100 Tage im Land, jede Menge Gespräche, Eindrücke und Ideen: Zeit für ein erstes Fazit und einen Ausblick, den Landesfrauenbeauftragte Bettina Wilhelm heute im Rahmen eines Pressegesprächs in der Bremischen Zentralstelle für die Verwirklichung der Gleichberechtigung der Frau (ZGF) gab. Die Landesfrauenbeauftragte hat ihr Amt am 1. November 2017 angetreten. Am Donnerstag, 8. Februar 2018, ist sie damit 100 Tage im Amt.
„Die ZGF ist mit rund elf Vollzeitstellen eine kleine Dienststelle, versehen mit einem gewichtigen gesetzlichen Auftrag: darauf hinzuwirken, dass Frauen und Männer in Bremen gleiche Chancen und gleiche Zugänge zu Ressourcen haben. Wir können mit unseren Kapazitäten kaum in der Fläche arbeiten – wir müssen gute Konzepte und Pilotprojekte vorlegen und dann Multiplikatoren wie Multiplikatorinnen von ihnen überzeugen“, so Bettina Wilhelm zur Arbeitsweise der ZGF, und weiter: „Der Koalitionsvertrag auf Bundesebene verspricht Rückenwind für wichtige frauenpolitische Vorhaben. Den werde ich nutzen.“
Brückenbau MINT: Interessen jenseits der Klischees wecken
„Wir möchten mehr Mädchen und Frauen für MINT-Berufe interessieren, und das konzertierter als es in Bremen bisher der Fall ist“, so die neue Landesfrauenbeauftragte, „hier brauchen wir ein Gesamtkonzept, das Brücken baut, indem es Mädchen systematisch ermöglicht das ganze Spektrum der Berufe für sich zu entdecken und den MINT-Bereich als attraktives Feld wahrzunehmen. Und indem es den Schulterschluss mit Unternehmen im Land Bremen sucht, die ihrerseits daran interessiert sind, Fachkräfte zu gewinnen.“ Die Macht tradierter Rollenbilder bei der Berufswahl ist vielfach nachgewiesen. Bettina Wilhelm: „Wir müssen früher ansetzen, um die Interessen von Kindern nicht einseitig zu bahnen. Denn Interessen münden in Berufswahl. Deshalb brauchen wir ein Gesamtkonzept, das früher beginnt und weiter reicht. Kindertagesstätten, Schulen und Einrichtungen der Kinder- und Jugendarbeit müssen befähigt werden, Rollenvielfalt anzubieten und die Interessen von Kindern in aller Breite zu fördern, jenseits der leider so wirkmächtigen Prinzessin-Piraten-Klischees. Ein solches Konzept muss schon im Kinderzimmer ansetzen, damit die Rosa-Hellblau-Falle nicht greift. Und es muss bis zu Weiterqualifizierung oder Umschulung reichen. Es gibt unglaublich viele Einzelmaßnahmen und tolle Leuchtturmprojekte – sie zu bündeln, aufeinander abzustimmen und systematisch zu verankern, ist Ziel eines Gesamtkonzepts. Dazu braucht es viele Akteurinnen und Akteure. Die ZGF kann hier Impulse geben und einen solchen Prozess flankieren und begleiten.“
Was fehlt: ein Landesaktionsplan Gewalt gegen Frauen und Mädchen
Der Bereich Gewalt gegen Frauen und Mädchen ist und bleibt ein zentrales Feld für die ZGF, denn, so die Landesfrauenbeauftragte, „die #metoo-Debatte zeigt uns deutlich die Aktualität des Themas“. Bettina Wilhelm: „Bremen hat – noch – keinen Landesaktionsplan gegen Gewalt an Frauen und Mädchen. Wir haben in Bremen zahlreiche wegweisende Konzepte und Maßnahmen. Sie zu aufeinander abzustimmen und unter einem verbindlichen Rahmen zu fokussieren, ist Ziel eines Landesaktionsplans. Wir sollten uns hier auf den Weg machen.“ Die Istanbul-Konvention, das „Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt“, ist am 1. Februar in Deutschland in Kraft getreten. Wilhelm: „Dies verpflichtet zu einer verbindlichen Gesamtstrategie.“ Die Frauensenatorin hat das Thema bereits als Schwerpunkt der kommenden Gleichstellungs- und Frauenministerkonferenz im Juni in Bremen gesetzt. Den internen Prozess, mit den Fachleuten aus Behörden und Einrichtungen die vorhandenen Ansätze und Initiativen zu bündeln und zu einem Landesaktionsplan zu formulieren, möchte die ZGF intensiv unterstützen. Bettina Wilhelm: „Hier stehen wir bereit.“
Frauen und Flucht: Transfer in die Stadtteile
Weiterer Schwerpunkt der künftigen Arbeit der ZGF wird die Lebenssituation von Frauen mit Migrationshintergrund und Fluchterfahrung sein – ein Bereich, den die ZGF im Rahmen des Integrationskonzepts des Bremer Senats seit eineinhalb Jahren begleitet. „Hier werden wir weiterhin konzentriert arbeiten, denn nach dem Ankommen kommt die Integration. Nicht nur geflüchtete Frauen brauchen gezielte Unterstützung, sondern auch Migrantinnen, die bereits länger hier leben“, so die Landesfrauenbeauftragte. Die ZGF hat im vergangenen Jahr rund 40 Treffen mit geflüchteten Frauen und auch Männern in deren Einrichtungen organisiert, über ihre Rechte informiert und ihre Bedarfe gehört. Ein Beirat geflüchteter Frauen hat die Initiativen der ZGF beraten und die Arbeit begleitet. Im Bereich Arbeitsmarkt ist ein Netzwerk arbeitsmarktpolitischer Akteurinnen und Akteure entstanden, um geflüchtete Frauen unterstützen zu können. Wilhelm: „Nun beginnt eine neue Phase, in der es für uns darum geht, die hier gewonnenen Erfahrungen in die Stadtteile zu bringen. Wir werden in diesem Jahr konkrete Handlungsempfehlungen zur Integration herausgeben. Sie sind entstanden im Austausch mit den Frauen in den Flüchtlingseinrichtungen und vielen Fachkräften.“ Die ZGF werde weiterhin darauf achten, dass Frauen und Mädchen als eigene Zielgruppe wahrgenommen werden. Denn, so die Landesfrauenbeauftragte, „tun wir das nicht, laufen wir Gefahr sie aus dem Blick zu verlieren: Vielfach übernehmen in den Familien die Männer den Kontakt nach außen, lernen die Sprache, finden Arbeit, und Frauen bleiben auf die häusliche Sphäre beschränkt. Es braucht also geschlechtsspezifische Angebote in den Stadtteilen“, so Wilhelm weiter, „auch hier kann die ZGF Impulse geben, unterstützen und begleiten, und das möchten wir weiterhin tun.“
Die Landesfrauenbeauftragte erklärt abschließend: „Ich denke, dass die drei genannten Bereiche derzeit zentral sind, wenn wir sehen, welche Stellschrauben wir drehen müssen, damit Frauen und Männer in Bremen gleichberechtigt leben können. Wir fokussieren damit unsere Arbeit in aktuellen Themenfeldern. In Sachen Chancengleichheit gibt es in Bremen große Baustellen, und die werde ich mit meinem Team entschieden angehen.“