28.06.2004
Engere Kooperation mit Bund und Ländern befürwortet
Vor dem Hintergrund der anhaltenden Bedrohungslage durch islamistisch-fundamentalistischen Terrorismus hat sich Bremens Innensenator Thomas Röwekamp für einen verbesserten Datenaustausch zwischen Bundes- und Landesbehörden sowie für eine engere Zusammenarbeit der Verfassungsschutzämter ausgesprochen. „Wir müssen nicht nur die Erkenntnislage über hier lebene gewaltbereite Extremisten und gewaltfrei agierende extremistische Ausländerorganisationen verbessern, sondern diese Informationen auch besser vernetzen. Wir haben keine Zeit zu verlieren und dürfen nicht warten, bis es zu spät ist“, erklärte Senator Röwekamp heute (28.06.) bei der Vorstellung des Bremer Verfassungsschutzberichts 2003.
Der Senator für Inneres und Sport erinnerte in diesem Zusammenhang an die Bremer Koalitionsvereinbarung, die eine engere Zusammenarbeit mit dem Niedersächsischen Landesamt für Verfassungsschutz vorsehe. „Fusionen mehrerer Landesbehörden oder die Schaffung einer Mammutbehörde unter der Führung des Bundes sind kein Allheilmittel, aber wir stehen der Diskussion aufgeschlossen gegenüber“, erklärte Röwekamp. „Alle Vorschläge müssen auf den Tisch und vorbehaltlos geprüft werden“, warb Röwekamp für ein gemeinsames Vorgehen. Der Senator unterstützt unter anderem die Forderung Niedersachsens, eine gemeinsame Islamismus-Datei für alle Sicherheitsbehörden einzurichten, ebenso wie die Bemühungen, das Zusammenwirken von Polizei, Verfassungsschutz sowie anderen Behörden und Stellen mit sicherheitsrelevanten Aufgaben zur Bekämpfung des Terrorismus zu intensivieren. Die Innenministerkonferenz, die Anfang Juli in Kiel tagt, werde sich mit dem Thema intensiver denn je zuvor auseinandersetzen müssen, ist Röwekamp überzeugt.
Der Senator erklärte weiter: „Die Erkenntnisse unserer Verfassungsschutzbehörden gehen davon aus, dass unser Land nicht mehr – wie vor dem 11. September 2001 – nur Ruhe- und Vorbereitungsraum von islamistischen Terroristen ist, sondern als Zielraum für Anschläge infrage kommt. Das Bundesland Bremen ist dabei kein „weißer Fleck“ auf der Landkarte, wenngleich die Bedrohungslage gegenwärtig eher abstrakt ist. Trotzdem unternehmen unsere Sicherheitsbehörden in der Bundesrepublik Deutschland und in Bremen alles, um Leib und Leben der Bürgerinnen und Bürger sowie deren Eigentum und Freiheit zu schützen. Gerade in Bremen haben wir das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) sowie die Polizei und den Katastrophenschutz personell verstärkt und verfolgen organistorische Verbesserungen, um die Sicherheitsbehörden handlungsfähiger im Bereich der Terrorismusbekämpfung zu machen. Denn über eines müssen wir uns im klaren sein: Wir können den Kampf gegen den islamistischen Terrorismus nur gewinnen, wenn wir die politische Auseinandersetzung mit islamistischen und fundamentalistischen Ideologien aufnehmen und erfolgreich führen. Der Dialog der Kulturen und der Religionen, für den insbesondere die Freie Hansestadt Bremen steht, muss auf dem Wertefundament unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung stehen. Es wäre das Gegenteil von Integration, wenn dieser interkulturelle Dialog auf der Verharmlosung von Extremisten fußt.“
Dies gelte laut Röwekamp auch für die Gefahren, die vom Rechts- und Linksextremismus ausgehen: „Hier gilt es wachsam zu sein, wenn beispielsweise rechtsextremistische Gruppen ausländerfeindliche oder antisemitische Propaganda verbreiten, oder wenn linksextremistische Gruppen die demokratische Willensbildung zu verhindern suchen.“
Der jetzt vorgelegte Verfassungsschutzbericht informiert nicht nur über die politischen Ziele und Aktivitäten extremistischer Gruppierungen, sondern stellt auch die Gefahren dar, die zum Beispiel durch Spionage ausländischer Nachrichtendienste oder Aktivitäten der Scientology-Organisation drohen.
Rechtsextremismus
Rechtsextremistische Parteien hatten im Jahr 2003 erneut einen deutlichen Bedeutungsverlust hinzunehmen, was sich in Mitgliederzahlen und Wahlergebnissen widerspiegelte. "Leider“, so Senator Röwekamp, „hat die DVU wiederum von der besonderen Situation in Bremerhaven profitieren können und damit ihr Mandat in der Bremischen Bürgerschaft gehalten“. Die Deutsche Partei (DP), seit 2003 neues Beobachtungsobjekt auch des Bremer LfV, blieb bei ihrem ersten Wahlantritt zur Bürgerschaftswahl bedeutungslos, während die NPD gar nicht erst zur Wahl angetreten ist.
Das Fehlen einer populistischen Integrationsfigur und die Zersplitterung in verschiedene rechtsextremistische Parteien verhindern nach Auffassung des LfV auch weiterhin das Entstehen einer breiten rechtsextremistischen Partei. Ebenso verhält es sich mit den Aktivitäten neonazistischer Kameradschaften im Land Bremen. Festzustellen ist jedoch ein verstärktes Auftreten rechtsextremistischer Gruppen im niedersächsischen Umland. „Weil Kontakte zur hiesigen Neonazi-Szene zu beobachten sind, verfolgen wir dies auch aus Bremer Sicht sehr aufmerksam“, erklärte der Innensenator. Straftaten und Gewalttaten mit rechtsextremistischem Hintergrund sind gegenüber dem Vorjahr erneut rückläufig (2003:73; 2002:132 Fälle).
Linksextremismus
Trotz rückläufiger Mitgliederzahlen und einem schwachen Abschneiden bei der Bürgerschaftswahl ist die PDS nach wie vor die bedeutendste Partei im linksextremistischen Spektrum. Die Rechtsnachfolgerin der SED aus den Zeiten der DDR-Diktatur ist im Land Bremen mit 16 Arbeitskreisen vertreten. Einzelne Mitglieder oder Untergliederungen, wie beim Jugendableger „Solid“, pflegen Kontakte zu gewaltbereiten autonomen Gruppen auch im Land Bremen.
Die linksextremistische autonome Szene in Bremen betätigte sich u.a. in der Störung des Besuches des italienischen Ministerpräsidenten oder suchten sich ausländerpolitische Themen. Linksextremistisch motivierte Straftaten waren gegenüber dem Vorjahr abermals rückläufig (2003:36; 2002:60 Fälle).
Extremistische Bestrebungen von Ausländern
Die mitgliederstärkste extremistische Ausländerorganisation im Lande Bremen, die islamistische Milli Görüs e.V. (IGMG), hat sich in ihrer früheren antisemitischen, vor allem aber israelfeindlichen, Propaganda stark zurückgenommen und bemüht sich, in der Öffentlichkeit moderat und integrationsorientiert zu erscheinen. Dieses äußere Bild steht im Gegensatz zu der islamistischen Ideologie der Milli-Görüs-Bewegung. Deren „Gerechte Ordnung“ stellt ein auf islamischer Grundlage basierendes, umfassendes soziales, ökonomisches und politisches Regelungssystem dar, das die westliche Zivilisation, ihren Wertekanon und ihr Demokratieverständnis ablehnt. Die Bremer IGMG befolgt aktuell die von ihrer Zentrale erteilten Weisungen, sich jeglicher politisch-agitatorischer Aktivitäten zu enthalten. Bei der IGMG sind jedoch auch Tendenzen zur Eigenständigkeit gegenüber der türkischen „Glückseligkeitspartei“ zu bemerken, die bislang aber am ungebrochenen Machtanspruch ihres Parteiführers scheitern.
Der kurdische KADEK (vormals die kommunistische Partei PKK) hat seinen so genannten Friedenskurs fortgeführt. Ferner erklärte der KADEK seine Auflösung bzw. die Gründung des „Volkskongresses Kurdistans“ mit einem 40-köpfigen Exekutivrat. Die Organisation ist weiterhin streng auf ihren in der Türkei inhaftierten Führer ausgerichtet. Die abermalige Umbenennung in KONGRA-GEL wird an der Grundausrichtung, für die der „Friedenskurs“ in seiner zweigleisigen Bedeutung steht, wenig ändern.
Anhänger dieser Kurdenorganisation dominierten auch im Jahr 2003 die politisch motivierte Ausländerkriminalität. Die Fallzahlen in diesem Bereich haben sich im Vergleich zum Vorjahr insgesamt verdreifacht (2003: 63 Straftaten; 2002: 20 Delikte).
Gravierende Terror- oder Gewalttaten mit ausländerextremistischer Motivation blieben im Jahre 2003 in Bremen zwar aus. Spektakulärer Höhepunkt war die ohne Blutvergießen beendete Entführung eines Bremer Linienbusses durch einen 17-jährigen Bremer türkischer Herkunft, der die Freilassung mutmaßlicher Hintermänner der Al-Qaida-Anschläge vom 11. September erpressen wollte.
Bürger und Behörden müssen demokratischen Rechtsstaat gemeinsam schützen!
„Es ist der gesetzliche Auftrag unserer Verfassungsschutzbehörden in Bund und Ländern, unseren demokratischen Rechtsstaat zu schützen. Darüber hinaus ist jeder einzelne Bürger bei der geistig-politischen Auseinandersetzung mit den Gegnern der Demokratie gefordert“, so Senator Röwekamp. Der vorliegende Verfassungsschutzbericht, der in dieser Form zum zweiten Mal erscheint, soll der Information interessierter Bürger dienen. Auf rund 100 Seiten enthält der Bericht wieder Aussagen zum gesamten Aufgabenspektrum des LfV.
„Es darf auch im Zusammenhang mit einzelnen spektakulären Themen nicht aus den Augen verloren werden, dass alle Extremismusbereiche mit den gebotenen und zur Verfügung stehenden Mitteln bekämpft werden müssen“, betonte der Innensenator abschließend. „Von allen Extremismusphänomena gehen in gleichem Maße Gefahren für den Staat oder seine Interessen aus. Der Verfassungsschutz leistet mit seinen Erkenntnissen einen wesentlichen Beitrag zur Bekämpfung des politischen Extremismus.“
Der Verfassungsschutzbericht 2003 ist auf der Homepage des Innensenators unter Aktuelles als PDF-Datei abrufbar: www.bremen.de/innensenator/.