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Die Senatorin für Arbeit, Soziales, Jugend und Integration

Akademie Kannenberg: Vergleich im Insolvenzverfahren


Innenrevision legt Abschlussbericht zu behördeninternen Abläufen vor

14.06.2018

Im Insolvenzverfahren der Akademie Lothar Kannenberg hat die Sozialbehörde einen Vergleich mit dem Insolvenzverwalter ausgehandelt. Im Ergebnis müsste die Stadt rund vier Millionen Euro endgültig abschreiben. Das teilte Sozialsenatorin Anja Stahmann den Mitgliedern der Deputation für Soziales, Jugend und Integration heute (Donnerstag, 14. Juni 2018) mit. Für die entsprechende Vergleichsvereinbarung hat die Deputation ihre Zustimmung gegeben. Nun muss noch das Votum des Haushalts- und Finanzausschuss der Bremischen Bürgerschaft eingeholt werden, der den Vergleich für den morgigen Freitag auf die Tagesordnung gesetzt hat.

„Im Herbst hatten wir die offenen Forderungen auf 5,6 Millionen Euro taxiert, so hoch hätte der Schaden ausfallen können“, sagte Senatorin Stahmann. „Wenn wir heute in eine gerichtliche Auseinandersetzung um Forderungen und Gegenforderungen einsteigen würden, kämen wir auf einen Korridor von 3,7 bis 4,8 Millionen Euro, die wir abschreiben müssen.“ Zentraler Streitpunkt: „Wir haben im Herbst 2017 berechtigte Ansprüche von Kannenberg von über drei Millionen Euro nicht ausgezahlt, sondern verrechnet mit unseren eigenen Forderungen.“ Dadurch seien drohende Ausfälle deutlich vermindert worden. „Aber solche Verrechnungen sind rechtlich umstritten. Es kann sein, dass sie vor Gericht gekippt werden.“ Mit der außergerichtlichen Einigung werde der Verlust jetzt auf vier Millionen Euro begrenzt. „Damit liegen wir am unteren Rand des Korridors.“ Der Verlust sei „bitter, aber in der Gesamtschau und unter den gegebenen Umständen kaum vermeidbar gewesen“, wie auch der Bericht der Innenrevision dokumentiere, der heute den Deputierten vorgelegt worden ist.

„Insgesamt sehe ich mich durch die Innenrevision in meinen politischen Entscheidungen wie auch im administrativen Handeln bestätigt“, sagte Senatorin Stahmann. „Der Bericht deckt Schwächen der Verwaltung in den Jahren 2014 bis 2017 auf. Er würdigt aber auch, dass es angesichts einer historisch einzigartigen Herausforderung keine realistische Alternative gegeben hat. Wir haben die Prioritäten richtig gesetzt und der Unterbringung der Jugendlichen absoluten Vorrang eingeräumt und damit gesetzliche Forderungen erfüllt. Dabei haben wir die notwendigen Verwaltungsvorgänge nicht mustergültig, aber nach Einschätzung der Innenrevision immerhin hinreichend im Blick behalten.“ Den Kritikern sagte sie, es sei „immer leicht, die Dinge aus der zeitlichen Distanz und aus dem bequemen Lesesessel zu beurteilen“. Sie wünsche sich eine Auseinandersetzung mit Augenmaß, „die auch der Leistung aller Beteiligten im Jugendamt und in der Senatorischen Behörde gerecht wird, die mit einer hohen Verantwortungsethik Herausragendes geleistet haben“.

Den Bericht der Innenrevision legte sie den Deputierten vor. Titel: „Prüfung der behördeninternen Verfahrens-, Entscheidungs- und Zeitabläufe im Zusammenhang mit der Finanzierung der Jugendhilfeeinrichtungen der Akademie Lothar Kannenberg“. In dem 26-seitigen Bericht heißt es unter anderem:

„Als Ergebnis der durchgeführten Innenrevision bleibt die Erkenntnis, dass die behördlichen Strukturen und personellen Ressourcen angesichts der in den Jahren 2015 und 2016 herrschenden Ausnahmesituation, die noch in das Jahr 2017 hineinwirkte, nachvollziehbar nicht sicherstellen konnten, dass zu jedem Zeitpunkt und in jeder Situation ein Verwaltungshandeln „wie aus dem Lehrbuch“ möglich war. Trotz der beschriebenen Mängel muss allen Verfahrensbeteiligten attestiert werden, dass sie auch und gerade in Bezug auf den Träger Akademie Lothar Kannenberg unter Würdigung der besonderen Umstände im Rahmen ihrer Möglichkeiten einen pragmatischen Weg gefunden haben, einerseits dem gesetzlichen Auftrag zur Unterbringung der Jugendlichen gerecht zu werden und andererseits trotz der zum Teil extrem hohen Arbeitsbelastung die gesetzlichen und verwaltungsrechtlichen Vorgaben weitestgehend zu erfüllen.“

Zu den Versäumnissen zählt die Innenrevision ausdrücklich den Umstand, dass die Behörde ihre rechtlichen Spielräume nicht genutzt habe, die wirtschaftliche Situation Kannenbergs zu durchleuchten. Zwar schränke das Sozialgesetzbuch VIII die Prüfrechte stark ein, eine Bremische Richtlinie für den Betrieb von Einrichtungen der Jugendhilfe schreibe jedoch vor, dass der Träger im Vorfeld einer Betriebsgenehmigung („Betriebserlaubnisverfahren“ der Jugendbehörde) seine Liquidität für zwei Monate im Voraus nachweisen müsse. Diese Prüfung sei unterblieben. Die Innenrevision sieht darin „auch unter Berücksichtigung der beschriebenen besonderen Umstände“ einen „Rechtsverstoß“. Weiter heißt es in dem Bericht:

„Gleichwohl ist anzunehmen, dass eine stringente Anwendung dieser Vorgabe zur Folge gehabt hätte, dass eine zeitnahe Versorgung dieser Jugendlichen nicht hätte sichergestellt werden können.

Aus Sicht der Innenrevision ist dieser Rechtsverstoß [...] zu dem damaligen Zeitpunkt als nachvollziehbar und alternativlos zu qualifizieren. Es lag hier das unauflösbare Paradoxon vor, einen Rechtsverstoß begehen zu müssen, um letztlich dem gesetzlichen Auftrag der Sicherung des Kindeswohls nachkommen zu können.“

Die Innenrevision kommt in ihrem Bericht ferner zu der Auffassung, dass es bereits im Frühjahr 2017 Indizien für Zahlungsschwierigkeiten des Trägers gegeben habe. Das „abwartende und nur inkonsequent einfordernde Verhalten der Behörde“ kritisierte sie. Es habe dazu beigetragen, dass der Träger die Insolvenz um „mehrere Monate hinauszögern“ konnte. Weiter heißt es:

„Es ist schwer abzuschätzen, welche Auswirkungen die Einleitung des Insolvenzverfahrens zu einem früheren Zeitpunkt gehabt hätte. Da nach 2016 keine Abschlagszahlungen mehr erfolgten, ist demzufolge auch die diesbezügliche Forderungshöhe nicht weiter gestiegen... Was die direkten Auswirkungen der verspäteten Einleitung des Insolvenzverfahrens auf die Freie Hansestadt Bremen anbelangt, so dürfte der daraus resultierende Schaden im Verhältnis eher marginal sein“.

Und in der Schlussbemerkung heißt es ergänzend:

„Auch in Zukunft werden derartige Schadensfälle nie ganz auszuschließen sein, da in Ermangelung finanzieller Prüfrechte bei Trägern entgeltfinanzierter Leistungen Liquiditätsprobleme häufig erst dann zutage treten, wenn ein Insolvenzverfahren schon nicht mehr zu verhindern ist. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass selbst namhafte Träger hiervon betroffen sein können.“

Zum Hintergrund:
Bremen hat in den Jahren 2014 und 2015 zusammen rund 3.000 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge aufgenommen. Bremen ist eines der bundesweit wenigen Zentren dieses starken Zuzugs gewesen. Die Akademie Lothar Kannenberg hatte ihr Angebot in dieser Zeit von rund 50 Plätzen im Mai 2015 auf rund 800 im Januar 2016 ausgebaut und war damit zeitweise der größte Jugendhilfeträger in Bremen (800 von 2.000 UmA-Plätzen). Zum Vergleich: Das gesamte, über Jahrzehnte gewachsene Jugendhilfesystem aller Bremischen Träger zusammen hatte bis 2012 nur rund 300 Heimplätze.

Inzwischen werden unbegleitete minderjährige Ausländer, anders als bis November 2015, gleichmäßig unter den Ländern der Bundesrepublik verteilt. Im Jahr 2017 hat Bremen 50 Jugendliche dauerhaft aufgenommen. Der unerwartet plötzliche Rückgang der Zugangszahlen in Bremen durch die gesetzlichen Änderungen zur Umverteilung 2015 war mit erheblichen finanziellen Einschnitten für die beteiligten Träger der Jugendhilfe verbunden. Die Finanzierung basiert fast ausschließlich auf der Zahl der betreuten Personen und der erforderlichen Intensität der Betreuung.

Die Akademie Lothar Kannenberg hat am 30. November beim Amtsgericht Walsrode Insolvenz in Eigenverantwortung beantragt. Das Gericht hatte zum 1. Dezember 2017 das Insolvenzantragsverfahren über die Akademie eröffnet und mit Beschluss vom 26. Januar 2018 das Insolvenzverfahren.

Im Download:
Der Revisionsbericht zum PDF-Download (pdf, 1.5 MB)