29.01.2008
Vier Senatsressorts arbeiten gemeinsam gegen Jugendgewalt
Der Senat hat heute ein Konzept „Stopp der Jugendgewalt“ gebilligt, das gemeinsam von vier Ressorts unter der Federführung des Senators für Inneres und Sport erarbeitet wurde.
Es soll dazu beitragen, die Anzahl der Gewaltdelikte von Jugendlichen und Heranwachsenden deutlich zu verringern, kriminelle Karrieren möglichst frühzeitig zu unterbrechen, Intensivtäter zeitnah zu verfolgen und zu bestrafen. Es zielt aber auch darauf ab, Alkohol- und Drogenmissbrauch unter jungen Leuten zu reduzieren sowie Kindern, Jugendlichen und Eltern die Kompetenz zu vermitteln, Probleme gewaltfrei zu lösen.
Die Polizeiliche Kriminalstatistik weist bei den Gewaltdelikten eine hohe Anzahl von jugendlichen und heranwachsenden Tatverdächtigen aus. Insbesondere die Gewalt von Gruppen Jugendlicher aus sozial benachteiligten Milieus sowie der überproportional hohe Anteil von jugendlichen und heranwachsenden Mehrfach- und Intensivtätern mit Migrationshintergrund erfordern eine Überprüfung und Ergänzung der bisherigen Maßnahmen der Prävention, Intervention und Sanktionierung.
Monokausale Ansätze genügen nicht, Gewalt von Jugendlichen zu erklären. In der Regel ist es ein ganzes Bündel von Faktoren, das dazu führt, dass junge Menschen gewalttätig werden und vor allem wiederholt gewalttätig werden. Deswegen kann eine erfolgversprechende Prävention und Intervention nur aus dem Zusammenwirken unterschiedlicher Ansätze bestehen. Unter der Federführung des Senators für Inneres und Sport haben sich die Ressorts Justiz und Verfassung, Bildung und Wissenschaft sowie Arbeit, Frauen, Gesundheit, Jugend und Soziales auf ein gemeinsames Handlungskonzept verständigt.
Es reicht von der Fortführung bewährter Programme bis zu neuen Instrumenten und einer besseren Abstimmung all derjenigen, die mit Gewaltakten von Jugendlichen konfrontiert sind. Die vier Handlungsfelder Prävention, Intervention, Strafverfolgung und Resozialisierung sind ebenso einbezogen wie Vernetzung und Kooperation zwischen den Ressorts und mit weiteren Partnern.
„Das Ziel, eine kriminelle Karriere bei einem Jugendlichen zu verhindern, kann nur erreicht werden, wenn frühzeitig Gegenmaßnahmen ergriffen werden“, betont Innensenator Willi Lemke. Das setze ein funktionierendes Frühwarnsystem voraus, „in das alle verantwortlichen Stellen eingebunden sind und das die zur Einleitung von Gegenmaßnahmen relevanten Informationen zur Verfügung stellt“.
Inneres und Sport
Die Polizeien in Bremen und Bremerhaven haben sich organisatorisch auf diese Herausforderung eingestellt. Die polizeiliche Bearbeitung von Fällen der Jugendkriminalität erfolgt in der Stadtgemeinde Bremen grundsätzlich dezentral an den Polizeikommissariaten durch spezielle Jugendsachbearbeiter. Damit ist eine schnelle und angemessene Reaktion durch die Polizei und die Justiz auf strafbares Verhalten von Jugendlichen gewährleistet.
Die speziell geschulten Beamten des Jugend-Einsatz-Dienstes unterstützen die Ermittlungsarbeit, verfügen durch die operative Arbeit in den Stadtteilen und enge Kooperation mit den Kontaktbereichsbeamten über eine hohe Personen- und Szenekenntnis und führen im Rahmen ihres Dienstes und bei Veranstaltungen gezielte Kontrollen durch.
Straftaten jugendlicher Intensivtäter werden zentral von der Kriminalpolizei bearbeitet.
In Bremerhaven erfolgt die Bearbeitung der Jugendkriminalität auf der Grundlage des „Scout-Prinzips“. Es besteht im Kern darin, dass jeder jugendliche Täter immer denselben Sachbearbeiter bekommt, dieser also alle Stationen seiner „Karriere“ und das soziale Umfeld kennt. Die Fälle jugendlicher Intensivtäter werden analog zu Bremen in einer Fachdienststelle der Kriminalpolizei zentral bearbeitet.
Für die Fälle, in denen ein Jugendlicher droht, in eine kriminelle Karriere abzugleiten, wird die Polizei einen „Personenorientierten Bericht“ fertigen, der die persönlichen Lebensumstände des Jugendlichen und seine bisherige kriminelle Karriere einschließlich der erfolgten Reaktionen enthält. Der Bericht soll vor allem die Staatsanwaltschaft, das Jugendgericht und die Jugendgerichtshilfe bei der Entscheidung über die zu treffenden Gegenmaßnahmen unterstützen.
Intensiviert und auf die jeweilige Zielgruppe ausgerichtet werden soll außerdem die bereits praktizierte „aufsuchende Polizeiarbeit“. Das sind Gespräche und gezielte Ansprachen von straffälligen Kindern und Jugendlichen durch Polizeibeamte in deren familiären Umfeld und unter Beteiligung der Eltern.
Justiz und Verfassung
Ein zügig betriebenes, zu angemessenen Sanktionen führendes Jugendstrafverfahren ist von zentraler Bedeutung für das repressive Element bei der Bekämpfung von Jugendgewalt. „Der Staat muss umgehend auf strafbares Verhalten reagieren und den Jugendlichen konsequent, aber mit Augenmaß, die Grenzen verdeutlichen. Nur so kann das Jugendstrafverfahren einen sinnvollen Beitrag zur Eindämmung der Jugendgewalt leisten“, betont Justizsenator Ralf Nagel.
Neu entstehen wird deshalb ein sogenanntes Schwellentäter-Konzept. Die Strafverfolgungsorgane richten ihr besonderes Augenmerk auf mehrfach auffällige junge Straftäter, um kriminelle Karrieren möglichst frühzeitig zu stoppen.
Das bewährte Intensivtäterkonzept wird weiterentwickelt. Die täterorientierte Sachbearbeitung und Aktenführung wird das Verfahren weiter beschleunigen und Reibungsverluste bei der Informationsbeschaffung vermeiden. Bereits bisher werden Verfahren gegen Intensivtäter in Bremen und Bremerhaven von speziell zuständigen Staatsanwältinnen und Staatsanwälten bearbeitet.
Bildung und Wissenschaft
Geschieht an einer Schule eine Straftat, wird die Schulleitung entsprechend der Meldekette zunächst die Polizei und dann die Schulaufsicht informieren. Neu ist: Unmittelbar darauf soll ein Interventionsteam in die Schule kommen und Gespräche mit Tätern und Opfern führen, alle Beteiligten unterstützen und mit ihnen gezielte Maßnahmen ausarbeiten. Diese „Task Force“ soll behördenübergreifend zusammengesetzt sein. Beteiligt werden Mitarbeiter aus dem Zentrum für schülerbezogene Beratung am Landesinstitut für Schule ebenso wie Mitarbeiter des Amtes für Soziale Dienste, Kontaktbeamte der Polizei und Vertreter der Staatsanwaltschaft.
„Das Interventionsteam kann eine sofortige Fallkonferenz anordnen“, nennt Senatorin Jürgens-Pieper eine weitere Neuerung. Diese sollte umgehend über Maßnahmen beraten, die dann auch konsequent umgesetzt werden müssten. „Jugendliche Gewalttäter müssen gegebenenfalls zeitweise von ihrer Regelschule suspendiert werden, wenn dadurch andere Schülerinnen und Schüler geschützt werden“, sagt sie weiter. Das Bildungsressort werde dafür Werkschulen als Pilotprojekte zunächst im Osten und Norden der Stadt Bremen einrichten, in denen jugendliche Täter bei gleichzeitiger Erfüllung ihrer Schulpflicht praktische Arbeit verrichten. Ein Konzept dafür sei in Arbeit.
„Schnelles und konsequentes Reagieren sind bei kriminellen Vorkommnissen an Schulen entscheidend wichtig“, unterstreicht Jürgens-Pieper. „Maßnahmen sollten schon am Tag nach dem Vorfall greifen.“
Arbeit, Frauen, Gesundheit, Jugend und Soziales
Von großer Bedeutung, so Sozial- und Jugendsenatorin Ingelore Rosenkötter, sei die Arbeit mit jungen Menschen mit Förderbedarf, die weiter entwickelt werden muss. Als Beispiele nannte sie Maßnahmen wie Cliquenarbeit, Streetwork und soziale Trainingskurse. Gerade sogenannte niedrigschwellige Kontakt- und Beratungsangebote seien geeignet, um frühzeitig Jugendlichen den Weg zu einer konstruktiven Entfaltung aufzuzeigen und sie zu einem gewaltfreien, positiven sozialen Verhalten zu motivieren.
Mit freien Trägern der Jugendhilfe wurde nach Angaben der Senatorin ein Konzept zum Aufbau einer Heimintensivgruppe entwickelt für besonders verhaltensauffällige und gewaltbelastete ältere Kinder und jüngere Jugendliche. Diese Intensivgruppe steht unter dem Motto „Menschen statt Mauern“. In der Gruppe sollen Jungen mit tiefgreifenden Störungen in ihrem Sozial- und Leistungsverhalten ganzheitlich gefördert werden und die Chance erhalten, sich in klaren Alltagsstrukturen eine individuelle Zukunftsperspektive zu erarbeiten.
„Damit Kinder erst gar nicht auf die schiefe Bahn geraten, bedarf es einer Reihe sehr früher Ansätze, um sie vor Armut zu schützen und ein Umfeld zu schaffen, in dem sie ihre Fähigkeiten entfalten, ihre Bildungschancen wahrnehmen und soziale Kompetenzen erlernen können und in dem ihr Selbstbewusstsein gestärkt wird“, betont Ingelore Rosenkötter. In den Fällen, in denen die Eltern diese Aufgabe alleine nicht bewältigen können, müsse der Staat sie unterstützen beziehungsweise mehr Verantwortung für eine gute Entwicklung der Kinder übernehmen. Dies schließe eine bessere Versorgung bereits vor der Schule im Bereich der Kindertagesbetreuung ein.
Im Anhang:
Handlungskonzept
Vereinbarung zur Zusammenarbeit von Gewaltprävention