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Die Senatorin für Kinder und Bildung

Ergebnisse der Schulleiterbefragung zu Gewaltbelastung und Gewaltprävention

18.01.2005

Wissenschaftler: Reichhaltige Fundgrube nachahmenswerter Beispiele

Der Senator für Bildung und Wissenschaft hat nach dem Ergebnis der Schülerbefragung zur Gewalt an Schulen die Akademie für Arbeit und Politik im Jahre 2004 mit einer flächendeckenden Schulleiterbefragung zum Themenkomplex Gewalt und Gewaltprävention beauftragt.
Mit 191 beteiligten Schulstandorten gelang praktisch eine vollständige Erhebung der öffentlichen Schulen im Lande Bremen. Es waren 89 Grundschulen, 36 Schulzentren der Sekundarstufe I, 23 Förderzentren, 11 Gesamtschulen, sieben durchgängige Gymnasien, sechs gymnasiale Oberstufen und 19 Schulzentren der Sekundarstufe II an der Befragung in beiden Stadtgemeinden des Landes beteiligt.
Diese Folgeerhebung hat das Ziel, die Einschätzungen der Schulleiter sowie die Aktivitäten und den Unterstützungsbedarf der Schulen im Feld des Konfliktmanagements und der Gewaltprävention zu erfassen. Die Ergebnisse sollen den Schulen helfen, an positiven Beispielen anzuknüpfen und zu erfolgreichen Maßnahmen, Strategien und Konzepten zu kommen. Nach Darstellung der Wissenschaftler erweist sich die Bremer Schullandschaft hierbei als eine „überaus reichhaltige Fundgrube“.


Bildungssenator Willi Lemke zeigte sich angesichts der Ergebnisse „angenehm überrascht, welch vielfältige Aktivitäten nach der Schülerbefragung an unseren Schulen entwickelt worden sind. Damit ist die Gewaltprävention insgesamt noch keineswegs ausreichend, aber es ist gut, dass die Schulen dieses Problem offensiv annehmen und noch besser ist, dass einzelne Schulen bereits hervorragende Beispiele entwickelt haben, von denen auch andere lernen können. Die Studie hilft uns sehr, die Gewaltprävention an den bremischen Schulen noch gezielter und effektiver weiterzuentwickeln.“


Die Schulleiterbefragung macht nach Darstellung der Wissenschaftler sichtbar, dass die Untersuchungen über das Gewaltverhalten an den Schulen einen hohen praktischen Nutzen haben. Im Anschluss an die Ergebnisse der Schülerbefragung begannen etliche Schulen damit, sich systematischer als zuvor dem Thema zu widmen. Eigene Befragungen wurden organisiert, Arbeitsgruppen zur Analyse und Weiterentwicklung eigener Praktiken gegründet, Kommunikationsprozesse unter Beteiligung von Eltern- und Schülervertretungen organisiert. Kurz: Im Anschluss an die Schülerbefragung ist die Bremer Schullandschaft zu diesem Thema in Bewegung geraten.


Darstellung erfolgreich arbeitender Schulen
Die Studie zeigt insbesondere in ihrem zweiten Teil, dass es zahlreiche Schulen gibt, die sich sehr engagiert und systematisch dem Thema Gewalt stellen bzw. tragfähige Aktivitäten für eine effektive Gewaltprävention und für ein professionelles Konfliktmanagement entfalten. Aus diesen positiven Beispielen lässt sich nach Darstellung der Wissenschaftler ein praktischer Gewinn für sämtliche Standorte ziehen.
Die folgende, sehr geraffte Darstellung mit Zitaten aus der Studie gibt eine kleinen Eindruck in die positive Arbeit der Schulen – und das sind mehr als hier dargestellt werden kann. Die ausführliche Darstellung in der Studie ist hilfreich für alle die Schulen, die noch nach geeigneten Präventionsstrategien suchen.


Grundschule: Tami-Oelfken-Schule (ehemals Lüssumer Ring)
„Die Schule hat einen „Controllingansatz, der in der Bremer Schullandschaft noch seinesgleichen sucht.“ (Überprüfung der Maßnahmen, Eltern- und Schülerbefragungen).
„Die unmittelbare Gewaltprävention ist im Schulprogramm verankert“.... „Das gesamte Programm ist durchtränkt mit Projekten, die auf eine Stärkung der Kinder einerseits und auf die Identifikation mit der Schule andererseits hinauslaufen.“ Die Kinder haben „gemeinsam mit den ‚Erwachsenen‘ (gemeint ist das gesamte Personal) verbindliche Regeln entwickelt und verankert. Das Personal hat sich auf eine ‚Kultur des Hinschauens‘ und unverzügliches Eingreifen bei Regelverstößen verständigt... Auch Kinder können über Kummerkästen auf Konflikte hinweisen und eine Bearbeitung organisieren.“ Die Wissenschaftler finden „das breite Bündel an Projekten, Maßnahmen, Aktivitäten und Ritualen zur Stärkung der Kinder und der Schulgemeinschaft“ beeindruckend.


Sekundarstufe I: Schulzentrum Obervieland
Das Schulzentrum, eine Schule mit relativ schwierigen sozialen Rahmenbedingungen, „praktiziert eine kontrollierte Einbindung der Schüler und Eltern in die Präventionsarbeit und ist ausgesprochen stark in den Stadtteil eingebunden“. In Eigenregie und zusammen mit Statteilinitiativen hat „die Schule sowohl eine Schüler- und Elternbefragung zur Sicherheit auf dem Schulweg und in der Schule als auch anonyme Umfragen mit dem gesamten Lehrkörper und dem Elternbeirat durchgeführt.“ Beim Konfliktmanagement gibt es für die Streitschlichtung ein schulinternes Kinder- und Jugendbüro.
Es „werden nach Jahrgängen abgestuft Sozialtrainings durchgeführt, ein Regelwerk mit dem Namen ‚Benimm-Knigge‘ bearbeitet, die Streitschlichtung eingerichtet und ein Patensystem installiert“. „Einführung von Schüleraufsichten zur Eigenkontrolle in den Pausen.“ Es sind „eine Vielzahl von schulinternen und –externen Institutionen in die schulische Präventionsarbeit eingebunden“. „Über die Schüler- und Elterngremien hinaus sind dies insbesondere die Jugendarbeit, die Stadtteilkonferenz, der Täter-Opfer-Ausgleich, die Polizei und das Drogenreferat.“


Förderzentrum: Mainstraße
Die Wissenschaftler bezeichnen die Selbstevaluation der Gewaltsituation an dieser Schule als vorbildlich: „Neben informellen (aber regelmäßigen) Austauschprozessen der Schulleitung mit dem Kollegium, der Eltern- und Schülervertretung sowie dem Vertrauenslehrer ist Gewalt ein obligatorisches Thema auf den Schulkonferenzen.
Darüber hinaus existiert eine Arbeitsgruppe zur Gewaltprävention, wurde eine eigene Erhebung durchgeführt, besteht ein intensiver Austausch der Lehrer, Eltern und Schüler mit den Kontaktpolizisten, bestehen enge Kontakte des Kollegiums zu den Eltern von gewaltbereiten Kindern und Jugendlichen.“



Sekundarstufe II: Allgemeine Berufsschule (ABS)
Die Schule mit einer konsolidierten Strategie im Feld Konfliktmanagement und Gewaltprävention ist zugleich jene Schule, die in sehr hoher Dichte Jugendliche mit schwierigen Sozialisationsbedingungen, geringen beruflichen Perspektiven und partiell kleinkriminellen Karrieren beschult...Einzig die verbale Gewalt von männlichen Jugendlichen wird als größere Belastung erfahren. Körperliche Angriffe und strafrechtlich relevante Vorfälle sowie Gewalt gegen Sachen haben als Problem dagegen einen geringen Stellenwert... Das verbale Lehrerverhalten wird ebenfalls als wichtiger Aspekt eingestuft und nicht tabuisiert.“ Die Bearbeitung des Themas Gewalt ist durch Projekte in allen Klassen obligatorisch.
Die Evaluation der Gewaltsituation ist an der ABS vorbildlich. So pflegt die Schulleitung einen regelmäßigen Austausch mit dem Kollegium, dem nichtunterrichtenden pädagogischen Personal und der Schülervertretung. Weiterhin sind Polizei und die Jugendgerichtshilfe dauernde Ansprechpartner.“



Weitere Ergebnisse der Studie zu ausgewählten Gesichtspunkten:


Gewaltbelastung
Insgesamt stellt sich Gewalt an den Schulen auf der Basis der Schulleiterangaben als überschaubares Problem dar. Stärkere Belastungen sehen die Leiter bei der verbalen und körperlichen Gewalt von Jungen. Die höchsten Ausprägungen nach Schularten finden sich hier in den Förderzentren und der Primarstufe.
Schulleiter aus privilegierten Quartieren machen verbale Schülergewalt kaum geltend, obwohl gerade diese Gewalt nach den Ergebnissen der Schülerbefragung dort überproportional stark verbreitet ist. Die abweichenden Einschätzungen könnten auch damit zusammenhängen, dass an den privilegierten Standorten subtile und wenig sichtbare Formen der verbalen Abwertung und Ausgrenzung dominieren. Zudem dürften die Verkehrssprachen von Schülern und Lehrern in den Brennpunkten stärker voneinander abweichen als in den bürgerlichen Standorten.
Für alle anderen vorgegebenen Gewaltarten ergeben sich Mittelwerte, die auf eine geringe oder sogar sehr geringe Belastung der Schulen verweisen. Das darf nicht darüber hinweg täuschen, dass einzelne Schulen z.B. für strafrechtlich relevante Gewaltformen oder für Vandalismus eine starke oder sehr starke Belastung geltend machen. Nichtsdestotrotz zeichnen die Ergebnisse ein Bild, dass von den Ergebnissen der Schülerbefragung abweicht. Im Gegensatz zum augenfälligen Vandalismus ist bei strafrechtlich relevanten Delikten wie Raub oder Erpressung davon auszugehen, dass sich diese Phänomene häufig der Wahrnehmung der Schulleiter entziehen.
Es gibt deutlich unterschiedliche Angaben von Schulleitern und Schülern über das Ausmaß von Gewalt. Für die Schulleiter kommt Gewalt von und zwischen Lehrern im Bremer Schulsystem praktisch nicht vor. Das heißt aber nicht, das sie das Problem ignorieren. So melden die Schulleiter z.B. einen hohen Bedarf für externe Unterstützung zur Verbesserung des Konfliktverhaltens ihrer Lehrkräfte an.


Interne Evaluation
Dass sich eine Reihe von Schulen zuletzt intensiver um eine systematische interne Evaluation bemühen, heißt keinesfalls, dass regelmäßige Bestandsaufnahmen zur Gewaltsituation bereits Einzug in die Schulkulturen gehalten hätten. Tatsächlich steht die Bremer Schullandschaft hier noch am Anfang. Einige Schulen haben über Schülerbefragungen hinaus bereits Erhebungen mit Eltern und Lehrern durchgeführt. Die Erfahrungen dieser Schulen können andere Schulen nutzen. Neben den Erhebungen gilt es auch, den Austausch über Gewaltprävention nicht nur auf die Lehrerkollegien zu beschränken, sondern gleichermaßen die Vertretungen der Schülerinnen und Schüler sowie der Eltern intensiver als bisher einzubinden. Interessant ist der Befund, dass die interne Evaluation in den Schulen des mittleren sozialstrukturellen Segments bei weitem am stärksten ausgeprägt ist. Diese Schulen liegen häufig an Schnittstellen zwischen sozialen Brennpunkten und eher bürgerlichen Quartieren.


Gewalt als Gegenstand im Regelunterricht
In den Förderzentren, der Primarstufe und im Bereich der Sekundarstufe I ist die Beschäftigung mit dem Thema Gewalt sehr stark verbreitet. Dies gilt sowohl für die Prävention etwa durch Unterrichtsprojekte als auch für die Gewaltbearbeitung in Klassenratsstunden. Dabei stellen sich die Projekte ausgesprochen unterschiedlich dar. Sie reichen von Verhaltens- und Sozialtraining über einen künstlerischen Umgang, z.B. durch Theater- oder Musikprojekte, der gemeinsamen Entwicklung von Handlungsnormen und Konsequenzen bei Regelverstößen bis hin zu schulweiten Großprojekten mit festen Absprachen. In den sozial privilegierten Standorten ist die Auseinandersetzung mit Gewalt sehr viel schwächer ausgeprägt als in den Schulen aus den anderen Segmenten.


Kooperationen
Für eine professionelle und ganzheitliche Gewaltvorbeugung und –bearbeitung gewinnt die Einbindung aller schulischen Statusgruppen (Schulleitungen, Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler, Eltern), der Jugendarbeit und Netzwerkeinrichtungen im Stadtteil sowie einschlägiger fachlicher Kompetenz (Schattenriss, schulpsychologischer Dienst, Täter-Opfer-Ausgleich etc.) an Bedeutung. Zwar haben viele Schulen sich bereits gut ausgebaute Netzwerke errichtet, dennoch besteht noch großer Handlungsbedarf gerade im Hinblick auf Kooperationsverhältnisse zur Entwicklung und Umsetzung von Präventionsstrategien. Selbst die Schüler- und Elternvertretungen sind hier oft nur zu unzureichend eingebunden. Gleiches gilt für die Netzwerkeinrichtung „Stadtteilkonferenz“ und die Jugendarbeit. Selbst die einschlägigen Institutionen mit eigenen Präventionsangeboten (Schattenriss, schulpsychologischer Dienst, Täter-Opfer-Ausgleich) werden allenfalls für ein professionelles Konfliktmanagement genutzt, aber nur selten in die Gewaltvorbeugung eingebunden.
Hervorzuheben ist, dass die Polizei den für die Schulen mit weitem Abstand wichtigsten Kooperationspartner in der Gewaltprävention darstellt.
Nach Schularten differenziert gibt es die am stärksten ausgebauten Netzwerke eindeutig im Bereich der Sekundarstufe I. Dies gilt für schulinterne Gremien ebenso wie für externe Einrichtungen. Alle anderen Schularten inklusive der Förderzentren bleiben weit dahinter zurück. In der Differenzierung nach sozialstrukturellen Rahmenbedingungen zeigt sich in den privilegierten Standorten die geringste Bereitschaft zur Kooperation im Handlungsfeld Gewalt.


Weiteres Verfahren
Den Schulen werden die Ergebnisse der Studie am 01.02.2005 in einer zentralen Veranstaltung von Herrn Prof. Dr. Leithäuser und Herrn Dr. Meng von der Akademie für Arbeit und Politik vorgestellt.
Der Senator für Bildung und Wissenschaft bereitet mit der Akademie, dem Landesinstitut für Schule, Vertreterinnen und Vertretern der Schulen, des Zentralelternbeirats und der Gesamtschülervertretung ein Strategiekonzept vor, um einen aktiven Austausch und Unterstützungsangebote zwischen Schulen zu organisieren.
Darüber hinaus werden die Schulen darauf hingewiesen, die Präventionsarbeit in der Jahresplanung für das Schuljahr 2005/06 zu verankern und sie zu einem festen Bestandteil der Schulprogramme zu machen.