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Senatskanzlei

Sucht auf Rezept: Krankenkasse legt Studie vor

04.10.2001

Untersuchung in Kooperation mit dem Zentrum für Sozialforschung der Uni Bremen


Dass Beruhigungs- und Schlafmittel süchtig machen können, ist bekannt. Nicht selten aber ist diese Sucht vom Arzt verordnet worden. Nachzulesen im Arzneimittel-Report 2001 der Gmünder Ersatzkasse (GEK), der heute in Bremen der Öffentlichkeit vorgestellt wurde. Die Kasse hatte das Bremer Zentrum für Sozialpolitik an der Universität Bremen beauftragt, 20 Millionen Rezepte der rund 1,4 Millionen Versicherten der Kasse auszuwerten. Dabei kam heraus, dass vor allem ältere Frauen gefährdet sind, über entsprechende ärztliche Verordnungen in eine solche Sucht hineinzurutschen. „Sie erhalten oft über Jahre hinweg suchterzeugende Schlaf- und Beruhigungsmittel, von denen sie ohne ärztliche Hilfe nicht mehr loskommen“, so Studienleiter Prof. Dr. Gerd Glaeske. Jetzt will die Kasse mit Ärzten, die zu schnell, zu viel und zu unkritisch verordnen, Kontakt aufnehmen. Entsprechende Gespräche mit Ärztekammern kündigte GEK-Vorstandsvorsitzende Dieter Hebel an.


Neu und bundesweit bisher einmalig an dieser Studie ist, dass sie sich auf die anonymisierten Versichertendaten einer Kasse bezieht. Analysiert wurden die Rezeptverordnungen der Jahre 1999 und 2000. Dabei kam heraus, dass 58.000 Versicherte der GEK insbesondere Mittel aus der Valium-Familie (etwa Tavor, Adumbran, Lexotanil oder Normoc) einmal oder mehrmals verordnet bekamen. 8028 von ihnen weist die Studie als „Dauerkonsumenten“ aus – ihnen wurde eines dieser Mittel im Verlaufe der zweijährigen Studie mindestens drei Monate hintereinander verschrieben. Besonders auffällig sei, dass etwa acht Prozent aller in dieser Studie erfassten über 70jährigen Frauen Schlaf- und Beruhigungsmittel in einer Dauer bekämen, „die mit einer Therapie wenig, dem Aufrechterhalten einer Abhängigkeit aber viel zu tun hat“, so Glaeske. Dabei weist der Pharmakologe darauf hin, dass grundsätzlich diese Mittel für eine Therapie wichtig und unverzichtbar seien – wenn sie kurzfristig über zwei bis vier Wochen eingenommen würden.


Laut Studie handelt es sich allerdings um einen kleineren Teil von Ärzten, der besonders häufig Beruhigungs- und Schlafmittel verordnet: Das Problem „Sucht auf Rezept“ ist freilich nur ein Schwerpunkt der Datenauswertung. Insgesamt will die Kasse mit ihrer Erhebung

einen Beitrag zu mehr Transparenz und Steuerung in der Arzneimittelversorgung leisten. Noch ein weiterer Befund der Studie lässt aufhorchen: Diabetes kommt bei Frauen häufiger vor als bei Männern. „Dennoch bekommen sie deutlich weniger Medikamente zur Behandlung „ so Glaeske. Dies läge möglicherweise daran, dass bei Frauen die typischen Anzeichen der Krankheit von der Ärzteschaft anders interpretiert werde als bei Männern. Auch ein Herzinfarkt werde bei Männern schneller und besser behandelt, weil offenbar die Beschwerden bei Frauen nicht schnell genug mit dieser lebensbedrohenden Erkrankung in Zusammenhang gebracht würden.


In Zukunft soll der GEK-Arzneimittelreport in Zusammenarbeit mit dem Zentrum für Sozialpolitik an der Universität Bremen jährlich erscheinen.