05.06.2001
Palliativmedizin will statt aktiver Sterbehilfe die aktive Sterbebegleitung / Neue Station wird in diesem Jahr eingeweiht
Haben die Menschen Angst vor der Auseinandersetzung mit dem Tod, verdrängen sie diesen für jeden Menschen unausweichlichen Lebensabschluss? Das würde erklären, warum Diskussionen über ein würdiges Sterben gelegentlich so problematisch sind. Dabei gibt es eine Vielzahl von Menschen, die am Ende ihres Lebens Schmerzen und andere Leiden auszuhalten haben und dabei auf Hilfe angewiesen sind. Palliativmediziner lehnen aktive Sterbehilfe nach niederländischem Vorbild ab, sie plädieren für eine umfassende Leidenslinderung und aktive Sterbebegleitung. Dabei geht es um mehr als die Linderung von Schmerzen. Dem Patienten soll in seiner komplexen Gesamtproblematik Hilfe angeboten werden.
Der Begriff Palliativmedizin leitet sich von dem lateinischen Wort pallium (Mantel) ab. Es geht in diesem bildlichen Sinne um das ganzheitliche Umsorgen des Patienten. Die Hospizbewegung hat in den 70er Jahren das Trösten und Lindern als einen Teil der Patientenversorgung wieder in den Blick medizinischen Interesses gerückt. Vor allem geht es um unheilbar Kranke, in erster Linie um Tumorpatienten und neurologisch Erkrankte, bei denen eine Heilung der Erkrankung nicht mehr möglich ist, die unter den Symptomen der voranschreitenden Erkrankung leiden. Bei ihrer Behandlung stehen Schmerztherapie und das Eindämmen körperlicher Beeinträchtigungen wie Übelkeit, Erbrechen oder Atemnot im Vordergrund. Erst die Linderung des Leidens ermöglicht vielen Patienten wieder, sich ihrem Umfeld mitzuteilen.
Auf diesem Hintergrund ist oft nur eine vorübergehende Aufnahme auf einer Palliativstation erforderlich. Es geht um Intervention, nicht um dauerhafte Pflege oder längerfristige
Sterbebegleitung. Das, was auf der Palliativstation begonnen wurde, soll zu Hause oder im Hospiz fortgesetzt werden und bei Bedarf durch palliativmedizinische Beratung durch die Palliativstation ambulant begleitet werden. Das setzt die Fortsetzung des Begonnenen durch ambulante Hospizdienste und niedergelassene Ärzte voraus.
Dr. Hans-Joachim Willenbrink leitet im Zentralkrankenhaus Links der Weser die Abteilung für Schmerzdiagnostik , Schmerztherapie und Palliativmedizin. Kaum jemand weiß so gut wie er, wie nachhaltig eine Krankheit, zumal eine unheilbare, Menschen verändern kann. Er weiß, wie Menschen sich fühlen, denen ein Arzt abschließend mitteilt, dass ihm nicht mehr geholfen werden kann - im klassisch medizinischen Sinne. Das heißt dann in der Regel, dass für diesen Patienten kein Platz mehr im Krankenhaus ist. Kein Platz mehr in der sozialen Gesellschaft?
Auf der Palliativstation des Zentralkrankenhauses Links der Weser wird ein Platz für solche Menschen sein. In der Projektbeschreibung heißt es: "Gegenstand der Palliativmedizin ist die Behandlung und Begleitung von Patienten mit einer nicht heilbaren und weit fortgeschrittenen Erkrankung mit begrenzter Lebenserwartung. Die Palliativmedizin bejaht das Leben und sieht Sterben als natürlichen Prozess an. Durch eine ganzheitliche Behandlung soll Leiden umfassend gelindert werden." Das erfordert einerseits ein medizinisches und pflegerisches Konzept, das setzt andererseits bedarfsgerechte Räumlichkeiten voraus. Beides wird gegen Ende dieses Jahres im Zentralkrankenhaus Links der Weser zur Verfügung stehen.
Grundlage ist jedoch die frühzeitige Zusammenarbeit mit allen Abteilungen des Krankenhauses. Bereits in der Behandlung chronisch Schmerzkranker hat sich das Prinzip der interdisziplinären Zusammenarbeit im Krankenhaus Links der Weser bewährt: Unser Haus ist überschaubar. "Damit sind die Wege, zu einander zu finden und auf einander zuzugehen kurz und unkompliziert", so Dr. Willenbrink.
Für rund 3,5 Millionen DM wird an der Südseite des Krankenhauses ein eigenständiger Neubau geschaffen, der über eine gläserne Brücke in der ersten Etage von der Schmerzambulanz angeschlossen wird. Doppelstöckig ist lediglich ein kleiner Bauteil, in dem Treppenhaus und Fahrstuhl untergebracht sind. Die Einzel- und Doppelzimmer mit allen dazugehörigen Funktionszimmern sind ebenerdig. Das gehört zum Konzept, dass die Patienten der Palliativstation durch große Terrassenfenster jederzeit ins Grüne blicken oder sich auch auf die Terrasse bringen lassen können.
Zum ganzheitlichen Betreuungskonzept gehört für Dr. Willenbrink auch, dass Angehörige eingebunden werden. Sie können im Zimmer mit übernachten, in der Gemeinschaftskü-che das Lieblingsgericht des Patienten zubereiten. Sie sind wichtige Bausteine bei dem Anliegen, den Patienten eine wohnliche Atmosphäre zum Wohlfühlen anzubieten. Die Grenzen zwischen dem Zuhause und einem Hospiz werden so zu fließenden Übergängen. Von Fall zu Fall werden Patienten ins Hospiz verlegt, das bis Jahresende in Walle eingeweiht wird. Diesem Hospiz und allen anderen Patientenbetreuern steht das Palliativ-Team bei Bedarf beratend zur Seite. Als unabdingbar und damit ein zentrales Anliegen Dr. Willenbrinks ist die Zusammenarbeit mit niedergelassenen Kollegen/innen aus dem ärztlichen und pflegerischen Bereich. "Es darf und kann nicht sein, so Dr. Willenbrink, dass palliativmedizinische Betreuung nur im Krankenhaus durchführbar ist. Daher müssen wir eng zusammen arbeiten, um Fehleinweisungen zu verhindern".
"Auch für unheilbar kranke Menschen gibt es damit die Chance auf ein Stück Lebensqualität", freut sich Dr. Willenbrink. Er will auch dafür sorgen, dass interdisziplinäre Palliativmedizin über die neue Station hinaus wirksam wird, indem er ständig ärztliche Kollegen und Pflegepersonal aus den verschiedenen Kliniken des eigenen Krankenhauses, aber auch aus anderen Krankenhäusern zum Hospitieren einlädt. Da gibt es dann bei der Patientenbetreuung manches neu zu entdecken, was in der Betriebsamkeit eines klassischen klinischen Alltages leicht verloren geht: Lächeln, Dasein, Aushalten, Berühren, gemeinsames Schweigen.