zeiten, die vor der Vollendung des 25. Lebensjahres des Arbeitnehmers liegen, nicht berücksichtigt. Dies führt im Ergebnis zu kürzeren Kündigungsfristen für jüngere Arbeitnehmer und stellt eine Altersdiskriminierung dar. Auch hat der Europäische Gerichtshof klargestellt, dass der Begriff der „Entlassung“ in den §§ 17 und 18 Kündigungsschutzgesetz als „Kündigung“ zu verstehen ist. Damit ist als maßgeblicher Zeitpunkt für die Regelung einer Massenentlassung nicht mehr auf die Entlassung, sondern den Zugang der Kündigungserklärung abzustellen. Das Massenentlassungsverfahren nach deutschem Recht weist vielfache Brüche und Widersprüche auf, die dringend einer gesetzlichen Klarstellung bedürfen. Auch die Bestimmung des § 75 Abs. 3 Handelsgesetzbuch ist mit ihrem nach wie vor im Gesetz enthaltenen Wortlaut verfassungswidrig. Denn danach verlor ein Gehilfe seinen Anspruch auf Karenzentschädigung, wenn der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis wegen vertragswidrigen Verhaltens des Arbeitnehmers kündigte. Diese Regelung hat das Bundesverfassungsgericht wegen eines Verstoßes gegen Artikel 3 des Grundgesetzes als verfassungswidrig angesehen. Die 80. Präsidentenkonferenz hat darauf hingewiesen, dass sämtliche der vorgenannten Bestimmungen nicht mehr der tatsächlichen Rechtslage entsprechen. Es kann aber nicht sein, dass der rechtsuchende Bürger dem geschriebenen Recht nicht entnehmen kann, was Recht ist. Mit dem „Bremer Appell“ hat die 80. Präsidentenkonferenz den Gesetzgeber zu den notwendigen Maßnahmen zur Wiederherstellung der Rechtsklarheit aufgefordert.
Mit einem weiteren Beschluss hat die Präsidentenkonferenz die Reform der Juristenausbildung und insbesondere die Entschlackung des Prüfungsstoffs begrüßt. Sie hat jedoch mit Nachdruck darauf hingewiesen, dass die herausragende Bedeutung des Arbeitsrechts, dem ca. 45 Millionen Arbeitnehmer und Tausende von Arbeitgebern in Deutschland unterworfen sind, dazu führen muss, dass das Kollektivarbeitsrecht Pflichtstoff bleiben muss.
In einem weiteren Beschluss hat die Präsidentenkonferenz darauf hingewiesen, dass sie ebenso wie die Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts erwarten, dass die Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände in die Pflicht zur Nutzung des Elektronischen Rechtsverkehrs ab dem 1. Januar 2022 einbezogen werden.