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Senatskanzlei

Bilanz zum deutschen Sozialstaat:Zehn Jahre Forschung im Zentrum für Sozialpolitik

29.11.2000

Sammelband „Der deutsche Sozialstaat: Bilanzen – Reformen – Perspektiven“ heute im Bremer Rathaus vorgestellt

Eine Tagung zur "Sozialpolitik in Deutschland" hat das Zentrum für Sozialpolitik der Universität Bremen zum zehnjährigen Bestehen im Oktober 1999 veranstaltet. Die Sozialpolitik in Deutschland und ihre Reformen wurden bilanziert und Perspektiven für den deutschen Sozialstaat entwickelt. Der Tagungsband mit dem Titel „Der deutsche Sozialstaat: Bilanzen - Reformen – Perspektiven“ ist jetzt in der Schriftenreihe des Zentrums für Sozialpolitik im Campus-Verlag erschienen. Er wurde heute (29.11.2000) auf einer Pressekonferenz im Bremer Rathaus vom Präsidenten des Senats, Bürgermeister Dr. Henning Scherf, und den Herausgebern Professor Stephan Leibfried und Dr. Uwe Wagschal vorgestellt. Die Hälfte der Beiträge geht auf die Tagung zurück. Zudem wurden Wissenschaftler/innen des Zentrums für Sozialpolitik und andere Fachautoren, die mit dem Zentrum kooperieren, um ergänzende Beiträge gebeten. So entstand ein umfassendes Werk zur Situation und Zukunft der deutschen Sozialpolitik.

Drei Grundprinzipien prägen die Beiträge: Die Unterteilung in Bilanzen, Reformen und Perspektiven der Sozialpolitik, die Berücksichtigung der wesentlichen Sozialversicherungszweige in Deutschland (Renten-, Kranken-, Pflegeversicherung und Arbeitsförderung) sowie der historische bzw. internationale Vergleich. Letzterer ermöglicht die internationale Verortung des deutschen Sozialstaats: Sie fällt besser aus, als es viele Veröffentlichungen zur "Krise des Sozialstaats" nahe legen. Professor Hans F. Zacher – als Gründer des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Sozialrecht ein Doyen der einschlägigen Forschung - befürchtet angesichts der Globalisierung eher eine Krise des politischen Systems, die sich dann auch auf den Sozialstaat auswirkt. Er sieht eine bekannte Lösung in Form einer großen Koalition und eine neue in einem Sachverständigenrat für Sozialpolitik als unabhängigem Beratungsgremium der Bundesregierung. Dieses Fachgremium solle die Situation und die Wirkungen des Sozialstaats gesamthaft analysieren und einen jährlichen Bericht vorlegen. Die isolierte Wahrnehmung von Teilinteressen führe zur Durchsetzung starker Verbände und Interessengruppen oder zur einseitigen Effizienzbetrachtung. Der Rat könne neutraler Schiedsrichter sein und den kurzfristigen Zeittakt der Demokratie (Wahlperioden) durchbrechen. Die Forschung zur Sozialpolitik müsse die Grundlagen für eine solide Politikberatung bieten. Das Bremer Zentrum für Sozialpolitik gehört zu den wichtigsten interdisziplinären Forschungsinstitutionen in Deutschland, wie auch der umfassende Tagungsband zeigt. Dort arbeiten etwa 40 Wissenschaftler/ innen, die seit 1988 etwa 35 Millionen Mark Forschungsmittel eingeworben haben.

Der Bericht betont weiter das Spannungsverhältnis von Globalisierung, deutscher Einheit und hohen Lohnnebenkosten für den Arbeitsmarkt. Nach Professor Franz-Xaver Kaufmann (Universität Bielefeld) sind die hohen Lohnnebenkosten vor allem dadurch bedingt, "dass die im dreistelligen Milliardenbereich liegenden Defizite der sozialen Sicherung nicht aus Steuer-, sondern aus Beitragsmitteln finanziert werden". Dies trifft nur Arbeitnehmer und nicht alle Bürger. Ohne diese Belastung wären die Beitragssätze um acht Prozentpunkte niedriger, lägen also nur noch bei gut 30%. Ein Thema der Tagung war auch die Bildungspolitik: Nur eine gut ausgebildete Jugend könne das erforderliche Wirtschaftswachstum zur langfristigen Finanzierung des Sozialsystems sichern. Der Bildungssektor sei aber in Deutschland unterfinanziert. Hier entfielen nur 4,5 % des Bruttoinlandsproduktes auf die Bildung, in anderen Industrieländern zwischen fünf und sechs Prozent oder mehr (Schweden 6,6 %). Die Autoren sehen hier einen deutschen Standortnachteil, der von der Öffentlichkeit zu wenig wahrgenommen werde. Sie betrachte die Bildungs- und die Sozialpolitik, anders als in den USA, Großbritannien und auf EU-Ebene, nicht integriert. Sozialstaatsreform müsse auch Bildungsreform sein und umgekehrt.


Weitere Auskünfte zum Bericht und Zentrum für Sozialpolitik: Prof. Dr. Stephan Leibfried (stlf@zes.uni-bremen.de; Tel. 0421/218-4382); Dr. Uwe Wagschal (uwagscha@zes.uni-bremen.de; Tel. 218-4061).