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Senatskanzlei

Rede des Präsidenten des Senats vor dem Bundesverfassungsgericht

22.09.1999

Henning Scherf: "Was Recht ist, muss Recht bleiben. Föderalismus ist kein Konkurrenzkampf zwischen starken und schwachen Ländern, sondern Solidarität zu Gunsten aller."


In seiner Rede vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe wird der Präsident des Bremer Senats, Bürgermeister Dr. Henning Scherf, heute (22.9.99) zum Länderfinanzausgleich unter anderem ausführen:


"In den von Ihnen zu entscheidenden Verfahren werden Form und Gestalt des Bundesstaates in seiner Ausprägung durch das Grundgesetz angesprochen. Es geht um die Rolle und das Verständnis der Länder im Föderalismus. Angegriffen ist im Ergebnis aber auch die Gesamt-Einigung der deutschen Länder mit dem Bund über die finanziellen Grundlagen der deutschen Einheit.


Die Länder, die hier den Anträgen von Bayern, Baden-Württemberg und Hessen entgegentreten, können sich in vollem Umfang auf die bisherige gefestigte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts stützen. Dies gilt für die Sicht des Bundesstaates, wie auch für die weit überwiegende Zahl der angegriffenen Einzelregelungen des Finanzausgleichs - etwa die Verfassungsmäßigkeit der Einwohnerwertung, die Abgeltung der Hafenlasten und die verfassungsrechtlichen Grenzen einer Nivellierung durch den Finanzausgleich.


Das Bundesverfassungsgericht hat in drei Entscheidungen klar die Rolle des Finanzausgleichs im Föderalismus des Grundgesetzes herausgearbeitet. Der Finanzausgleich schafft danach erst die materielle Grundlage für die Eigenständigkeit und Handlungsfähigkeit der Länder. Er hat die zentrale Aufgabe, die bestehenden Länder materiell in die Lage zu versetzen, die ihnen übertragenen Aufgaben zu erfüllen. Dies hat das Bundesverfassungsgericht bei jeder seiner Entscheidungen zum Finanzausgleich zentral herausgestellt. Dieser Grundsatz trägt der Verschränkung der Aufgaben und Funktionen von Bund und Ländern in dem durch das Grundgesetz ausgeprägten Föderalismus Rechnung. Die Länder verfügen nur über eine Teilsouveränität, das hat Prof. Wieland in seinem Schriftsatz im Einzelnen dargestellt. Sie sind eben nicht in jeder Hinsicht autonom und Herren ihres eigenen Schicksals. Der weitaus größte Teil der Aufgaben, die von ihnen wahrzunehmen sind, wird durch Bundesgesetze vorgegeben, ohne dass der Bund die Finanzierungslasten zu tragen hat. Den Ländern obliegt nach dem Grundgesetz die Aufgabe, diese Bundesgesetze auszuführen und auch die Lasten dafür zu tragen. Die Länder sind auch nicht in ihren Einnahmen autonom. Die Landessteuern, über die sie bestimmen können, sind marginal. Ihre Einnahmen speisen sich entscheidend aus Anteilen an Gemeinschaftssteuern. Ober die verfügt der Bund, unter Mitwirkung aller Länder. Es ist nicht einmal so, dass der wirtschaftliche Erfolg eines Landes - also das in dem Land erwirtschaftete Bruttoinlandsprodukt - sich in gleichem Maß in Steuerkraft niederschlägt. Es findet nämlich eine umfangreiche Steuerzerlegung statt, die zu erheblichen Verzeichnungen von Wirtschaft- und Finanzkraft führt. Unter diesen Bedingungen einer weitgehend verschränkten Arbeitsteilung im Bundesstaat muss zunächst jedes Glied in dieser Reihe durch einen Finanzausgleich handlungsfähig gemacht werden. Dies alles zeigt, dass der gedankliche Ansatz des Wettbewerbs und einer Konkurrenz unter Ländern, der entscheidend dem Vorbringen der Antragsteller zugrunde liegt, nach der Ordnung unseres Grundgesetzes verfehlt ist. Er würde wie in der Wirtschaft die volle Herrschaft über das eigene Handeln voraussetzen und als Folge davon auch die volle Haftung dafür. Diese Voraussetzungen müssten erst mit entscheidenden Umgestaltungen des Grundgesetzes selbst und einer Vielzahl von Bundesgesetzen geschaffen worden. Eine solche grundlegende Neuordnung könnte vielleicht sinnvoll sein, sie ist allerdings eine Gestaltungsaufgabe für Politik und Gesetzgebung und nicht für das Bundesverfassungsgericht.


Eine bloße Stärkung des Selbstbehalts der finanzstarken Länder - wie sie hier verlangt wird - ohne Schaffung der rechtlichen und materiellen Voraussetzungen einer fairen Konkurrenz - macht allerdings keinen Sinn. Sie würde allein die ohnehin Starken weiter stärken und nur zu einem noch stärkeren Auseinandertreten der Regionen von Ost und West und Nord und Süd führen, mit sehr destruktiven Ergebnissen für die Integrationskraft des Gesamtstaates.


Zu meinem zweiten Punk:

Das hier angegriffene 1995 in Kraft getretenes Finanzausgleichsgesetz hat die gewaltige Aufgabe bewältigt, die neuen Länder - die eine Steuerkraft von deutlich unter 50 % dies alten Länder hatten - in ein einheitliches System des Finanzausgleichs zu integrieren. Die Vielzahl der Ausgleichsregelungen dienten dem Zweck, die Belastungen unter die Länder möglichst gleichgewichtig zu verteilen. Es ist ein Gesamtsystem, aus dem nicht aus eigennützigen Interessen einzelne Teile herausgebrochen werden können. Dies hat der Bund in seiner Stellungnahme in aller Klarheit dargestellt, auf die Ausführungen dort möchte ich nachdrücklich verweisen. Die Ministerpräsidenten der Länder haben sich nach Beratungen über eine Vielzahl von Ländermodellen in einem Kompromiss auf das so genannte Bayern-Modell geeinigt, das der damalige bayrische Finanzminister von Waldenfels eingebracht hat. Dies wurde um eine Reihe von Einzelregelungen ergänzt und auf der Grundlage eines gemeinsamen Gesetzentwurfs von Bayern und Nordrhein-Westfalen sind die heute hier angegriffenen Regelungen Gesetz geworden. Sollten Teile des Gesetzes keinen Bestand haben, so steht der gesamte Solidarpakt - einschließlich der Beteiligung des Bundes - erneut zur Verhandlung und Disposition an. Es müsste dann eine völlige Neuregelung für die Verteilung der Lasten der deutschen Einheit zwischen Bund und Ländern und unter den Ländern gefunden werden.


Beim Gesetzentwurf, der 1993 verabschiedet wurde, haben die Länder und der Bund in vollem Umfang auf die Kontinuität der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vertraut und die gesetzlichen Regelungen daran ausgerichtet. Niemand hat während der Beratungen zwischen Bund und Ländern verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Bestimmungen erhoben. Die Länder und der Bund haben auf die Verlässlichkeit der Rechtsprechung dieses Gerichts gesetzt. Dies gilt umso mehr als es hier um die Sicherheit der finanzwirtschaftlichen Grundlagen der tragenden staatlichen Einheiten des Bundesstaates geht. Ich gehe davon aus, dass das Bundesverfassungsgericht sich zu seinen bisherigen Entscheidungen zum Finanzausgleich nicht in Widerspruch setzt, sondern seine Rechtsprechung bestätigt und kontinuierlich fortsetzt. Wann dies der Fall ist, müssen die Anträge von Bayern, Baden-Württemberg und Hessen ohne Erfolg bleiben.


Im Übrigen muss der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers gewahrt bleiben. Aus dem Grundgesetz ergeben sich keine Vorgaben für ein ganz bestimmtes Ausgleichssystem im Länderfinanzausgleich. Die vom Gesetzgeber gefundene Lösung muss lediglich angemessen" sein. Vorgaben etwa über die Höhe des Ausgleichsniveaus im Einzelnen lassen sich nicht aus der Verfassung ableiten. Es steht dem Gesetzgeber frei, nach sich wandelnden historischen Umständen ein höheres oder niedrigeres Ausgleichsniveau zu wählen, so weit er nicht finanzschwache Länder über den Durchschnitt der Finanzkraft anhebt oder die Reihenfolge, der ausgleichspflichtigen Länder verändert. Diese Grenzen der Gestaltung sind eingehalten. Der Raum der politischen Gestaltung und der Konsensbildung muss für die Gesetzgebung und den parlamentarischen Prozess offen bleiben."