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Der Senator für Finanzen

Länderfinanzausgleich und Stadtstaaten: Rede von Senator Dr. Nußbaum zur Vorstellung zweier Gutachten

25.03.2004

Rede von Finanzsenator Dr. Ulrich Nußbaum bei der Vorstellung der Gutachten von Prof. Kitterer und der Prognos AG in der Bremischen Landesvertretung in Berlin

In seiner Begrüßungsrede bei der Vorstellung der Gutachten von

  • Prof. Dr. Wolfgang Kitterer (Universität Köln) über „Die Einbeziehung der Stadtstaaten in das bundesdeutsche Fnanzverteilungssystem“ und
  • Dr. Olaf Arndt (Prognos AG, Basel) über „Grundlagen des LFA: Städte-Benchmarking und empirische Maßstäbe für Sonderlasten“

führte Finanzsenator Dr. Ulrich Nußbaum heute (25.3.2004) in der Bremischen Landesvertretung in Berlin unter anderem aus:


„Ich begrüße sie ganz herzlich und freue mich, dass Sie heute Abend so zahlreich nach Berlin in die Vertretung der Freien Hansestadt Bremen gekommen sind.


Das Kernthema des heutigen Abends wird die Vorstellung zweier wissenschaftlicher Gutachten zum Themenkomplex „Stadtstaaten im System der bundesstaatlichen Finanzverteilung“ sein. Hierzu begrüße ich Herrn Prof. Dr. Kitterer von der Universität Köln und Dr. Olaf Arndt von der PROGNOS AG.


Bevor wir uns der Thematik im Detail zuwenden, gestatten Sie mir zunächst einige Vorbemerkungen zur Sanierung der bremischen Haushalte:


Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 27. Mai 1992 festgestellt, dass Bremen in eine extreme Haushaltsnotlage geraten ist.

Vier Punkte sind charakteristisch für die bremischen Situation:

  1. Bremen ist ohne eigenes Verschulden in diese Haushaltsnotlage geraten,
  2. Wirtschaftsstrukturelle Probleme sind eine wesentliche Ursache,
  3. die bremische Notlage fällt wesentlich deutlicher aus, als die des zweiten Haushaltsnotlage-Landes Saarland.
  4. Die Überwindung der Haushaltsnotlage erfordert im Rahmen der Verpflichtung zum gegenseitigen Einstehen als Element der bundesstaatlichen Ordnung (Art. 20 Abs. 1 GG) Hilfen des Bundes und der Länder.


Für den Zeitraum 1994 bis 1998 wurden der Freien Hansestadt Bremen auf dieser Grundlage zunächst Sanierungshilfen in Form von Sonder-Bundesergänzungszuweisungen in Höhe von 1,8 Mrd. DM pro Jahr gewährt.


Seit 1999 wurden weitere Sanierungshilfen an uns geleistet, die degressiv gestaltet sind und mit einer abschließenden Zahlung in diesem Haushaltsjahr auslaufen.


Die Einnahmeentwicklung der vergangenen Jahre ist durch kontinuierliche steuerrechts- und konjunkturbedingte Mindereinnahmen geprägt.

Eine erfolgreiche Sanierung der bremischen Haushalte bereits deutlich vor Ablauf des zweiten Sanierungszeitraumes war deshalb auch mit Hilfe der gewährten Sonder-Bundesergänzungszuweisungen nicht zu erreichen.


Die steuerabhängigen Einnahmen des Landes sind seit Beginn der Sanierung auf praktisch unverändertem Niveau geblieben. Die prognostizierten Effekte zur Minderung des konsumtiven Defizits geleistet durch Einnahmezuwachs sind also ausgeblieben.


Trotzdem wurden – sowohl hinsichtlich der Haushaltskonsolidierung, als auch beim Ausbau der regionalen Wirtschafts- und Finanzkraft – in den vergangenen Jahren wesentliche Fortschritte erzielt:

  1. Die Entwicklung der konsumtiven Ausgaben konnte überdurchschnittlich begrenzt werden:
    Die Sanierungsverpflichtung zur Einhaltung der Ausgabenzuwachs-Richtwerte wurde durchgängig erfüllt.
    Auch die Gesamt-Ausgabenentwicklung der Freien Hansestadt Bremen konnte fast durchweg unterhalb des Vergleichswertes der übrigen Länder und Gemeinden des (westlichen) Bundesgebietes gehalten werden.
    Der vom Finanzplanungsrat eingeräumte Ausgabenspielraum des bisherigen Sanierungszeitraumes von Bremen wurde lediglich zu etwa einem Drittel ausgeschöpft.

  2. Es wurden nachhaltige strukturelle Haushaltsverbesserungen erzielt:
    Bremen hat die investiven Anteile seiner Haushalte mit Durchführung eines Investitionssonderprogramms erheblich verstärkt. Mit einer zwischenzeitlichen überdurchschnittlichen Investitionsquote konnten Investitionsrückstände aus den Anfangsjahren der Haushaltsnotlage teilweise kompensiert werden. Hier besteht jedoch weiterer Nachholbedarf.

  3. Gemessen an den zentralen Indikatoren der Haushaltslage konnte eine Annäherung an den Bundesdurchschnitt erreicht werden:
    Der Schuldenstand unseres Stadtstaates hat sich seit Beginn des Sanierungszeitraumes deutlich dem (West-)Länder- und Gemeinde-Durchschnitt angenähert.
    Gleichzeitig konnte auch die Zins-Steuer-Quote, also der Anteil der Zinsausgaben an den Einnahmen aus Steuern plus Länderfinanzausgleich plus Bundesergänzungszuweisungen dem Länder- und Gemeinde-Durchschnitt angenähert werden.

  4. Ein nachhaltiger wirtschaftlicher Aufholprozess wurde eingeleitet:
    Die bremische Wirtschaftsentwicklung entspricht nach zwischenzeitlichen Rückschlägen aufgrund des Zusammenbruchs des "Bremer Vulkan" (1996) zunehmend den ursprünglichen Erwartungen. Der Zuwachs des bremischen Brutto-Inlands-Produktes überstieg beispielsweise in den letzten Jahren fast durchweg den Vergleichswert des westlichen Bundesgebietes.


Zu der bremischen Sanierungsstrategie des Sparens im konsumtiven Bereich und Investierens in wirtschafts- und finanzkraft-stärkende Maßnahmen gibt es auch aus der gegenwärtigen Perspektive keine Alternative!
Deshalb werden im Rahmen des derzeit laufenden Haushaltsaufstellungsverfahrens für die Jahre 2004 und 2005 die Grundlagen für die Fortsetzung dieses Sanierungskurses geschaffen.


Doch nun zum eigentlichen Anlass des heutigen Abends, der Vorstellung zweier wissenschaftlichen Gutachten zum Themenkomplex „Stadtstaaten im System der bundesstaatlichen Finanzverteilung“:
Was war der Anlass für die beiden Gutachten, die in dieser Veranstaltung vorgestellt und diskutiert werden sollen?
Wir in Bremen sehen es unsere Pflicht an, über das tagespolitische und finanzplanerische Geschehen hinaus auch die langfristigen finanzpolitischen Einflussfaktoren im Auge zu behalten. Der Fokus liegt auf den Rahmenbedingungen und Entwicklungslinien, die für die Zukunft der drei Stadtstaaten und insbesondere für die Freie Hansestadt Bremen von fortdauernder oder sogar zunehmender Bedeutung sein können.


Im Mittelpunkt der heutigen Veranstaltung soll die Berücksichtigung der Stadtstaaten bei der Verteilung des gesamtsstaatlichen Steueraufkommens und im System des Länderfinanzausgleichs stehen.


Worin besteht die sogenannte "Stadtstaatenproblematik" im einzelnen?
Stadtstaaten-spezifische Problematiken gibt es sowohl auf der Einnahmen- wie auch auf der Ausgabenseite.
Die Probleme besonderer Ausgabelasten wiegen dabei nicht ganz so schwer wie die strukturellen Benachteiligungen auf der Einnahmenseite.


Auf der Ausgabenseite sind vor allem zu nennen:

  1. Überdurchschnittliche Sozialhilfebelastungen
    • In großstädtischen Verdichtungsräume - Bremen, Hamburg, Berlin und anderen Großstädte – sind überdurchschnittlich viele Menschen auf Sozialhilfe angewiesen.
    • Wenn Bremen lediglich die gleichen pro-Kopf-Ausgaben wie der Durchschnitt der West-Flächenländern tragen müsste, könnten jährlich etwa 250 Mio. € eingespart werden – bei einem Haushaltsvolumen von knapp 4,2 Mrd € also 5,8 % !
    • Die von „Hartz IV“ erwarteten Effekte sind für uns deshalb aus finanzpolitischer Sicht ein unverzichtbarer Beitrag zu einer teilweisen Entlastung.


  2. Überproportionale Zinslasten
    • Die Sanierungshilfen haben die übermäßigen Zinslasten abmildern, aber nicht beseitigen können.
    • Bremen musste 2002 noch 11,9 % der Ausgaben für den Zinsdienst aufwenden. Zum Vergleich: Hamburg 10,4 % und die West-Flächenländer im Schnitt nur 6,6 %.

Hätte Bremen ebenfalls nur durchschnittliche Zinslasten zu tragen, könnten 320 Mio € jährlich eingespart werden.

Auf der Einnahmenseite drücken uns vor allem folgende Probleme:
Großstädte sind immer wirtschaftsstark, wenn man sie mit Flächenländern direkt vergleicht.
Das Problem Bremens ist: Die originäre Steuerstärke bleibt deutlich hinter der Wirtschaftsstärke zurück. Unter Einbeziehung der Steuerverteilung vor Länderfinanzausgleich, ist die Freie Hansestadt Bremen – gemessen an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit (BIP je Einwohner) – Geberland.


Die Zerlegungsregeln und Verteilungsmechanismen der beiden aufkommenstärksten Steuerarten in Deutschland sind, bringen für Bremen ernste Probleme mit sich:

  • Die 1970 eingeführte Zerlegung der Lohnsteuer nach dem Wohnsitz der Steuerpflichtigen führte aufgrund des allgemeinen Trends zur Abwanderung in das großstädtische Umland bei einem gleichzeitig stark anwachsenden Einpendlerstrom zu dramatischen Einnahmeverlusten bei dieser wichtigen und dynamischen Steuerquelle.
  • Die Umsatzsteuer wird in Deutschland zwischen den Ländern aufgeteilt. Und zwar nicht nach der örtlichen Mehrwertschöpfung oder nach dem örtlichen Endverbrauch, sondern nach einem völlig wirtschaftskraft-unabhängigen bundeseinheitlichen Verteilungsmechanismus:
  • Maximal ein Viertel fließt als Ergänzungsanteil an besonders finanzschwache Länder. Dies stellt die erste Stufe bewusster Finanzkraftauffüllung für Länder dar.
  • Die restlichen drei Viertel oder noch mehr werden schlicht nach Einwohnerzahl zugeordnet.

Diese Umverteilungswirkungen bei der Umsatzsteuer erreichen ein größeres Volumen als bei dem eigentlichen, anschließenden Länderfinanzausgleich – dieser Aspekt kommt in der öffentlichen Diskussion regelmäßig zu kurz!


Im neuen Länderfinanzausgleich ab dem nächsten Jahr sind diese Umverteilungseffekte noch deutlich verstärkt worden - gerade um den LFA volumenmäßig zu entlasten.


Bremen ist bei der Umsatzsteuerverteilung immer auf Seiten der zahlenden Länder eingeordnet worden, weil an dieser Stelle die relative großstädtische Wirtschaftsstärke bei der Steuerkraftermittlung keine Rolle spielt. Hier liegt also für Bremen durchaus ein Problem bei der Verteilung der originären Steuerkraft.


Zur Problematik der Berücksichtigung der "Strukturellen Andersartigkeit der Stadtstaaten" im Länderfinanzausgleich ist schon viel Vernünftiges, manchmal auch weniger Vernünftiges, geschrieben und gesagt worden.


Fakt ist, dass die Einwohnerwertung im Länderfinanzausgleich die finanzielle Basis für die Selbständigkeit der Stadtstaaten darstellt.

Dies verdeutlicht noch einmal die Wichtigkeit unseres heutigen Themas. Ich wünsche mir gerade auch zu diesem Problemkreis anhand der beiden Gutachten Impulse für eine anregende sachorientierte Diskussion.


Dabei soll es nicht um die konkrete finanzielle Forderungen von irgendeiner Seite gehen – gerade das würde eine sachorientierte Diskussion überlagern und die Erörterung dieses höchst wichtigen und komplexen Themas der Finanzverteilung in unserem föderalen System erschweren.


Ich strebe deshalb heute Abend auch keine abschließende Bewertung der Vorschläge der beiden Gutachter an. Es geht mir eher um einen wissenschaftlich-fundierten Diskurs aus der Sicht der Fach-Administration und Fachpolitik.


Die Argumente für die Andersartigkeit der Stadtstaaten, die uns beide Gutachten liefern, müssen wir in den kommenden Monaten gemeinsam mit den Kollegen aus den anderen Stadtstaaten diskutieren – ich freue mich deshalb besonders, dass der Kollege Sarrazin heute Abend dabei ist.


Lassen Sie uns deshalb keine Zeit verlieren und nun mit den beiden fachlichen Inputs beginnen!“

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