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Bremische Zentralstelle für die Verwirklichung der Gleichberechtigung der Frau

Gleichstellungsarbeit ist Demokratiearbeit: Impulse der Landesfrauenbeauftragten zur Bürgerschaftswahl

19.03.2019

Zur kommenden Bürgerschaftswahl benennt die Bremische Zentralstelle für die Verwirklichung der Gleichberechtigung der Frau (ZGF) als unabhängige Interessenvertretung für Frauen im Land Bremen Felder, in denen aus frauen- und gleichstellungspolitischer Sicht dringender Handlungsbedarf besteht. „Frauen- und Gleichstellungsthemen müssen verstärkt auf die politische Agenda“, erklärt Landesfrauenbeauftragte Bettina Wilhelm. Die Sorge um die Demokratie werde vielfach diskutiert, „aber in diesem Diskurs kommt die Bedeutung von Geschlechtergerechtigkeit als elementarer Bestandteil von Demokratie viel zu kurz. Tatsächlich ist Geschlechtergerechtigkeit ein Gradmesser für Demokratie. Demokratisch ist, wenn Frauen und Männer gleiche Chancen auf Teilhabe und Gestaltung von Gesellschaft haben. Strukturen müssen so gestaltet sein, dass sie kein Geschlecht diskriminieren. Das aber ist noch lange nicht erreicht. Gleichstellungsarbeit ist Demokratiearbeit.“

Die Möglichkeiten von Teilhabe stehen im Fokus der ZGF-Impulse für die Bürgerschaftswahl: „Wir zeigen Handlungsfelder auf und benennen Zielgruppen, die zu erreichen sind, wenn es um die Stärkung von Geschlechterdemokratie und gleichberechtigter Teilhabe geht“, so Bettina Wilhelm.

Zielgruppe Alleinerziehende: Erwerbsbeteiligung erhöhen
„Alleinerziehende in Bremen haben im Vergleich der Bundesländer mit Abstand am wenigsten Erwerbsarbeit. Zugleich ist Bremen zurecht stolz auf sein hohes Wirtschaftswachstum – da klafft doch ein deutlicher Widerspruch“, erklärt die Landesfrauenbeauftragte, „und ein Handlungsauftrag tritt klar hervor: Alleinerziehende nicht weiter abzuhängen, sondern ihnen intensiver und mit mehr Kapazitäten als bisher Wege in den Arbeitsmarkt zu bahnen.“

  • Die Beschäftigungsquote von Alleinerziehenden im Land Bremen muss in der nächsten Legislaturperiode deutlich steigen und sich an das bundesweite Niveau angleichen. Hierzu braucht es weiterhin und vermehrt passgenaue Maßnahmen, gerade auch in den zukunftsträchtigen Branchen mit starkem Beschäftigungswachstum.
  • Netzwerke und Unterstützungsangebote für Alleinerziehende müssen ausgebaut und verstetigt werden. Aktuelle Modellprojekte wie das Projekt VIA in Bremen-Nord und -Ost müssen in der Fläche angeboten werden.

Zielgruppe Frauen, die von Gewalt betroffen sind: Hilfesystem verbessern
Bei der Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen kann Bremen eine Vielfalt guter Angebote und Projekte vorweisen – doch es fehlt noch die Gesamtstrategie, die Hilfs- und Beratungsangebote aufeinander abstimmt, ihre Träger und beteiligte Einrichtungen wie Behörden miteinander vernetzt und steuert. Das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, kurz Istanbul-Konvention, verpflichtet das Land Bremen zu einer solchen Gesamtstrategie und ihrer Umsetzung.

  • Bremen braucht einen Landesaktionsplan zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen. Hierzu muss eine unabhängige Stelle zur Steuerung geschaffen und mit den nötigen personellen wie finanziellen Mitteln ausgestattet werden.
  • Betroffene sexueller Gewalt brauchen bessere und schnellere Hilfe. Auch Arbeitnehmerinnen der freien Wirtschaft und Beschäftigte der Mehrheitsgesellschaften brauchen eine Beratungsstelle gegen sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz.

Zielgruppe Beschäftigte in Pflege- und Sorgeberufen: Aufwerten
Betreuungs- und Pflegeberufe (Care-Berufe) sind Zukunftsberufe und brauchen motivierte, engagierte und gut ausgebildete Fachkräfte. Dazu müssen die Rahmen- und Arbeitsbedingungen verbessert werden. Dabei hat das Bundesland Verantwortung: Care-Berufe müssen angemessen entlohnt werden.

  • Bremen muss die Bindung an Tarife in den Bereichen, die noch ohne Tarifvertrag sind, fördern und unterstützen.
  • Die Ausbildung für alle Care-Berufe muss vergütet werden.
  • Wege in die Care-Berufe müssen auch für Frauen mit nicht ausreichender Vorqualifikation oder Schulabschluss gebahnt werden. Allerdings darf der Fachkräftemangel nicht durch immer mehr zweijährige Ausbildungen gelöst werden, die häufig in prekäre Beschäftigungsverhältnisse münden. Der Fokus muss darauf liegen, dass Durchlässigkeit zur Weiterqualifizierung und das Nachholen von Schulabschlüssen gewährleistet ist und finanziell unterstützt wird.

Zielgruppe Migrantinnen: Teilhabe möglich machen
Frauen mit Migrationshintergrund brauchen spezifische Angebote, um hier wirklich anzukommen und erwerbstätig zu sein. Das gilt für geflüchtete Frauen, wie auch für viele, die schon länger hier leben. Sich verstehen und verständlich machen zu können, ist Grundlage aller Integration und Teilhabe.

  • Fachkompetente Dolmetschdienste müssen bei Beratung, Therapie und medizinischer Behandlung flexibel und verlässlich zugänglich sein.
  • Sprachkurse brauchen mehr Kinderbetreuung.
  • Beratungsangebote und Arbeitsmarktprogramme müssen für Migrantinnen bereitgestellt und weiterentwickelt werden.
  • In Unterkünften für Geflüchtete muss der Schutz vor Gewalt dauerhaft sichergestellt sein.

Mehr Frauen ins Parlament: mit einem Paritätsgesetz
Die Mehrheit der Bevölkerung im Land Bremen ist weiblich – doch auch nach 100 Jahren Frauenwahlrecht und der Möglichkeit, dass Frauen politische Mandate übernehmen können, sind Frauen in Parlamenten unterrepräsentiert. Dies gilt auch für die Bremische Bürgerschaft. Bettina Wilhelm: „Es ist ein Alarmsignal für den Zustand der Demokratie, dass in Bremen wie in anderen Landesparlamenten und im Bundestag der Anteil der weiblichen Abgeordneten deutlich gesunken ist. Deshalb fordern wir für Bremen ein Paritätsgesetz, das den Parteien aufgibt, ihre Wahllisten abwechselnd männlich und weiblich zu besetzen. Damit Gleichstellung vor dem Parlament künftig nicht mehr halt macht.“

Zukunftsbranchen: Chancen für Frauen erschließen
Das Beschäftigungswachstum in den zukunftsträchtigen Wirtschaftssektoren des Landes Bremen – wie Umwelt- und Energiewirtschaft, maritime Wirtschaft und Logistik oder Luft- und Raumfahrt – droht an Frauen vorbeizugehen, während Unternehmen gleichzeitig einen hohen Fachkräftebedarf anmelden. Diese Zukunftsfelder müssen für Frauen auf allen Qualifikationsniveaus besser erschlossen werden: Zugänge zu Studiengängen und Erstausbildung, die gezielte Weiter- oder Nachqualifizierung für Zukunftsbranchen ebenso wie die Ausweitung öffentlich geförderter Beschäftigung für gering qualifizierte Frauen müssen im Fokus stehen. Neue Branchen, in denen Frauen gute Berufschancen haben, wie wissensbasierte Dienstleistungen, Gesundheits- und Kreativwirtschaft, müssen gefördert werden. Nachhaltige Erfolge werden sich nur dann einstellen, wenn vom Fachkräftemangel bedrohte Branchen und Unternehmen dabei unterstützt werden, Berufsimages zu modernisieren und Strukturen sowie Unternehmenskulturen so zu wandeln, dass sie für Frauen attraktiv werden.

Digitalisierung geschlechtergerecht gestalten
Die Digitalisierung verändert alle Lebens- und Arbeitsbereiche. Im digitalen Wandel liegen Herausforderungen und Chancen zugleich. Berufsbilder verändern sich oder entstehen neu, mit unterschiedlichen Folgen für Männer und für Frauen. Die Flexibilisierung von Arbeitszeiten und -orten können Vereinbarkeit von Beruf und Familie erleichtern, aber auch tradierte Rollenbilder verstärken. Selbstlernende Algorithmen können Geschlechterungerechtigkeiten reproduzieren. Durch Digitalisierung verändert sich Kommunikation und kann – wie beim Cyberstalking – sogar zu neuen Formen von Gewalt führen. Entscheidungsprozesse werden bereits heute oder in naher Zukunft durch den Einsatz von Algorithmen beeinflusst. Wenn zum Beispiel die Vorauswahl für Stellenbesetzungen oder die Vorentscheidung über Kreditvergaben zukünftig automatisiert werden, liegt darin ein hohes Maß an Diskriminierungspotenzial, bei dem unbedingt auch die Frage nach Geschlechtergerechtigkeit zu stellen ist.

„Die Digitalisierung im Land Bremen muss gendergerecht gestaltet werden“, fordert Landesfrauenbeauftragte Bettina Wilhelm. „Das Querschnittsthema Gleichstellung muss systematisch in die Planungen des Senats, der Hochschulen und anderer Akteurinnen und Akteure integriert und von Anfang an mitgedacht werden. Als ersten Schritt möchten wir eine Plattform schaffen, auf der unterschiedliche Akteurinnen und Akteure sich über Gender-Aspekte der Digitalisierung austauschen und ihre Expertise einbringen. Denn die Einbeziehung von Genderperspektiven ist die Grundlage für einen gelingenden, demokratischen gesellschaftlichen Wandel.“