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Die Senatorin für Kinder und Bildung

Grundschulexperten: Weitere Veränderungen sind notwendig

25.08.2004

Zwanzig Schulexperten aus Baden-Württemberg, Berlin, Hamburg, Hessen und Nordrhein-Westfalen haben – jeweils als „Tandem“ – in den Monaten Mai und Juni 2004 insgesamt 27 Bremer Grundschulen für jeweils zwei bis drei Tage besucht. Die Experten haben langjährige Erfahrungen als Lehrkräfte oder als Mitarbeiter in Versuchsschulen sowie in Schulleitung, Schulaufsicht, Schulentwicklung und Wissenschaft.

Nach der Veröffentlichung der IGLU-Studie hatte der Senator für Bildung und Wissenschaft , Willi Lemke, eine Gruppe von externen Experten beauftragt, eine große Zahl von Grundschulen zu begutachten. Sie sollten im Rahmen einer intensiven zweitägigen Beobachtung der Schulen und in Gesprächen mit allen Betroffenen in der Schule herausfinden , wo Stärken und Schwächen liegen, wo Unterstützung der Schulen notwendig ist und ob die in den letzten zwei Jahren eingeleiteten Maßnahmen ein Weg zur Verbesserung der Qualität schulischer Arbeit sind.

Mit zwei Ausnahmen haben die besuchten Schulen sich freiwillig für die Beobachtung zur Verfügung gestellt. Die Akzeptanz der Evaluation war in den Schulen – nach anfänglicher Skepsis – hoch. Die meisten würden die Evaluatoren „gerne“ wieder einladen.


Die erste allgemeinen Beobachtung der Experten war „anders, als man nach den beunruhigenden Bremer Ergebnissen von PISA und IGLU vermuten möchte“.

Nach der Feststellung der Besucher gibt es in Bremen und Bremerhaven

  • eine Reihe beachtlich guter Grundschulen;

  • gerade auch in den Schulen, die sich in einem besonders kritischen Umfeld befinden, sehr guten Unterricht einzelner Lehrer.

Nach dieser Expertise gibt es aber auch eine Reihe von Feldern, in denen an vielen Bremer Grundschulen auch weiterhin Veränderungen dringend notwendig sind.

Darüber hinaus haben die Besucher registriert, dass die Bremer Grundschulen – im Vergleich zu vielen anderen Bundesländern – eine durchaus solide Raum- und Ressourcengrundlage haben.


Bildungssenator Willi Lemke erklärte nach der Vorlage des Berichtes: „Die Experten haben uns sehr hilfreiche Beobachtungen, Analysen und Empfehlungen gegeben. Wir sind insbesondere bestärkt worden in einer Reihe von Maßnahmen, die wir bereits ergriffen haben oder planen.“ Dazu gehören:

  • Produktiverer Umgang mit der Unterschiedlichkeit von Kindern und Förderung des individualisierten und selbständigen Lernens (weg vom Frontalunterricht). Auf Dauer muss erreicht werden, dass jedes Kind so gefördert und gefordert wird, dass zusätzliche Fördermaßnahmen überflüssig werden.

  • Intensivere Kooperation der Kollegien (dazu benötigen wir Präsenzzeiten) und Schaffung eines kooperativen Schulklimas.

  • Verbesserung der Professionalisierung der Lehrkräfte durch Einführung einer verpflichtenden Fortbildung.

  • Stärkung der Schulleitung, damit aber auch Übernahme von mehr Verantwortung.

  • Ausbau verbindlicher Ganztagsschulen.

  • Stärkere und gezieltere Unterstützung der Schulen durch Behörde und Landesinstitut für Schule (LIS), verbunden mit einer Jahresplanung und einer Rechenschaftslegung der Schulen.

  • Die Resonanz auf den Besuch der Experten zeigt nach Ansicht des Senators auch, „dass die Kollegien der besuchten Schulen bereit sind, sich auf den Veränderungsprozess einzulassen. Einige Schulen haben bereits in den Präsenztagen der vergangenen Woche erste Konsequenzen aus ihrem Bericht gezogen.“ Nach Ansicht des Senators kommt es jetzt darauf an, die von den Experten diagnostizierten positiven Beispiele stärker in die Breite zu übertragen: „Das müssen wir jetzt organisieren.“


    Diese fünf Felder haben die Experten besonders in den Blick genommen:


    1. Lehren und Lernen

    Die Einsicht, dass Heterogenität einer Lerngruppe eine große pädagogische Chance ist, hat sich nach Ansicht der Experten in vielen Bremer Grundschulen noch nicht ausreichend durchgesetzt. Unterricht müsse vom Grundansatz her so gestaltet werden, dass wirklich das einzelne Kind mit seinen Stärken und Schwächen in den Mittelpunkt des Bildungsprozesses rücken kann. Bei den Unterrichtsbesuchen wurden zahlreiche Stunden erlebt, in denen viele Kinder sowohl deutlich unter- wie überfordert waren. Weil es auch „Best-Practice-Modelle“ gebe, könnten die Schulen voneinander lernen, empfehlen die Experten und plädieren zudem für eine intensivere schulinterne Fortbildung. Darüber solle alljährlich Rechenschaft abgegeben werden.

    Die besondere Förderung durch unterschiedliche Personen für das gleiche Kind ist – so der Bericht - an vielen Schulen nicht gut genug koordiniert. Die verschiedenen Betreuungskräfte sowie die Lehrerinnen und Lehrer müssten bei den unterschiedlichen Förderungsansätzen am gleichen Kind (LRS, DAZ, Bewegungsförderung etc.) Hand in Hand und integriert arbeiten. Die Extraförderung müsse im Unterricht aufgegriffen und dort weitergeführt werden, damit sie für das Lernen insgesamt wirksam wird.


    2. Schulklima

    Die bewusste Gestaltung gemeinsamer „Regeln, Rituale und Reviere“ muss nach Darstellung der externen Besucher als Chance begriffen werden, die Schule nicht nur zu einem Lern- sondern auch zu einem Lebensort für die Kinder zu machen, an dem sie lernen, ihre eigene Situation mitzugestalten und allmählich Verantwortung für das eigene Lernen übernehmen. Von allen akzeptierte „Regeln, Rituale und Reviere“ seien darüber hinaus vermutlich eine entscheidende Voraussetzung, damit Individualisierung des Lehrens und Lernens, selbstständiges und selbst verantwortetes Lernen der Kinder möglich werden und die Lehrerzentrierung des Unterrichts nach und nach überwunden werden kann.

    Die verstärkte Einführung von Ganztagsschulen sei ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Dies gelte insbesondere für Schulen in Stadtteilen, die sich in „kritischen“ Veränderungsprozessen befinden. Die Experten sprechen sich explizit für verbindliche Ganztagsschulen aus, die integriert arbeiten und nicht zwischen Unterricht (am Vormittag) und Betreuung/Beschäftigung (am Nachmittag) trennen.


    3. Kollegium

    Nach dem Eindruck der Experten wurde bei der Kooperations- und Fortbildungsbereitschaft – im Vergleich zum Zeitpunkt der IGLU-Untersuchung - nur in wenigen Schulen bereits eine wirklich neue Qualität erreicht. Persönliche Entlastung für den Einzellehrer und Synergie-Effekte, die an den erfolgreichen Bremer Grundschulen ein Ergebnis wirksamer Teamarbeit sind, werden nach ihrer Beobachtung an vielen anderen Bremer Schulen nicht genutzt. Elementare Klärungen finden nicht ausreichend statt: es fehlen nützliche gemeinsame Alltagsroutinen, es fehlt die Sicherung gemeinsam abgestimmter curricularer Wege und es fehlt vor allem ein gemeinsames pädagogischen Ethos. Deshalb sprechen sich die Experten für verpflichtende Fortbildung in der unterrichtsfreien Zeit aus und für verbindlich festgelegte Zeiten, in denen Lehrerinnen und Lehrer gemeinsam planen und auswerten können, sich absprechen und voneinander lernen.


    4. Schulleitung

    Beim Austausch der Beobachtungen der Experten-Teams hat sich gezeigt, dass in allen „erfolgreichen“ Schulen – neben einem kooperativen Kollegiumsklima – die Schulleitung eine Schlüsselrolle hat. Sie müsse vor allem Träger und Unterstützer der „Vision“ des schulinternen Entwicklungsprozesses sein und diesen gemeinsam mit dem Kollegium verbindlich planen. Schulleiterinnen und Schulleiter sollen Gestaltungs- und Personalverantwortung aktiv wahrnehmen, aber auch Aufgaben und Verantwortung in der richtigen Weise delegieren können. Dafür brauchen sie deutlich mehr professionelle Unterstützung.



    5. Steuerung und Unterstützung

    Alle „Defizite“ in den vier untersuchten Feldern gibt es nach Ansicht der Experten nicht nur in Bremen. Sie sind - in unterschiedlicher Ausprägung - auch in anderen Bundesländern zu finden. Als Ursache für die besondere Ausprägung in Bremen sehen sie vor allem die Probleme, dass es über Jahre keine wirksame Schulaufsicht gegeben habe, dass die Schulleitungen nicht genügend Zeitressourcen und Gestaltungsmacht hätten und ihre Auswahl professionalisiert werden müsse; sie beobachteten zudem, dass die Schulentwicklungsvorgaben durch die Politik in den Schulen als widersprüchlich wahrgenommen würden und dass das Landesinstitut für Schule (LIS) als Unterstützungseinrichtung zu wenig akzeptiert werde. Außerdem diagnostizierten die Besucher einen „fatalen Teufelskreis wechselseitiger Schuldzuschreibungen“.

    Diese Problembereiche seien bereits deutlich vom „Runden Tisch Bildung“ benannt und mittlerweile seien eine ganze Reihe von Erfolg versprechenden Projekten begonnen, die – u.a. auf der Basis der Vorschläge vom „Runden Tisch Bildung“ - ein neues Fundament der Bremer Schulentwicklung schaffen sollen und zügig umgesetzt werden müssten.