18.05.2005
Innensenator Thomas Röwekamp stellt Bremer Verfassungsschutzbericht 2004 vor
„Unsere Demokratie ist wehrhaft und stabil gegenüber politischen Extremisten!“ Dieses Fazit zog Thomas Röwekamp, Senator für Inneres und Sport, am Mittwoch (18. Mai 2005) bei der Vorlage des Verfassungsschutzberichtes 2004 der Freien Hansestadt Bremen. Der Bericht beleuchtet die Entwicklung des Rechts-, Links- und Ausländerextremismus und nennt Zahlen zur politisch motivierten Kriminalität im vergangenen Jahr. Der vorliegende Verfassungsschutzbericht soll zur Information interessierter Bürger über die politischen Ziele und Aktivitäten extremistischer Gruppierungen dienen, aber auch die Gefahren darstellen, die zum Beispiel durch Spionage ausländischer Nachrichtendienste oder Aktivitäten der Scientology-Organisation drohen.
„Nach wie vor müssen wir wachsam sein gegen verfassungsfeindliche Bestrebungen, sei es von Neonazis, autonomen Linken oder Islamisten!“ Als Beispiele aus dem Beobachtungsspektrum des Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV) nannte Röwekamp rechtsextremistische Aktivitä-ten im niedersächsischen Umland oder Hasspredigten von Ausländern in Bremer Moscheen.
Zu den einzelnen Extremismusbereichen führte Senator Röwekamp u.a. aus:
„Der islamistisch motivierte Terrorismus hat sich auch im vergangenen Jahr fortgesetzt und stellt nach wie vor eine der größten Herausforderungen für die Sicherheitsbehörden in Bremen, in Deutschland und in der Welt dar. Nicht erst durch die Anschläge vom 11. März 2004 in Madrid bestätigte sich die traurige Erkenntnis, dass auch die Bundesrepublik Deutschland nicht nur Ruhe- und Vorbereitungsraum islamistischer Terroristen ist, sondern als Zielraum für Anschläge in Frage kommt. Erst im Dezember 2004 ist es deutschen Sicherheitsbehörden gelungen, einen geplanten Anschlag auf den irakischen Staatspräsidenten zu erkennen und die mutmaßlichen Täter festzunehmen. Die Bekämpfung des islamistischen Extremismus und Terrorismus bleibt damit auf absehbare Zeit die Kernaufgabe der deutschen Sicherheitsbehörden."
Wie in dem Bericht deutlich wird, ist Deutschland Teil eines weltweiten terroristischen Gefahrenraumes. Eine besondere Gefährdung besteht danach derzeit für amerikanische, britische, israelische und jüdische Einrichtungen.
„Aufklärung im Vorfeld und vorbeugende Abwehr sind nach deshalb die wichtigsten Waffen gegen Extremismus und Terrorismus. Ein aktuelles Beispiel ist ein wegen fortdauernder Hasspredigten ausgewiesener Imam einer Bremer Moschee. Dank der gesammelten und ausgewerteten Erkenntnisse des LfV kann der ägyptische Staatsbürger seit Februar 2005 nicht mehr vor seiner Gemeinde gegen Andersgläubige und die westliche Welt hetzen.“
Der Ausländerextremismus im Bundesland Bremen – diesem Spektrum werden rund 1800 Personen zugerechnet – war auch für das Jahr 2004 ein Beobachtungsschwerpunkt des LfV. Größte ausländerextremistische Organisation ist nach wie vor die islamistische Milli Görüs e.V. (IGMG), die in Bremen rund 1200 Mitglieder zählt und sich in ihren Grundzügen integrationsfeindlich geriert. Die türkische „Milli Gazette“ (Nationale Zeitung) polemisiert fortgesetzt gegen Christen, Juden und die westliche Welt und gilt als Sprachrohr von IGMG.
„Die Auseinandersetzung mit islamistischen und fundamentalistischen Ideologien ist nach wie vor eine große Herausforderung für unseren Staat und seine Sicherheitsbehörden“, so Röwekamp. „Der Dialog unterschiedlicher Kulturen und Religionen, der insbesondere in Bremen seit Jahren intensiv gepflegt wird, muss auf dem Wertefundament unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung stehen. Es wäre das Gegenteil von Integration, wenn dieser interkulturelle Dialog auf der Verharmlosung von Extremisten fußt!“
Daneben fordere auch die jüngste Entwicklung des Rechtsextremismus eine besonders hohe Aufmerksamkeit, betonte Röwekamp. „Nach den Wahlerfolgen von DVU und NPD in Brandenburg und Sachsen sehen sich viele Neonazis im Aufwind. Und die braunen Aktivitäten auf dem niedersächsichen Heisenhof bei Dörverden zeigen, dass auch Rechtsextremisten keine Ländergrenzen kennen. Das müssen wir sehr ernst nehmen!“ Das Bremer LfV werde die Gefahren des Rechtsextremismus auch künftig weder verharmlosen noch überbewerten, sondern bewahrt ei-nen realistischen Blick. Nach den derzeitigen Erkenntnissen ist die neonazistische Kameradschaftsszene im Land Bremen zu eigenen öffentlichkeitswirksamen Aktionen nicht in der Lage. „Damit dies so bleibt, gilt es wachsam zu sein – beispielsweise dann, wenn rechtsextremistische Gruppen versuchen, ausländerfeindliche oder antisemitische Propaganda zu verbreiten. Insbesondere müssen wir unsere Kinder und Jugendlichen vor den Einflüssen sog. Skinhead- und Rechtsrock-Musik schützen.“
In diesem Zusammenhang ist es den Sicherheitsbehörden gelungen, dass das in der rechtsextremistischen Szene groß angekündigte "Projekt Schulhof", mit dem durch die kostenlose Verteilung von ca. 50.000 CDs mit rechtsextremistischer Musik Schülerinnen und Schüler für die Ideen der Rechtsextremisten gewonnen werden sollten, nicht zur Ausführung kommen konnte. Das Innenressort hatte vorsorglich die Bildungsbehörde sowie Polizei und Staatsanwaltschaft eingeschaltet. Im Falle einer Verteilaktion hätte die CD sofort eingezogen werden können. Da die Rechtsextremisten möglicherweise auf den Vertriebsweg Internet ausweichen, sei Aufklärung nach wie vor wichtig: "Der Grundstein für die Vermittlung unserer demokratischen Werte und die Ächtung rechtsextremistischen Gedankenguts muss vor allem in Elternhaus und Schule gelegt werden“, betonte Senator Röwekamp.
„Es darf auch im Zusammenhang mit einzelnen spektakulären Themen nicht aus den Augen verloren werden, dass alle Extremismusbereiche mit den gebotenen und zur Verfügung stehenden Mitteln bekämpft werden müssen. Von Extremisten, gleich welcher politischen Couleur, gehen Gefahren für den Staat oder die Freiheit seiner Bürgerinnen und Bürger aus. So versuchen nach wie vor auch Linksextremisten und sog. Autonome immer wieder, Gewalt als Mittel der Politik einzusetzen, oder mit ihrer Agitation das öffentliche Meinungsbild zu beeinflussen“, erklärte Röwekamp. Zahlenmäßig fällt im linksextremen Bereich die als konspirativ und sektenartig geltende Organisation „Gegenstandpunkt“ (früher: Marxistische Gruppe) mit rund 250 Mitgliedern in Bremen ins Gewicht; ebenso viele werden zum mobilisierbaren Potenzial der „Autonomen“ gerechnet.
Unabhängig von den politisch-extremistischen Aktivitäten, die das LfV beobachtet, ermittelt die Kriminalpolizei im Bereich der Straftaten und Gewalttaten mit erwiesener oder vermuteter extremistischer Motivation. Diese haben sich im Berichtsjahr unterschiedlich entwickelt: Taten mit rechtsextremistischem Hintergrund sind gegenüber dem Vorjahr angestiegen (2004: 86 Fälle; 2003:73). Darunter lag der Anteil der sog. Propagandadelikte unverändert bei 48 Fällen. Die Linksextremistisch motivierte Straftaten waren gegenüber dem Vorjahr ebenso rückläufig (2004: 18; 2003: 36 Fälle) wie die politisch motivierte Ausländerkriminalität. Die Fallzahlen in diesem Bereich haben sich im Vergleich zum Vorjahr halbiert (2004: 30; 2003: 63 Delikte).
Aus keinem der drei extremistischen Phänomenbereiche liegen dem LfV Anhaltspunkte oder Anzeichen dafür vor, dass Anschläge geplant oder terroristisch-extremistische Strukturen existieren.
Innensenator Thomas Röwekamp abschließend: “Den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Sicherheitsbehörden im Lande Bremen, insbesondere des Landesamtes für Verfassungsschutz und des polizeilichen Staatsschutzes, gilt mein besonderer Dank. Sie alle leisten mit ihrer engagierten Arbeit einen unverzichtbaren Beitrag zur Bekämpfung des politischen Extremismus und für unsere freiheitliche Grundordnung. Aber auch couragierten Mitbürgern, die nicht wegsehen bei extremistischen Umtrieben, spreche ich meine Anerkennung aus, denn sie sind ein wichtiger Teil unserer wehrhaften Demokratie. Unsere Landesverfassung, unser Grundgesetz und unseren demokratischen Rechtsstaat zu schützen ist nicht nur die Aufgabe staatlicher Behörden; jeder einzelne Bürger ist bei der geistig-politischen Auseinandersetzung mit den Gegnern der Demokratie gefordert.“