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Senatskanzlei

Pressemitteilung mit FotoEin Glücksfall: Heinrich Vogeler gestaltete vor 100 Jahren die Güldenkammer neu

20.12.2005

Camille überbrachte Bürgermeister Jens Böhrnsen Glückwünsche aus der Kunsthale





100 Jahre Güldenkammer im Bremer Rathaus: Bürgermeister Jens Böhrnsen begrüßte am heutigen Dienstag (20.12.2005) die Camille aus der Bremer Kunsthalle, die zu diesem Jubiläum herzliche Glückwünsche überbrachte. Dass die Camille als Symbolfigur aus der aktuellen Ausstellung "Monet und Camille" ins Rathaus kam, hat einen ganz direkten Bezug: 1905, als der Jugendstilkünstler Heinrich Vogeler den Auftrag zur Ausgestaltung der Güldenkammer vom Bremer Senat erhielt, kaufte der damalige Kunsthallendirektor Gustav Pauli das Bild des französischen Malers Claude Monet. Pauli hatte sich zudem sehr für den Worpsweder Künstler Heinrich Vogeler eingesetzt.



Kleinod in der Oberen Halle des Bremer Rathauses – Gesamtkunstwerk im Jugendstil


„…als ob man sich auf der schmuckvollen Innenseite eines lebhaft vergoldeten und bestickten Königsmantels befände“. Mit diesen leicht pathetischen Worten hat der Maler und Grafiker Heinrich Vogeler selber beschrieben, welche Wirkung die Güldenkammer im Bremer Rathaus entfalten sollte. Der Bremer Jugendstilkünstler hatte 1905 den Auftrag erhalten, dieses kleine Kabinett in der Oberen Halle neu zu gestalten. Ein Glücksfall, wie sich bald herausstellte. Vogeler schuf ein einzigartiges, bis heute beeindruckendes Gesamtkunstwerk. Seither sind 100 Jahre vergangen – und die Güldenkammer hat nichts von ihrer glanzvollen Schönheit und ihrem ästhetischen Reiz verloren. Die Tür zu diesem Juwel öffnet sich heute den Rathausbesuchern ausschließlich zum Hineinblicken – und nur zu ganz besonderen Anlässen empfängt der Bürgermeister hier seine Gäste. Schonung ist geboten, denn der Raum zählt zu den ganz wenigen noch erhaltenen Zimmern im reinen Jugendstil.


Die Güldenkammer verdankt ihre ursprüngliche Existenz der Umgestaltung des Rathauses. Rund zwei Jahrhunderte nach der 1405 erfolgten Grundsteinlegung des gotischen Hauses wurde eine umfassende Verschönerung der Rathausfassade vorgenommen. Die Neugestaltung begann 1595 mit dem Umbau der Fenster der Südfassade und ermöglichte in den folgenden Jahren einen Abriss des mittleren Teils der strengen gotischen Fassade. Dafür wurde ein großer gläserner Erker eingesetzt. Dahinter entstand die zweigeschossige Güldenkammer - ein Name, der sich bereits damals durchsetzte. Der untere Raum wurde mit edlem Mobiliar und einer vergoldeten Tapete ausgestattet und machte ihn schon seinerzeit zu einer außergewöhnlichen Kostbarkeit.



Foto: Lasdin



In dieses separate, repräsentative Zimmer bat man ausgesuchte Gäste, hierher zog sich wohl auch der Rat bisweilen zurück, hier gab es so manchen Empfang, hier plauderte und hofierte man. Im Laufe der Zeit freilich geriet der Raum in Vergessenheit, verfiel und galt bereits im 19. Jahrhundert als weitgehend unbenutzbar. Die schmucklose Empore darüber diente als Ratsbibliothek, gelegentlich auch als Orchesterraum der Ratsmusiker.


Eine vom Senat einberufene Kommission sprach 1902 erstmals über die Wiederherstellung der Güldenkammer. Nach mehreren Verhandlungesrunden wurde Heinrich Vogeler der Auftrag erteilt. Vogeler war bereits als moderner Künstler bekannt und hatte sich insbesondere als Grafiker einen Namen gemacht. Dass der vielseitig begabte junge Mann diesen reizvollen Auftrag erhielt, ist vor allem dem damaligen Bremer Kunsthallendirektor Dr. Gustav Pauli zu verdanken, der sich sehr für ihn einsetzte.


Es war fraglos eine hervorragende Wahl, die die Kommission mit Heinrich Vogeler getroffen hatte. Sein Einfallsreichtum bei der Ausgestaltung der Kammer erwies sich als schier grenzenlos – davon geben die 36 Vorzeichnungen (die im Focke-Museum verwahrt werden) einen Eindruck. Doch er zähmte seine Phantasie und beschränkte sich im wesentlichen auf zwei Motive – Vögel und Blumen – die sich hier in einer unerschöpflichen Fülle und Vielfalt finden. Überall entdeckt der Betrachter aufblühende Rosen und filigrane Reiher. Bis hinein in die kleinsten Details ist der Raum ornamental ausgestaltet, durchziehen ihn die verschlungenen Zierformen des Jugendstils. Ob Lampenschirme, Kamingitter, Türfüllungen und Paneele, ja selbst das Kaminbesteck, die Stuhllehnen und Türgriffe sind in die künstlerische Gestaltung miteinbezogen.


Als Mobiliar entwarf der hochbegabte Künstler einen langen Tisch, zwölf Senatorenstühle und zwei Bürgermeistersessel mit hoch polierten Holzflächen. Der Raum wirkt intim, behaglich und zugleich glanzvoll. Dafür sorgen die harmonisch aufeinander abgestimmten Farben aus lichten, milden Braun- sowie Rot- und Goldtönen. Sie geben der Kammer eine feierliche Ausstrahlung. Die Wände sind bis zur Hälfte mit Paneelen in Kassettenform geschmückt, darüber die rotgoldene, bis unter die Decke reichende Tapete aus Leder. Zwei Zierkamine aus topasfarbenem Marmor sind Blickfänge an beiden Schmalseiten.


Keine Frage – der Raum ist als Gesamtkunstwerk konzipiert, er ist ein Schmuckstück der Innenarchitektur, auch wenn er durch Eingriffe verändert worden ist. So fehlen die ursprünglich vorhandenen Kaminspiegel und die sie umgebenden goldenen Aufsätze. Sie fielen in den 30er Jahren des 20.Jahrhunderts einer »Schönheitsoperation« zum Opfer.

1937 wurde die Ledertapete erstmalig restauriert, 1964 erneuert. Während des 2. Weltkrieges war die Kammer komplett ausgebaut und an verschiedenen Orten eingelagert. Das Bild „Ansicht Bremens“, von Jürgen Landwehr 1602 gemalt, wurde 1975 von der Nordwand der Kammer entfernt und ins Fockemuseum gebracht.


1988/89 wurde die Güldenkammer umfassend renoviert. Alle Holzteile wurden ausgebaut, zerlegt und in der Werkstatt mit einem mehrschichtigen Schellack versehen. So konnte erreicht werden, dass das Holzwerk an Decke und Wänden so intensiv glänzt wie vom Künstler ursprünglich gewollt - und sich der Raum in der Vertäfelung der Wände und Decke wunderbar spiegelt. Sessel und Stühle wurden neu gepolstert, die Vergoldungen erneuert und die Haupteingangstür restauriert. 1993 erhielt die Türinnenseite eine Schutzscheibe aus Acrylglas, um sie vor weiteren Schäden zu schützen.


Ganz neu angefertigt werden musste der von Heinrich Vogeler entworfene rote Teppich mit einer Rosenbordüre. Sein Flor war bis zur Unkenntlichkeit abgetreten, die vielen Flecken ließen sich nicht mehr beseitigen. Der Auftrag erging damals ganz bewusst – durch Vermittlung des Instituts für Denkmalpflege der DDR, Außenstelle Schwerin – an eine private kunsthandwerkliche Werkstatt in der DDR, um den dortigen Kunsthandwerkern zu helfen. Mit großer Spannung erwartete man im Bremer Rathaus im Mai 1991 die Lieferung des Teppichs – hatte man zuvor die Farbigkeit doch nur an Wollfäden nachweisen können. Und dann die Überraschung: Der drei Meter breite und sieben Meter lange Teppich fügte sich in das Farbbild des Raumes ein, als hätte er hier immer schon gelegen.


Heinrich Vogeler

wird 1872 in Bremen geboren. Nach dem Besuch der Realschule und der Düsseldorfer Akademie zieht er kurze Zeit nach Paris, 1894 nach Worpswede und erwirbt dort 1895 den Barkenhoff, der bald zum Mittelpunkt künstlerischen Lebens wird. 1908 gründet er die Werkstätten für Möbelbau. Bis zum ersten Weltkrieg entstehen zahlreiche Gemälde, Grafiken, kunstgewerbliche Objekte, Architekturentwürfe und Buchillustrationen. 1914 wird Vogeler freiwillig Soldat, wandelt sich aber später zum Pazifisten und Kommunisten. 1918 ist er Mitglied des ersten Bremer Arbeiter- und Soldatenrates, ein Jahr später wird die „Kommune Barkenhoff“ gegründet (scheiterte 1924). Vogeler hält Vorträge und ist politisch tätig, 1923 reist er erstmalig nach Russland und wird Mitglied der KPD. In dieser Zeit beginnt er, komplexe Bilder zu malen. 1924 wird der Barkenhoff als Kinderheim an die Rote Hilfe übergeben, 1928 wird er Mitglied der „Assoziation revolutionärer bildender Künstler Deutschlands“, später wird er wegen „Rechtsabweichung“ aus der KPD ausgeschlossen. Er lebt in Berlin und siedelt 1931 ganz in die Sowjetunion über. Hier entstehen Ansichten von Moskau, Bilder aus dem russischen Arbeitsleben wie auch Propagandabilder. Er verfasst 1941 Flugblätter und hält Rundfunkansprachen gegen Nazi-Deutschland. Bei Annäherung der deutschen Truppen wird er nach Kasachstan umgesiedelt, dort arbeitet er im Straßenbau unter härtesten Bedingungen. 1942 erkrankt Vogeler und stirbt am 14. Juni ohne ausreichende ärztliche Versorgung in tiefer Resignation im Landeskrankenhaus des Bezirks Woroschiliw. Sein Grab ist unbekannt.