24.03.2004
Heute findet ab 16.00 Uhr im Kultursaal der Arbeitnehmerkammer, Bürgerstraße 1, zum ersten Mal die Verleihung des Weiterbildungspreises des Senators für Bildung und Wissenschaft statt.
Um den Preis haben sich insgesamt 36 Weiterbildungseinrichtungen bzw. Institutionen, die sich auch mit Weiterbildung befassen, mit innovativen Konzepten beworben. Drei Projekte wurden von einer unabhängigen Jury als Preisträger ausgewählt.
Die Preisträger sind:
Mediationskompetenztraining für Menschen mit geistigen Behinderungen,
Einzelheiten zu den Preisträgern und die Begründung für die Auswahl sind den angefügten Laudationes der Jurymitglieder zu entnehmen:
Prof. Dr. Erhard Schlutz
„Sozial- und Konflikttraining für Menschen mit geistigen Behinderungen“
- ein Projekt der Volkshochschule Bremerhaven
Der Bremer Preis für Weiterbildung 2003 wird gleichberechtigt an drei Projekte verliehen. Die Preisverleihung beginnt mit dem Projekt „Sozial- und Konflikttraining für Menschen mit geistigen Behinderungen“. Es wird durchgeführt von der Volkshochschule Bremerhaven. Für diese sind heute hier: Jörn Krankenberg als Trainer, Walter Lengen, Mitarbeiter der Fahrradwerkstatt „Drahtesel“ als Teilnehmer und Cornelia Bock als zuständige Fachbereichsleiterin.
Mehr Sozialkompetenz und Konfliktfähigkeit brauchen wird heute doch eigentlich alle, vom Azubi bis zum Manager. Warum also gezielte Trainings für Menschen mit geistigem handicap?
Die Teilnehmer/innen erfahren im besonderen Maße: Beleidigungen im Alltag; Bevormundungen nicht nur durch Betreuer, sondern auch durch Kollegen, die z.B. ungebeten das eigene Zimmer betreten; Konflikte am Arbeitsplatz – und sie wünschen sich, all dem anders begegnen zu können als mit eigener aufgestauter Aggression oder gewaltsamen Umgangsformen. „Wohin mit meiner Wut?“ hat Kursleiter Krankenberg als Motto über eine der Veranstaltungen gesetzt.
Im Training wird geübt und durchgespielt: wie man Gefühle pantomimisch darstellen und benennen kann, wie man Ärger mitteilen kann ohne andere zu verärgern, wie man Streit so angeht, dass er zu entwirren ist - ohne aber das eigene Interesse und Gefühl dabei zu unterdrücken. Denn es geht keineswegs um das „Glattbügeln“ von sog. „abweichendem Verhalten“. Sondern um mehr Kompetenz zur Selbstregulation und zur Schlichtung, um Mündigkeit und Solidarität.
Wie beurteilen die Arbeits- und Wohngruppen, die am Training teilgenommen haben, dieses Angebot der Volkshochschule? Nur positiv. Und wörtlich aus der Fahrradwerkstatt „Drahtesel“: Es wurde erreicht, „dass wir uns in Ruhe unterhalten haben und jeder ausreden konnte“, „offene Gespräche und Meinung wurden von allen akzeptiert“, es ist jetzt – nach dem Training - „mehr Ruhe bei der Arbeit“, und sie wünschen sich, „dass wir die Gruppengespräche einmal pro Woche fortsetzen“ könnten.
Die Jury des Bremer Weiterbildungspreises urteilt: Mit dem Projekt „Sozial- und Konflikttraining für Menschen mit geistigen Behinderungen“ wird auf unspektakuläre, aber auch unsentimentale Weise Menschen mit einem handicap geholfen, nicht durch Betreuung (die auch nötig sein kann), sondern mit den Mitteln der Bildung, die auf Selbstentwicklung und auf Bewältigung der eigenen Lebens- und Arbeitssituation durch Lernen setzt.
Zugleich möchte die Jury mit diesem Preis das gesamte Arbeitsprogramm der Bremerhavener Volkshochschule für Menschen mit geistiger Behinderung auszeichnen. Das Programm „Weiterbildung für alle“, das in Zusammenarbeit mit der „Lebenshilfe Bremerhaven“ und den „Albert-Schweitzer-Wohnstätten“ ansprechend gestaltet wird, bietet in jedem Halbjahr Fachthemen und Inhalte für diese Adressatengruppe an. Wie das Gesamtprogramm enthält es Angebote an allgemeiner, beruflicher und politischer Fortbildung und wird in den Räumen der Volkshochschule von Dozentinnen unterrichtet, die auch sonst für diese Themen fachlich zuständig sind.
Vor sechs Jahren haben wir hier in Bremen einen Bundeskongress „Erwachsenenbildung und Behinderung“ veranstaltet, bei dem sich am Ende – nach sehr viel Wortgetöse um den Begriff der „Integration“ - Wissenschaftlerinnen, Praktiker und Betroffene einig waren, dass Schluss sein müsse mit abstrakten Forderungen und praktisch ausprobiert werden müsse, was die Adressaten an Lernwünschen hätten und wie die zu erfüllen seien. Die Bremerhavener Volkshochschule hat dies mit Erfolg getan.
Zugang, Access, zu ermöglichen und zu erweitern ist eine der wichtigsten Forderungen, die die UNESCO weltweit an alle Bildungssysteme stellt. Dem entspricht im Gleichstellungsgesetz für Menschen mit Behinderungen vom 1.Mai 2002 die Forderung nach „Barrierefreiheit“ in allen Lebensbereichen. Und im bremischen Weiterbildungsgesetz die Aufgabe „Weiterbildung im Sinne dieses Gesetzes steht jedem Erwachsenen ohne Rücksicht auf Vorbildung, Geschlecht, Abstammung, soziale Stellung, religiöse oder politische Anschauung offen.“
Die Bremerhavener Volkshochschule hat - in einer Zeit der Privatisierung und Zuschusskürzungen - dazu einen wichtigen pädagogischen und bildungspolitischen Beitrag geleistet. Dafür erhält sie heute den erstmals verliehenen „Bremer Preis für Weiterbildung“.
Klaus Jochims
Das Bremer Netzwerk Xenos – ein Kooperationsprojekt für interkulturelles Lernen
Nun habe ich also die Ehre und das Vergnügen das zweite Projekt vorzustellen, das die Jury für den Bremer Preis für Weiterbildung ausgewählt hat. Es ist das Bremer Netzwerk Xenos. Es wird hier und heute repräsentiert von Claudia Froböse und Dr. Asmus Nitschke von der Wirtschafts- und Sozialakademie.
Xenos ist in ein bundesweites Projekt eingebunden. Ein Projekt, das sich gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit wendet und zivilgesellschaftliche Strukturen fördern möchte. Dazu hat es nun nicht eine zusätzliche Bindestrich-erziehung neu erfunden, sondern stellt in seiner Selbstdarstellung lapidar fest: Das Bremer Netzwerk Xenos führt erfolgreiche Ansätze interkulturellen und sozialen Lernens fort. In der Tat, denn Xenos setzt auf eines der weltweit ziemlich erfolgreichen Antirassismusprogramme. Es ist immerhin schon fast zwanzig Jahre her, dass sich in Boston Leute zusammengesetzt haben, um ein Programm zu entwickeln, mit dem man religiösen und ethnischen Spannungen in den USA etwas entgegensetzen wollte, und zwar ging es nicht nur darum, etwas gegen Vorurteile zu unternehmen und Diskriminierung zu bekämpfen, sondern es ging darum, in kleinen praktischen Übungen, und die sind auch didaktisch schon ziemlich ausgetüftelt, also mit diesen Übungen Erfahrungen möglich zu machen, die den Blick auf die Chancen und Möglichkeiten kultureller Vielfalt eröffneten. Also die Welt der Vielfalt nicht als Bedrohung, sondern als Möglichkeit der Bereicherung sehen zu lernen.
Diese Ideen und praktischen Vorschläge der Anti Defamation League für die Bildungsarbeit waren offensichtlich so einleuchtend, dass sie mehr oder weniger verändert schon vor fast 10 Jahren in die Lehrerbildung in Bremen mit einflossen. Und genau diese ganz konkreten Grundlagen hat jetzt auch das Bremer Projekt Xenos aufgegriffen. Ziel: Förderung und Verankerung interkulturellen Lernens in der Aus- und Weiterbildung.
Gerade die aktuelle Zuwanderungs- und Integrationsdiskussion zeigt, wie nötig solche Arbeit jetzt ist. Dafür hat Xenos, fast möchte man sagen natürlich, dafür hat Xenos also auch eigene neue Bausteine für die berufliche Jugend- und Erwachsenenbildung entwickelt, Bausteine, in denen auch die Arbeit am PC wie selbstverständlich mit einbezogen ist, ohne dass das Projekt dadurch zu einem Multimedia Seminar wird und so ist ein wirklich lobenswertes Projekt entstanden. Ein Projekt, das sich in erster Linie um die berufliche Fortbildung von Weiterbildnern bemüht, von Lehrerinnen, Ausbilderinnen, Pädagoginnen , aber Xenos wendet sich mit seinen sehr handlungsbezogenen und erfahrungsorientierten Übungen auch direkt an Jugendliche. Insgesamt wurden in den Kursen bisher über 300 Multiplikatoren geschult, mit großem positiven Echo, wie die Reaktionen der Teilnehmer zeigen und schon über 2000 Jugendliche haben die Kurse von Xenos besucht.
Was die Jury besonders beeindruckt hat, ist aber ein zweiter Aspekt. Nicht umsonst nennt sich dieses Projekt Netzwerk, und im offiziellen Untertitel heißt es: ein Kooperationsprojekt von anerkannten Weiterbildungseinrichtungen und Partnern aus Politik und Wirtschaft für interkulturelles Lernen.
Da haben es die Initiatoren doch tatsächlich geschafft, so unterschiedliche Einrichtungen wie die Bremer Volkshochschule, das Landesinstitut für Schule, die Bremer Stahlwerke und die Wirtschafts- und Sozialakademie unter einen Hut zu kriegen. Insgesamt 12 Institutionen. Das bedeutet , die Kompetenzen aus den Kursen der Weiterbildungseinrichtungen, die Bedürfnisse betrieblicher Ausbildung und betrieblichen Alltags und die Erfahrungen in der Lehrerbildung und -fortbildung sollen miteinander verknüpft werden . Mit dabei ist übrigens auch das Bremer Institut für Kulturforschung, das das ganze Projekt begleitend auswertet und bei der Weiterentwicklung des Projekts und der Fortbildungsmaßnahmen helfen soll. Und in etwas lockerer Weise gehören sogar noch 7 weitere Partner dazu, darunter z.B. Airbus und Landessportbund.
Die Jury des Bremer Preises für Weiterbildung stellt fest. Das Projekt Xenos hat es verstanden, auf der Basis des internationalen Konzepts „eine Welt der Vielfalt“ ein erstaunliches Bremer Netzwerk entstehen zu lassen. Und dieses Netzwerk möchte Ressourcen, Kompetenzen und Erfahrungen in der Auseinandersetzung mit Rassismus und Gewalt in Betrieben und Berufsalltag zusammenführen. Die Jury sieht dafür gute Möglichkeiten und möchte gleichzeitig die Offenheit des Projektes auszeichnen, denn die Projektmitarbeiter bemühen sich nicht nur, Konzepte und Methoden an die jeweiligen Situationen in Betrieben oder Stadtteilen anzupassen, sondern sie versuchen gleichzeitig, diese Konzepte und Methoden durch Fachtagungen, Arbeitskreise, runde Tische und natürlich auch durch die regionalen und überregionalen Kooperationen ständig weiter zu entwickeln.
Stellvertretend für dieses Projekt gratuliere ich den beiden Vertretern der Projektleitung, nämlich Claudia Froböse und Dr. Asmus Nitschke von der Wirtschafts- und Sozialakademie der Arbeitnehmerkammer.
Angela Venth
gesche.online
Bremer Landesportal für Frauen
oder: auf dem Weg zur E-Democracy
Das Projekt gesche.online erhält den Bremer Preis für Weiterbildung. Als Vertreterinnen nehmen ihn Frau Christel Schütte als Projektleiterin und Frau Christiane Weber als freiwillige Redakteurin entgegen.
Trägerin des Projektes ist die Bremische Zentralstelle für die Verwirklichung der Gleichberechtigung der Frau. Dort hat man erkannt, dass Frauen sich nicht in gleicher Weise wie Männer auf die anfänglichen Mythen und Legenden einließen, die sich um das Internet ranken. Sie sind nicht primär durch digitale Innovation motiviert, sondern durch Chancen zu direkter und anschaulicher Kommunikation. So nähern sie sich dem Medium auch nicht überstürzt, unverbindlich und spielerisch, sondern durchdacht und effektiv an; vor allem wollen sie sich neue Möglichkeiten sozialen Austauschs erschließen. Wenn also noch immer sehr viel mehr Frauen als Männer offline sind, so sagt das in erster Linie etwas darüber aus, wie interaktions- und kreationsfreundlich die Netz- und Navigationsstrukturen erscheinen.
Die Initiatorinnen richten ihr Konzept entschieden an solchen Interessen von Frauen aus. Sie versprechen nicht lediglich die Handhabe der Technologie und den Zugang zu Informationen, sondern sprechen Frauen als aktive Gestalterinnen ihres eigenen Lernortes an. So können die Akteurinnen bei gesche.online ihre Beiträge mediengerecht für eigene Zwecke präsentieren und als Redakteurinnen Inhalte setzen, statt sie lediglich zu konsumieren. Das Vermitteln von Sachkenntnis für das Internet ist auf dieses Ziel zugeschnitten. Gleichzeitig ist gesche.online ein Kristallisationspunkt für die persönlichen und politischen Anliegen von Frauen, Initiativen und Projekten; diese werden aufgenommen, in eine gute Form gebracht und widergespiegelt.
Wer www.gesche.bremen.de aufruft, trifft auf ein gepflegtes Portal mit flachen und einladenden Schwellen für den ersten Zugang. Die Instruktionen sind sehr klar, sie sind ermutigend und fächern das Angebot für individuelle Motive und Lernrhythmen auf. Unterstützung erhalten die Nutzerinnen auf höchst professionelle Art: Das gesche-Team ist mehrfach qualifiziert und weiß, dass online nach anderen Regeln geschrieben und rezipiert wird.
Das Bremer Landesportal für Frauen offeriert unterschiedliche Lernkontexte:
· offene Treffen für freiwillige Redakteurinnen, die als Anfängerinnen für den Einstieg ins Netz Kompetenzen erwerben und sofort erproben können;
· Vorstellungen der Website bei Multiplikatorinnen der Frauenbildung
und
· kooperativ durchgeführte Schulungen und Beratungen für Fortgeschrittene und Profis.
Von Beginn an war die Resonanz auf die neue Website hoch. Heute sind rund hundert Frauen im Portal aktiv, 40 Frauen konnten die Weiterqualifizierung erfolgreich abschließen. Doch bei gesche.online wird nach dem ersten Geburtstag bereits weitergedacht, über die zweijährige Anschubfinanzierung hinaus: Das besondere Setting, das ein Netzwerk mit einem Kompetenzzentrum vereint, geschlechterpolitische Fragen mit beruflicher Bildung verbindet, Alltag und Kultur im Lande Bremen projiziert, soll in die Region hinein intensiviert werden.
Die Jury des Bremer Preises für Weiterbildung zeichnet gesche.online für ein qualitativ anspruchsvolles Projekt aus, das Lernen im Internet mit geschlechterdemokratischen Absichten verbindet. Realisiert wird ein sehr zeitgerechtes, individuell differenziertes Lernkonzept, das auf subjektiven Zielen, auf Problemlösen und unmittelbarer Anwendbarkeit basiert. - - - Nicht zuletzt lehrt uns gesche.online, dass wir unser Verständnis von Öffentlichkeit revidieren sollten, weil durch mediale Aktionen von Frauen wie diese multiple Öffentlichkeiten entstehen.