20.09.2001
"Ausländische Mitbürger muslimischen Glaubens nicht mit radikalen Islamisten in einen Topf werfen"
„Noch immer stehen viele Bürgerinnen und Bürger unter dem Eindruck der verheerenden Terrorattacken in den USA. Die Sicherheitsbehörden im Land Bremen haben auf die Lage schnell reagiert und sind weiterhin wachsam. Es gibt aber keinen Grund zur Panik“, erklärte der Senator für Inneres, Kultur und Sport, Dr. Kuno Böse, am Donnerstag. Die Staatsschutz-Abteilung der Kriminalpolizei wurde personell aufgestockt. Schutzmaßnahmen für Gebäude und gefährdete Personen wurden verstärkt; das Landesamt für Verfassungsschutz geht einer Vielzahl von Hinweisen aus der Bevölkerung nach; etwaige Ermittlungen in Bremen im Zusammenhang mit den Terroranschlägen werden unter der Regie des Generalbundesanwalts geführt, erklärte Senator Böse. „Über Einzelheiten der Arbeit der Sicherheitsbehörden können wir naturgemäß nicht berichten.“ Erkenntnisse über terroristische Zellen islamistischer Ausrichtung in Bremen liegen bislang nicht vor.
„Freiheit und Sicherheit sind zwei Seiten einer Medaille“. Böse warnte Kritiker davor, in dieser angespannten Lage die notwendigen Verbesserungen der Inneren Sicherheit gegen Datenschutz-Argumente auszuspielen. Freiheit und Bürgerrechte lassen sich nur verwirklichen, wenn sich die Menschen – gleich welcher Nationalität – in Bremen und Bremerhaven sicher fühlen können“, betonte der Senator.
„Ich sage dies auch ganz bewusst mit Blick auf unsere ausländischen Mitbürger muslimischen Glaubens, die nicht mit radikalen Islamisten oder gar Terroristen in einen Topf geworfen werden dürfen“, warb Dr. Böse für eine differenzierte Betrachtung. „Ich habe daher Vertreter von bremischen Muslim- und Ausländerorganisationen für kommende Woche zu einem Gespräch eingeladen. Außerdem hat die Polizei Bremen damit begonnen, Moscheen, arabische Vereine und andere Bremer Einrichtungen aufzusuchen und so genannte Sicherheitskooperationsgespräche zu führen.“
Zu den extremistischen Bestrebungen von Ausländern stellt der Innensenator zunächst fest, dass die übergroße Mehrheit der in Bremen lebenden ca. 78.000 Ausländer extremistische Bestrebungen und politisch motivierte Gewalttaten ablehnt. Von den ca. 40 000 Personen islamischen Glaubens - wobei hier verschiedene islamische Richtungen bestehen - werden vom Landesamt für Verfassungsschutz ca. 1 100 als islamistisch eingeschätzt und in unterschiedlicher Intensität beobachtet. Islamistische Organisationen sind in der Regel bestrebt, die mehr oder weniger westlich orientierten Regierungssysteme in ihren Heimatländern durch ein auf der Scharia (islamisches Rechtssystem) basierendes islamistisches Staatsgefüge zu ersetzen; zum Teil streben sie sogar die Weltherrschaft des Islam an. Die islamistische Szene in Deutschland und in Bremen ist keineswegs homogen, sondern breit gefächert. Unter den islamistisch ausgerichteten Organisationen im Land Bremen ist im wesentlichen der Verein „Milli Görus“ mit rund 900 Anhängern zu nennen.
Böse: „Wenn jetzt ausländische Extremisten durch das Landesamt für Verfassungsschutz und den Staatsschutz verstärkt beobachtet werden, ist das dringend geboten und keine Schikane gegen Ausländer, ebenso wie bislang unser Kampf gegen Neonazis sich pauschal gegen Deutsche gerichtet hätte.“ Senator Dr. Böse verweist dabei auch auf die jüngste Zuwanderungs-Debatte: „Integration und Einbürgerung kann es nur für jene Ausländer geben, die sich zu unserem Staat bekennen und die Spielregeln einhalten. Ausländische Extremisten hingegen grenzen sich selbst aus.“
Böse begrüßt Maßnahmenpaket der Bundesregierung zur inneren Sicherheit
Senator Dr. Böse hat das Maßnahmenpaket der Bundesregierung zur inneren Sicherheit in Deutschland als sinnvolle Schritte begrüßt. "Besonders die Streichung des Religionsprivilegs im Vereinsgesetz ist eine längst fällige Maßnahme“, sagte der Innensenator. Dadurch werde extremistischen Vereinigungen die Möglichkeit genommen, unter dem Deckmantel einer Religionsgemeinschaft Straftaten vorzubereiten. Mit dem neuen Paragrafen 129b im Strafgesetzbuch werde nun die Unterstützung internationaler krimineller Vereinigungen von Deutschland aus unter Strafe gestellt. "Hier waren uns bislang oft die Hände gebunden“, so der Innensenator. Böse begrüßte auch die Grundsatzentscheidung des Kabinetts, extremistischen Gruppen die Finanzquellen auszutrocknen. Die Abschöpfung von Verbrechensgewinnen sei in Bremen bereits Ziel im Kampf gegen die Organisierte Kriminalität. Auch die Verschärfung der Sicherheitsüberprüfung von Flughafenpersonal sei ein Schritt in die richtige Richtung.
Böse weiter: "Mit den Beschlüssen des Bundeskabinetts werden zum Teil langjährige Forderungen unionsgeführter Länder erfüllt. Mit den gestrigen Beschlüssen der Länderinnenminister sei man beim Thema innere Sicherheit bereits ein gutes Stück weitergekommen, so Böse. Bremen werde jetzt Schritt für Schritt die weiteren Punkte im Maßnahmen- und Forderungskatalog der Länder umsetzen.
Innenministerkonferenz (IMK) hat Maßnahmen zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus beschlossen
Wie der Senator für Inneres, Kultur und Sport ergänzend mitteilte, hat die IMK bereits am Dienstag ein Maßnahmebündel zur Bekämpfung extremistischer und terroristischer Bedrohung beschlossen. Der Beschluss beinhalte, so Böse, sowohl eine aktuelle Lageeinschätzung wie auch Maßnahmen, die mit hoher Priorität verfolgt würden.
Die Innenminister und -senatoren des Bundes und der Länder haben in ihrer Telefonschaltkonferenz folgenden Beschluss gefasst:
1.
Die Innenminister und –senatoren des Bundes und der Länder nehmen den Beschluss des Arbeitskreises „Innere Sicherheit“ (AK II) zur Lageeinschätzung und den für unverzichtbar gehaltenen Sofortmaßnahmen im Zusammenhang mit den Terroranschlägen in den USA zustimmend zur Kenntnis.
2.
Die Innenministerkonferenz bittet den Bundesminister des Innern, die folgenden Maßnahmen schnellstmöglich zu veranlassen und - soweit die Zuständigkeit anderer Ressorts gegeben ist – auf eine entsprechende Umsetzung hinzuwirken:
2.1.
Einführung einer restriktiveren Visa-Erteilung, einschließlich der Überprüfung von Besuchszweck und Besuchsadresse sowie die Schaffung der rechtlichen Voraussetzungen für Identifizierungsmaßnahmen und die Datenübermittlung an die Sicherheitsbehörden, und obligatorische Überprüfung von Besuchern bestimmter Staaten insbesondere auch durch die Landesämter für Verfassungsschutz
2.2.
Entwicklung von Rastern/Profilen zum Erkennen potenzieller islamistischer Terroristen, die Deutschland als Ruheraum oder logistische Basis nutzen oder in Deutschland angeworben worden sind
2.3.
Überprüfung und Anpassung aller Luftsicherheitsmaßnahmen gemäß Rahmenplan sowie Intensivierung der Personen- und Gepäckkontrollen auf den Flughäfen. Intensivierung der Sicherheitsüberprüfungen für das Personal in Risikobereichen (insbesondere bereits erteilte Zugangsberechtigungen) und Erweiterung der Sicherheitsüberprüfungen auf alle Flughafenbeschäftigten sowie im Hinblick auf den personellen und materiellen Innenschutz in Flugzeugen; entsprechende Anpassung der rechtlichen Vorschriften
2.4.
Verstärkter Einsatz der Bundeswehr zum Schutz militärischer Einrichtungen einschließlich der Einrichtungen der NATO-Verbündeten sowie Prüfung der rechtlichen und organisatorischen Voraussetzungen für eine Unterstützung durch die Bundeswehr im Objektschutz an weiteren gefährdeten Objekten für den Fall, dass eine erhebliche Verschärfung der Sicherheitslage eine Dauerpräsenz durch die Länderpolizeien und den Bundesgrenzschutz unmöglich erscheinen lässt
2.5.
Prüfung der rechtlichen Voraussetzungen für die Übermittlung von Erkenntnissen an die Sicherheitsbehörden durch das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge zu Verdachtspersonen der extremistischen oder terroristischen Szene im Rahmen laufender Asylantragsverfahren
2.6.
Prüfung der rechtlichen und technischen Voraussetzungen für den automatisierten Abgleich von Fingerabdrücken aus dem Asylantragsverfahren auch mit offenen Tatortspuren der AFIS-Datei im Bundeskriminalamt
2.7.
Sofortige Abstimmung aller Sicherheitsmaßnahmen von grenzüberschreitender Bedeutung auf europäischer Ebene.
Senator Dr. Böse abschließend: „Diese Beschlüsse sind ein klares Signal, mit Entschlossenheit und Einigkeit den Gefahren des religiösen Extremismus und politischen Terrorismus entgegenzutreten. Die Sicherheitsbehörden und Einrichtungen der Länder und des Bundes werden wirkungsvoll, koordiniert und besonnen extremistischen Aktivitäten und möglichen Anschlägen entgegenwirken.“