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Senatskanzlei

Perspektiven Bremens nach der Wahl des Präsidenten des Senats

10.11.2005

Der Präsident des Senats, Bürgermeister Jens Böhrnsen, hat sich heute (10.11.2005), zwei Tage nach seiner Wahl durch die Bremische Bürgerschaft, mit einer ersten Rede an die Abgeordneten der Bürgerschaft gewandt. Die Pressestelle des Senats dokumentiert die Rede im Wortlaut:


Rede des Präsidenten des Senats, Bürgermeister Jens Böhrnsen, zur Mitteilung des Senats an die Bremische Bürgerschaft vom 9.11.2005


„Herr Präsident, meine Damen und Herren,


dass ich heute als Präsident des Senats und Bürgermeister der Freien Hansestadt Bremen zu Ihnen sprechen darf, verdanke ich Ihrem Vertrauen. Dafür möchte ich Ihnen herzlich und aufrichtig danken. Und ich will Ihnen versprechen: Ich werde mich mit ganzer Kraft anstrengen, dieses Vertrauen zu rechtfertigen. Ich bin zehn Jahre lang Parlamentarier gewesen. Ich bin es gerne und mit Überzeugung gewesen. Eine gute Zusammenarbeit mit den Abgeordneten der Bremischen Bürgerschaft wird mir auch in meiner neuen Aufgabe ein ganz zentrales Anliegen sein.


Auch meinen Kolleginnen und Kollegen auf der Regierungsbank möchte ich an dieser Stelle nochmals zusagen: Ich will mit Ihnen fair, offen, vertrauensvoll und konstruktiv zusammenarbeiten. Denn mir ist sehr bewusst – so steht es schon in unserer Verfassung: Nur gemeinsam kann der Senat überzeugende Lösungen erarbeiten und das Vertrauen der Menschen rechtfertigen und immer wieder neu gewinnen.



Als Henning Scherf sich als Bürgermeister hier von uns verabschiedet und sich gleichzeitig als interessierter und engagierter Bremer Bürger zurückgemeldet hat – da hat wohl jeder hier gespürt: Das ist ein Einschnitt. Hier geschieht etwas Bedeutendes. 27 Jahre war Henning Scherf Mitglied des Senats, zehn davon Bürgermeister und Präsident des Senats. An der Spitze der großen Koalition hat er den Strukturwandel in unserem Land wesentlich mitgestaltet und geprägt.

Und mit seiner großen Integrationskraft war er - auch in schwierigen Zeiten - Garant des gesellschaftlichen und sozialen Zusammenhalts in unserem Land.

Mit seiner Fähigkeit, Brücken zu bauen, Vertrauen zu stiften, Optimismus auszustrahlen und Menschen gemeinsam für die Sache zu gewinnen, hat er sich, aber auch Bremen hohes Ansehen erarbeitet.


Dafür danke ich Henning Scherf. Ich bekenne gern: Ich bin stolz darauf, seine Arbeit im Bremer Rathaus weiterführen zu dürfen.


In den letzten zehn Jahren hat die große Koalition viel getan und eine Menge erreicht für unser Land und seine beiden Städte. Ich will heute ganz bewusst keine Neuauflage der Grundsatzdebatte über die Bilanz der bisherigen Sanierungsarbeit anregen. Ich will nicht erneut die Erfolge aufzählen - vom Technologiepark über die Häfen bis zur Airport-City und zur Stadt der Wissenschaft. Wir haben diese Diskussion in der Vergangenheit aus guten Gründen immer wieder geführt. Und wenn die eine Seite in diesem Haus auf die Erfolge der Luft- und Raumfahrtindustrie verwies, sagte die andere „Musical“ oder „Space Park“. Ich will diese Debatte heute nicht wiederholen.


Ich will heute auch nicht erneut die Grundlagen der Zusammenarbeit in der Großen Koalition erläutern. Der Koalitionsvertrag gilt. Beide Parteien stehen uneingeschränkt zu ihren Vereinbarungen. Das gleiche gilt für die Verabredungen, die wir im Frühjahr im Koalitionsausschuss getroffen haben. Beides bleibt Grundlage unserer gemeinsamen Arbeit in der Großen Koalition.


Schließlich: Ich will heute bewusst auch keine von der Liebe zum Detail geprägte Übersicht über sämtliche Aufgaben des Senats und der einzelnen Ressorts für die vor uns liegenden Jahre geben. Alle Mitglieder des Senats wissen, dass in jedem Politikfeld unverzichtbare Beiträge für die Zukunft unserer beiden Städte vorbereitet und geleistet werden müssen.



Ich will heute mit Ihnen nach vorne blicken und mich dabei bewusst auf die entscheidenden und größten Herausforderungen konzentrieren.


Die erste lautet: Trotz der unübersehbaren Erfolge der letzten zehn Jahre ist es uns nicht gelungen, die bedrückend hohe Arbeitslosigkeit in Bremen und Bremerhaven abzubauen. 53.000 Arbeitslose, davon 13.000 in Bremerhaven - damit will und werde ich mich nie abfinden, und ich bin sicher: Niemand in diesem Haus kann und will das.


Die zweite Herausforderung liegt in der dramatischen Situation unserer öffentlichen Haushalte. Fast 13 Milliarden Schulden, vier Milliarden Ausgaben bei drei Milliarden Einnahmen pro Jahr, 500 Millionen Zinsen mit steigender Tendenz bei der Gewissheit, dass wir weitere finanzielle Hilfen des Bundes erst vor dem Verfassungsgericht erstreiten und in Verhandlungen durchsetzen müssen – all das zwingt uns, unsere Anstrengungen zu einer Konsolidierung des Haushalts nachdrücklich zu verstärken.


Für die Lösung dieser beiden Kernfragen sehe ich keine Patentrezepte. Es gibt keinen einfachen Königsweg, es gibt kein erlösendes Zauberwort. Es bleibt nur der mühsame Weg, uns in jedem Politikfeld, bei jeder einzelnen Entscheidung die Frage vorzulegen: Was trägt sie bei zur Lösung dieser beiden Hauptprobleme unseres Landes? Und: Wie sichern wir trotz unabweisbarer weiterer Sparzwänge den sozialen Zusammenhalt in unserem Land und die Lebensqualität in unseren beiden Städten? Das ist mir das wichtigste.


Unsere erste Hauptaufgabe lautet deshalb, den Haushalt für die beiden kommenden Jahre so aufzustellen, dass wir unserem ersten Teilziel - einem ausgeglichenen Primärhaushalt - ein deutliches Stück näher kommen und die Neuverschuldung begrenzen und abbauen müssen. Das heißt: Wir müssen - noch deutlicher als bislang - das absolut Notwendige vor das Wünschenswerte stellen. Das gilt für alle Bereiche und alle Ressorts. Nur wenn wir uns insgesamt an diesem Prinzip orientieren, werden wir den notwendigen Eigenbeitrag zur Sanierung unserer Haushalte darstellen können.


Wir sind uns in der Großen Koalition einig, dass diese Maxime für alle Ausgaben gilt - für konsumtive und für investive. Wir sind uns auch einig, dass wir deshalb das hohe Investitionsniveau der vergangenen Jahre so nicht aufrechterhalten werden können. Auf manches werden wir verzichten, manches verschieben, für manches preiswertere Lösungen suchen müssen. Dennoch: Wir werden auch in Zukunft weiter in die Leistungsfähigkeit und die Wettbewerbsfähigkeit unserer beiden Städte investieren. Der Senat stellt sich dabei insgesamt seiner Verantwortung für eine faire und gerechte Balance bei den unverzichtbaren Sparanstrengungen einerseits und für Investitionen in zukunftsfähige Arbeitsplätze und gute Rahmenbedingungen für Wirtschaftswachstum andererseits. Wir sind uns einig über den die finanziellen Spielräume, die wir auch in Zukunft für Investitionen nutzen werden. Der vom Senat beschlossene Rahmen für das Anschlussinvestitionssonderprogramm gilt - auch wenn wir derzeit noch einen wichtigen Vorbehalt machen müssen: Wenn die Strategie unserer Klage vor dem Verfassungsgericht steht, werden wir auch das AIP nochmals überprüfen und gegebenenfalls unserer Klagestrategie anpassen müssen.


Wir brauchen gerade angesichts weiterer Einschränkungen eine Politik aus einem Guss. Wir brauchen ein Maß, bei dem die Bürgerinnen und Bürger auch bei unpopulären Entscheidungen die Gewissheit haben können: Der Senat insgesamt steht zu seinen Entscheidungen. Und er kann das, weil jedes einzelne Senatsmitglied sich auch über die Folgen von Entscheidungen in anderen Ressort sorgfältig Rechenschaft abgelegt und bei jeder Einzelentscheidung das Gesamtwohl über die Fachpolitik im eigenen Haus gestellt hat.

Ich bin überzeugt: Wir erhalten und gewinnen das Vertrauen in unsere Arbeit gemeinsam und wir würden es gemeinsam gefährden, wenn uns diese Balance nicht überzeugend gelingt.


Ich glaube, noch etwas gehört zu einer überzeugenden Politik:

Auch beim Sparen müssen wir Ehrgeiz und Realismus zusammenbringen.

Wir tun uns und niemandem einen Gefallen, wenn wir Sparziele verkünden und sie anschließend nicht einhalten können Wir dürfen nicht nur sagen, wie viel wir sparen wollen, sondern auch wo und wie und mit welchen Folgen. Entschlossen vorgetragene Prüfaufträge, die am Ende mit Wiedervorlagen, Vertagungen oder der Erkenntnis enden „Geht doch nicht“, nützen niemandem. Sie bringen keinen zusätzlichen Euro in die Kasse sondern sie kosten Glaubwürdigkeit. Glaubwürdigkeit aber ist der Kern unserer Politik.


Es muss einen fairen Dialog über weitere Einsparmöglichkeiten bei den Personalausgaben geben. Wir werden mit den Gewerkschaften über Öffnungsklauseln in den Tarifverträgen und deren Ausgestaltung weitere Gespräche führen. Unsere Leitziele dabei sind: Wir wollen unabweisbare Belastungen unter den Berufsgruppen des öffentlichen Dienstes gleichgewichtig und sozial ausgewogen gestalten. Und: Wir verzichten auf betriebsbedingte Kündigungen. Ich denke, auch das ist eine wichtige Botschaft an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes.



Wir wissen, wir müssen weiter sparen. Aber wir wissen auch: Im Rahmen des heutigen Systems der Steuerverteilung zwischen Bund und Ländern wird Bremen die dramatische Haushaltslage nicht allein bewältigen können.


Erneute Verhandlungen mit Bund und Ländern über eine faire und leistungsgerechte Finanzausstattung der Stadtstaaten und eine erneute Klage vor dem Bundesverfassungsgericht sind deshalb ein zweiter Schwerpunkt der vor uns liegenden Anstrengungen. Ich bin überzeugt: Wir können selbstbewusst und erhobenen Hauptes in Berlin und Karlsruhe antreten. Wir können belegen, dass uns die heute gültigen Verteilungsschlüssel der Steuereinnahmen systematisch benachteiligen. Wir sind keine Kostgänger. Wir wollen - so hat es Klaus Wedemeier vor seinem Gang nach Karlsruhe ausgedrückt - „was uns zusteht“.


Kein Zweifel, wir werden uns in Berlin wie in Karlsruhe auch kritischen Fragen stellen und mit guten Argumenten für unsere Selbständigkeit werben müssen. Ich bin überzeugt: Wenn es auch in Berlin zur Bildung einer Großen Koalition kommt, wird uns das helfen, für unsere Argumente offene Ohren und Gesprächspartner auf allen Seiten zu finden. SPD und CDU in Berlin sind sich einig: Die Reform des Föderalismus wird eine der ersten großen gemeinsamen Aufgaben einer großen Koalition in Berlin sein. Und schon heute steht fest: Sie wird auch die Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern weit oben auf die Tagesordnung setzen. Das erklärte Ziel ist in den Vorentwürfen für den Koalitionsvertrag bereits ausformuliert: „Aufgabengerechte Finanzausstattung“ für die Gebietskörperschaften steht dort. Das ist die Chance - auch für Bremen, und wir werden alles daran setzen, in den künftigen Gesprächen zwischen der Großen Koalition hier und der Großen Koalition dort endlich auch eine „aufgabengerechte Finanzausstattung“ für die Stadtstaaten zu erreichen.


Es kann überdies helfen, dass wir nicht allein eine Neuordnung der Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern auf die Tagesordnung setzen. Berlin und das Saarland haben bereits Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht auf den Weg gebracht. Und auch die Mehrheit der übrigen Länder hat längst allergrößte Mühen, ihre Haushalte noch verfassungskonform zu gestalten. Es gibt - auch außerhalb Bremens - gute und unabweisbare Gründe, das Gesamtsystem der Bund-Länder-Finanzbeziehungen auf den Prüfstand zu stellen und über eine grundlegende Reform nachzudenken.


Arbeitsplätze sichern und Arbeitsplätze schaffen - das ist und bleibt die zentrale Herausforderung. Die Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik der großen Koalition hat dafür in den letzten Jahren wichtige Voraussetzungen geschaffen. Unsere Häfen, die gesamte Logistikbranche, Luft- und Raumfahrt sind heute Wachstumsmotoren für die ganze Region. Auch durch die Unterstützung des Senats sind die Stahlwerke Bremen im weltweiten Wettbewerb gut aufgestellt. Bei dem bevorstehenden Verkauf von Atlas Elektronik betreiben wir aktiv die Sicherung der bestehenden Arbeitsplätze und wollen darüber hinaus die konkrete Aussicht nutzen, Bremen gemeinsam mit den neuen Investoren als Zentrum der deutschen Marine-Elektronik zu stärken. Wir wollen die Zusammenarbeit von Wirtschaft und Wissenschaft weiter ausbauen, um unsere Chancen in der Kommunikationstechnik, in der Robotik, bei der Biotechnologie, der Umwelt- und Gesundheitswirtschaft, der Windenergie zu nutzen.

Unternehmer und Manager, Gewerkschafter und Betriebsräte wissen: Der Bremer Senat ist ein verlässlicher Partner und das Rathaus steht ihnen offen.

Ich sage aber auch dazu: Wenn es um die Unterstützung aus öffentlichen Kassen geht, wird die belastbare und nachweisliche Aussicht auf neue, zukunftsfähige Arbeitsplätze noch stärker als bislang der entscheidende Maßstab jeder unserer Entscheidungen sein.


Trotzdem: Die Einladung gilt, und sie gilt ganz besonders für Unternehmer, Investoren und Arbeitnehmervertreter, die die Stärken und Potentiale Bremerhavens entdeckt haben und nutzen wollen. Der Senat, die große Koalition sind sich ihrer besonderen Verantwortung für Bremerhaven bewusst und werden alles in ihren Kräften stehende tun, um auch in der Seestadt den nötigen Strukturwandel zu unterstützen und zu fördern. Das Wort des Senats gilt: Ein Viertel, also jeder vierte Euro, den wir investieren, steht Bremerhaven zu.

Und wir sind uns einig: Nicht jeder Euro, den wir auch im Interesse der gesamten Republik in einen leistungsfähigen Welthafen investieren, ist Bremen oder gar Bremerhaven anzulasten. Wir übernehmen hier Verantwortung für den Exportweltmeister Deutschland und nicht allein für uns. Das werden wir auch in den Verhandlungen mit dem Bund deutlich machen und nachdrücklich dafür werben, dass es nur recht und billig ist, wenn er sich an den gigantischen Investitionen für unsere Häfen angemessen beteiligt. Hier in Bremen werden wir von den Bremer Investitionen in die Häfen jedenfalls nur 25 Prozent auf den Bremerhavener Anteil unseres Gesamtinvestitionsbudgets anrechnen. Und keinen Cent mehr.


Um die Chancen für neue Arbeitsplätze nachhaltig zu erhöhen - auch darüber ist sich die große Koalition einig - bleibt eine Zukunftsinvestition unverzichtbar und überragend wichtig: die Investition in Köpfe, in Bildung und Ausbildung. Eine qualifizierte Schuldbildung ist die entscheidende Eintrittskarte in ein erfolgreiches Berufsleben. Im Bewusstsein ihrer Verantwortung haben SPD und CDU deshalb schon 2003 in ihren Koalitionsvertrag geschrieben: „Bildung hat absolute Priorität.“ Und beide Partner haben sich in der letzten Woche einmütig und eindeutig zu diesem Schwerpunkt bekannt. Auch wenn Anfangserfolge nach den bedrückenden Ergebnissen der ersten PISA-Studie sichtbar sind und eine ehrgeizige Aufholjagd begonnen hat - die neuen, zusätzlichen Erkenntnisse aus der zweiten PISA-Studie belegen: Wir dürfen auf keinen Fall nachlassen in unseren Anstrengungen, jeder Schülerin und jedem Schüler unabhängig von Pass, Muttersprache und Geldbeutel der Eltern eine bestmögliche Ausbildung mitzugeben. Und wir haben noch etwas gelernt: Wir müssen damit früher anfangen als in der ersten Klasse. Wir müssen schon in den Kitas gezielt fördern, Deutschkenntnisse vermitteln und die Zeit nutzen, damit alle Kinder gut vorbereitet an den Start ins Schulleben gehen können.


Jungen Menschen eine Perspektive geben, ihnen Chancen auf eine gute Berufsausbildung eröffnen, ihnen das Gefühl zu geben, sie werden gebraucht und anerkannt, sie gehören in die Mitte der Gesellschaft - das ist der Sinn unseres Prinzips „Fördern und Fordern“. Deshalb nehmen wir die Verpflichtung ernst, die wir mit Hartz IV eingegangen sind: Jeder Jugendliche hat Anspruch auf einen Ausbildungsplatz oder zumindest eine Qualifizierung, die ihm den Einstieg ins Berufsleben möglich macht. Jeder junge Mensch hat Anspruch darauf, dass wir ihm dabei mit Rat und Tat zur Seite stehen. Und diesem Anspruch müssen und wollen wir in unserer Politik gerecht werden.


Den sozialen Zusammenhalt in unseren beiden Städten auch unter schwierigen Sparbedingungen zu erhalten und zu schützen, ist und bleibt eine der zentralen herausragenden Aufgaben. Deshalb hat sich die große Koalition eindeutig dazu bekannt: die GEWOBA gehört zu uns und sie bleibt bei uns. Wir wollen, dass die GEWOBA zukunftsfähig aufgestellt wird. Wir wollen für ihre Unternehmstrategie weiterentwickeln. Wir wollen aber auch, dass zigtausende Mieter keine Angst um ihre Wohnung haben müssen und auch weiterhin gut schlafen können. Das war uns gemeinsam mehr wert als die tiefroten Zahlen in unseren Haushalten um eine Farbnuance aufzuhellen.


Es hat in den letzten Wochen - auch und gerade in überregionalen Zeitungen - Schlagzeilen gegeben, die mich traurig machen und mich bedrücken: Weil das Theater - auch aus eigener Verantwortung - in eine schwierige finanzielle Schieflage geraten ist, war da die Rede vom drohenden „Theatertod“ in Bremen. Der gesamte Senat - und Senator Jörg Kastendiek als aller erster - will, dass das Theater lebt! Das Theater hat die Unterstützung des Senats, und es hat sie verdient. Wir erwarten aber auch, dass die Leitung des Theaters zu ihrer Verantwortung steht und sich an der Lösung beteiligt, und wir hoffen auf die Bereitschaft der Mitarbeiter, uns den Weg zu einer Lösung zu erleichtern und uns entgegenzukommen.


Ich habe es gesagt: Patentrezepte und Allheilmittel sehe ich nicht, um die Probleme und Herausforderungen zu bewältigen. Und trotzdem: Ich bin überzeugt: Wir können es schaffen und wir werden es schaffen. Die Selbständigkeit unseres Landes bietet dafür eine exzellente Chance. Es ist gute Tradition, dass Bürgerinnen und Bürger weit über die Politik hinaus Verantwortung für unser Land und seine beiden Städte übernehmen, eigene Beiträge leisten, sich für ihre Nachbarn, ihren Stadtteil, für das Gemeinwohl einsetzen. Sich ehrenamtlich zu engagieren, Zeit und Geld für eine gute Sache einzusetzen, für einen guten Zweck eine Stiftung zu gründen - bürgerschaftliches Engagement hat von jeher einen hohen Anteil an der Lebensqualität in unseren beiden Städten. Wir brauchen auch in Zukunft solche Unterstützung. Wir brauchen den Rat der Bürgerinnen und Bürger, ihre Ideen, ihr Engagement.


Ich freue mich sehr, dass beide Kammern gemeinsam, Handelskammer und Arbeitnehmerkammer, unserem Land ihre Unterstützung und ihre Tatkraft angeboten haben. Ich nehme dieses Angebot gerne an. Und ich lade alle, die sich bei der Suche nach Lösungen und Vorschlägen beteiligen möchten, herzlich ein: Unternehmer und Betriebsräte, Menschen aus der Wissenschaft und der Kultur, Vertreter der Kirchen und Religionen, und all die vielen, die sich für Bremen und Bremerhaven einsetzen. Ihr Rat und ihr Engagement sind uns entscheidend wichtig!


Ich bin überzeugt: Wenn wir die Menschen weiter gewinnen wollen, dann müssen wir offen mit ihnen reden und dürfen nichts beschönigen. Klarheit, Aufrichtigkeit, Geradlinigkeit sind mehr als eine Bringschuld der Politik gegenüber Bürgerinnen und Bürger. Sie sind eine Quelle für Kreativität und Energie. Sie sind Voraussetzung dafür, die Menschen hinter unseren beiden Städten zu versammeln, sich in die Probleme mit mir hineinzudenken und Lösungen zu suchen. Und dies alles ist mir sehr wichtig.


Ich glaube, aus unseren Erfahrungen mit der Geschichte des Kanzlerbriefs aber beispielsweise auch aus den Rückschlägen, die wir beim Space Park erlebt haben, können wir eine Reihe von Lehren ziehen. Für mich lautet eine ganz wichtige: Wir hätten uns und den Bürgerinnen und Bürgern vermutlich manche Enttäuschung ersparen können, wenn wir neben den Chancen auch über die Risiken offen geredet hätten. Es hilft uns nicht, wenn wir Probleme kleiner reden, als sie sind, und wenn wir Zweifel, die wir selbst haben, herunterschlucken. Ich bin sicher, wir riskieren durch Offenheit nicht das Vertrauen in unsere Entscheidungen. Wir gewinnen es.


Wir wollen die Wettbewerbsfähigkeit unserer Gesellschaften überprüfen und weiter verbessern. Wir müssen uns bei jeder staatlichen Leistung, bei jedem Angebot an die Bürgerinnen und Bürger fragen: Was ist die bestmögliche Form, um eine Dienstleistung zu erbringen? Wie können wir sie so bürgerfreundlich wie möglich gestalten? Wie setzen wir unsere knappen finanziellen Mittel am effizientesten ein? Wo erreichen wir durch neue Rechts- und Organisationsformen auch neue Märkte? Wie gewährleisten wir Transparenz und parlamentarische Kontrolle? All das sind richtige Fragen. Wir wollen darauf überzeugende Antworten geben. Ich bin überzeugt, unsere Gesellschaften tun nicht nur dem Parlament sondern sich selbst einen Gefallen, wenn sie sich diesen Fragen offen und selbstbewusst stellen. Sie können sicher sein: Gute Leistung wird anerkannt. Aber Wettbewerb heißt auch: Leistung muss immer wieder überprüft werden, und was besser geht, muss besser gemacht werden. Das muss auch für unsere Gesellschaften und Eigenbetriebe gelten. Größtmögliche Transparenz sorgt auch in diesem Punkt auf allen Seiten für Gewinner.


Das gilt auch für unsere Finanzierungsinstrumente. Sondervermögen. Bremer Kapitaldienstfonds, Private-Public-Partnerships - wenn wir den Nachweis antreten können, mit solchen Instrumenten machen wir aus weniger mehr, sie machen sich tatsächlich und buchstäblich bezahlt: Respekt! Nutzen wir solche intelligenten Lösungen. In Bremen, aber auch in Berlin und Karlsruhe sitzen kluge Finanzwirtschaftler, die uns sehr genau auf die Finger sehen. Es darf nirgendwo der Verdacht aufkommen, wir wollten die ganze Wahrheit über unseren Schuldenstand nicht wissen oder nicht wahrhaben. Dieser Eindruck darf nie und nirgends entstehen.


Transparenz, Offenheit, Selbst- und Risikobewusstsein - mit dieser Grundhaltung sollten wir auch eine so schicksalsträchtige Entscheidung wie unsere Klage vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe vorbereiten. Wir brauchen dazu exzellente Juristen, hervorragende Gutachter und Prozessvertreter. Wir brauchen aber dazu auch die Bürgerinnen und Bürger in unseren beiden Städten. Jeder einzelne ist auch Anwalt und Botschafter des Landes. Ich will dazu beitragen, dass die Bremerinnen und Bremer in der ganzen Republik aufrecht und erhobenen Hauptes sagen können: Wir kommen aus einem kleinen, aber leistungsfähigen und lebenswerten Land, das niemand zu Last fallen will und deshalb einen fairen, gerechten Anteil des bei uns erwirtschafteten Wohlstands einfordert.

Wir müssen unsere Klage natürlich mit größter Sorgfalt vorbereiten und unsere Argumente schärfen. Wir müssen sie aber auch den Bürgerinnen und Bürgern vermitteln. Wir müssen sie zum Stadtgespräch machen. Wir müssen ihnen sagen: Auch wenn wir erneut vor das Bundesverfassungsgericht ziehen müssen - es gibt keinen Grund, kleinmütig zu sein. Es gibt keinen Grund, in Sack und Asche zu gehen. Unser entscheidendes Problem ist, dass unsere überdurchschnittliche Wirtschaftskraft sich nicht angemessen in unseren Steuereinnahmen niederschlägt.


Wir müssen das übrigens auch unseren Nachbarn sagen. Wir wollen gute Nachbarn sein.

Viele Menschen in Niedersachsen wissen das längst, insbesondere natürlich die, die in Bremen ihren Arbeitsplatz haben, die hier studieren, die gern unser Theater, die Kunsthalle oder unsere Museen besuchen. Ich kann niemand übel nehmen, wenn er dabei vergisst, dass die Schaffung von Arbeitsplätzen oder die attraktiven Bremer Kulturangebote auch mit Bremer Steuermitteln unterstützt werden. Aber ich kann dafür werben, dass es ein faires Geben und Nehmen zwischen uns und unseren Nachbarn gibt, dass beide Seiten davon profitieren, wenn wir zusammenarbeiten. Das will ich mit großer Kraft tun und meinen Beitrag leisten, damit wir die neue gemeinsame Metropolregion auch wirklich leben.


Wir haben in Bremen in den letzten Jahren gute Erfahrungen gemacht mit dem Mut zu einem offenem Dialog und der Einladung, sich zu beteiligen. Die erfolgreiche Bewerbung zur Stadt der Wissenschaft ist das überzeugende Ergebnis eines solchen breiten Dialogs, an dem sich viele beteiligt haben - mit Problembewusstsein, mit Fachkompetenz, mit Respekt vor anderen Argumenten und Überzeugungen, mit der Fähigkeit zum Kompromiss und mit der Bereitschaft, eigene Verantwortung zu übernehmen.

Ich bin überzeugt: Unser Land, unsere beiden Städte gewinnen, wenn wir in solchem Teamgeist, mit Offenheit, Fairness, Kritikfähigkeit und Respekt uns auf ein Alle-Manns- und Alle-Frau-Manöver einlassen.


Machen wir uns an die Arbeit. Ich freue mich darauf.

Herzlichen Dank“