Informativer Fachtag zu Folgen der EU-Richtlinie für barrierefreie Websites und Apps öffentlicher Stellen
16.02.2018Durch die fortschreitende Digitalisierung in allen Lebensbereichen hängt die gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zunehmend von der individuellen Möglichkeit ab, online aktiv zu sein. Ab Herbst 2018 gilt für alle EU-Mitgliedsländer die EU-Richtlinie für barrierefreie Websites und Apps öffentlicher Stellen. Beim gestrigen (Donnerstag, 15. Februar 2018) gut besuchten Fachtag in der Bremer Landesvertretung in Berlin zum Thema digitale Barrierefreiheit waren sich die Expertinnen und Experten einig: Die Gewährleistung barrierefreier Online-Auftritte und Apps ist und bleibt eine Daueraufgabe im Rahmen des E-Government. dazu: „Das im Entwurf vorliegende Bremische E-Government-Gesetz sieht einen jährlichen Bericht vor, wie weit wir mit der barrierefreien Digitalisierung vorangekommen sind“, so Bremens Bürgermeisterin und Finanzsenatorin Karoline Linnert.
„Um eine gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit einer Behinderung zu erreichen, muss auch die digitale Welt barrierefrei werden. Die EU-Richtlinie, mit der wir uns während unserer Tagung befasst haben, verlangt die Barrierefreiheit von Websites und mobilen Anwendungen öffentlicher Stellen. Es ist aber auch wichtig, dass die Internetauftritte privater Anbieter barrierefrei werden, wie z.B. im Online-Handel. Dies zu erreichen, ist eine wichtige Aufgabe für mich und meine Kolleginnen und Kollegen aus dem Bund und den anderen Ländern“, sagte Bremens Landesbehindertenbeauftragter Dr. Joachim Steinbrück.
Staatliche Stellen übernehmen mit der Umsetzung der EU-Richtlinie eine Vorreiterrolle. Die Privatwirtschaft wurde von der EU bislang ausgeklammert. Karoline Linnert: „Ich würde mich freuen, wenn die private Wirtschaft auch ohne rechtlichen Druck reagiert. Je schneller die Nachfrage nach barrierefreier Software steigt, desto besser. Nachfrage erzeugt Angebote – das gilt auch für Softwarehersteller.“
Die Websites und Apps sollen entsprechend der einschlägigen technischen Normen „wahrnehmbar, bedienbar, verständlich und robust“ sein. Das heißt: Auch Nutzerinnen und Nutzer mit Behinderung müssen auf den Seiten navigieren und die angebotenen Informationen wahrnehmen und verstehen können. Außerdem müssen die Informationsangebote und Dienstleistungen kompatibel mit verschiedener Software sein, beispielsweise mit Vorleseprogrammen für sehbehinderte und blinde Menschen. Die EU-Richtlinie schreibt weiter eine ständige Überwachung der digitalen Angebote auf Barrierefreiheit sowie die Einrichtung eines Beschwerdemanagements vor.
Finanzstaatsrat Henning Lühr berichtete, dass rund 180 Online-Auftritte öffentlicher Bremer Institutionen bereits über geprüfte Websites verfügen: „Wir haben unsere Standard-Software, mit der wir über 180 Auftritte unserer Behörden umsetzen, barrierefrei gestaltet. Außerdem setzen wir auf externe Beratung von IT-Fachleuten bei der Weiterentwicklung unseres Online-Angebots – vor dem Start werden neue Angebote auf Barrierefreiheit hin überprüft. Je früher bei der Planung und Entwicklung das Thema Barrierefreiheit einbezogen wird, desto einfacher und günstiger ist die Umsetzung. Später nachbessern ist teuer.“ Zum Jahresende wird der Bremer Staatsrat den Vorsitz im IT-Planungsrat übernehmen. Er versprach: „Das Thema barrierefreie Digitalisierung werde ich auf die Agenda des IT-Planungsrates setzen.“
Uwe Boysen, früherer langjähriger Vorsitzender des Deutschen Vereins der Blinden und Sehbehinderten in Studium und Beruf (DVBS), der die Veranstaltung in Kooperation mit dem Behindertenbeauftragten der Freien Hansestadt Bremen geplant und durchgeführt hat, erklärte: „Wir vom DVBS bemühen uns seit Langem, digitale Barrierefreiheit voranzubringen. Wer als Mensch mit Behinderung einen seinen Fähigkeiten und Neigungen angemessenen Beruf ausüben will, der kann das heute nicht mehr ohne barrierefreie IT tun. Deshalb ist uns die konsequente Umsetzung der EU-Richtlinie, über die wir heute gesprochen haben, so wichtig.“
Andreas Carstens, Finanzrichter in Hannover und Experte auf dem Gebiet digitaler Barrierefreiheit, ergänzte: „Entscheidende Bedeutung haben für uns dabei die in der Richtlinie vorgesehenen Überwachungs- und Berichtspflichten ebenso wie das einzuführende Beschwerdeverfahren. Werden diese Vorgaben von Bund, Ländern und Kommunen ernst genommen, so werden sie für alle Menschen mit Behinderung zu mehr Barrierefreiheit und damit zu mehr Selbstbestimmung in Beruf und Gesellschaft führen.“
Dr. Carola Brückner vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales ging auf den nur wenige Stunden vor dem Fachtag verschickten Entwurf ihres Ministeriums zur Reform des Behindertengleichstellungsgesetzes des Bundes gemäß der EU-Richtlinie ein. Sie bat um Verständnis für die eingeplante kurze Frist für Stellungnahmen und begründete diese mit hohen EU-Geldstrafen, sollte das neue Gesetz nicht bis zum 23. September 2018 verabschiedet sein.
Bernd Schneider von der Deutschen Gesellschaft der Hörgeschädigten kritisierte, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk von der EU-Richtlinie nicht erfasst wird. Jürgen Dusel, Beauftragter der Landesregierung des Landes Brandenburg für die Belange der Menschen mit Behinderungen, wünscht sich eine breite Akzeptanz für die anstehenden umfassenden Veränderungen: „Für viele kleinere Kommunen ist es eine Herausforderung, die digitale Barrierefreiheit umzusetzen. Es wäre sinnvoll, Gremien wie den Städte- und Gemeindebund als Multiplikatoren einzusetzen.“
Abschließend erklärte Bürgermeisterin Linnert: „Auch Menschen ohne körperliche oder andere Einschränkungen profitieren von verständlichen Inhalten und einer übersichtlichen Präsentation von Informationen. Jeder von uns ist vermutlich schon mal am berühmt-berüchtigten ‚Behördendeutsch‘ gescheitert. Zur Ausbildung unserer Verwaltungsnachwuchskräfte gehört deshalb auch das Schreiben von Texten in verständlicher, leichter Sprache.“
Sie dankte allen Teilnehmerinnen und Teilnehmer für die rege Diskussion: „Beim Umsetzen der Digitalen Barrierefreiheit brauchen wir die kritische, konstruktive Begleitung durch die betroffenen Interessensverbände.“
Foto: Pressereferat, Die Senatorin für Finanzen