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Die Senatorin für Kinder und Bildung

Sonderpädagogisches Gutachten wird Bildungspolitikern zur Entscheidung übergeben

19.08.2008

Im Auftrag der Senatorin für Bildung und Wissenschaft haben die beiden Professoren Klaus Klemm (Bildungsforscher Uni Duisburg-Essen) und Ulf Preuss-Lausitz (Erziehungswissenschaftler Freie Universität Berlin) ein Gutachten erarbeitet. Es trägt den Titel „Gutachten zum Stand und zu den Perspektiven der sonderpädagogischen Förderung in den Schulen der Stadtgemeinde Bremen“. Über das Gutachten wird der Fachausschuss Schulentwicklung bereits in seiner Sitzung am 18. September beraten. Unmittelbar danach befasst sich der Unterausschuss für sonderpädagogische Förderung der Deputation für Bildung damit. Zur ersten politischen Beschlussfassung sollen die abgestimmten Maßnahmen am 30. Oktober im Rahmen der Schulentwicklungsplanung und der Schulgesetznovelle vorgelegt werden.

Bildungssenatorin Renate Jürgens-Pieper mit den beiden Bildungsexperten Ulf Preuss-Lausitz und Klaus Klemm während der Senatspressekonferenz (von links)

Bildungssenatorin Renate Jürgens-Pieper mit den beiden Bildungsexperten Ulf Preuss-Lausitz und Klaus Klemm während der Senatspressekonferenz (von links)

Senatorin Renate Jürgens-Pieper: „Mit dem Gutachten haben wir eine datensichere wissenschaftliche Grundlage, um den Förderbereich in der aktuellen Schulentwicklungsplanung adäquat zu berücksichtigen. Auf dieser Grundlage müssen nun die Politikerinnen und Politiker ihre Entscheidungen treffen.“


Die Experten haben in dem Gutachten umfangreiche Daten zur Ausgangslage in der Stadtgemeinde Bremen ausgewertet, sowie den aktuellen Forschungsstand für guten integrativen Unterricht förderbedürftiger Schülerinnen und Schüler eingearbeitet. Sie kommen in ihrer Zusammenfassung zu folgenden 11 Empfehlungen:


  1. Der Grundsatz des Rechtes auf volle Integration der Menschen mit Behinderungen wird durch die Mitunterzeichnung der „Übereinkunft über die Rechte von Menschen mit Behinderungen“ durch das Land Bremen im Bundesrat bekräftigt. Damit ist für alle Schülerinnen und Schüler mit Behinderungen das uneingeschränkte Recht verbunden, integrativ unterrichtet und gebildet zu werden. Dies erfordert Änderungen im Bremischen Schulgesetz und in der Sonderpädagogischen Verordnung.
  2. Daraus folgt: Die Integration von Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf wird in allen Förderbereichen in der Primarstufe und in der Sekundarstufe ermöglicht.
  3. Der Umfang der sonderpädagogischen personellen Ressourcen wird, in Anwendung des bisher für die Förderschwerpunkte Lernen, Sprache, Verhalten (LSV) festgelegten Prinzips, durch eine für alle Förderbereiche auf den Altersjahrgang bezogene Quote festgelegt. Insgesamt werden eine auf den Altersjahrgang bezogene Gesamtquote von 6,5 Prozent (LSV 4,5 Prozent) und ein Durchschnittsstundenanteil pro Kind von 2,9 Stunden festgelegt. Dieser soll bis 2015/2016 auf 3,7 Stunden (LSV 3,5 Stunden) aufwachsen. Dabei wird davon ausgegangen, dass die Förderstunden nicht mehr notwendigerweise das ganze Schuljahr einem Kind zugeordnet werden, weil nun die Ressourcen entsprechend dem finnischen Konzept stabil in der Schule sind, mehr Kinder erreichen und flexibel eingesetzt werden können.
  4. Die in den kommenden Jahren in Folge des Rückgangs der Schülerzahlen frei werdenden sonderpädagogischen Ressourcen bleiben für die Aufgaben der Förderung von Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf erhalten, um auf diese Weise den Förderanteil pro Kind kontinuierlich erhöhen zu können. Die festgelegte Förderquote pro Altersjahrgang bleibt konstant.
  5. Im Förderbereich Lernen, Sprache, Verhalten werden alle Schülerinnen und Schüler jahrgangsweise nur in allgemeinen Schulen unterrichtet. Es wird auf Feststellungsdiagnostik zum Zweck der Zuweisung an einzelne allgemeine Schulen verzichtet, weil die entsprechenden Ressourcen – nach sozialen Belastungskriterien differenziert – nach Zahl der gesamten Schülerinnen und Schüler der jeweiligen Schule vorhanden sind. Die Förderdiagnostik und der flexible Einsatz der individuellen Förderung werden dokumentiert. Die Förderzentren Lernen, Sprache, Verhalten nehmen entsprechend keine neuen Schüler im Förderschwerpunkt LSV mehr auf. Zu prüfen ist, ob die bisherigen Leitungen der Förderzentren LSV bei gleicher Besoldungsstufe die Leitung von Unterstützungs-Centren übernehmen und Mitglieder der Schulleitungen dieser Schulen werden können.
  6. Alle allgemeinen Schulen aller Schularten richten ein Unterstützungs-Centrum (UC) ein, das der Schulleitung zugeordnet ist. Die UC koordinieren neben der sonderpädagogischen Förderung mit weiteren Ressourcen gegebenenfalls auch die Sprachförderung für Kinder mit Migrationshintergrund, die schulinterne Lernförderung und die Talentförderung. Sie haben eine Basisausstattung sonderpädagogischer Stellen, die sich aus dem errechneten Umfang für die Bereiche LSV ergeben, um weitere Ressourcen, die sich aus den Förderschwerpunkten Sehen, Hören, körperliche und geistige Entwicklung ableiten, soweit Kinder dieser Schwerpunkte integrativ in dieser Schule unterrichtet werden. Die Stellen der Basisausstattung werden wie alle anderen Lehrkräfte in der Schule geführt und sind Teil des Kollegiums. Die UC sind für die jährliche Rechenschaftslegung der sonderpädagogischen Förderung zuständig.
  7. Vor allem im UC der Sekundarschulen wird dafür Sorge getragen, dass es wenigstens einen männlichen Sonderpädagogen gibt, der sich besonders auf Verhaltens- und Lernprobleme von Schülern spezialisieren kann und jungenpädagogische Ansätze kennt und vermittelt.
  8. Die Förderung verhaltensauffälliger Schülerinnen und Schüler, die bisher durch das Förderzentrum Gansbergstraße erfolgte, wird durch vier regionale Beratungs- und Unterstützungsstellen (REBUS-Bremen) ersetzt. Darin werden das bisherige Personal des Förderzentrums, ein Teil der Schülerbezogenen Beratungsstellen und je zwei über Zielvereinbarung abgeordnete Mitarbeiter/innen der Jugendhilfe einbezogen. Die vier dezentralen Einrichtungen haben möglichst auch Mitarbeiter/innen mit Migrationshintergrund. Die Einrichtungen sind ästhetisch ansprechend und für die Beratung niedrigschwellig eingerichtet.
  9. Für Schülerinnen und Schüler mit sinnes-, körperlichen und geistigen Behinderungen wird an der Feststellungsdiagnostik festgehalten. Die sechs Förderzentren werden zu Kompetenzzentren weiter entwickelt. Sie geben die ihnen zugeordneten Ressourcen an die jeweilige allgemeine Schule bzw. Klasse weiter, wenn ein Kind dieser Förderschwerpunkte integrativ unterrichtet werden will. Kooperationspartner in den allgemeinen Schulen sind – neben den Klassenlehrern – die UC.
  10. Zur kontinuierlichen Kompetenzentwicklung aller mit der Förderung von Kindern und Jugendlichen befassten Lehrkräfte (aller Lehrämter) und weiterer Mitarbeiter/innen in Schule, Jugendhilfe, Beratung und Schulaufsicht werden prozessbegleitend und in Verbindung mit best-practice-Beispielen durch das Landesinstitut für Schule (LIS) spezifische Module entwickelt und angeboten. Im LIS sollte außerdem ein dreisemestriges, berufsbegleitendes, zertifizierbares Weiterbildungsangebot „Integration und Heterogenität“ eingerichtet werden, das mit Ermäßigungsstunden studiert werden kann und beförderungsrelevant ist. Die Einführung eines Faches Sonderpädagogik mit den Schwerpunkten Lernen und Verhalten als zweites Fach oder als Masterschwerpunkt wird begrüßt.
  11. Die Senatorin für Bildung und Wissenschaft richtet zur Implementation der hier vorgeschlagenen Umwandlung bzw. Weiterführung der sonderpädagogischen Förderung eine verwaltungsinterne Steuerungsgruppe und einen externen Beirat ein, der auf der Grundlage der vorgeschlagenen Empfehlungen bei der Umsetzung berät. Dies sollte zeitnah im Schuljahr 2009/2010 beginnen.