25.04.2001
Radio Bremen präsentiert Welturaufführung
Radio Bremen manövriert momentan bekanntlich in schwieriger finanzieller Lage. Gleichwohl hat es der Sender geschafft, sein über Jahrzehnte etabliertes, außergewöhnliches Festival "pro musica antiqua" dem Sparzwang nicht opfern zu müssen. Mit halbiertem eigenen Etat, aber mit Sponsorenunterstützung kann Musikchef Peter Schulze wieder Ensembles exklusiv für das Festival nach Bremen holen. Vom 3. bis 6. Mai stehen sieben Konzerte zur Auswahl, in denen äußerst kreativ mit historischer Musik umgegangen wird - eine Weltpremiere und Uraufführungen inbegriffen.
Der "lebendige Rekurs auf archaische Muster" ist das zentrale Thema der diesjährigen "pro musica antiqua". Damit setzt Peter Schulze für die Veranstaltung einen neuen Schwerpunkt, die sich seit Ende der 60er Jahre insbesondere der sogenannten Historischen Aufführungspraxis widmete. Mittlerweile ist es jedoch nichts Besonderes mehr, wenn Orchester Musik "historisch" spielen - also zurückgehen auf die zur Zeit der Komposition herrschende Klangqualität und Musizierhaltung. Um eine solche Rekonstruktion geht es bei dem diesjährigen Festival eben nicht. Vielmehr geht es um die Muster alter Musik, um gemeinsame Ursprünge, die hörbar werden. Zum musikphilosophischen Hintergrund präsentiert Radio Bremen übrigens einige der Thesen des russischen Komponisten Vladimir Martynov, die in einem Sonderheft mit dem Titel "Das Ende der Zeit der Komponisten" erstmalig in deutsch vorgelegt werden.
Die Uraufführung von Martynovs "Nacht in Galizien" im Kulturzentrum Schlachthof ist ein zentrales Ereignis des Festivals. (5. Mai, 20 Uhr). Das Stück basiert auf einem Klanggedicht von Velimir Khlebnikov, es greift zurück auf altslawische musikalische Muste . Die Partitur schreibt die Mitwirkung eines authentischen Volksmusiktheaters vor. Präsentiert wird diese Welturaufführung von dem Moskauer Streicher-Ensemble "Opus-Posth" und dem Dimitri Pokrovsky Ensemble.
Eröffnet wird das Festival am 3. Mai im Kulturzentrum Schlachthof (20 Uhr) mit der Deutschlandpremiere des Stückes "Maharaja Flamenca". Die Gruppe "Musafir" aus dem indischen Rajastan hat sich mit spanischen Flamenco-Musikern zusammengetan, sie bringen gemeinsame Ursprünge ihrer Musik zu Gehör. Vertonungen aus dem Mittelalter und aus heutiger Zeit präsentieren Maria Jonas (Gesang und Drehleier) und Norbert Rodenkirchen (Flöte) am 4. Mai in der Kirche Unser Lieben Frauen (20 Uhr) unter dem Titel "Lamentationes Jeremiae". Am gleichen Tag um 23 Uhr präsentiert die Wiener Gruppe Budowitz Osteuropäische Klezmer-Musik. Mit dem Programm "Hochzeit ohne Braut" spielt das Ensemble das Repertoire einer jüdischen Hochzeit, wie sie in Galizien um die Jahrhundertwende zelebriert wurde.
Ganz weit zurück geht das Ensemble "Millenarium" aus Frankreich, die Musik aus dem 14. Jahrhundert erklingen lässt. Die mündliche Überlieferung der mittelalterlichen Instrumentalmusik lässt Raum, über die tradierten Melodien, Rhythmen und Formen höchst kreativ zu improvisieren. Dies geschieht am 5. Mai um 15 Uhr in der Kirche Unser Lieben Frauen. Am gleichen Ort zu gleicher Zeit ist das Musik-Ensemble Tragicomedia" am 6. Mai mit wenig bekannten Instrumentalstücken des 17. und 18. Jahrhunderts, mit italienischen Ziegentänzen zu Gast. Einen eher stillen Abschluss des Festivals bildet das Stück "Supreme Silence" des estnischen Komponisten Peeter Vähi, dessen dritter Teil aus 5 Minuten kompletten Schweigens besteht. Exklusiv nach Bremen kommt für dieses Konzert ein 50köpfiger Männerchor aus Estland, ein englisches Handglockenensemble sowie die ungarische Sängerin Iren Lovasz (20 Uhr im Sendesaal von Radio Bremen).