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Senatskanzlei

Trauer um Annemarie Mevissen

13.07.2006

Die große Dame der Bremer Nachkriegspolitik starb im Alter von 91 Jahren / Bürgermeister Jens Böhrnsen würdigt großartige Bremerin, herausragende Politikerin und überzeugte Sozialdemokratin

Bremens ehemalige Bürgermeisterin und Ehrenbürgerin Annemarie Mevissen ist am 13. Juli 2006 im Alter von 91 Jahren gestorben.

„Wir verlieren eine großartige, mutige und von tief empfundener sozialer Verantwortung geprägte Bürgerin unserer Stadt“, würdigte Bürgermeister Jens Böhrnsen die verstorbene Bremer Ehrenbürgerin. „Annemarie Mevissen war eine herausragende Politikerin, eine überzeugte Sozialdemokratin und ein wunderbarer Mensch. Sie hat den Wiederaufbau Bremens und das demokratische und soziale Bremen der Nachkriegszeit nachhaltig geprägt und sich große Verdienste um unser Land erworben. Gerechtigkeit, Chancengleichheit, Pflichtgefühl und Verantwortungsbewusstsein für Kinder, Ältere und Schwächere waren die Maximen ihres langjährigen engagierten politischen Handelns als Bremer Senatorin und Bürgermeisterin. Vielen Bremerinnen und Bremern ist sie auch aufgrund ihres mutigen Einsatzes bei den Straßenbahnunruhen 1968 unvergesslich, als es ihr couragiert und besonnen gelang, die aufgebrachten Studenten wieder für eine sachliche Diskussion zu gewinnen. Als Dank und Anerkennung für ihre vielfältigen Leistungen und als herausragendes Vorbild hat der Senat Annemarie Mevissen im vergangenen Jahr die Ehrenbürgerschaft zuerkannt. Wir danken Annemarie Mevissen für alles, was sie für Bremen getan hat. Wir werden sie nicht vergessen. Ihren Angehörigen gehört unsere Anteilnahme.“


Annemarie Mevissen war die erste und bislang einzige Bürgermeisterin der Freien Hansestadt Bremen. Als Senatorin (1951-1975) und Bürgermeisterin (1967 – 1975) hat sie die Bremische Politik entscheidend mitgeprägt. Sie gilt als die „große Dame“ der Bremer Nachkriegspolitik.


Annemarie Mevissen war ein echtes Kind Bremens. Am 24. Oktober 1914 geboren, wuchs sie zwischen den Brücken im Werderland auf. Im Jahre 1934 zog sie in ein Siedlungshaus in Oberneuland, in dem sie bis zu ihrem Lebensende wohnte. Sie entstammte einer Familie mit sozialdemokratischer Tradition. Ihr Vater Wilhelm Schmidt zählte in Bremen zu den bekanntesten Sozialpolitikern der Weimarer Republik. Bereits 1933 wurde er von den Nazis aus dem öffentlichen Dienst entfernt und später in ein Arbeitslager gebracht. Nach 1945 war ihr Vater wesentlich am Wiederaufbau der Bremer Verwaltung beteiligt. Seiner Tochter Annemarie wurde das Lehramtsstudium mit der Begründung „politisch unzuverlässig" verweigert, weil sie sich in der Arbeiterjugend engagiert hatte. Stattdessen ging sie als Buchhändlerin nach Leipzig, Marburg und Göttingen. 1943 heiratete sie den Verlagsbuchhändler Werner Mevissen, der als Bibliotheksdirektor bis zum Ruhestand 1975 über dreißig Jahre die Stadtbibliothek Bremen leitete. Zum Kriegsende kehrte das Ehepaar Mevissen in das zerstörte Bremen zurück.


1947 wurde die Mutter einer damals zweijährigen Tochter für die SPD als jüngste Abgeordnete in die Bremische Bürgerschaft gewählt. 1951, drei Jahre nach der Geburt ihres zweiten Kindes, wurde Annemarie Mevissen von Bürgermeister Wilhelm Kaisen als Senatorin für das Jugendwesen berufen, zu dem später die Ressorts für Sportförderung und für Wohlfahrt hinzukamen. Voller Idealismus und Tatkraft ging Annemarie Mevissen daran, die materiellen und sozialen Notstände in Bremen zu überwinden. Den Wiederaufbau Bremens sah sie nicht allein als eine bauliche oder ökonomische Herausforderung, sondern vor allem auch als Aufgabe, den arbeitslosen, ausgebombten oder vertriebenen Menschen wieder Mut und Zuversicht für eine lebenswerte Zukunft zu geben Gleiche Chancen, am Leben der Gemeinschaft teilzunehmen, war die entscheidende Triebkraft für ihren unermüdlichen politischen Einsatz. In den 23 Jahren ihrer Amtszeit wurde Bremen Schrittmacher für die Errichtung von beschützenden Werkstätten, Obdachlosenhilfe und Altenarbeit. Unter ihrer Ägide entstanden viele Sportplätze, Bäder und Erholungsgebiete, die den Ruf Bremens als sportfreudige Stadt begründeten.

Annemarie Mevissen war die erste Frau, die in einem Bundesland der Bundesrepublik Deutschland das Amt eines stellvertretenden Regierungschefs innehatte. Dies war und blieb bis zu ihrer Verabschiedung aus dem Senat im Jahre 1975 so ungewöhnlich, dass sie immer unter der männlichen Amtsbezeichnung „Bürgermeister" geführt wurde. Ihr damaliger Chef, Bürgermeister a.D. Hans Koschnick, hat Annemarie Mevissen als eine Persönlichkeit charakterisiert, die „ein ganzes Leben in engagierter Arbeit in der Politik für unser Land tätig war".

Sie galt als Politikerin von Format und gleichzeitig als Frau mit großer Ausstrahlung und Energie. Politik war für sie nicht nur Männersache. Trotz Ehemann und zwei Kindern widmete sie ihre volle Arbeitskraft dem Wohle Bremens. Ihr immenses Arbeitspensum ließ sich wohl nur mit der Freude erklären, ein Mehr an sozialer Gerechtigkeit zu erreichen. Spätestens seit den Schüler- und Studentendemonstrationen um die geplanten Tariferhöhungen der BSAG im Januar 1968 erwarb sie sich den Ruf, der „einzige Mann im Senat“ zu sein. Sie kletterte auf eine Streusandkiste und fand die richtigen Worte, um die gefährliche Situation wieder in Richtung Dialog zu lenken.

Im Februar 1975 schied sie nach 23 Jahren als bis dahin dienstälteste Landesministerin der Bundesrepublik aus der Politik aus. Danach verschaffte sich Annemarie Mevissen Anerkennung als Malerin und schrieb verschiedene Bücher über Bremen. Im Haus der Bremischen Bürgerschaft wurden ihre Bilder mit Bremer Motiven wiederholt ausgestellt.


Im September 2005 verlieh ihr der Senat das Ehrenbürgerrecht. Damit gehört Annemarie Mevissen zu den beiden ersten Ehrenbürgerinnen der Freien Hansestadt Bremen. Der Senat würdigte dadurch die bedeutenden und bleibenden Leistungen der Hanseatin um Bremen sowie ihr vorbildliches und selbstloses Engagement.