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Die Senatorin für Bau, Mobilität und Stadtentwicklung

Bericht der Kommission „Zukunft der Verkehrsinfrastrukturfinanzierung"

Lohse und Hermann fordern „Erhalt und Sanierung vor Neubau“

19.12.2012

Anlässlich der Übergabe des Abschlussberichtes der Kommission „Zukunft der Verkehrsinfrastrukturfinanzierung“ am Mittwoch (19. Dezember 2012) an den Vorsitzenden der Verkehrsministerkonferenz erklären Winfried Hermann, Minister für Verkehr und Infrastruktur in Baden-Württemberg, und Dr. Joachim Lohse, Senator für Umwelt, Bau und Verkehr der Freien Hansestadt Bremen:

„An der Qualität der Infrastruktur entscheidet sich auch die Zukunftsfähigkeit unseres Landes! Die Verkehrsinfrastruktur ist ein öffentliches Gut, das wir erhalten und modernisieren müssen.

Der Abschlussbericht der Kommission „Zukunft der Infrastrukturfinanzierung“ (so genannte Daehre-Kommission) ist eine aktuelle und umfängliche Datensammlung, die Aufschluss gibt über die Gefährdung unserer Infrastruktur. Er beschreibt eindrücklich die enorme Unterfinanzierung von Straße, Schiene und Wasserstraße bei allen Baulastträgern Bund, Ländern und Kommunen mit 7,2 Mrd. Euro, der Nachholbedarf bei der Sanierung umfasst nach dem Kommissionsbericht einen Zeitraum von 15 Jahren. Die Mittel fehlen an allen Ecken und Enden: bei den Projekten des Vordringlichen Bedarfs aus dem laufenden Bundesverkehrswegeplan also bei Neuinvestitionen ebenso aber bei Erhalt und Sanierung. Die Sperrung von Brücken für den Schwerlastverkehr ist nur ein augenfälliges Beispiel für den Sanierungsstau in Deutschland. Der Abschlussbericht beschreibt die Probleme und Schwächen des jetzigen Systems der Infrastrukturfinanzierung aus Haushaltsfinanzierung, Steuereinnahmen und Nutzerabgaben und beleuchtet eine Vielzahl von Instrumenten für die Finanzierung in der Zukunft.

Aus grüner Sicht darf es nicht nur um mehr Mittel, um ein „Mehr vom Gleichen“ gehen! Vielmehr müssen wir aus den Fehlern der Vergangenheit lernen. Verkehrsprobleme lassen sich nicht allein durch Infrastrukturausbau und -neubau lösen. Es braucht auch eine andere Politik, die unterscheidet zwischen Verkehr und Mobilität. Ursache für die Vernachlässigung der Erhaltungsinvestitionen ist zum einen die Fixierung auf Aus- und Neubau und eine Politik der Spatenstiche. Ursache ist zum anderen aber die jahrzehntelang fehlende Vorsorge beim Ausbau des Netzes oder die gewaltige Kluft zwischen Neu- und Ausbauprojektkosten und den real abnehmenden finanziellen Ressourcen in den öffentlichen Haushalten. Vor allem im Straßenbau wurden immer wieder Sanierungsmittel zu Gunsten von Neu- und Ausbauprojekten verschoben. Wir leben von der Substanz. Tag für Tag verzehren wir unser Infrastrukturvermögen, weil wir nicht genug Mittel zum Erhalt und zur Sanierung aufwenden. Der Sanierungsstau wächst dramatisch: ob Straße oder Schiene, das Netz kommt vielerorts in die Jahre.

Verkehrsinfrastrukturpolitik ist gekennzeichnet von zahllosen Plänen und Wünschen (z.B. BVWP), die über Jahre immer wieder versprochen und nicht eingelöst werden. Darunter fallen dringliche und wichtige Vorhaben, wie auch sehr kostspielige Großprojekte. Der in Vorbereitung befindliche BVWP 2015ff. verspricht hier bisher keine Besserung. Es fehlt an Mut zur Priorisierung von Maßnahmen, auch an Mut unrealistische Projektträume zurückzustellen oder abzusagen.

Wir brauchen nicht nur mehr Mittel, sondern eine neue zukunftsfähige Vision von Mobilität und hierfür nicht weniger als einen Systemwechsel bei der Planung, Gestaltung und Finanzierung von Infrastruktur. Und wir brauchen mehr politische Ehrlichkeit! Umfängliche Projektanmeldungen für einen Bundesverkehrswegplan, der schon vor seinem Beginn als nicht finanziert gelten muss, nur um im Wahlkampf 2013 Erfolgsmeldungen im Wahlkreis zu verkünden, sind kontraproduktiv.

Wir müssen eine öffentliche Debatte darüber führen, was für eine Infrastruktur wir wollen und in Zukunft brauchen und was sie uns kosten wird. Wir brauchen Entwicklungsziele für unser Verkehrsnetz! Bei knappen Mitteln sind Prioritäten zu setzen. Ohne eine realistische Einschätzung der finanziellen Ressourcen, der Machbarkeit, Sinnhaftigkeit und Verträglichkeit von Projekten und ohne einen Demografie- und Nachhaltigkeitscheck können Priorisierungen nicht vorgenommen werden. Wir müssen die Debatte um zukünftige Finanzierungswege mit einer neuen verkehrspolitischen Konzeption verbinden, die sich an Nachhaltigkeit orientiert. Das bedeutet: Erhalt und Sanierung vor Neubau, Überprüfung von zu hohen Standards, mehr Effizienz beim Mitteleinsatz, Neubau nur zur Beseitigung bestehender Engpässe, Vernetzung verschiedener Verkehrsträger, Stärkung der klima- und umweltfreundlichen Verkehrsträger, Ressourcen- und Naturschonung, Berücksichtigung des demografischen Wandels, Sozialverträglichkeit, Wirtschaftlichkeit und Bezahlbarkeit. Infrastruktur muss zukunftsfähig gemacht werden!

Mit Blick auf die benötigten Mittel für Erhalt und Betrieb und die Beseitigung des Sanierungstaues werden wir um eine Ausweitung der Nutzerfinanzierung nicht herum kommen. Dies belegen alle einschlägigen Studien, wie der Bericht deutlich macht. Auch in Europa geht die Reise in diese Richtung: Konzepte der Nutzerfinanzierung werden diskutiert und die bestehenden Instrumente sollen schrittweise durch solche ersetzt werden, die die Infrastrukturkosten und die externen Kosten am wirksamsten internalisieren können. Bisher sind die externen Kosten bei den fehlenden 7,2 Mrd. in unserem Land noch nicht eingerechnet.

Der Bericht liegt jetzt vor, er darf aber nicht wie etwa der Bericht der Pällmann-Kommission aus dem Jahre 2000 in der Schublade verschwinden. Das Thema darf nicht unter den Teppich gekehrt werden, weil gerade wieder eine Wahl in einem Bundesland ansteht oder sich im Jahr der Bundestageswahl kein (Verkehrs)Politiker mit der Forderung nach neuen Finanzierungsbeiträgen der Nutzer als „Abzocker der Autofahrer“ die Finger verbrennen will.

Es wird eine unbequeme und schwierige Debatte, die aber dringend geführt werden muss. Zuallererst sind die Landesverkehrsminister in der Verantwortung, den Bericht nicht nur zur Kenntnis zu nehmen, sondern ausführlich zu diskutieren. Daher fordern wir zu Beginn des neuen Jahres eine Sonderverkehrsministerkonferenz, dies ist der angemessene Rahmen für eine Beschäftigung mit dem Thema. Ziel muss es sein, dass sich die Fachminister auf Instrumente verständigen. Das wäre ein klares Signal an die kommende Regierung im Wahljahr.“