Sie sind hier:
  • Pressemitteilungen
  • Archiv
  • Rede von Senator Dr. Kuno Böse zur 48. Verleihung des Bremer Literaturpreises durch die Rudolf-Alexander-Schröder-Stiftung am 27. Januar 2003 im Bremer Rathaus

Der Senator für Inneres und Sport

Rede von Senator Dr. Kuno Böse zur 48. Verleihung des Bremer Literaturpreises durch die Rudolf-Alexander-Schröder-Stiftung am 27. Januar 2003 im Bremer Rathaus

27.01.2003

- Es gilt das gesprochene Wort! -

Sehr geehrter Herr Peltzer,
sehr geehrter Herr Schäfer,
meine Damen und Herren,

ich begrüße Sie ganz herzlich zur 48. Verleihung des Bremer Literaturpreises durch die Rudolf-Alexander-Schröder-Stiftung.

Die heutige Preisverleihung findet in einem besonderen Jubiläumsjahr statt, betrachtet man die Geschichte des Preises und die Biographie des Namensgebers:

1953 nämlich – also vor genau 50 Jahren – wurde der Bremer Literaturpreis vom Senat der Freien Hansestadt gestiftet. Und er wurde gestiftet zu Ehren von Rudolf Alexander Schröder aus Anlass von dessen 75. Geburtstag. Und wer nun von Ihnen die biographische Arithmetik mit mir nachvollzogen oder vielleicht auch nur die Zeitungen verfolgt hat, dem ist jetzt bewusst, dass dieser große Bremer gestern vor genau 125 Jahren geboren wurde. Dieser runde Geburtstag verdient natürlich besondere Würdigung – ein Anlass zum Feiern, den wir gestern morgen auch in dieser Rathaushalle durch eine schöne Geburtstagsmatinee begangen haben. Anwesend waren gestern auch Angehörige der Familie Schröders – und auch heute darf ich noch einige Familienmitglieder, allen voran Herrn Herbert Alexander Voigt mit Frau begrüßen. – Rudolf Alexander Schröder lebte in den ersten Dekaden des letzten Jahrhunderts in einem künstlerisch-orientierten Freundeskreis, dem neben Hofmannsthal, Heymel auch der Schriftsteller Rudolf Borchardt angehörte – und es ist mir eine weitere große Freude, in Herrn Cornelius Borchardt dessen in Bayern lebenden Sohn hier begrüßen zu können.


Meine Damen und Herren, der Bremer Literaturpreis wurde vor 50 Jahren begründet mit dem Ziel, den Ruf Bremens als eines „literarischen Gemeinwesens“ zu befördern. Ganz offensichtlich wollte der Senat zur Gründungszeit 1953 daran anknüpfen, dass Bremen um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert neben Berlin, Wien, München und Dresden im deutschen Sprachraum als Kulturmetropole einen Namen hatte. An diesem positiven Ruf hatten Rudolf Alexander Schröder und dessen fruchtbare Beziehungen zu anderen bedeutenden zeitgenössischen Literaten und Künstlern einen wichtigen Anteil. Es ist dem Senat vor 50 Jahren gelungen, mit dieser Preisstiftung einen - in seiner weiteren Entwicklung - der bedeutendsten Literaturpreise Deutschlands zu begründen und damit unsere Hansestadt in dem literarischen Kanon unseres Landes eine herausragende Position zu verschaffen.

Rudolf Alexander Schröder hat bis zu seinem Tod 1962 - erst als Jurymitglied und später inoffiziell - die Preisvergaben entscheidend mit beeinflusst. So ist es nicht verwunderlich, dass viele Preisträger der fünfziger Jahre den Konservativen der deutschen Literaturgeschichte zuzurechnen sind. Dass Schröder aus seiner humanistisch-konservativen Haltung zum Beispiel Vorbehalte hatte gegen die Auszeichnung von Paul Celan, Ilse Aichinger oder auch Ingeborg Bachmann, ist aus unserer heutigen Sicht und Erfahrung kaum nachvollziehbar. Schröders literarische und ästhetische Position und die Reibungen, die er erzeugte, waren symptomatisch für die Auseinandersetzungen zwischen den Repräsentanten der jun-gen Nachkriegsliteratur und den Vertretern des konservativen Geisteslebens in Deutschland. Diese Auseinandersetzung kulminierte in der Ablehnung der Preisverleihung an Günter Grass 1960, an der auch Rudolf Alexander Schröder aktiv mitwirkte. Die Ablehnung löste einen bundesweiten Skandal aus, der aber gleichzeitig zum Wendepunkt für eine neue Offenheit des Bremer Literaturpreises wurde. An der Folge der Preisträger seit dieser Zeit ist diese Entwicklung deutlich ablesbar.


Der Senat hat die Rudolf-Alexander-Schröder-Stiftung auch mit der Einführung und Be-zuschussung einer Literarischen Woche beauftragt, die immer im zeitlichen Kontext der Preisverleihung stattfindet, und auch damit vor Ort ein Zeichen für Literatur gesetzt. Hier kann die Bremer Bevölkerung einen besonderen Aspekt des literarischen Lebens bezie-hungsweise des literarischen Schaffensprozesses erfahren und sich damit auseinander-setzen. Die diesjährige Literarische Woche ist dem Thema „Literatur und Bildende Kunst“ gewidmet – und zusammen mit vielen engagierten Kooperationspartnern ist ein hoch attraktives Programm entstanden, bei dem es nicht nur etwas zu hören und sehen gibt – nein: es gibt sogar etwas zu essen und zu trinken – und das motiviert durch die Symbiose zwischen der Literatur und der Bildenden Kunst Ich lade Sie herzlich ein, an den diversen geistigen und leiblichen Genüssen der Literarischen Woche teilzunehmen.


Meine Damen und Herren, der Preis und die Literarische Woche sind dazu berufen, das Thema Literatur auch heutzutage weiterhin lebendig zu halten in unserer Hansestadt, wenn auch Bremen auf nationaler Ebene inzwischen nicht mehr die einst herausragende Rolle im aktiven Geschehen hat. Aber das literarische Leben und die literarischen Interessen und Besonderheiten dieser Stadt werden sicherlich auch eine wichtige Rolle spielen, wenn Bremen seine Bewerbung um den Titel der Europäischen Kulturhauptstadt einreicht.


Nun hat das Thema Literatur seit der Veröffentlichung der PISA-Studie, die die Lese-kompetenz und das Texterfassungsverständnis deutscher Schüler einen ungewohnt wichtigen Stellenwert bekommen - einen Stellenwert, wie er der Literatur seit vielen Jahrzehnten in unserem Land so nicht mehr zugemessen wurde. Inzwischen haben die deutschen Bildungsexperten die Hauptursachen des schlechten Abschneidens der deutschen Schülerinnen und Schüler sowohl in einer unzureichenden sozialen und kulturellen Integrationspolitik als auch in nicht angemessenen Unterrichtsmethoden für die Vermittlung intelligenten Wissens und von Problemlösungskompetenzen ausgemacht. Die PISA-Fragen waren nämlich kein Wissensbarometer für sturen Paukstoff, sondern ein Barometer für die Kompetenzen, die Schüler fit machen sollen für das Leben in der heutigen anspruchsvollen und sich schnell wandelnden Welt.

Lesekompetenz wurde bei der PISA-Studie folgendermaßen definiert: „die Fähigkeit, ge-schriebene Texte zu verstehen, zu nutzen und über sie zu reflektieren, um eigene Ziele zu erreichen“.

Der vielfach zitierte Lesekompetenz-Test zielte also nicht auf das Buchstabieren von Texten, sondern auf die „Lesbarkeit der Welt“ – auf die Sprache als Schlüssel für das Öffnen von Verstehenshorizonten, wie der Bildungsexperte Reinhard Kahl es ausdrückt. Und gerade diese „Lesbarkeit der Welt“, die eigentlich das deutsche Äquivalent für den auch bei uns viel genutzten Begriff „literacy“ ist, diese „Lesbarkeit der Welt“ ist das ureigenste Anliegen von Literatur.

Deutschen Wirtschaftsmanagern z.B. empfiehlt die Unternehmensberaterin Vera F. Bir-kenbihl eindrücklich die Lektüre von Romanen, um Kreativität zu fördern.

Literatur will anregen, herausfordern, zum Nachdenken verleiten, Bilder wecken und dem Leser die Gelegenheit geben, sich eine eigene Position zu dem Er-Lesenen und damit auch zu dem Er-lebten zu schaffen. Diese eigene Position ist die Ausgangslage für die Reflexion der Umgebung und des Alltags des Menschen und die Reflexion seiner Aufgaben und Herausforderungen, um zum eigenständigen Handeln fähig zu sein.


In diesem Geiste sind auch die beiden heute zu preisenden Bücher entstanden.

Ulrich Pelzer hat in seiner New-York-Erzählung, die heute den Hauptpreis erhält, ein Stück Literatur verfasst, das in sich verschiedene Handlungs- und Gedankenstränge vereint. Sein Buch schenkt uns Bilder, die uns selber wiederum dazu anregen, Bilder zu produzieren – es macht uns die Welt der USA in den Zeiten des 11. September „lesbarer“.

Andreas Schäfer führt seinen Leser zu einem Zusammenstoß zwischen zwei Kulturen, der städtisch-deutschen und der dörflich-griechischen. Auch er hat mit seinem literarischen Werk uns einen Schlüssel übergeben, mit dem wir versuchen können, uns neue Horizonte zu erschließen.


Die Rudolf-Alexander-Schröder-Stiftung zeichnet diese beiden Bücher aus, weil sie das Ziel hat, diejenigen literarischen Werke herauszuheben, die den literarischen Schaffensprozess insgesamt befördern und voranbringen. Dieses Ziel verfolgt die Rudolf-Alexander-Schröder-Stiftung seit nunmehr über 40 Jahren. Und wenn man sich die Liste der ausgezeichneten Autorinnen und Autoren und ihrer Bücher ansieht, muss man anerkennen, dass dieses Ziel unter konsequenter Verfolgung erreicht worden ist. Dies begründet eine solide herausragende Qualität des Preises, die der Senat bei der Stiftung vor 50 Jahren sicherlich angestrebt hat, die er aber so natürlich nicht vorherbestimmen konnte.

Das Gelingen der Absicht hängt auch sehr stark zusammen mit der Arbeit der Jury, die für die Auswahl verantwortlich zeichnet, und deren Mitglieder selber für diese hohe Qualität stehen. Meine Damen und Herren von der Jury, lassen Sie mich Ihnen ganz besonderen Dank sagen für Ihre Arbeit und das Herzblut, das Sie jedes Jahr aufs neue für den Bremer Literaturpreis einsetzen. Mein weiterer Dank gilt allen für die Rudolf-Alexander-Schröder-Stiftung tätigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Stadtbibliothek, die seit diesem Jahr für die Preisverleihung verantwortlich zeichnet.


Das Wichtigste habe ich mir für den Schluss aufgehoben: nämlich Ihnen, Herrn Peltzer, und Ihnen, Herrn Schäfer, ganz herzlich zu dem Votum der Jury zu gratulieren!