25.11.2005
Festakt im Bremer Rathaus mit Schirmherr Hans Koschnick
Deutschland feierte im Mai den 60. Jahrestag des Kriegsendes. Sechs Jahrzehnte ohne Krieg: In vielen Teilen der Welt wäre die Bevölkerung schon mit weit weniger zufrieden. Doch es gibt auch Entwicklungen, die Mut machen. Immer wieder wollen sich Einzelne und Gruppen mit Gewalt als Mittel der Politik nicht abfinden und zumindest die Folgen lindern. Ihren Einsatz für Gerechtigkeit, Frieden und die Bewahrung der Schöpfung rückt der internationale Bremer Friedenspreis in den Mittelpunkt. Der von der Bremer Stiftung "Die Schwelle" ausgelobte Preis ist mit insgesamt 15.000 Euro dotiert. Schirmherr ist Altbürgermeister Hans Koschnick.
Heute Abend (25. November 2005) werden in der Oberen Halle des Rathauses zum zweiten Mal Menschen mit diesem Preis ausgezeichnet. Mit je 5.000 Euro prämiert die Stiftung vorbildliche Persönlichkeiten in drei Kategorien. "Wir wollen Menschen und Gruppen öffentliche Anerkennung zollen, die oft unter großer persönlicher Gefahr für andere eintreten", sagt der Vorsitzende der Stiftung, Reinhard Jung.
Gruppenfoto mit Preisträgern im Bremer Schneeregen: (v.l.n.r.) Pastor James Wuye und Imam Muhammad Ashafa aus Nigeria, Prof. Wassilij Nestrenko, Weißrußland, Barbara Gladysch, Deutschland, Reinhard Jung, Vorstandsvorsitzender der Stiftung 'Die Schwelle', sowie Roswitha Jarmann, England (hi.re.). |
In der Kategorie "Beispielhafte Projekte" geht der Preis an Pastor James Wuye und Imam Muhammad Ashafa in Nigeria. In ihrer Jugend waren sie Aktivisten militanter christlicher und moslemischer Jugendorganisationen, Wuye verlor in den gewalttätigen Auseinandersetzungen einen Arm. Heute hingegen treiben die Geistlichen die Verständigung und Aussöhnung zwischen Christen und Moslems voran.
Wuye und Ashafa gründeten 1995 in Kaduna-Stadt, im Zentrum der gleichnamigen nordnigerianischen Brennpunkt-Region, das "Interfaith Mediation Center of Muslim-Christian Dialogue". Unter anderem veranstalten sie hier für Menschen verschiedener Stämme und Religionen Workshops für friedliche Strategien der Konfliktlösung. Wenn Unruhen ausbrechen, bemühen sie sich um Vermittlung, und sie stellen sich den verfeindeten Parteien als Gesprächspartner zur Verfügung.
Besonders würdigen will "Die Schwelle" auch die Aktivitäten zweier "unbekannter Friedensarbeiterinnen" im Kaukasus und besonders in Tschetschenien, wo die Bevölkerung seit einem Jahrzehnt zwischen Rebellen und russischen Besatzern aufgerieben wird. Die Britin Roswitha Jarman will in der von Krieg und Gewalt geprägten Region "Denal" - "Hoffnung" - vermitteln. Sie hat ein Team aus Therapeutinnen für traumatisierte Kinder und Mütter aufgebaut. Inzwischen betreiben die Frauen, die selbst aus Tschetschenien und dem Nachbarland Inguschetien stammen, schon zehn spezielle Zentren.
Die Deutsche Barbara Gladysch gehört zu den Mitgründerinnen von "Mütter für den Frieden" Anfang der 80er Jahre. Seit 1997 schafft sie Rehabilitationszentren für traumatisierte Kinder in der tschetschenischen Hauptstadt Grosny. Inzwischen gibt es 25 der liebevoll eingerichteten Rückzugs- und Therapieräume in jedem Stadtteil der Ruinenstadt. Ihr Hoffnung gebender Name: „Swodotschka“, zu Deutsch: „Kleiner Stern“.
Für „Öffentliches Wirken“ wird Professor Wassilij B. Nesterenko ausgezeichnet. Der Physiker ist in Bremen ein guter Bekannter: Er kooperiert eng mit der Tschernobylinitiative Huchting und zwei Schulen. Sein Thema ist nicht die Gewalt der Waffen, es ist die Gewalt der Technik. „Tschernobyl war nicht nur eine Katastrophe für die Welt, sondern auch meine persönliche Lebenskatastrophe. Ich hatte für die Atomkraft gelebt, aber sie wird immer zu gefährlich sein“, resümiert der 71-Jährige. Zum Zeitpunkt der Reaktorkatastrophe 1986 war Nesterenko Chef des Instituts für Kernenergetik an der weisrussischen Akademie der Wissenschaften. Heute leitet er das nichtstaatliche Institut für Strahlensicherheit „Belrad“. Das Institut hat ein umfangreiches Netz zur Messung der radioaktiven Belastung von Lebensmitteln aufgebaut und so zum Missfallen der Behörden die gesundheitlichen Gefahren für die Bevölkerung nachweisen können. Hauptanliegen Nesterenkos ist aber nicht die Wissenschaft, sondern die humanitäre Hilfe: Seine Mitarbeiter vermitteln den Menschen in den betroffenen Dörfern, wie sie durch veränderte Essgewohnheiten die Strahlenbelastung abbauen können.
Drei Beispiele von vielen – das zeigt die enorme Resonanz auf die Ausschreibung des diesjährigen Preises. 77 Vorschläge aus allen Erdteilen erreichten die Stiftung. Die diesjährigen Preisträger werden stellvertretend für alle Aktiven ausgezeichnet. Doch Zivilcourage hat viele Facetten. Darum präsentiert die zur Preisverleihung erscheinende Festschrift 30 weitere Projekte und Personen ausführlich. Die Broschüre wird in Deutsch und Englisch erscheinen und gilt als hilfreiches Unterrichtsmaterial für Schulen und internationale Friedens- oder Zivilcourage-Initiativen.