Innensenator Mäurer: "Soziale Netzwerke fungieren wie Brandbeschleuniger"
20.06.2025"Die Sicherheitslage ist angespannt, wie seit vielen Jahren nicht mehr", leitete heute (20. Juni 2025) Bremens Innensenator Ulrich Mäurer die Vorstellung des Verfassungsschutzberichtes 2024 ein. Gemeinsam mit Thorge Koehler, Leiter des Bremer Landesamtes für Verfassungsschutz, stellte er auf der heutigen Pressekonferenz die Entwicklung in den einzelnen Phänomenbereichen vor. Dabei gebe die Entwicklung gleich in mehreren Bereichen – wie etwa dem Rechts- und Linksextremismus sowie dem Islamismus – Grund zur Besorgnis.
So gelang es den Sicherheitsbehörden in Deutschland im vergangenen Jahr, gerade noch rechtzeitig über 20 islamistische Anschläge zu verhindern. Auch in diesem Jahr gingen Todesopfer und Schwerverletzte in München (13. Februar 2025, Verdi-Demonstration mit zwei Toten), beziehungsweise in Bielefeld (18. Mai 2025, syrischer Täter sticht auf fünf Barbesucher ein) auf das Konto mutmaßlicher islamistischer Täter.
Die größte Gefahr für die Demokratie stelle jedoch weiterhin der wachsende Rechtsextremismus und die Entstehung neonazistischer Jugendgruppen bundesweit dar, so Mäurer. So gab es bundesweit einen Anstieg der Straftaten bei der politisch motivierten Kriminalität Rechts (PMK-Rechts) um 47,8 Prozent. "Diese Entwicklung spiegelt sich seit Ende vergangenen Jahres auch in Bremen wider", betonte Mäurer. Bei der PMK-Rechts sei 2024 in Bremen ein Anstieg um 26,8 Prozent im Vergleich zum Vorjahr festzustellen. Die Zahl der Gewaltdelikte stieg von acht in 2023 auf 18 im Jahr 2024. Mäurer: "Unser Rechtsstaat steht vor einer großen Herausforderung, wenn es Jugendlichen normal erscheint, Hakenkreuze auf Mauern und Wände zu schmieren." Hinter diesen Propagandadelikten stehe eine verfassungsfeindliche wie menschenverachtende Ideologie.
Das rechtsextremistische Personenpotenzial im Land Bremen stieg von 210 (2023) auf 220 im vergangenen Jahr.
"Die sozialen Netzwerke fungieren dabei wie ein Brandbeschleuniger für die oft erschreckend rasante Radikalisierung von Jugendlichen", erklärte Mäurer. Der virtuelle Raum böte Rechtsextremisten große Möglichkeiten, ihre menschenfeindliche Weltanschauung zu verbreiten und neue Anhängerinnen und Anhänger zu rekrutieren. Bremens Innensenator verwies dabei auf die Festnahme von teils noch sehr jungen Mitgliedern der rechtsterroristischen Gruppierung "Letzte Verteidigungswelle" am 21. Mai 2025 durch die Bundesbehörden. Ihr Ziel sei der Zusammenbruch des demokratischen Systems, den sie unter anderem mit Brandanschlägen auf Geflüchtete und politisch Andersdenkende erreichen wollten. In jüngster Vergangenheit hätten sich neonazistische Jugendgruppen wie "Jung & Stark" oder "Deutsche Jugend voran" gebildet, die ein großes Potenzial an Anhängerinnen und Anhängern aufwiesen.
Ende 2024 zeigte sich, dass diese Entwicklung auch im Land Bremen nicht haltmachte. Die Gruppierung "Jung & Stark Niedersachsen" meldete für Ende November eine Demonstration in der Innenstadt an, sagte diese jedoch kurzfristig wieder ab.
Mit der Gruppierung "weserems.aktion Bremen" trat dann im Dezember 2024 eine neonazistische Gruppen aus jungen, aktionsorientierten Rechtsextremisten öffentlich mit Aktionen gegen die linksextremistische Szene in Erscheinung. Dabei ging es der Gruppierung im vergangenen Jahr um bewusste Provokationen, wie etwa die Entwendung von Bannern von der Fassade des "Sielwallhaus" im Dezember 2024. Dieses führte unter anderem im Januar 2025 zu einem Überfall mehrerer gewalttätiger Linksextremisten auf Mitglieder neonazistischer Jugendgruppen aus Niedersachsen auf dem Bahnhof in Verden. Bereits im April vergangenen Jahres hatten rund 20 gewaltorientierte Linksextremisten vier Personen in der Bremer Innenstadt angegriffen, die sie der rechtsextremistischen Szene zuordneten.
Kurz ging Bremens Innensenator noch auf das Gutachten des Bundesamtes für Verfassungsschutz hinsichtlich der AfD ein. Für den Fall, dass das Gutachten gerichtlich bestätigt wird, hat sich die Innenministerkonferenz in Bremerhaven in der vergangenen Woche darauf verständigt, die Auswirkungen auf den öffentlichen Dienst und das Dienstrecht, die Sicherheitsüberprüfungen sowie das Waffenrecht zu prüfen. Daran sollen Bund und Länder gleichermaßen beteiligt werden. Zudem soll geprüft werden, inwiefern sich die Einstufung der AfD als "gesichert rechtsextrem" im Bund auf die Einstufung in den Ländern auswirken würde.
Auch die linksextremistische Szene bindet wie bisher viel Aufmerksamkeit des Landesamtes für Verfassungsschutz. Innensenator Mäurer: "Die Szene betrachtet Gewalt weiterhin als legitimes Mittel der politischen Auseinandersetzung unter Missachtung des staatlichen Gewaltmonopols". Die Zahl der gewaltorientierten Linksextremistinnen und Linksextremisten betrage wie im Vorjahr 250 Personen im Land Bremen. Bundesweit wie auch in Bremen begingen gewalttätige Linksextremisten im vergangenen Jahr immer wieder gezielte körperliche Angriffe auf politische Gegner und Polizisten.
Der bereits erwähnte Übergriff auf eine als rechtsextremistisch ausgemachte Personengruppe am 6. April 2024 in der Bremer Innenstadt oder der Angriff auf ein Polizeifahrzeug am 26. Juli 2024 im Bremer Viertel belegten das seit Jahren bestehende hohe Aggressionsniveau der gewaltorientierten linksextremistischen Szene Bremens. Dabei verübten Linksextremistinnen und Linksextremisten diverse "militante Aktionen" im vergangenen Jahr. So gab es mit 20 Taten einen Anstieg zum Vorjahr (2023: 15). Insbesondere die sechs linksextremistisch motivierten Brandanschläge verdeutlichten die unverändert hohe Gewaltbereitschaft der linksextremistischen Szene Bremens, so Mäurer.
Bei der Begehung von Brandanschlägen zeichneten sich Teile der linksextremistischen Szene durch eine auffällig professionelle und koordinierte Vorgehensweise aus. Dies dokumentierten die im zeitlichen Zusammenhang stehenden Brandstiftungen an der Eisenbahninfrastruktur in den Stadtstaaten Bremen, Hamburg und Berlin zwischen dem 29. Juli und dem 2. August 2024. Die Sabotagen führten damals insbesondere in Berlin zu massiven Verkehrsbeeinträchtigungen.
Am 8. August 2024 zündeten unbekannte Täter in Bremen zudem das Fahrzeug eines ehemaligen AfD-Bundestagsabgeordneten an, das vollständig ausbrannte. Nur aufgrund des zügigen Eingreifens der Feuerwehr konnte verhindert werden, dass die Flammen auf ein nahestehendes Mehrfamilienhaus übergingen.
Der Leiter des Landesamtes für Verfassungsschutz, Thorge Koehler, übernahm auf der heutigen Pressekonferenz die Lagebeschreibung im Phänomenbereich Islamismus. Koehler: "Eine besondere Herausforderung für die Arbeit des Verfassungsschutzes stellen Personen dar, bei denen religiöser Extremismus mit einer vorhandenen psychischen Erkrankung zusammenfällt. Dies erhöht die Unberechenbarkeit des Gefahrenpotenzials, das von den Betroffenen ausgeht."
Gerade diese Personengruppe sei in besonderem Maße anfällig für emotionalisierende Ereignisse weltweit, die zu einem – subjektiv empfundenen – Handlungsdruck führen können. Die salafistische Szene in Bremen setze sich, laut Koehler, wie bislang aus klassisch strukturierten Milieus innerhalb eines Moscheevereins, aber auch aus Kleingruppen, losen Personenzusammenschlüssen und Einzelpersonen zusammen. Sie ist durch eine Heterogenität gekennzeichnet, welche die Szenen in ganz Westeuropa ausmache.
Der salafistischen Szene in Bremen gehörten etwa 460 Anhängerinnen und Anhänger an, so Koehler. Der Großteil lasse sich dem politischen Salafismus zurechnen. Ungefähr 30 Prozent hingen jedoch dem jihadistischen Salafismus an, der Abstufungen einer Gewaltorientierung aufweise. Diese reichten von gewaltunterstützend bis hin zu gewalttätig.
Koehler: "Im Berichtsjahr 2024 stagnierte die Gesamtzahl der Salafistinnen und Salafisten in Bremen. Diese Entwicklung ist unter anderem auf den stetigen Ausbau bestehender Präventionsnetzwerke sowie eine deutlich ausgebaute Öffentlichkeitsarbeit in den vergangenen Jahren zurückzuführen." Außerdem führte der erhöhte Verfolgungs- und Aufklärungsdruck der Sicherheitsbehörden zu einem sehr viel vorsichtigeren Verhalten der salafistischen Szene. Radikale Aussagen in der Öffentlichkeit seien seltener festzustellen. Die Zahlen dürften aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass ein nicht genau quantifizierbarer hoher Anstieg der Anhängerschaft "online" festzustellen sei, betonte Koehler.
Salafisten in Bremen versuchten mit einem "Missionierungsprojekt" namens "Nūr al 'Ilm", neue Anhänger und Anhängerinnen in Bremen zu gewinnen. Bei diesem Projekt handelt es sich nach eigenen Angaben um ein Bildungsangebot mit dem Ziel der "Verbreitung von authentischem islamischem Wissen".
So betreibt "Nūr al 'Ilm" einen eigenen YouTube-Kanal, auf dem in regelmäßigen Abständen Videos veröffentlicht werden, die sich mit verschiedenen islamischen Themen auseinandersetzen. Der YouTube-Kanal "Nūr al 'Ilm Licht des Wissens" weist dabei ein extremistisches schwarz-weiß-Denken auf. Es findet eine Einteilung der Welt in Gut und Böse statt. Als konkrete Feinde würden unter anderem Jüdinnen und Juden sowie Nicht-Muslime benannt. Dabei fielen regelmäßig Aussagen, die Gewalt gegen Ehefrauen legitimieren, sich gegen die Gleichstellung von Mann und Frau richten oder Homosexualität als Sünde bezeichnen. Koehler: "Es werden auf diesem Kanal auch immer wieder Sympathien gegenüber der Terrororganisation Hamas sowie gegenüber der islamistischen Muslimbruderschaft bekundet."
Von "Nūr al 'Ilm" betriebene Informationsstände, die der Missionierung neuer Anhängerinnen und Anhänger dienen, sind nach Mitteilung des Landesamtes für Verfassungsschutz im Bremer Stadtgebiet ab Ende Mai 2025 untersagt worden.
Im Verfassungsschutzbericht 2024 ist der Begriff "Delegitimierung des Staates" durch den Begriff "demokratiefeindliches Spektrum" ersetzt. Ausschlaggebend hierfür sind eine nachlassende Relevanz und eine entsprechende arbeitsorganisatorische Anpassung, bei der jedoch die Beobachtung des demokratiefeindlichen und häufig gewaltorientierten Kerns des Spektrums weiterhin sichergestellt wird.
Der 2021 eingeführte Phänomenbereich der "verfassungsschutzrelevanten Delegitimierung des Staates" beschränkte sich von Beginn an ausschließlich auf die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichteten Strömungen innerhalb der Protestbewegung.
Das Personenpotenzial in diesem Spektrum sank im Jahr 2024 bundesweit auf 1.500 Personen (2023: 1.600) und belief sich in Bremen im Jahr 2024 auf etwa 35 Personen (2023: 50) Gleichwohl bleibt der harte demokratiefeindlich agierende Kern weiterhin im Fokus der Sicherheitsbehörden.
Wie bereits im vergangenen Jahr nimmt die hybride Bedrohung, die aktuell in besonderem Maße von Russland ausgeht, auch für die Arbeit des Bremer Verfassungsschutzes eine zentrale Bedeutung ein. Dabei meint hybride Bedrohung zielgerichtete ausländische Einflussnahmen in Form von Desinformation, Cyberangriffen, Sabotage und Spionage. Ziel ist die nachhaltige Destabilisierung der Demokratie durch gesellschaftliche Spaltung und Schüren von Hass sowie einer Veränderung von Entscheidungsprozessen. Das Land Bremen mit seinen Häfen und Rüstungs-, sowie Raumfahrunternehmen steht dabei in einem besonderen Fokus hybrider Bedrohung.
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