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Bremische Zentralstelle für die Verwirklichung der Gleichberechtigung der Frau

Frauen- und Gleichstellungspolitik im Land Bremen: Landesfrauenbeauftragte zieht Bilanz und benennt Handlungsbedarfe

06.03.2023

Anlässlich des Equal Pay Day am morgigen 7. März sowie des Internationalen Frauentags am 8. März zieht Bremens Landesfrauenbeauftragte Bettina Wilhelm eine Bilanz zur Frauen- und Gleichstellungspolitik in der nun zu Ende gehenden Legislaturperiode und benennt Handlungsbedarfe für die Zukunft. "Die Situation von Frauen im Land Bremen insbesondere am Arbeitsmarkt hat sich nicht verbessert. Eine im Bundesvergleich geringe Erwerbsquote, ein hoher Anteil von Teilzeit und Minijobs, zugleich fehlende Kita- und Krippenplätze, die die Aufnahme von Erwerbsarbeit oder Qualifikation verzögern, zählen zu den Faktoren, die das Armutsrisiko für Frauen in Bremen und Bremerhaven deutlich erhöhen", so die Landesfrauenbeauftragte.

"Dennoch sind in den vergangenen vier Jahren viele wichtige Vorhaben, die die Gleichstellung von Frauen im Land Bremen befördern und langfristig wirken sollen, angestoßen und umgesetzt worden. Dies gilt insbesondere für die Bereiche Arbeitsmarkt und Gewaltschutz. Zugleich blicken wir zurück auf die Jahre der Pandemie, in der Frauen nicht nur zuhause das Gros der Sorgearbeit übernahmen und damit Familien- und Erwerbsarbeit stemmen mussten, sondern auch als Arbeitskräfte in den systemrelevanten Berufen über die Maßen gefordert waren. Die Corona-Maßnahmen des Senats hatten das Ziel, die Auswirkungen der Pandemie abzufedern und sollten dabei auch Frauen als Zielgruppe berücksichtigen, doch gelungen ist dies nicht wirklich."

Gender Pay Gap nach wie vor hoch – Landesstrategie muss umgesetzt werden
Der Gender Pay Gap, also die Entgeltlücke zwischen dem Einkommen von Männern und Frauen, liegt im Land Bremen bei 20 Prozent. Der bereinigte Gender Pay Gap, der die Lücke zwischen vergleichbaren Arbeitsverhältnissen benennt, liegt bei sechs Prozent. "Die Entgeltlücke ist Ausdruck der strukturellen Schlechterstellung von Frauen am Arbeitsmarkt: Frauen arbeiten häufiger in Minijobs oder Teilzeit, in niedrigeren Lohnstufen oder in schlechter bezahlten Berufen. Fehlende Kinderbetreuungsangebote und massiver Fachkräftemangel in diesem Bereich verschärfen die Situation akut deutlich", so die Landesfrauenbeauftragte. Die vom Senat vergangenen Herbst beschlossene "Landesstrategie Gendergerechtigkeit und Entgeltgleichheit" unter Federführung der Wirtschafts- und Arbeitssenatorin bündelt eine Vielzahl von Maßnahmen, darunter Beschäftigungs-, Qualifizierungs- und Weiterbildungsangebote, einen Ausbau der Ausbildung zum Erzieher beziehungsweise zur Erzieherin, die Anwendung von Entgeltvergleichsinstrumenten oder die Förderung von Frauen in Führung. "Die Landesstrategie als konzertierte Antwort auf verfestigte Strukturen von Benachteiligung ist ein starkes Signal. Doch tatsächlich kommt es nun auf die Umsetzung der Maßnahmen und ihre Ausfinanzierung an. Die Agenda für eine nachhaltige Besserstellung von Frauen im Land Bremen aber ist gesetzt", so die Landesfrauenbeauftragte. Zu schleppend allerdings verlaufen Ansätze zur Aufwertung der Erzieherinnen- beziehungsweise Erzieher-Ausbildung oder der Pflegeberufe. Alleinerziehende als besonders armutsgefährdete Zielgruppe, zu über 90 Prozent Frauen, seien zwar in beiden Städten in den Blick genommen, aber Maßnahmen mit durchschlagenden Erfolgen lassen noch auf sich warten.

Bundesweit einmalig ist die Verankerung eines Programms zur Förderung von Chancengleichheit für Frauen in der Wirtschaft im EU-Fonds für regionale Entwicklung (EFRE), das sich nun in Teilen in der Landesstrategie wieder findet. Bettina Wilhelm: "Dafür haben wir lange gekämpft."

Gewaltschutz: Landesaktionsplan Istanbul-Konvention umsetzen
Um die Gewalt gegen Frauen und Mädchen im Land Bremen zu bekämpfen, hat der Senat im März 2022 den Aktionsplan: "Istanbul-Konvention umsetzen. Bremer Landesaktionsplan – Frauen und Kinder vor Gewalt schützen" beschlossen. Der Aktionsplan enthält 75 konkrete Maßnahmen, um Gewalt an Frauen und Mädchen im Land Bremen zu verhindern beziehungsweise zu bekämpfen, das Hilfesystem auszubauen und die ressortübergreifende Zusammenarbeit zu stärken. Die Umsetzung hat bereits begonnen, die Federführung hierfür liegt bei der Senatorin für Gesundheit, Frauen und Verbraucherschutz. "Der Landesaktionsplan als Gesamtstrategie ist ein Meilenstein. Aber auch hier gilt: Auf die Ausfinanzierung wird es nun ankommen, wenn Fortschritte erzielt werden sollen", so Landesfrauenbeauftragte Wilhelm, "und hierfür braucht es deutlich mehr und fortlaufende Mittel, als derzeit zur Verfügung stehen."

In der ablaufenden Legislaturperiode wurde das Polizeigesetz geändert und damit ermöglicht, dass die Daten von Betroffenen häuslicher Gewalt an die Beratungsstelle Neue Wege weitergegeben werden. Nun kann die Beratungsstelle proaktiv auf Betroffene zugehen und Unterstützung für Opfer anbieten, aber auch Täter ansprechen. Der massive Zuwachs an Fällen ging allerdings nicht mit einem Ausbau der personellen Ausstattung der Beratungsstelle einher, sodass hier derzeit teilweise monatelange Wartezeiten zu verzeichnen sind. Wilhelm: "Der sprunghafte Anstieg an Beratungsbedarf war absehbar. Hier muss dringend Abhilfe geschaffen werden."

Gesundheit: Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen sicherstellen, Hebammenversorgung verbessern
Trauriger Dauerbrenner, wenn es um die Belange von Frauen geht, ist der Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen. Bettina Wilhelm: "Für ungewollt Schwangere ist im Land Bremen der Zugang schlechter geworden. Dies liegt an der schlechten Vergütung der Leistung, aber vor allem am Paragraf 218, der Abtreibung unverändert zur Straftat macht." Die Streichung des Paragrafen 219a, des sogenannten Werbeverbots, im vergangenen Sommer hat bisher wenig zu einer Verbesserung des Angebots beigetragen. Viele Bemühungen auf Landesebene, wie Fortbildungen zu medikamentösen Abbrüchen, brachten zwar kleine Erfolge, aber eine nur geringe Entspannung der Lage. Wilhelm weiter: "Dies ist ein Auftrag an die Bundesregierung. So lange der Paragraf 218 gilt und Abbrüche unter Strafe stellt, können die Landesregierungen nur in den eigenen Krankenhäusern darauf dringen, Angebote vorzuhalten. Die Versorgungslage für ungewollt Schwangere bleibt schlecht. Und es bleibt dabei: Paragraf 218 muss weg."

Hebammen im Land Bremen sind schon längst über der Belastungsgrenze und verlassen deshalb immer häufiger Ihren Beruf. Die Gründe hierfür sind vielfältig und nur bedingt durch landespolitische Maßnahmen zu verändern. Gleichwohl hatte sich die Koalition zum Ziel gesetzt, Geburtshilfe und Hebammenarbeit zu stärken und aufzuwerten. Einzelne Schritte wie die Eröffnung eines Hebammenzentrums im Bremer Osten als bundesweit erstes seiner Art oder die Einrichtung einer koordinierenden Leitstelle für Schwangere auf der Suche nach einem freien Platz in Krankenhäusern sind zu begrüßen, weitere – wie mehr hebammengeleitete Kreißsäle an Bremer Kliniken ebenfalls, stehen jedoch noch aus. Der von Akteurinnen und Akteuren der Geburtshilfe hierfür erarbeitete Handlungsleitfaden muss dringend umgesetzt werden. Die Landesstrategie zur Stärkung der frühen Kindheit aus den drei Senatsressorts Gesundheit, Bildung und Soziales (Titel: "Für ein Aufwachsen in Wohlergehen – von der Schwangerschaft bis zum Schuleintritt") greift einige der empfohlenen Maßnahmen auf, die die Situation verbessern sollen. "Aber wir brauchen deutlich mehr, um die Hebammen zu stärken und die schlechte Versorgungslage für Schwangere zu verbessern", erklärt die Landesfrauenbeauftragte.

Corona: Landeshilfen mit Gender-Prüfung, Hilfe für Gewaltopfer
Die vergangenen vier Jahre waren wesentlich geprägt von der Corona-Pandemie und ihren massiven Folgen für alle Lebensbereiche. So hatte Bremen Mittel in Höhe von 1,2 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt, um die schlimmsten Folgen abzufedern. Bei der Vergabe dieser Mittel war der Aspekt der Geschlechtergerechtigkeit ein zu berücksichtigendes Kriterium. "Hier konnten wir gemeinsam mit der Senatskanzlei und dem Senator für Finanzen eine Gender-Prüfung installieren, damit frauenspezifische Maßnahmen gleichermaßen bei der Vergabe der Gelder berücksichtigt werden", erläutert Bettina Wilhelm, "das Verfahren war gut und bundesweit vorbildlich. Dennoch wurden nur wenige Maßnahmen speziell für Frauen entwickelt und bewilligt."

Besonders bedrückend ist die Zunahme häuslicher Gewalt in der Corona-Zeit. Hier belegen die Zahlen der Polizeilichen Kriminalstatistik einen deutlichen Anstieg. Betroffene sind vor allem Frauen und Kinder. "Hier hat die Frauensenatorin sehr schnell und unbürokratisch zusätzliche Frauenhaus-Plätze in Bremen und Bremerhaven bereitgestellt und sie während der gesamten Pandemie vorgehalten. Das war absolut wichtig und richtig", so Bettina Wilhelm. Gleichwohl sind die Frauenhäuser immer wieder überlastet, und insbesondere in Bremerhaven fehlen Plätze.

Recht: kein Paritätsgesetz, dafür ein verbessertes Landesgleichstellungsgesetz
In der Bremischen Bürgerschaft wie in allen Landesparlamenten sitzen mehr männliche als weibliche Abgeordnete (Frauenanteil in der Bürgerschaft: 37 Prozent). Die Koalition hatte verabredet, die Einführung eines Paritätsgesetzes zu prüfen, wodurch Männer und Frauen zu gleichen Anteilen und in wechselnder Folge Platz auf den Wahllisten finden. Diese Prüfung hat stattgefunden und bewertet die Chancen für ein Paritätsgesetz auf Landesebene mit dem geltenden Wahlgesetz als schwierig. "Gleichwohl bleibt kein Zweifel daran, dass das Land darauf hinwirken muss, dass Frauen und Männer zu gleichen Teilen im Parlament vertreten sind, dies gebietet auch die Landesverfassung", so Bettina Wilhelm.

Änderungen im Landesgleichstellungsgesetz, das die Frauenförderung im öffentlichen Dienst und die Rechte der Frauenbeauftragten in den Dienststellen regelt, stehen zum Beschluss an. Das Amt der Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten, so die Bezeichnung künftig, soll mit einer Freistellungsregelung gestärkt werden. "Zufriedenstellend ist dies jedoch nicht, denn Handlungsbedarf besteht auch für Dienststellen unter 300 Beschäftigen, und auch große Dienststellen sind nicht ausreichend berücksichtigt. Weitere Schritte zur Stärkung der Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten sind nötig. Hier setze ich auf einen weiteren Aufschlag in der nächsten Legislaturperiode", so Bettina Wilhelm.

Frauen- und gleichstellungspolitische Handlungsbedarfe zur Wahl
"Geschlechtergerechtigkeit ist im Land Bremen also noch nicht erreicht", so das Fazit der Landesfrauenbeauftragten. "Schlechtere Chancen von Frauen am Arbeitsmarkt, eine gleichbleibend hohe Entgeltlücke oder der Anstieg häuslicher Gewalt sind drei von vielen Indikatoren, die strukturell bedingte Ungleichheit belegen. Aus dieser Gemengelage ergeben sich vielfältige Probleme, die uns vor gesellschaftliche Herausforderungen stellen: Frauenarmut, Frauengesundheit und Familienplanung sowie Teilhabe von Frauen an Politik, Wirtschaft und Kultur gehen uns alle an! Die Jahre der Pandemie haben gezeigt, wie systemrelevant gerade die mehrheitlich von Frauen geleistete Erwerbs- und Familienarbeit ist. Zugleich hat sich mit Corona die Situation von Frauen in Teilen verschlechtert."

Die gleichberechtigte Teilhabe aller Menschen im Land Bremen und der Abbau von Strukturen, die Ungleichbehandlung ermöglichen, müssen damit unverändert im Fokus von Politik und Verwaltung stehen. Wenn nach der Wahl am 14. Mai 2023 die neuen Abgeordneten und die neue Regierung ihre Arbeit aufnehmen, gilt es bestehende Maßnahmen fortzuführen und auszuweiten sowie neue Initiativen zu ergreifen. Drei Handlungsbedarfe hält die ZGF für besonders dringlich:

  • Gewalt gegen Frauen bekämpfen: Die beschlossenen Maßnahmen des Landesaktionsplans "Istanbul-Konvention umsetzen – Frauen und Kinder vor Gewalt schützen" müssen ausfinanziert werden. Die derzeit hierfür vorgesehenen Mittel reichen nicht. Digitale Gewalt muss stärker bekämpft werden.
  • Kinderbetreuung stärken, Fachkräfte gewinnen und halten: Um allen Menschen Teilhabe an Bildung und an Erwerbsarbeit zu ermöglichen, muss die Kinderbetreuung flexibler werden und verlässlich sein. Fachkräfte müssen mit gezielten Maßnahmen gewonnen und gehalten werden.
  • Schwangerschaftsabbrüche ermöglichen: Das Land Bremen muss hier seinen gesetzlich festgelegten Versorgungsauftrag sicherstellen. Ungewollt Schwangere müssen in Bremen wie in Bremerhaven zeitnah die Möglichkeit des Abbruchs haben. Die derzeitige Versorgungslage ist unzureichend, hier müssen dringend Kapazitäten ausgebaut werden.

Die ZGF benennt weitere Handlungsbedarfe für die Bereiche Gewaltschutz, Arbeit und Wirtschaft, Berufsorientierung, Digitalisierung, Frauen mit Flucht- und Migrationshintergrund, Mädchenarbeit, Rechtsangelegenheiten, Gesundheit und Wissenschaft sowie für Bremerhaven, die hier in dem Download “Handlungsbedarfe“ (pdf, 3.7 MB) nachzulesen sind.

Veranstaltung mit Bürgermeister und Landesfrauenbeauftragter am 7. März ist ausgebucht
Über Erreichtes und Ausstehendes in Sachen Frauen- und Gleichstellungspolitik in der ablaufenden Legislaturperiode diskutiert die Landesfrauenbeauftragte mit Bürgermeister Andreas Bovenschulte am morgigen Equal Pay Day (7. März 2023), der in diesem Jahr die Situation von Frauen in Kunst und Kultur in den Fokus nimmt, bei der Veranstaltung "beat Bovi" um 19 Uhr in der Schwankhalle in der Bremer Neustadt. Die Veranstaltung ist ausgebucht.

Ansprechpartnerin für die Medien:
Susanne Gieffers, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Tel.: (0421) 361-6050,
E-Mail: presse@frauen.bremen.de