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Der Senator für Inneres und Sport

Rede von Innensenator Dr. Kuno Böse zur Eröffnung des 5. Europäischen Polizeikongresses

28.05.2002

In seiner Rede zur Eröffnung des 5. Europäischen Polizeikongresses „Herausforderung Terrorismus- internationale und interdisziplinäre Gegenstrategien“ in Bonn führte der Bremer Senator für Inneres, Kultur und Sport, Dr. Kuno Böse heute (28.05.2002) unter anderem aus:


„Die Herausforderung des internationalen Terrorismus verlangt nach internationalen Gegenstrategien. Diese Botschaft vermittelt das Thema des Fünften Europäischen Polizeikongresses, und niemand von uns wird dem widersprechen.


Die terroristische Bedrohung wird einen erheblichen Schub für die übernationale Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden bewirken.

Für uns als Europäer bedeutet dies auch und vor allem eine verstärkte Einbindung der Europäischen Union. Jedenfalls für den Bereich der Terrorismusbekämpfung wird damit die ohnehin einsetzende Entwicklung in Richtung einer zunehmenden europäischen Polizeikomponente eine merkliche Beschleunigung erfahren.


Die Ständige Konferenz der Innenminister und –senatoren der Länder hat auf ihrer Herbsttagung in Meisdorf in Sachsen-Anhalt am 7. und 8. November 2001 bekräftigt, daß die internationale Zusammenarbeit intensiviert und ausgebaut werden muß.


Die aktuellen Initiativen der spanischen EU-Präsidentschaft sind als erste Elemente einer solchen Europäisierung zu sehen. So hat auf Grundlage dieser Initiativen der Rat der Justiz- und Innenminister am 25. und 26. April 2002 in Luxemburg die Empfehlung ausgesprochen, für die Erfassung und den Austausch von Informationen über Terroristen multinationale Ad-hoc-Gruppen unter möglicher Beteiligung von Europol einzusetzen.


Das föderal strukturierte Deutschland sieht sich in derartigen Europäisierungsprozessen spezifischen Problemen ausgesetzt, die fast alle anderen Staaten der Union in dieser Form nicht haben: Die Europäische Union kennt als Ansprechpartner allein ihre Mitgliedstaaten, das heißt im Fall Deutschlands den Bund. Die Länder sehen sich dagegen im wesentlichen auf die indirekte Mitwirkung am europäischen Willensbildungsprozeß beschränkt.


Diese allgemeine Problematik der Länder in der europäischen Zusammenarbeit wirkt sich im Polizeibereich besonders deutlich aus. Die Polizei ist einer der traditionellen Kernbereiche der Länderhoheit. Dem entspricht es, daß sich der polizeiliche Vollzug und in weiten Teilen auch die entsprechende Gesetzgebung fest in der Hand der Länder befinden.


Gleichzeitig reagiert dieser Bereich in stärkerem Maße als andere Politik- und Verwaltungszweige sensibel auf Reibungsverluste. Denn häufig sind hier – die Herausforderung des Terrorismus zeigt es besonders eindringlich – schnelle Reaktionen gefragt.


Ist vor dem Hintergrund dieser Anforderungen ein gleichgewichtiges Nebeneinander der drei Ebenen Europa, Bund und Länder noch vertretbar? Werden bei einem so hohem Grad an institutioneller Komplexität die Grenzen des Praktikablen erreicht? Droht am Ende das Szenario umständlicher und zeitraubender Kommunikations- und Entscheidungswege durch den Flaschenhals des Bundes?


Ein auf den ersten Blick naheliegender und auch häufiger geäußerter Gedanke zielt darauf ab, dieses Koordinierungsproblem durch schlichte Zentralisierung aus der Welt zu schaffen. Im Klartext heißt das: Zurückdrängung der Länder zugunsten der Schaffung einer stärkeren bundesstaatlichen Polizeikomponente.


In diesem Zusammenhang hat in jüngerer Zeit der Leitantrag des Bundesdelegiertentages des Bundes Deutscher Kriminalbeamter vom August 2001 besondere Prominenz erlangt.


Er fordert die Zusammenführung der verschiedenen Sicherheitskräfte des Bundes – also von Bundeskriminalamt, Bundesgrenzschutz und Zollkriminalamt – zu einer „Kriminalpolizei des Bundes“ mit Ermittlungsaufgaben in der Kriminalitätsbekämpfung. Weiter heißt es in dem Leitantrag: „Diese neue Kriminalpolizei des Bundes muß mit Kompetenzen versehen werden, die ein Miteinander mit den Kriminalpolizeien der Länder in der Verbrechensbekämpfung ermöglichen. Sie nimmt ihre Aufgaben in der Fläche wahr.“


Aus Sicht der Länder sind solche Überlegungen zurückzuweisen. Diese Haltung hat der Vorsitzende der Innenministerkonferenz in einem Schreiben an den BDK vom Dezember 2001 zum Ausdruck gebracht. Es wird keine Zustimmung der Länder zur Schaffung einer einheitlichen Kriminalpolizei des Bundes geben. Eine Zuweisung von Aufgaben „in der Fläche“ und die damit verbundene Änderung der Verfassungslage zu Lasten der Länder bedeuten einen Einschnitt, für den es keine unabdingbare Notwendigkeit gibt.


Wie die Innenministerkonferenz auf ihrer letzten Herbsttagung in Meisdorf ausdrücklich hervorgehoben hat, besteht eine enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern. Diese Zusammenarbeit hat sich insbesondere auch in der Folge des 11.09. bewährt.


Die Herausforderung Terrorismus ist ohne Zweifel eine besondere Bewährungsprobe für die polizeiliche Zusammenarbeit der Länder untereinander wie auch für die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern. Dies gilt bereits auf nationaler Ebene, und es wird noch sehr viel deutlicher, wenn es um die Zusammenarbeit in Europa geht.

Ich möchte im folgenden den Beweis dafür antreten, daß das föderalistisch geprägte Sicherheitswesen in Deutschland dieser Bewährungsprobe gewachsen ist. Ich möchte Ihnen die – vielleicht von dem einen oder anderen so nicht erwartete – Leistungsfähigkeit der Mechanismen föderaler Kooperation in Deutschland vor Augen führen.


Im Mittelpunkt dieser Mechanismen steht die Ständige Konferenz der Innenminister und –senatoren der Länder – kurz IMK. Sie hat mit ihren Arbeitskreisen II („Innere Sicherheit“), IV („Verfassungsschutz“) und V („Feuerwehrangelegenheiten, Rettungswesen, Katastrophenschutz und zivile Verteidigung“) umgehend nach den Anschlägen in den USA wirksame Maßnahmen zur Abwehr der Gefahren durch internationalen Terrorismus eingeleitet.


Dabei hat sich erwiesen, daß auch ein föderalistisch geprägtes Sicherheitswesen wenn nötig schnell und flexibel auf schwierige Herausforderungen reagieren kann.


Lassen Sie mich dies anhand eines konkreten Beispiels belegen: der Rasterfahndung.


Der Ermittlung der so genannten „Schläfer“ hat aufgrund fallanalytischer Erkenntnisse unser vorrangiges Augenmerk zu gelten. Die Rasterfahndung ist das unangefochtene Kernstück der hierauf zielenden Maßnahmen und als solches ohne Alternative.


Eine besondere Eigenart der Rasterfahndung ist es, daß sie ihre volle Wirksamkeit nur bei konsequentem flächendeckendem Einsatz entfalten kann. Es bringt keinen Nutzen, sie isoliert in einzelnen Bundesländern anzuwenden. Allein eine koordinierte bundesweite Durchführung sichert ihren Erfolg.


Aus rechtlicher Sicht kommt den Ländern die führende Rolle bei der Rasterfahndung zu. Weil es sich nicht um eine Maßnahme der Strafverfolgung handelt, ist nicht nur ihr Vollzug auf Länderebene angesiedelt, sondern auch die Schaffung der gesetzlichen Grundlagen.


Die Rasterfahndung erfolgt auf Grundlage der Polizeigesetze der Länder. Das Bundeskriminalamt unterstützt die Länder bei der Durchführung ihrer eigenen Maßnahmen, indem die Länder ihre Daten in eine Verbunddatei beim Bundeskriminalamt einstellen.


Deshalb ist bei der Rasterfahndung in besonderem Maße das Zusammenwirken aller Länder und des Bundes gefragt.

Die Anschläge des 11. September 2001 waren ein unvorhergesehenes und in dieser Form wohl auch unvorhersehbares Ereignis, das sozusagen aus dem Nichts einen akuten Handlungsbedarf auslöste. Es ist interessant zu verfolgen, wie diesem Handlungsbedarf in einem gemeinsamen Diskussionsprozeß der Länder und des Bundes innerhalb kurzer Zeit entsprochen wurde.


Die hierfür verantwortlichen Kooperationsmechanismen im Umfeld der Innenministerkonferenz arbeiten verborgen für die Öffentlichkeit und sind vielleicht gerade deshalb so effektiv. Ich halte es für lohnend, die erfolgreiche Arbeit dieser Gremien an der Rasterfahndung einmal im einzelnen darzustellen und die Entwicklungsabläufe nachzuzeichnen. Gleichzeitig soll dabei das Dunkel der auf den ersten Blick verwirrenden Gremienstruktur ein wenig aufgehellt werden.


Unmittelbar nach den Anschlägen in den USA wurde der Koordinierungsprozeß zwischen den Ländern eingeleitet.


Bereits am 18.September 2001 – also gerade einmal eine Woche nach den Anschlägen in den Vereinigten Staaten – legte der Arbeitskreis II der Innenministerkonferenz („Innere Sicherheit“) als erstes Arbeitsergebnis einen Umlaufbeschluß vor. Das Ergebnis war abgestimmt mit dem Arbeitskreis IV („Verfassungsschutz“), der ebenfalls im Umlaufverfahren seine Zustimmung geäußert hatte. Noch am gleichen Tag erteilten auch die Innenminister selbst durch Umlaufbeschluß ihre Zustimmung.


Es ist also sehr schnell der Dialog zwischen den Ländern aufgenommen worden, und es ist dabei auch gelungen, die verschiedenen bestehenden Gremien zeitnah zu beteiligen und inhaltlich zusammenzuführen.


Bei dieser zeitnahen Reaktion spielte das Umlaufbeschlussverfahren eine entscheidende Rolle, also vereinfacht gesagt die Beschlußfassung auf schriftlichem Wege. Es handelt sich hierbei um ein bewährtes Mittel, um ohne den zeitlichen Aufwand eines physischen Zusammentreffens von Gremienmitgliedern zu raschen Abstimmungsergebnissen zu kommen.


Trotz der komplexen Abstimmungserfordernisse konnte damit eine zügige Entscheidung herbeigeführt werden. Bislang wurde dieses Verfahren vor allem zur Klärung von Einzelfragen genutzt, die zwischen regelmäßigen Sitzungsterminen auftraten. Vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklung wird auf diese bewährten Mechanismen verstärkt zurückgegriffen, um laufende Abstimmungen im Kontext der Rasterfahndung zügig durchführen zu können.


Mit den genannten Beschlüssen wurde bis auf weiteres eine „Koordinierungsgruppe Internationaler Terrorismus“ – kurz KG IntTE – eingerichtet. Es handelt sich hierbei um ein Gremium, in dem unter Vorsitz des Bundeskriminalamtes Vertreter verschiedener Fachgremien und Behörden zusammentreffen. Im einzelnen besteht es aus Mitgliedern UA FEK (des Unterausschuß Führung, Einsatz und Kriminalitätsbekämpfung im AK II), der AG Kripo (Arbeitsgemeinschaft der Leiter der Landeskriminalämter mit dem Bundeskriminalamt), des Bundesgrenzschutzes, des Bundesamtes für Verfassungsschutz, des Bundesnachrichtendienstes und der Landesämter für Verfassungsschutz.


Die KG IntTE erhielt die Aufgabe, das Lagebild ständig zu bewerten und fortzuschreiben, alternative Lageszenarien zu entwickeln und dem AK II lageangepasste Empfehlungen für bundesweit abgestimmte polizeiliche Maßnahmen zu unterbreiten.


Mit der KG IntTE ist ein spezifisches Gremium neu eingerichtet worden, das auf begrenzte Zeit fachliche Vorarbeiten dem aktuellen Bedarf entsprechend leisten kann. Es zeigt sich, daß die Gremienstruktur in der Länderkooperation nicht starr ist, sondern eine hohe Flexibilität aufweist. Diese Flexibilität ermöglicht es, situationsangepasst den Sachverstand aus verschiedenen bestehenden Gremien zu bündeln.


Die dadurch erreichten Querverbindungen zwischen Fachleuten mit unterschiedlicher Anbindung bewirken eine erhebliche Beschleunigung der Abstimmungsprozesse. Zudem läßt die eben geschilderte vielfältige Zusammensetzung des Gremiums erkennen, daß in ihm ein breites Spektrum an Fachwissen gebündelt wird.


Die Neukonfiguration von Gremien erweist sich als ein weiteres Element zur Effektivierung der Länderkooperation.


Neben der Schaffung der KGIntTE war ein wesentlicher Gegenstand der Beschlüsse vom 18.September die Problematik der Gefährderansprache. Insofern hat man sich vorbehalten, eine Entscheidung über die offenen Gefährderansprachen zu einem späteren Zeitpunkt herbeizuführen.


Diese Entscheidung war bedeutend für die Rahmenbedingungen der Rasterfahndung. Eine abgestimmte und homogene Vorgehensweise bei der Gefährderansprache ist wichtig, um nicht - etwa durch vorzeitige Aufdeckung von Observationen - den Erfolg der Rasterfahndung zu gefährden.


Bereits einen Tag nach ihrer Einsetzung durch die IMK kam die KGIntTE in Meckenheim zu ihrer konstituierenden Sitzung zusammen. Sie bewältigte bereits bei diesem ersten Zusammentreffen ein umfassendes Arbeitspensum.


Neben einem Länderaustausch über den aktuellen Sachstand zum Lagebild wurden Szenarien und Täterprofile thematisiert. Hinsichtlich der Szenarien stand als Diskussionsgrundlage eine Ausarbeitung des BKA Meckenheim über ein Verdachtsraster für eine Zuverlässigkeitsüberprüfung von Luftfahrtpersonal sowie über entsprechende vorläufige Überprüfungs-Checklisten zur Verfügung. Ergänzend sollten die Tagungsteilnehmer weitere Anregungen zeitnah einbringen.


Hinsichtlich der Täterprofile diente neben einer weiteren Ausarbeitung des BKA die Anordnung einer Rasterfahndung aus Hamburg als Diskussionsgrundlage, ergänzende spätere Beiträge wurden vom Bundesamt für Verfassungsschutz sowie von Nordrhein-Westfalen eingebracht.

Daran zeigt sich: Es gelingt die gemeinsame Nutzung und damit Bündelung der Ressourcen, die im Bund und den einzelnen Ländern vorhandenen sind. Beiträge von Bund und Ländern werden zusammengeführt, um in einer offenen Diskussion zu Lösungsansätzen zu gelangen.


Die KG IntTE kam überein, im Falle einer Lageveränderung oder bei größeren Aufträgen sofort wieder zusammenzutreten und bei aktuellen Einzelproblemen Telefonschaltkonferenzen durchzuführen. Dies ist ein Ausweis der Flexibilität, die sich mit spezialisierten Arbeitsgruppen erreichen läßt, insbesondere wenn die modernen Kommunikationsmöglichkeiten konsequent eingebunden werden.


Bereits eine Woche nach ihrer Konstituierung trat die KG IntTE zu ihrer zweiten Sitzung am 24.September 2001 erneut zusammen, um sich mit der Koordinierung von Rastermaßnahmen und Datenabgleich zu befassen.


Als Untergruppe der KG IntTE formierte sich die „Unterarbeitsgruppe Raster“, die sich ganz speziell auf praktische Fragen bei der Durchführung der Rasterfahndung konzentrierte und am 26. September 2001 zu ihrer konstituierenden Sitzung zusammenkam.


Die weitere Ausdifferenzierung der Gremienstruktur sollte nicht als unnötige Komplizierung der Strukturen kritisiert werden. Sie sichert vielmehr eine bessere und schnellere Aufgabenbewältigung durch einen noch höheren Grad an fachlicher Spezialisierung, die Bildung kleinerer und damit arbeitsfähigerer Gruppen sowie durch die Möglichkeit zu einem parallelen Vorgehen verschiedener Gremien.


Die „UAG Raster“ erhielt den Auftrag, Maßstäbe für eine koordinierte Rasterfahndung und eine sinnvolle Vorgehensweise zu erarbeiten, die technische Umsetzbarkeit der Rasterfahndung zu gewährleisten und die Arbeitsverteilung zwischen Ländern und Bund sicherzustellen.


Diese Arbeitsgruppe besteht aus Vertretern von vier Ländern sowie des Bundeskriminalamtes.



Sie erarbeitete Rasterkriterien zur Detektierung der sogenannten „Schläfer“, die dem Arbeitskreis II der IMK zur bundesweiten einheitlichen Anwendung empfohlen wurden.


In ihrer zweiten Sitzung am 2. Oktober 2001 erarbeitete die „UAG Raster“ ein Konzept zur Aufgabenverteilung zwischen Bund und Ländern bei der Beschaffung von Datenbeständen. Weiterhin wurden Fragen der technische Umsetzung der Rasterfahndung erörtert.


Schließlich regte die „UAG Raster“ an, eine „Arbeitsgruppe Rasterfahndung“ unter Beteiligung des Bundes und der Länder einzurichten, in der Ermittler und anlassbezogen außerdem IT-Fachkräfte vertreten sind.

Mit Umlaufbeschluß vom 1. Oktober 2001 billigte die KGIntTE die Vorschläge der UAG „Raster“, drei Tage später tat dies auch der Arbeitskreis II der IMK.


Beide sprachen die Empfehlung aus, die dort entwickelten Rasterkriterien bundeseinheitlich anzuwenden. Zugleich wurde die

Einrichtung einer Verbunddatei beim Bundeskriminalamt begrüßt.


Am 9. Oktober 2001 traf die KGIntTE in Meckenheim zu ihrer 3. Sitzung zusammen. Hier wurde der zweite Bericht der „UAG Raster“ vorgelegt.


Wie bereits angemerkt, ist die Gefährderansprache ein Aspekt der Rasterfahndung, für den in besonderem Maße ein Bedarf nach Koordinierung zwischen den Ländern besteht. In seiner Sitzung vom 17. und 18. Oktober 2001 in Magdeburg befaßte sich der Arbeitskreis II der IMK eingehend mit der Frage nach dem weiteren Vorgehen in Bezug auf die Gefährderansprachen.


Vereinbart wurde eine gemeinsame Bewertung der Landeskriminalämter und der Landesämter für Verfassungsschutz, in welchen Fällen eine offene Ansprache polizeitaktisch sinnvoll ist und in welchen nicht.

Das Ergebnis der Überprüfung sollte möglichst zeitnah an die KG IntTE weitergeleitet werden, die dem Arbeitskreis II Vorschläge unterbreitet, um bundesweit abgestimmt bestimmte Gefährder offen anzusprechen.


Das Ergebnis dieser Erörterungen wurde über einen Brief des AK II–Vorsitzenden vom 22. Oktober 2001 dem AK IV-Vorsitzenden zur Abstimmung vorgelegt. Auf diese Weise konnte innerhalb kurzer Zeit die Zustimmung des Arbeitskreises IV („Verfassungsschutz“) eingeholt werden – eine weitere Möglichkeit, durch unmittelbares Zusammenwirken verschiedener Gremien eine schnelle Abstimmung herbeizuführen.

Am 19. Oktober 2001 konstituierte sich in Meckenheim die von der

KG IntTE angeregte gemeinsame Projektgruppe „Rasterfahndung“ von Bund und Ländern.


Sie erörterte neben dem aktuellen Sachstand Fragen der Rasterkriterien, des Datenabgleichs im Bundeskriminalamt und des Aufbaus der Verbunddatei. Zudem wurde das weitere Vorgehen bei der Rasterfahndung abgestimmt.


Die UAG „Raster“ trat am 30. Oktober 2001 in Meckenheim zu ihrer dritten Sitzung zusammen. Grundlage der dortigen Erörterungen waren die Ergebnisse der gemeinsamen Projektgruppe „Rasterfahndung“ von Bund und Ländern.


Es wurde eine Arbeitsteilung zwischen Bundeskriminalamt und Landeskriminalämtern bei der Erhebung der für einen Abgleich mit der Verbunddatei benötigten Dateien erarbeitet. Weitere Themen waren die Verfahrensweise bei der Rasterfahndung, die Errichtungsanordnung und Verarbeitungsregeln für die Verbunddatei sowie der einheitliche Umgang mit positiven Prüffällen.


Die KG IntTE bestätigte die hierbei entwickelte Verfahrensbeschreibung in ihrer vierten Sitzung am 2. November 2001.


Die Innenministerkonferenz selbst befaßte sich auf ihrer Herbsttagung am 7. und 8. November 2001 in Meisdorf mit der Thematik. Im Zuge einer umfassenden Stellungnahme zu den Maßnahmen der Sicherheits- und Ordnungsbehörden zur Terrorismusbekämpfung bekräftigte sie ausdrücklich die Rasterfahndung.


Ein entscheidender Schritt für die Umsetzung der Rasterfahndung war die Errichtungsanordnung des BKA am 26.11.2001, mit der die Verbunddatei „Schläfer“ mit sofortiger Wirkung eingerichtet wurde.


Zur Erarbeitung weiterer Details der Umsetzung der Rasterfahndung hielt die KG IntTE am 13. Dezember 2001 in Meckenheim eine Arbeitssitzung ab.


Thematisiert wurden hierbei der Umgang der Länder mit den vom Budeskriminalamt zentral erhobenen Abgleichdateien sowie die einheitliche Verfahrensweise bei Trefferfällen.


Statt einer regulären Sitzung der Koordinierungsgruppe wurde hierbei in kleinerer Gruppe gearbeitet, um offene Fragen zeitnah zu klären. Das

Ergebnis wurde anschließend allen Mitgliedern der KG IntTE im Umlaufverfahren zur Beschlußfassung vorgelegt.


Eine neue Problematik trat auf, als Gerichtsentscheidungen in einzelnen Ländern die Rasterfahndung für unzulässig erklärten. Wie schon angemerkt, ist die bundesweit einheitliche Durchführung der Rasterfahndung wesentlich für ihren Erfolg. Deshalb betreffen die Gerichtsentscheidungen nicht nur das Land, für das sie gelten, sondern sind für die Gesamtheit aller Länder von Bedeutung. Darin liegt eine neue Herausforderung für Abstimmungsarbeit der Länder.


Hierauf reagierte der Arbeitskreis II mit zwei Telefonschaltkonferenzen am 14. und 22. Februar 2002. Sie dienten der Klärung der Auswirkungen der unterschiedlichen Gerichtsentscheidungen (OLG Frankfurt, OLG Düsseldorf, VG Mainz, LG Berlin) auf die Rasterfahndungen in den Ländern.


Die Telefonschaltkonferenz hat sich immer wieder als Mittel von überragender Bedeutung erwiesen, um die häufig kurzfristig notwendigen Abstimmungen im Rahmen der Terrorismusbekämpfung durchführen zu können. Dies war bereits unmittelbar nach den Anschlägen in den USA so und bleibt, wie man an diesem Beispiel sieht, auch im weiteren Verlauf gültig.


Ebenso ist die Telefonschaltkonferenz ein Mittel, das für alle Ebenen des Abstimmungsprozesses, insbesondere auch für die Verständigung unmittelbar auf der ministeriellen Ebene der Innenministerkonferenz, unersetzlich ist. Sie verbindet die Vorteile der unmittelbaren interaktiven Gesprächsführung mit dem Zeitgewinn, der sich durch den Verzicht auf ein physisches Zusammentreffen erreichen läßt. Damit ist sie ein ganz wesentlicher Baustein für die Beschleunigung der Abstimmungsprozesse.


In seiner Telefonschaltkonferenz vom 14. Februar 2002 richtete der Arbeitskreis II eine Ad-hoc-Arbeitsgruppe „Rasterfahndung“ als Untergruppe des Unterausschusses Recht und Verwaltung des AK II ein. Sie tagt unter dem Vorsitz von Rheinland-Pfalz mit Mitgliedern aus acht weiteren Ländern, dem Bundesinnenministerium sowie dem Bundeskriminalamt.


Diese ad-hoc-AG „Rasterfahndung“ trat am 20. Februar 2002 in Mainz zu ihrer ersten Sitzung zusammen, sie legte ihren Bericht am folgenden Tag vor.


In seiner Telefonschaltkonferenz vom 22. Februar 2002 nahm der AK II eine Bewertung des Berichts der ad-hoc-AG „Rasterfahndung“ vor und faßte den Beschluß, die Rasterfahndung weiter durchzuführen. Der Abgleich der Daten sollte umgehend erfolgen, soweit Gerichtsentscheidungen nicht entgegenstehen.


In rechtlicher Hinsicht wurde klargestellt: Die Rasterfahndung wird auf Grundlage der jeweiligen landesgesetzlichen Regelungen von den Ländern durchgeführt, die Verbunddatei „Schläfer“ dient lediglich der Informationsanreicherung und -verdichtung im Sinne der Zentralstellenfunktion des BKA, die von den Rasterfahndungen getrennt stattfindet. Die Daten bleiben in der datenschutzrechtlichen Verantwortung und der Verfügungsgewalt der Länder.


Schließlich vereinbarte der AK II, die ad-hoc-AG bis zum Abschluß der laufenden Rasterfahndungen fortzuführen, damit diese eventuell auftretende Probleme kurzfristig klären und dem AK II aktuell berichten kann.


Ihren nächsten Auftrag erhielt die Ad-hoc-Arbeitsgruppe auf der Sitzung des Unterausschusses Recht und Verwaltung des AK II vom 6. und 7. März 2002. Sie erhielt die Aufgabe, vor dem Hintergrund der rechtlichen Diskussion die Möglichkeiten zu einer bundesweiten Vereinheitlichung der gesetzlichen Voraussetzungen der Rasterfahndung zu untersuchen. Diese Arbeit nahm sie in ihrer zweiten Sitzung am 9. April 2002 auf.


Nach den Telefonschaltkonferenzen des AK II im Februar waren die technischen Voraussetzungen für den Abgleich geschaffen worden.

Zuvor mußten Rechtsgrundlagen geklärt, die abzugleichenden Daten festgelegt, die Zustimmung der Länder eingeholt und die Daten von allen rechtlich nicht gehinderten Ländern geliefert werden. Auf der fünften Sitzung der KGIntTE am 7. März 2002 fiel der endgültige Startschuß für die Durchführung des Datenabgleichs. Neben der Klärung letzter noch offener Fragen wurde der Beschluß gefaßt, mit dem Datenabgleich am 8. März 2002 zu beginnen.


Die eingesetzten spezifischen Gremien setzen auch weiterhin ihre Arbeit fort und begleiten die laufende Rasterfahndung.


Die KGIntTE hielt ihre sechste Sitzung am 19. April 2002 in Meckenheim ab.

Sie bemühte sich unter anderem darum, technische Probleme mit den Abgleichergebnissen auszuräumen und befaßte sich auch mit der Zusammenarbeit mit den Ausländerbehörden. Seine Beschlüsse faßte das Gremium wiederum im Umlaufbeschlussverfahren.


Die Ad-hoc-Arbeitsgruppe „Rasterfahndung“ verabschiedete am 22. April 2002 ihren Bericht über die Möglichkeiten zur Vereinheitlichung der landesgesetzlichen Voraussetzungen der Rasterfahndung und legte ihm dem Arbeitskreis II auf dessen Sitzung am 7. und 8. Mai 2002 vor.


Auf derselben Sitzung erteilte der Arbeitskreis II den Auftrag an die KG IntTE, die aktuell gewonnenen Erkenntnisse, insbesondere aus dem Verfahren „Al Tawhid“, im Hinblick auf weitere Bekämpfungsansätze und –maßnahmen zu analysieren. Er äußerte weiterhin die Notwendigkeit, eine gemeinsame Arbeitsgruppe der Arbeitskreise II und IV einzusetzen, die die im Einzelfall aufgetretene Schnittstellenproblematik beim Informationsaustausch zwischen Verfassungsschutz und Polizei im Hinblick auf mögliche Optimierungsmöglichkeiten prüfen solle. Das diesbezügliche Abstimmungsverfahren mit dem Vorsitzenden des Arbeitskreises IV ist eingeleitet.


Mit dieser umfassenden Darstellung des Abstimmungsverlauf im Hinblick auf die Rasterfahndung wollte ich Sie nicht langweilen. Es ging mir vielmehr darum, das Vorurteil zu widerlegen, das föderalistisch strukturierte Sicherheitswesen führe zu nicht zu bewältigenden Abstimmungsproblemen.


Ich meine, daß die Erfahrung mit der Koordinierung der Rasterfahndung den gegenteiligen Schluß zuläßt, daß nämlich die Zusammenarbeit zwischen den Ländern und dem Bund funktioniert.


Zusammenfassend hat sich erwiesen:


- Die vorhandene Gremienstruktur ist in der Lage, sich als selbstregulierendes System autonom und flexibel an den jeweiligen Bedarf anzupassen

- Dies geschieht einerseits durch eine deutlich erhöhte Tagungsfrequenz der vorhandenen Gremien

- Es geschieht andererseits durch die Einrichtung spezifischer neuer Gremien, die eine gezielte Bündelung von Sachverstand ermöglichen

- Ein weiteres Mittel ist die konsequente Einbindung der modernen Informations- und Kommunikationstechnologien, um ad-hoc-Abstimmungen herbeiführen zu können

- Die Gremienstruktur ist zu sehr zeitnahen Reaktionen fähig

- Sie ist weiterhin in der Lage, Zeitverluste durch angemessene Verkürzung der Kommunikationswege zu vermeiden


Föderale Reibungsverluste im Zusammenhang mit der Rasterfahndung gibt es zugegebenermaßen durch inhaltlich divergierende Gerichtsentscheidungen zu ihrer Zulässigkeit. Diese Differenzen beruhen nicht allein auf Nuancen in der gesetzestechnischen Umsetzung der Rasterfahndung in den verschiedenen Ländern. Eine bedeutende Rolle spielt vielmehr die grundsätzlich verschiedene Bewertung der Rasterfahndung unter dem Blickwinkel des Verhältnismäßigkeitsprinzips.


Nur muß man sehen, daß dieses Problem des justiziellen Föderalismus auch bei einer bundesstaatlichen Polizei nicht anders ausfallen würde. Denn die Rechtsprechung wäre auch in diesem Fall den Ländern anvertraut und damit in gleicher Weise der Gefahr einer Zergliederung ausgesetzt.


Insgesamt läßt sich aus dem Beispiel der Rasterfahndung keine Notwendigkeit für eine verstärkte bundesstaatliche Polizeikomponente ableiten. Das Patentrezept einer Bundespolizei ist m. E. sehr populistisch und geht von Defiziten aus, die bei näherer Betrachtung in dieser Form nicht existieren.


Dies gilt – so ist hinzuzufügen – auch dann noch, wenn man die Notwendigkeit einer verstärkten Einbindung auch der europäischen Ebene in Rechnung stellt.


Schwierigkeiten sehe ich hier weniger auf der Länderseite, sondern eher in einer unzureichenden Ausgestaltung von Europol. Dieses Problem läßt sich allerdings nicht durch die Zwischenschaltung einer stärkeren bundesstaatlichen Komponente lösen, sondern nur durch Rechts- und Praxisänderungen auf europäischer Ebene.


Dabei könnten wertvolle Impulse gerade vom Kooperationssystem der deutschen Länder und des Bundes ausgehen, die mit ihrer erfolgreichen Arbeit ein gewisses Know how für die Gestaltung von Koordinierungsprozessen entwickelt haben.


Deshalb gehe ich sogar einen Schritt weiter und behaupte: Der deutsche Föderalismus ist nicht nur kein Hemmschuh für die europäische Koordinierung, sondern er taugt in vielerlei Hinsicht sogar als Modell für Koordinierungen in der europäischen Dimension. Denn zwischen den Mitgliedstaaten der europäischen Union und den europäischen Institutionen wird eine Koordinierung der Polizeiarbeit jedenfalls auf absehbare Zeit immer notwendig bleiben. Hierfür kann und sollte das deutsche Modell der Zusammenarbeit nutzbar gemacht werden - mit Gewinn für die Polizeiarbeit in Europa.“