Sieling: Wir haben einen Versöhner mit Herz und Verstand verloren
Unter großer Anteilnahme der Bürgerinnen und Bürger von Bremen und Bremerhaven haben im Bremer St. Petri Dom über 1.000 Gäste in einer Gedenkfeier mit Staatsakt Abschied von Bürgermeister a.D. Hans Koschnick genommen. In Anwesenheit von Bundespräsident Joachim Gauck, von Christine Koschnick und Familie, Weggefährten und Freunden sowie führenden Persönlichkeiten aus Politik, Kirchen, Wirtschaft, Verbänden und Kultur wurden am 4. Mai 2016 in der Hansestadt die Verdienste des Verstorbenen gewürdigt. Unter den Teilnehmenden waren unter anderem Bundeskanzler a.D. Gerhard Schröder, die ehemalige Bundestagspräsidentin Prof. Dr. Rita Süssmuth, Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz, der Stadtpräsident der Bremer Partnerstadt Gdansk (Danzig), Pawel Adamowicz, sowie Janusz Reiter, Vorsitzender des Zentrums für Internationale Beziehungen und ehemaliger Botschafter der Republik Polen in Deutschland und den USA.
Bremens Bürgermeister Dr. Carsten Sieling: "Wir verabschieden uns von einem großartigen Menschen, einem leidenschaftlichen Sozialdemokraten und einem Bürgermeister, der mit Herz und Verstand unseren beiden Städten Bremen und Bremerhaven gedient hat. In seiner Amtszeit entstanden die Grundfesten des modernen Bremens. Reformbereitschaft, Offenheit, Wagemut und bisweilen auch eine besondere Experimentierfreude wurden Markenzeichen unseres Bundeslandes." Und weiter: "Hans Koschnick hat immer öffentlich für Freiheit und soziale Gerechtigkeit, für Solidarität und Demokratie gekämpft. Und er hat immer wieder auch im Stillen, auf privaten und diplomatischen Wegen der Menschlichkeit den Weg geebnet. Wir danken Hans Koschnick für alles, was er für Bremen, für die Bundesrepublik, für die Menschen in unserem Land und für die internationale Gemeinschaft getan hat." Sieling beendete seine Rede mit einem bewegten: "Danke Hans!"
Der ehemalige SPD-Parteivorsitzende und Bundeskanzler Gerhard Schröder: "Er war schon zu Lebzeiten eine sozialdemokratische Legende. 66 Jahre war er Mitglied unserer Partei. 21 Jahre lang, von 1970 bis 1991, gehörte er dem Bundesvorstand unserer Partei an. Und auch hier war er stets ein Vermittler zwischen den Flügeln unserer Partei und zwischen Persönlichkeiten wie Willy Brandt, Helmut Schmidt und Herbert Wehner. Der "rote Riese von Bremen" – so hat ihn die Wochenzeitung DIE ZEIT einmal genannt – konnte sich der Zuneigung der Sozialdemokratie sicher sein und ihres tiefen Respekts." Schröder weiter: "In einer Zeit, in der Nationalismus und rechter Ungeist in Deutschland und Europa bedrohlich zunehmen, in der Krieg und Hunger Millionen Menschen zur Flucht zwingen, sollten wir uns an diesem bedeutenden Mann und seinem Lebenswerk orientieren. Die deutsche Sozialdemokratie verneigt sich vor einem ihrer Großen.“
Die ehemalige Bundestagspräsidentin Prof. Dr. Rita Süssmuth: "Hans Koschnick war eine Persönlichkeit. Eine Persönlichkeit, die weit über die Grenzen Deutschlands gewirkt hat. Er hat immer an der Frage gearbeitet, wie aus Gegnerschaft Partnerschaft werden kann." Sie erinnerte an Koschnicks Vermächtnis: "Wo Gespräche sind wird nicht geschossen." Sein Credo "sucht das Gemeinsame und nicht das Trennende" wirke eindrucksvoll nach und sei ein schöner Auftrag für die Gestaltung der Zukunft durch die junge Generation.
Janusz Reiter, Vorsitzender des Zentrums für Internationale Beziehungen und ehemaliger Botschafter der Republik Polen in Deutschland und den USA: "Wenn in Danzig die Fahnen für Hans Koschnick auf Halbmast wehen ist das keine Selbstverständlichkeit, sondern ein Zeichen dafür, dass das Engagement von Hans Koschnick Früchte trägt. Große Sprüche waren nicht seine Sache, sondern das Helfen."
Pawel Adamowicz, der Stadtpräsident der Bremer Partnerstadt Danzig würdigte Koschnick als Brückenbauer für die Versöhnung zwischen Deutschland und Polen: "Sollte ich Hans Koschnick möglichst kurz beschreiben, würde ich sagen: ein großer Deutscher. Und ich würde sagen: ein Freund. Hans Koschnick gehörte zur Generation politischer Giganten. Er war ein Mensch der Visionen."
Renke Brahms, Schriftführer der Bremischen Evangelischen Kirche und Pastorin Ingrid Witte erinnerten an den überzeugten Christen. Koschnick war viele Jahre aktives Mitglied der Bremer Kirchengemeinde Unser Lieben Frauen und engagierte sich im Kuratorium der christlichen Friedensorganisation Aktion Sühnezeichen. Renke Brahms: "Er war ein zugewandter, freundlicher und humorvoller Mann und Versöhnung war sein Lebensthema. Wir werden ihn sehr vermissen."
Für den musikalischen Rahmen von Trauerfeier und Staatsakt sorgten bewegend die Stimmen des Knabenchores der evangelischen Kirchengemeinde Unser Lieben Frauen, die Klänge der Bremer Philharmoniker und der Domkantorei.
Hans Koschnick
Bremens langjähriger Bürgermeister Hans Koschnick starb am 21. April 2016 im Alter von 87 Jahren. Er wurde am 2. April 1929 in Bremen geboren, wuchs im Arbeiterstadtteil Gröpelingen auf und war zwischen 1951 und 1954 als Bezirkssekretär der Gewerkschaft "Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr" (ÖTV) tätig. Im Jahr 1955 zog er mit gerade 26 Jahren als jüngster SPD-Abgeordneter in die Bremische Bürgerschaft ein. 1963 folgte die Berufung als Innensenator in die Bremer Landesregierung (Senat), von 1965 bis 1967 war er zudem auch Bürgermeister. Von 1967 bis 1985 führte er schließlich als Präsident des Senats und Bürgermeister der Freien Hansestadt Bremen die Landesregierung an. Als Hans Koschnick 1967 das Amt des Präsidenten des Senats übernahm, war er mit 38 Jahren auch der jüngste Regierungschef eines Bundeslandes.
Achtzehn Jahre lang, in vier Wahlen mit jeweils absoluten Mehrheiten eindrucksvoll bestätigt, blieb Hans Koschnick Bremer Regierungschef. 1985 zog er sich überraschend aus der aktiven Bremer Landespolitik zurück. Im Deutschen Bundestag vertrat Koschnick dann von 1987 bis 1994 den Wahlkreis Bremen-West. Von 1994 bis 1996 war er EU-Administrator für den Wiederaufbau der zerstörten und geteilten herzegowinischen Stadt Mostar und Bosnienbeauftragter der Bundesregierung. Von 1970 bis 1991 war er Mitglied des Bundesvorstandes der SPD und von 1975 bis 1979 stellvertretender Parteivorsitzender.
Hans Koschnick hat auf eindrucksvolle Weise das kleinste Bundesland mit seinen Städten Bremen und Bremerhaven geprägt und sich auf nationaler und internationaler Ebene für den Frieden eingesetzt. Er steht für Mut und Weitsicht und hat Maßstäbe gesetzt: Die Ansiedlung des Mercedes Werkes in Bremen-Sebaldsbrück mit über 10.000 Arbeitsplätzen, die Gründung der Universität Bremen, die Ansiedlung des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven, Investitionen in die Häfen, den Luft- und Raumfahrtstandort Bremen sowie in Kunst und Kultur sind Meilensteine seines politischen Wirkens. Nach dem 2. Weltkrieg hat er seine Heimatstadt in Trümmern liegen sehen, hat Not und Verzweiflung erlebt. Diese Erfahrungen haben ihn geprägt und waren ein innerer Antrieb, sich sowohl vor Ort als auch international gegen den Hass und für eine solidarische Welt einzusetzen. "Global denken und lokal handeln" – diese Maxime hat er mit Leben gefüllt. Für die Versöhnung mit Polen und Israel stehen beispielhaft Bremens Städtepartnerschaften mit Gdansk (Danzig) und Haifa. Und als "Brückenbauer" war er nach den Balkankriegen auch in Mostar gefragt. Mit Tatkraft und voller Leidenschaft nahm er sich der großen Aufgabe der Zusammenführung einer geteilten Stadt an.
Koschnick, der nie viel Aufhebens um sich machte, ist im Verlaufe seines Lebens mit zahlreichen Auszeichnungen gewürdigt worden. Bremen machte ihn 1999 anlässlich seines 70. Geburtstages zum Ehrenbürger der Stadt. Außerdem wurde er unter anderem Ehrenbürger der Stadt Gdansk und Träger des Ehrendoktortitels der Stadt Haifa, erhielt den Lew-Kopelew-Preis, die Ehrendoktorwürde der Universität Bremen und einen Ehrenpreis der Deutsch-Israelischen Gesellschaft.
Fotos: Senatspressestelle / Michael Schnelle LIS