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Senatskanzlei

Neues Beiratsgesetz: Mehr Demokratie vor Ort

18.08.2009

"Das neue Beiratsgesetz, das der Senat beschlossen hat, um es der Bürgerschaft vorzulegen, wird die Demokratie vor Ort stärken und mehr Transparenz in das Handeln von Politik und Verwaltung in den Stadtteilen bringen." Das betonte Bürgermeister Jens Böhrnsen heute (18.08.09) nach der Beschlussfassung: „Es ist ein langer Weg gewesen von den ehemaligen Verwaltungsausschüssen bei einigen Ortsbeiräten außerhalb der bremischen Innenstadt bis zu den heutigen kommunalpolitischen Stadtteilparlamenten in ganz Bremen, gegen deren Willen niemand mehr Ortsamtsleiter im Stadtteil wird.“ Zu Beginn der Legislaturperiode hatte die rot-grüne Koalition aufgrund dieser veränderten Bedeutung die Zuständigkeit für Beiräte und Ortsämter direkt beim Rathaus angesiedelt. Die Bürgerschaft richtete einen zentralen Ausschuss für Bürgerbeteiligung und Beiratsangelegenheiten ein.


Die heutige Beschlussfassung im Senat bildet den vorläufigen Abschluss eines umfassenden Beratungsprozesses. Vor über einem Jahr gab es den ersten sorgfältig vorbereiteten Referentenentwurf, der an den Parlamentsausschuss, an die Beiräte und an die Ortsamtsleitungen zur Stellungnahme versandt wurde. „Außerdem haben wir den Entwurf ins Internet gestellt, um den Interessierten die Möglichkeit zur Beteiligung zu geben“, erinnerte Jens Böhrnsen. Bis November 2008 wurden die Anregungen und Bedenken in den Entwurf eingearbeitet, der überarbeitet im Januar an die Senatsressorts und die Bremische Zentralstelle für die Verwirklichung der Gleichberechtigung der Frau (ZGF) zur rechtlichen und fachlichen Prüfung versandt wurde. Auf der Grundlage dieser Beratungen hat der Senat jetzt beschlossen.


Jens Böhrnsen: „Wir haben die Informations-, Beteiligungs-, Planungs- und Entscheidungsrechte der Beiräte verstärkt. Inhaltliche Konflikte der Verwaltung mit Beiräten sollen künftig offen in der Bürgerschaft zur Sprache kommen können, wodurch bestimmt auch die Debatten in der Stadtbürgerschaft noch lebendiger werden können. Beiräte sollen darüber hinaus mehr mit entscheiden können, wenn es um stadtteilbezogene Haushaltsmittel geht. Das sind die wichtigsten Eckpunkte der Veränderungen – und es sind Herausforderungen für alle Seiten. Denn mehr Demokratie heißt: mehr Beteiligung und mehr Rechte. Diese müssen aber gelebt werden. Wenn wir beschließen, dass künftig schon Minderheiten das Recht auf Beantwortung ihrer Fragen haben, dann ist das auch die Aufforderung, solche Fragen zu stellen. Bei der Debatte über Beiratsrechte hat es in der Vergangenheit manchmal den Eindruck gegeben, dass nicht alle Rechte auch wirklich gekannt und ausgeübt wurden. Mit der breiten Debatte über das neue Beiratsrecht haben wir hoffentlich auch das Interesse an Beiratsarbeit wieder gestärkt.“
Die Rot-Grüne Koalition möchte besonders mit diesem Gesetz die Transparenz des Verwaltungshandelns in den Stadtteilen erhöhen und die Beiräte auffordern, soviel wie möglich auch die Bürger an diesen Prozessen zu beteiligen.


Zu den einzelnen Schwerpunkten erläuterte Bürgermeister Böhrnsen:
Die Informationsrechte der Beiräte sind die notwendige Voraussetzung für wirksame Mitwirkungs-, Zustimmungs- und Entscheidungsrechte, deshalb haben sie auch mit dem neuen Paragraph 7 eine herausgehobene Stellung bekommen. Schon Minderheiten (ein Viertel der Beiratsmitglieder) können Anfragen an zuständige Stellen starten und müssen sie innerhalb eines Monats beantwortet bekommen. Ebenso sind Einladungen von Mitarbeitern zuständiger Stellen für eine Beiratssitzung zukünftig verpflichtend.
Für die Einsicht in die beim Ortsamt befindlichen Akten reichen künftig ebenfalls Anträge von Minderheiten.
Profitieren sollen nicht nur Beiräte von den vorgeschriebenen jährlichen gemeinsamen Planungskonferenzen, in denen die Aktivitäten der Ressorts sowie der Ortsämter und Beiräte für den jeweiligen Stadtteil vorgestellt werden und dadurch verstärkt koordiniert werden können. Auch auf Ressortebene kann das ein großer Schritt nach vorne sein, da Parallelplanungen vermieden werden könnten.


Ausgeweitet wurden die Entscheidungskompetenzen der Beiräte in verschiedenen Aufgabenbereichen, soweit sie überwiegend stadtteilbezogene Bedeutung haben. Dabei wird unterschieden in drei Stufen:

  1. Beteiligungsrechte (Beirat berät und beschließt über die von den zuständigen Stellen erbetenen Stellungnahmen);
  2. Zustimmungsrechte (Angelegenheiten, in denen der Beirat gemeinsam mit anderen Stellen entscheidet) und
  3. alleinige Entscheidungsrechte des Beirates;


Neu sind bei der Beteiligung des Beirates
Die Um- oder Zwischennutzung von Flächen und Gebäuden im Stadtteil: Mit dieser Regelung wird gewährleistet, dass bereits die Absicht zur Veränderung eines Gebäudes oder einer Fläche dem Beirat bekannt gegeben und dazu dessen Meinung eingeholt wird (Beispiel: Zwischennutzung des sog. Investorengrundstücks am Hbf als Skaterplatz);
Die Vergabe von stadtteilbezogenen Zuschüssen: Der Beirat soll einen Überblick erhalten, welche öffentlichen Mittel in seinem Stadtteil verwandt werden.
Bei Anträgen von Initiativen oder Vereinen/Verbänden an die Stiftung Wohnliche Stadt: Vor der Vergabe durch den Stiftungsvorstand wird der Beirat um eine Stellungnahme gebeten. Damit erhält der Beirat gleichzeitig einen Überblick über die für den Stadtteil gestellten Anträge;
Die Angelegenheiten der Schul- und Kindertagesstättenentwicklung: Für die Entwicklung im Stadtteil sind gerade diese öffentlichen Aufgaben von großem Interesse;
Die Aufstellung von Mobilfunkanlagen auf öffentlichen Flächen und Gebäuden: Bisher gab es eine unverbindliche, freiwillige Beteiligung etwa durch die Mobilfunkbetreiber.
Die Mitwirkungsmöglichkeit bei der Ausweisung von gastronomischen Flächen: Die gastronomische Nutzung von Flächen im öffentlichen Straßenraum führt in den Stadtteilen immer wieder zu Konflikten zwischen den Genehmigungsbehörden und den Beiräten. Die Beiräte erhalten die Möglichkeit, an Konzepten für die Nutzung des öffentlichen Straßenraums für gastronomische Zwecke mitzuwirken. Die sich daraus ergebenen Einzelfallentscheidungen werden von der zuständigen Stelle im Rahmen des geltenden Rechts getroffen.


Neu geregelt ist die Zustimmung des Beirates für die Verwendung der für den Stadtteil vorgesehenen Mittel der Kinder- und Jugendhilfe, soweit sich die Verteilung der für den jeweiligen Beiratsbereich vorgesehenen Mittel auf die verschiedenen Einrichtungen innerhalb des Beiratsbereichs beziehen. Bei der Vergabe dieser Mittel nach dem Anpassungskonzept haben die Jugendhilfeausschüsse durch das Kinder- und Jugendhilfegesetz eine besondere Rechtsstellung.
Die Planungen für die örtlichen Spielplätze müssen zukünftig mit dem Beirat abgestimmt werden. Zustimmen muss der Beirat auch bei der öffentlichen Nutzung von Freiflächen der Kinder-, Jugend- und Bildungseinrichtungen im Stadtteil außerhalb ihrer Betriebszeiten im Einvernehmen mit dem Träger der betroffenen Einrichtung.


Neu sind auch einige Entscheidungsrechte, die allein dem Beirate zustehen:
Die Entscheidungen über den Standort von Kunstwerken: Hier geht es nur um Standort, nicht um die Art o.ä. des Kunstwerkes;
Die Schwerpunktsetzungen von besonderen Reinigungsaktionen im Stadtteil, zum Beispiel in der Art wie „Bremen räumt auf“;
Die Standortentscheidungen für Wertstoffsammelcontainer.
Die wesentliche Um- und Zwischennutzungen von Wegen, Plätzen und Grünanlagen (zum Beispiel Aufstellung eines Kiosks). Daraus sich ergebene Einzelfallentscheidungen, insbesondere die Erteilung von Sondernutzungserlaubnissen, werden weiterhin von der zuständigen Stelle im Rahmen des geltenden Rechts getroffen.


Jens Böhrnsen: „Eine spannende Entwicklung wird eröffnet durch die von rot-grün gewollte Ausweitung der Entscheidungskompetenzen der Beiräte in Bezug auf stadtteilbezogene Mittel in den Einzelplänen nach Maßgabe des Haushaltsplans. Das neue Ortsgesetz enthält erstmals in Bremen eine Bennennung von Stadtteilbudgets, diese bedürfen allerdings nun einer weiteren Ausgestaltung. An dieser Stelle sind wir noch nicht fertig mit den Überlegungen, sondern sammeln Informationen auch in anderen Städten und Ländern, wie etwa in Berlin. Hier zeigt sich besonders, dass demokratische Beteiligung ein lebendiger Prozess ist, der neben rechtlichen Rahmenbedingungen auch vom Engagement und der Fantasie der Beteiligten lebt. Wir dürfen das ehrenamtliche Engagement der Beiratsmitglieder auch nicht überfordern, weshalb wir an dieser Stelle in verabredeten Schritten ein zunächst formales Recht ausfüllen.“


Neue Lebendigkeit in der politischen Debatte verspricht sich der Senat durch die Überarbeitung der Einvernehmensregelungen zwischen Beiräten und Deputationen mit erweiterten Möglichkeiten zur Anrufung der Stadtbürgerschaft durch die Beiräte. Grundsätzlich galt bisher, dass für alle Fälle, die vom Beirat beraten wurden, die Einvernehmensregelung anwendbar war. Demgegenüber wird nun klar geregelt, dass bei Allein-Entscheidungsrechten der Beiräte keine Einvernehmensregelung gilt.


Neu ist, dass bei den Beteiligungs- und Zustimmungsrechten die Stadtbürgerschaft in den Fällen die abschließende Entscheidung trifft, in denen diese nach dem geltenden Recht selbst zuständig ist. Dies betrifft Angelegenheiten der Bauleitplanung, also Bebauungspläne, Flächennutzungspläne und Veränderungssperren sowie Festlegung von Sanierungsgebieten und Veränderungen der bremischen Verwaltungsbezirke.
Dazu kommen auch die Maßnahmen der Kinder- und Jugendförderung und die Angelegenheiten der Kinderspielplätze.


Bei Beteiligungs- und Zustimmungsrechten der Beiräte, in denen die Verwaltung die letzte Entscheidung trifft (etwa Verkauf von öffentlichen Flächen und Gebäuden; Nutzungsänderungen von öffentlichen Einrichtungen), können Beiräte künftig bei Meinungsverschiedenheiten beantragen, diese in der Stadtbürgerschaft beraten zu lassen. Diese Beratung hat aber nur beratenden Charakter. Die Stadtbürgerschaft erhält dadurch keine weiteren Entscheidungsbefugnisse. Die Anrufung der Stadtbürgerschaft hat keine aufschiebende Wirkung im laufenden Verwaltungsverfahren.


Gestärkt werden durch das neue Gesetz die Ortsamtsleitungen in ihrer Funktion für das Stadtteilmanagement durch Zuweisung von Planungs- und Koordinierungsfunktionen und zum Beispiel die Durchführung von Moderations- und Schlichtungsverfahren im Stadtteil. Jens Böhrnsen abschließend: „Gerade ein Selbstverständnis der Ortsamtsleitungen als Stadtteilmanagement ist wichtige Voraussetzung für eine erfolgreiche Stadtteilpolitik. Zusammen mit den erweiterten Rechten der Beiräte schafft dies die Möglichkeit, Probleme und Interessen im Stadtteil frühzeitig zu erkennen und durch mit den zuständigen Stellen abgestimmte Konzepte Lösungen zu entwickeln.“