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Die "rochade" ermöglicht verblüffende Neuentdeckungen

22.10.2001

Werke der Kunstsammlungen Böttcherstraße tauschen ihre Plätze

Die Rochade ist ein ausgefallener Zug im Schachspiel. Nur ein einziges Mal dürfen König und Turm ihre Positionen vertauschen. Rainer Stamm, der Leiter der Kunstsammlungen Böttcherstraße in Bremen, hat jetzt eine solche Rochade mit mehreren Figuren inszeniert und damit eine neue Perspektive ins Spiel gebracht. Die Figuren sind Kunstwerke, die nun ihre visuelle Kraft neu und teilweise zum ersten Mal richtig entfalten können. Ort dieses spannenden Geschehens ist die Bremer Böttcherstraße mit dem Roselius-Haus und dem Paula Modersohn-Becker Museum. Bilder und Skulpturen aus beiden Häusern haben ihre angestammten Plätze für eine Weile verlassen und die Räume getauscht. Bis zum 27. Januar ist nun eine ganz neue, verblüffende Wahrnehmung der Werke möglich.


Um alte Schätze neu zu entdecken, muss man manchmal Standort und Perspektive wechseln. Insbesondere dann, wenn Schätze, im Verborgenen funkeln. In den überladenen Räumen des Roselius-Hauses in der Bremer Böttcherstraße gibt es viele davon. Der Bremer Kaffeekaufmann Ludwig Roselius (1874-1943) und Erfinder von Kaffee Hag hat sie einst zusammengetragen und damit ein Altbremer Patrizierhaus geschmückt. So entstand eine Wunderkammer, angefüllt mit nordeuropäischen Kunstschätzen: Wertvolle Möbel, Teppiche und Gläser - aber vor allem Bilder und Skulpturen aus sechs Jahrhunderten. Kaum ein Besucher, der die Fülle und Bedeutung der hier versammelten Werke wirklich würdigen könnte. Jetzt freilich wird den bedeutenden und wertvollen Gemälde zum ersten Mal seit 75 Jahren ein ganz neues Umfeld gegeben, das ihren Eigenwert hervorhebt: Die Bilder - unter ihnen Meisterwerke der altdeutschen und spätgotischen Tafelmalerei - sind ins benachbarte Paula-Modersohn-Becker Museum umgezogen. Hier kann jedes Bild für sich wirken. Dafür hängen die Werke der berühmten expressionistischen Malerin nun an den teilweise lederbespannten Wänden in den Stilräumen des Roselius-Hauses.


Zu den neu zu entdeckenden, bedeutenden Kunstwerken gehören beispielsweise zwei mittelalterliche Altartafeln, die im Roselius-Haus an der Wand hingen. Jetzt stehen sie frei im Raum und geben auch ihre bemalten Rückseiten frei. Tilman Riemenschneiders Holzskulptur, die um 1515 entstandene Beweinungsgruppe, kann ihre ergreifende Wirkung vor nüchternem Hintergrund entfalten. Auch die spätgotischen Tafelbilder behaupten hier mühelos ihren historischen und ästhetischen Eigenwert, darunter Gemälde von Conrad von Soest und aus dem Umkreis des Meisters von Liesborn. Gemälde von Bartholomäus Bruyn demonstrieren die Vorliebe der Renaissance für den Realismus, die in den Werken von Ludger tom Ring und der Cranach-Werkstatt ihren Höhepunkt finden.


Im Gegenzug macht der Umzug der bedeutenden Werke von Paula Becker-Modersohn aus dem eher nüchternen Museum in das gutbürgerliche Ambiente des Roselius-Hauses neue, überraschende Begegnungen möglich. Die "Liegende Mutter mit Kind", gemalt 1908, findet sich nun neben einem Gobelin an farbiger Wand, das "nackte Mädchen" neben einem riesigen gotischen Schrank. Dies ist für die Augen des heutigen Betrachters eher gewöhnungsbedürftig. Doch seinerzeit hingen die Bilder von Paula Becker-Modersohn durchaus in ähnlich eingerichteten Wohnstuben mit Kunstwerken unterschiedlicher Stilrichtungen.


Das Paula Modersohn-Becker Museum sowie das Museum Roselius-Haus in der Böttcherstraße sind dienstags bis sonntags von 11-18 Uhr geöffnet.