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Senatskanzlei

„Samizdat“ wird im Europäischen Parlament in Brüssel gezeigt

04.11.2002

Bürgermeister Dr. Henning Scherf reist am morgigen Dienstag nach Brüssel, um dort gemeinsam mit Günter Verheugen (Mitglied der Europäischen Kommission) und Karin Jöns (Mitglied des Europäischen Parlaments) die Ausstellung „Samizdat“ der Bremer Forschungsstelle Osteuropa zu eröffnen. Die einzigartige Schau mit Exponaten der alternativen Kultur in Zentral- und Osteuropa aus den 60er bis 80er Jahren wird vom 5. bis 15. November im Europäischen Parlament zu sehen sein. Zuvor war die Präsentation unter der Schirmherrschaft von Vaclav Havel und Johannes Rau im Tschechischen Nationalmuseum in Prag mit überaus großem Erfolg gezeigt worden. Insgesamt 68.000 Menschen besuchten dort die Ausstellung. Erstmalig war „Samizdat“ in der Akademie der Künste in Berlin im Herbst 2000 einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden.


Zur Eröffnung der Ausstellung am 5. November um 18.30 Uhr werden auch bedeutende Dissidenten sprechen, nämlich

- Wladyslaw Bartoszewski, ehemaliger Außenminister der Republik Polen. Bartoszewski war Mit-Begründer der geheimen „Fliegenden Universität“ in Warschau,

- Larissa Borgoraz, eine der ersten, öffentlich auftretenden russischen Bürgerrechtlerinnen. Sie initiierte im Samizdat die historische Zeitschrift „Pamjat“, die sich um die Aufarbeitung der Stalinischen Verbrechen bemühte.

- Gábor Demszky, Oberbürgermeister von Budapest. Er gehörte zu dem kleinen Kreis ungarischer Dissidenten, die die Solidaritätserklärung mit der tschechischen Charta 77 unterzeichneten.


„Samizdat“ – hinter diesem russischen Begriff verbirgt sich eine eigene, geheimnisvolle Welt. Eine, die sich Autoren und Künstler in Osteuropa vor 1989 selbst erschaffen hatten. Sie ermöglichte ihnen, ihre Flugblätter, literarischen Texte und künstlerischen Werke außerhalb der staatlichen Kontrolle zu verbreiten. So steht das russische Wort „Samizdat“ für „Selbst-Verlag“. Seit Mitte der 50er Jahre entwickelten sich in der Sowjetunion, in Polen, in der Tschechoslowakei, in Ungarn und in der DDR eine Reihe von Zirkeln mit dem Ziel, jenseits der staatlichen Zensur einen eigenen, autonomen Kulturbereich zu schaffen. „Samizdat“ bezeichnet diese parallele Kultur, in der sich trotz permanent drohender Verhaftungen Bürgerrechtsgruppen formierten. Zu ihren Aktivitäten gehörte die Dokumentation von Menschenrechtsverletzungen. Schriftsteller ließen ihre Werke im Untergrund zirkulieren, Theatergruppen führten Stücke in privaten Wohnungen auf, halboffizielle Galerien stellten Werke verfemter Künstler aus. In sogenannten „fliegenden Universitäten“ wurde das gelehrt, was seit den 40er Jahren tabuisiert war.


Die Forschungsstelle Osteuropa der Universität Bremen unter der Leitung von Prof. Dr. Wolfgang Eichwede hat mehr als 100. 000 dieser Dokumente in mühevoller Arbeit, oft unter schwierigen Bedingungen, zusammengetragen. Die rund 250 Exponate der Ausstellung stammen zum größten Teil aus dem Archiv des Bremer Instituts, ergänzt durch Leihgaben aus anderen europäischen Sammlungen.


Zu den Besonderheiten gehören Kassiber aus russischen und polnischen Straflagern, maschinengeschriebene Ausgaben von Alexander Solschenizyns „Archipel Gulag“ oder Fotografien über eine geheimdienstliche Beschattung eines Charta 77-Dissidenten. Auch die legendenumwobene „Chronik der laufenden Ereignisse“, die in der Sowjetunion von 1968 bis 1983 trotz aller Verhaftungen in 65 Ausgaben erschien, gehört zu den Highlights der Ausstellung. Aus der ehemaligen DDR werden Bilder und Zeichnungen verbotener Künstler gezeigt. Die Präsentation ist länderübergreifend konzipiert und ihre Exponate sind nach Themen geordnet. So wird ein vergleichender Blick auf die verschiedenen Kulturen möglich.


Achtung Redaktionen:
Zur Ausstellungseröffnung am Dienstag, 5. November, findet um 16 Uhr findet im Europäischen Parlament in Brüssel, Salle Polyvalente, Rue Wiertz 60, Altiero Spinelli Building, eine Pressekonferenz statt. Teilnehmen werden: Prof. Wolfgang Eichwede, Direktor der Forschungsstelle Osteuropa der Universität Bremen , Christian Bruns, Leiter der Bremen-Vertretung bei der Europäischen Union sowie Laslo Rajk, der die Ausstellung konzipiert hat.