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Senatskanzlei

Bremer Bürgermeister Böhrnsen spricht vor Bundesrat zur Föderalismus-Reform

15.12.2006

„So wie das bundesdeutsche Finanzsystem derzeit aussieht, kann es nicht bleiben“

In ihrer letzten Sitzung vor dem Jahreswechsel haben Bundestag und Bundesrat heute (15.12.2006) jeweils die Einsetzung einer gemeinsamen Kommission zur Modernisierung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen beschlossen. Die Kommission soll dazu Vorschläge erarbeiten mit dem Ziel, die Finanzbeziehungen den veränderten Rahmenbedingungen inner- und außerhalb Deutschlands insbesondere für Wachstums- und Beschäftigungspolitik anzupassen. Die Vorschläge sollen dazu führen, die Eigenverantwortung der Gebietskörperschaften und ihre aufgabenadäquate Finanzausstattung zu stärken.

Bürgermeister Jens Böhrnsen, der Bremen in der Kommission vertreten wird und überdies mit der Aufgabe betraut wurde, die Koordination für die SPD-regierten Bundesländer zu übernehmen, setzte in seiner heutigen Rede vor dem Deutschen Bundesrat auf Konsens- und Kompromissfähigkeit aller Beteiligten. Böhrnsen sagte unter anderem:"Die Ausgangslage ist geprägt durch durchaus widersprüchliche Interessen und kontroverse Argumentationslinien. Wir werden Brücken dazwischen finden müssen. Wir werden Kompromiss- und Konsensfähigkeit brauchen. Wir werden eine Balance finden müssen zwischen verständlichen Eigeninteressen und gesamtstaatlicher Verantwortung. Wir müssen Lösungen finden, mit denen wir die dringend nötigen Verbesserungen des bundesdeutschen Finanzsystems erreichen, ohne dabei einseitig Sieger und Verlierer zu produzieren."


Die Pressestelle des Senats dokumentiert hier die Rede von Bürgermeister Böhrnsen im Wortlaut:


Rede des Präsidenten des Senats der Freien Hansestadt Bremen, Bürgermeister Jens Böhrnsen, im Deutschen Bundesrat anlässlich der Einsetzung der Kommission zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung (Föderalismus-Reform II)


15.12.06



„Sehr geehrte Damen und Herren,

das ist ein besonderer Tag. Bund und Länder haben sich gemeinsam ein ehrgeiziges Ziel und – aus meiner persönlichen Sicht – auch dringend nötiges Ziel gesetzt. Zusammen wollen wir die Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern neu ordnen und ein schlüssigeres, leistungsfähigeres und gerechteres Finanzsystem für Deutschland, den Bund, die Länder und - ich füge bewusst hinzu: auch für unsere Kommunen – erarbeiten.
Uns allen ist dabei klar: Wir haben uns ein großes Stück Arbeit vorgenommen. Aber ich bin überzeugt: Sie ist nötig, und sie lohnt sich. Ich fand es richtig, dass die Bundesregierung dieses Thema schon in ihrem Koalitionsvertrag weit oben in die Agenda gesetzt hat. Und auch der Auftrag des Bundesverfassungsgerichts ist meines Erachtens eindeutig. Er lautet: So wie das bundesdeutsche Finanzsystem derzeit aussieht, kann es nicht bleiben. Es führt zu Verwerfungen, Fehlanreizen und Ungerechtigkeiten.

Kurz: Wir haben einen Auftrag, und mit den heutigen Beschlüssen im Bundestag und im Bundesrat stellen wir uns diesem Auftrag und machen uns an die Arbeit.
Wir haben uns bisher im Wesentlichen auf Verfahrensfragen konzentriert. Jeder unter uns weiß: Kluge Verfahrensregelungen sind wichtig. Die Diskussion um die - kontroversen - Inhalte haben wir dagegen weitgehend vermieden. „Offene Themenliste“, die nur vage die zu diskutierenden Punkte umschreibt.

Dabei stehen wir alle unter großen Erfolgserwartungen. Wir haben eine hohe Verantwortung übernommen. In der Sache. Gegenüber der Öffentlichkeit. Bis zum Ende der Legislaturperiode wollen wir trotz des sperrigen und kontroversen Themas ein respektables und überzeugendes Ergebnis vorzeigen. Ich bin sicher: Wir haben die Chance dazu, und wir wollen und sollten sie nutzen.
Wichtig ist deshalb, dass wir zügig einen Einstieg in die inhaltlichen Fragen vornehmen. Es geht jetzt darum, den Arbeitsprozess auf der Länderseite zu strukturieren. Das ist nicht nur eine Frage der Organisation, es ist auch und vor allem eine Frage der Inhalte.
Dabei ist jedem klar: Die Ausgangslage ist geprägt durch durchaus widersprüchliche Interessen und kontroverse Argumentationslinien. Wir werden Brücken dazwischen finden müssen. Wir werden Kompromiss- und Konsensfähigkeit brauchen. Wir werden eine Balance finden müssen zwischen verständlichen Eigeninteressen und gesamtstaatlicher Verantwortung. Wir müssen Lösungen finden, mit denen wir die dringend nötigen Verbesserungen des bundesdeutschen Finanzsystems erreichen, ohne dabei einseitig Sieger und Verlierer zu produzieren.

Die Positionen der handelnden Parteien auf der Länderseite stehen uns doch im Grunde recht klar und deutlich vor Augen.

Ein Teil der Länder fürchtet darum, immer mehr in den Prozess des Ausgleichs einzahlen zu müssen und wünschen sich mehr Wettbewerb und Selbstbehalt. Die anderen Länder bräuchten dagegen größere Entlastungen und stehen einem erhöhten Wettbewerb unter den Ländern skeptisch gegenüber, weil sie meinen, das nicht schultern zu können. Die neuen Länder haben für sie unverzichtbare Rechte und Ansprüche im Solidarpakt II und durch die erste Stufe der Föderalismusreform gesichert und sehen in jeder Veränderung zugleich ein Risiko.

Das mag jetzt etwas holzschnittartig sein. Aber es erfasst die wesentlichen Fragen.

Meine Damen und Herren,
das sind politische Fragen, die nach meiner Meinung zuerst geklärt werden müssen und können. Wenn wir auf der Länderseite das nächste halbe Jahr damit verbringen, zunächst nur Material zu sichten, laufen wir Gefahr, in der Sache nicht voranzukommen. Im schlechtesten Falle würden von allen Seiten nur die bekannten Argumente und Positionen vorgetragen werden, wir werden auf der Stelle treten und die Kommission in einem Berg von Papier versinken.

Ein Erfolg der Kommission wäre damit von vorneherein in Frage gestellt. Dabei – ich sage es nochmals - gibt es gesamtstaatlich ein ganz massives Problem zu lösen. Wachstum und Beschäftigung in Deutschland müssen gestärkt werden, aber die Organisation der öffentlichen Finanzen ist dafür nicht mehr zeitgemäß. Die Verschuldung von Bund und Ländern hat allgemein ein alarmierendes Ausmaß erreicht. Und als Regierungschef eines Stadtstaates und Präsidiumsmitglied des Deutschen Städtetags erinnere ich daran: Viele Kommunen sind ebenfalls finanziell an den Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit. Wir alle wissen aus Gegenwart und Geschichte, welch fatale politische Folgen eine zu hohe Staatsverschuldung nach sich ziehen kann.

Nach meiner Auffassung ist es sinnvoll, auf Seiten der Länder jetzt - schon zu Beginn des Prozesses - einen Korridor möglicher politischer Lösungen zu definieren. Die Arbeit der Kommission könnte bei diesem Vorgehen auf die Felder konzentriert werden, in denen es reale Erfolgschancen gibt. Zumindest könnten die Länder darauf gemeinsam hin wirken. Ich glaube, wir können und sollten schon zu Beginn unserer Arbeit mögliche Sackgassen erkennen. Wir sollten sie meiden und uns auf realistische Chancen der Verständigung konzentrieren. Das Feld, auf dem ein in der Sache vernünftiges und im Interessenausgleich gerechtes Geben und Nehmen denkbar ist, bleibt auch dann groß genug.

Ich erhebe nicht den Anspruch, diesen Lösungskorridor abschließend definieren zu wollen. Aber ich habe einige aus meiner Sicht zentrale Elemente benannt:

  • Ich halte mehr Wettbewerb bei mehr Chancengleichheit für denkbar, also mehr Eigenständigkeit in der Steuerpolitik und stärkere Anreize im bundesstaatlichen Ausgleichssystem. Aber das geht nur, wenn gleichzeitig vergleichbare Ausgangsbedingungen und Startchancen für alle Länder geschaffen werden.
  • Drohende Haushaltsnotlagen sollen zukünftig frühzeitig erkannt und ihr Entstehen verhindert werden - durch Kontrolle, Auflagen und gegebenenfalls auch Sanktionen.

    Aber diese werden nachhaltig nur greifen, wenn zugleich durch

    • eine aufgabenadäquate Finanzausstattung
    • ein gerechteres Steuersystem
    • vielleicht auch eine flexiblere Aufgabenverteilung und Finanzierung im Verhältnis von Bund und Ländern

    die Lasten und Sonderlasten einzelner Länder finanzpolitisch aufgefangen werden.

Im Mittelpunkt steht damit der Gedanke, mehr Wettbewerb mit mehr Chancengleichheit zu verbinden.

Dazu werden finanzstarke und finanzschwache Länder Kompromissbereitschaft zeigen müssen. Es kann nur ein Geben und Nehmen auf allen Seiten sein. Anders werden wir nicht weiter kommen.

Nur so wird die Gesamtreform aber auch ein Gewinn für alle Seiten sein können.

Anrede,
In diesem Sinne wünsche ich uns gemeinsam Erfolg. Wir brauchen ihn. Gehen wir an die Arbeit.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.“