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Der Senator für Kultur

Das Mahnmal zur Erinnerung an unrechtmäßige Enteignungen jüdischer Mitbürgerinnen und Mitbürger ist eingeweiht

10.09.2023
v.l.n.r.: Bürgermeister Dr. Andreas Bovenschulte, Barbara Maass, Evin Oettingshausen, Henning Bleyl

Nach rund neunmonatiger Bauzeit, der eine mehrjährige Planungs- und Konzeptionsphase voranging, wurde am heutigen Sonntag (10. September 2023) das "Mahnmal zur Erinnerung an die massenhafte Beraubung europäischer Jüdinnen und Juden durch das NS-Regime und die Beteiligung bremischer Unternehmen, Behörden und Bürgerinnen und Bürger", das sogenannte "Arisierungs"-Mahnmal, im Rahmen einer Feierstunde eingeweiht. Neben Bürgermeister und Kultursenator Dr. Andreas Bovenschulte nahmen Dr. Grigori Pantijelew, Vorstand der Jüdischen Gemeinde im Lande Bremen, zahlreiche Gäste sowie Unterstützerinnen und Unterstützer des Projekts teil.

Bürgermeister Dr. Andreas Bovenschulte: "Der Standort an der Tiefer ist eine gute Wahl. Er ist künstlerisch überzeugend, und er hat den Rückhalt der Jüdischen Gemeinde. Ich danke allen, die sich in den vergangenen Jahren für das Mahnmal und dessen Realisierung eingesetzt haben. Ich danke insbesondere den Initiatoren für ihren geduldigen und konstruktiven Einsatz und auch für das Sammeln der Spenden. Und ich danke auch den Mitarbeitenden im Kulturressort, die mit Unterstützung von Immobilien Bremen und dem Bauressort dieses Bauvorhaben zu einem guten Abschluss gebracht haben. Heute können wir gemeinsam feststellen: Der Einsatz hat sich gelohnt!"

Verwirklicht wurde ein künstlerisches Werk von Evin Oettingshausen, das Einblicke in einen schachtartigen Raum ermöglicht. Und zwar durch zwei Fenster von der Uferpromenade am unteren Treppenpodest sowie von oben durch ein horizontales begehbares Fenster. In dem Schachtraum sind zwei drei Meter hohe Wandplatten aus Beton aufgehängt, auf denen durch Gestaltung der Oberflächenstruktur schemenhafte Schattenwürfe von Möbeln gezeigt werden.

Das Mahnmal erinnert auf diese Weise künftig an die Aktion "M" der Nationalsozialisten ("M" für Möbel), mit der von den Behörden beschlagnahmte Möbel und sonstige Einrichtungsgegenstände aus sogenannten „unbewachten jüdischen Wohnungen“ von geflohenen oder deportierten Juden und Jüdinnen vereinnahmt wurden. Anfangs wurden die Wohnungseinrichtungen den Verwaltungen in den besetzten Ostgebieten zur Verfügung gestellt, später jedoch bevorzugt den "Bombengeschädigten" im Deutschen Reich zum Kauf angeboten.

Für die Jüdische Gemeinde äußert sich Elvira Noa zum Bau des Mahnmals: "Es ist gut und dankenswert, dass die Politik und die Stadtgesellschaft das Erinnern an den massenhaften Raub jüdischer Güter und an die Shoah, den Holocaust, durch dieses Mahnmal verstärken und bewahren will. Jedoch erwächst aus der Erinnerung die Verpflichtung, das jüdische Leben heute zu erhalten und in jeder Hinsicht, materiell, kulturell und gesellschaftlich zu fördern. Es ist nicht möglich das Geschehene wieder gut zu machen, aber es ist möglich, Verantwortung für heutiges und zukünftiges Bestehen des Judentums und der jüdischen Gemeinde zu übernehmen. Nur tatkräftiges Handeln verleiht der Erinnerung ihren Sinn."

"Ich finde, dass das Arisierungs-Mahnmal die Dudler-Stadt Bremen sehr bereichert. Mit einfachen Mitteln der Perspektive lässt Evin Oettingshausen die Erinnerung an die Shoa einmauern, aber auch die Parabel über David und Goliath aufs Neue entstehen: Ich sehe, wie das kleine Mahnmal vor dem Hintergrund des protzigen Kühne&Nagel-Gebäudes sich behauptet. Das ist die Macht der Kunst! Das finde ich toll!", Dr. Grigori Pantijelew.

Barbara Maass, Enkelin des in Auschwitz ermordeten jüdischen Teilhabers von Kühne&Nagel, Adolf Maass: "Bis vor kurzem war ich nicht in der Lage, über den Holocaust zu lesen, und schon gar nicht, Dokumentationen oder Filme darüber anzusehen. Es war zu schmerzhaft, es war zu entsetzlich, es war zu beängstigend. Aber um eine gewisse Hoffnung zu haben, dass dieses reine Übel nicht wieder auftaucht, müssen wir uns damit auseinandersetzen, was passiert ist und wie genau es passiert ist. Diese Aufarbeitung ist hier und jetzt notwendig, auch im Hinblick auf Unternehmen wie Kühne und Nagel. Wir danken allen, die an dieser wichtigen Gedenkstätte beteiligt sind. Sie fordert uns auf, die Prozesse anzuerkennen und zu verstehen, die den Holocaust begünstigt, unterstützt und ermöglicht haben, nämlich die ‚Arisierung‘. Dieses Mahnmal ist ein wichtiger Schritt zur Anerkennung der skrupellosen Handlungen der Komplizen und Profiteure des Holocausts."

Henning Bleyl: "Durch das restlose Ausräumen der Wohnungen und Häuser jüdischer Menschen wurden deren Lebensräume und -spuren vernichtet. Zugleich diente die restlose 'Verwertung' ihres Eigentums der Herrschaftssicherung: Der NS-Staat funktionierte auch als 'Beute-Gemeinschaft'. Bremens besondere Rolle hierbei liegt in der europaweiten Logistik der 'Verwertung' jüdischen Eigentums. Auf diese lange ignorierte Rolle fokussiert sich das Mahnmal."

Evin Oettingshausen: "Der Bau des Mahnmals ist ein guter erster Schritt, um auf die vielschichtigen Dimensionen von NS-Enteignungskontexten hinzuweisen. Eine multiperspektivische Ausgestaltung der erinnerungskulturellen Arbeit zu den Folgen der nationalsozialistischen Beraubung und eine weitere wissenschaftliche und inhaltliche Aufarbeitung, beispielsweise zu den Profitierenden, sollte meiner Meinung nach unbedingt zu den nachfolgenden Schritten gehören."

Dr. Grigori Pantijelew sprach bei der Veranstaltung für die Jüdische Gemeinde im Lande Bremen.
Dr. Grigori Pantijelew sprach bei der Veranstaltung für die Jüdische Gemeinde im Lande Bremen.

Hintergrund:

Die Errichtung des Mahnmals geht auf einen Beschluss der Stadtbürgerschaft aus November 2016 zurück. Bis 2021 haben sich Politik und Deputation zusammen mit der zivilgesellschaftlichen Initiative einvernehmlich auf den Standort an der Tiefer geeinigt. Zunächst war als Standort das Stufenbauwerk an der Schlachte vorgesehen. Auf Wunsch der Initiative und der jüdischen Gemeinde wurde mit dem nicht denkmalgeschützten Aufgang neben den Arkaden an der Ostseite der Wilhelm‐Kaisen‐Brücke ein passender alternativer Standort gefunden.

Dort hinein wurde ein zusätzlicher Baukörper errichtet, der die volle Höhe vom Treppensockel bis oben zur Straße Tiefer, Ecke Wilhelm-Kaisen-Brücke erreicht und das oben beschriebene Mahnmal als Hohlkörper mit drei Fenstern (vorne und oben) enthält. Diese Umsetzung soll aus Sicht der Initiative und der Jüdischen Gemeinde wegen der größeren Höhe (etwa 6 Meter statt etwa 2,5 Meter) im Stufenbauwerk eine bessere Umsetzung des Konzepts des Mahnmals ermöglichen.

Die ursprünglich veranschlagten Gesamtkosten für das Mahnmal von 476.000 Euro, an denen sich zahlreiche Privatpersonen mit ihren Spenden beteiligt haben, sind während der Bauausführung um 72.000 auf rund 548.000 Euro gestiegen. Hauptgrund für die Kostensteigerung waren die im Sommer des vergangenen Jahres angespannte Lage im Bausektor sowie infolge des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine teilweise stark gestiegenen Preise für Baumaterial.

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Werner Wick, Pressesprecher beim Senator für Kultur, Tel.: (0421) 361-16173, E-Mail: werner.wick@kultur.bremen.de