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Der Senator für Inneres und Sport

Verfassungsschutzbericht 2012: Rechtsextremismus verändert sich

Senator Mäurer: Verfassungsschutzämter erneuern, aber nicht abschaffen

21.06.2013

Der Senator für Inneres und Sport der Freien Hansestadt Bremen, Ulrich Mäurer, hat heute (21. Juni 2013) gemeinsam mit dem Leiter des Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV), Hans-Joachim von Wachter, den Verfassungsschutzbericht 2012 vorgestellt. Mäurer wies darauf hin, dass die Verfassungsschutzbehörden der Länder und des Bundes in dem vergangenen Jahr selbst im Mittelpunkt der politischen Diskussion gestanden haben. Die Zwischenergebnisse der verschiedenen sich mit den Vorfällen um die Terrororganisation „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) beschäftigenden Untersuchungsausschüsse und Kommissionen machen nach Darstellung des Senators deutlich, dass die fehlerhafte Arbeit des Verfassungsschutzes sowie die mangelhafte Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden untereinander zum Zeitpunkt der damaligen Ereignisse mitursächlich für das Versagen der Sicherheitsbehörden bei der Aufklärung der Morde des NSU waren.

Nach den zahlreichen Fehlleistungen der Sicherheitsorgane im Zusammenhang mit den Morden des NSU gehe es jetzt bundesweit darum, den Verfassungsschutz neu aufzustellen: „Es geht um die Neuausrichtung und eine bessere Zusammenarbeit der Sicherheitsorgane. Auf den Verfassungsschutz kann nicht verzichtet werden“, betonte Mäurer. Die Abschaffung des Verfassungsschutzes, wie sie teilweise bereits gefordert wurde, würde die Abwehrmöglichkeiten unserer Demokratie gegen politischen und gewaltorientierten Extremismus erheblich schwächen.
Zugleich wies er darauf hin, dass das Land Bremen und das Landesamt für Verfassungsschutz von dieser Diskussion weniger betroffen gewesen sei, da bisher keine Bezüge zum NSU festgestellt werden konnten. Außerdem seien durch die inhaltliche und organisatorische Neuaufstellung des Amtes bereits im Januar 2008 hier eine Reihe der derzeit bundesweit diskutierten Reformvorstellungen schon umgesetzt worden. Dazu gehören eine größere Transparenz und eine engere Zusammenarbeit mit anderen Behörden, insbesondere mit der Polizei. „Ohne das grundsätzliche Trennungsgebot zwischen Polizei und Verfassungsschutz in Frage zu stellen, hat sich in den letzten Jahren eine vertrauensvolle Zusammenarbeit entwickelt, die der Arbeit beider Sicherheitsbehörden und damit dem Schutz der Bürgerinnen und Bürger dient“, so Mäurer. Die positiven Effekte der hiesigen Veränderungsprozesse konnte Bremen auch in die bundesweiten Reformüberlegungen der Sicherheitsbehörden einbringen.

Dennoch kündigt Mäurer an, bei der anstehenden Novellierung des Verfassungsschutzgesetzes weitere Verbesserungen vorzunehmen. „Wir wollen den Verfassungsschutz noch transparenter machen sowie tatsächlichem oder vermeintlichem Missbrauch vorbeugen,“ erklärte Mäurer. So werde er dem Parlament vorschlagen, dass vor dem Einsatz von V-Leuten gegen bestimmte Beobachtungsobjekte die Genehmigung der G-10-Kommission der Bremischen Bürgerschaft vom Senator für Inneres einzuholen ist.

Schwerpunkte der Arbeit des LfV waren auch im Jahr 2012 die Beobachtung des Rechtsextremismus sowie des Salafismus und des islamistischen Terrorismus.
Im Bereich des Rechtsextremismus ist laut Verfassungsschutzbericht ein signifikanter Wandel festzustellen. Parteien wie die NPD stagnieren oder leiden unter Mitgliederschwund. Auch die neue Strategie der „seriösen Radikalität“ der NPD, die auf ein mehr bürgerliches Image zielte, blieb weitgehend erfolglos. Dagegen gründeten sich angesichts eines bevorstehenden NPD-Verbotsverfahrens und eines sich seit längerem abzeichnenden strukturellen Wandels neue Parteien und neue Personenzusammenschlüsse in der neonazistischen Szene. Die Steigerung des gesellschaftlichen und repressiven Druckes auf Rechtsextremisten führt zu neuen, meist konspirativeren Erscheinungsformen.
So ist in der neonazistischen Szene ein leichter Zuwachs Personenpotenzials in Bremen festzustellen. „Die Aktionsorientiertheit der Neonazis wirkt offenbar anziehend auf junge Personen“, so die Einschätzung des Verfassungsschutzleiters von Wachter
Während das Organisationsmodell der Kameradschaften an Bedeutung verliere, sei die Bildung „kleiner, regionaler Gruppen festzustellen, die aufgrund enger persönlicher Kontakte keine größeren Organisationsstrukturen benötigen und intensiv über das Internet kommunizieren“.
Dazu gehört nach seiner Darstellung beispielsweise die „Identitäre Bewegung“, die sich Ende 2012 auf Facebook gründete. Sie betone, dass sie sich „rigoros“ von „Neonazis, Rechtsextremisten und Rassisten“ distanziere und jegliche Zusammenarbeit mit ihnen ablehne. „Dass dies jedoch tatsächlich nicht der Fall ist, zeigt das Engagement bekannter Bremer Neonazis in der IBB“, so von Wachter. Ihre nationalistische, fremden- und insbesondere islamfeindliche Einstellung verbreiten die „Identitären“ auf professionell gestalteten Plakaten, Flyern und Videos, die insbesondere dazu geeignet erscheinen, junge aktionsorientierte Personen anzusprechen. Dieser Strukturwandel bedarf nach den Worten von Wachters veränderter Maßnahmen auch zur Analyse der Randbereiche zum Rechtsextremismus – sei es bezogen auf die politischen Auffassungen oder die personellen Verflechtungen zu anderen Gruppierungen.

Hinsichtlich möglicher Terroranschläge islamistischer Terroristen ist auch im Jahr 2012 keine Entwarnung eingetreten. Im Gegenteil: Mit Videobotschaften in deutscher Sprache sollten auch im Jahr 2012 neben Terrororganisationen insbesondere radikalisierte Einzeltäter zu Terroranschlägen in Deutschland und Europa animiert werden. Daher ist nach wie vor von einer abstrakt hohen Gefährdung Deutschlands durch islamistische Terroristen oder Terrororganisationen auszugehen, heißt es in dem Verfassungsschutzbericht.
Doch extremistische Gefährdungen manifestieren sich nicht allein in der Androhung von Terroranschlägen. Der Bericht macht deutlich, dass auch die diversen Aktionen von Salafisten im vergangenen Jahr von Problemen zeugen, die der weiteren Beobachtung bedürfen.
Während bundesweit eine signifikante Zunahme der Salafisten zu verzeichnen ist, stagniert in Bremen die Zahl auf verhältnismäßig hohem Niveau. Der Unterschied ist nach Darstellung des Verfassungsschutzchefs leicht zu erklären: „Bremen hat früher als andere Länder dieser extremistischen Gruppierung größere Aufmerksamkeit geschenkt. Durchsuchungsmaßnahmen bereits Ende 2010 haben dazu beigetragen die Erkenntnisse zu verbessern. Außerdem ist die Lage in dem kleinsten Bundesland überschaubarer, die Salafisten konzentrieren sich auf zwei eindeutig salafistische Moscheen, das Islamische Kulturzentrum (IKZ) und den Kultur- und Familienverein (KuF)“. Zu den Hauptgefahren des Salafismus zählen seine radikale Ideologie, die gegen unsere staatliche Grundordnung gerichtet ist und eine Abschottung vom Rest der Gesellschaft betreibt. Grund zur Besorgnis ist auch die intensive, immer professioneller werdende Missionierungsarbeit und die Attraktivität dieser islamistischen Ausprägung auf junge Menschen. Zugleich ist auch eine steigende Gewaltbereitschaft insbesondere gegenüber islamkritischen bzw. -feindlichen Positionen zu beobachten.