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Sonstige

Pressemitteilung mit Foto Nahrungskette einmal anders herum

19.08.2003

Würmer und Krebse bereiten die Nahrung für andere auf

Das Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie Bremen teilt mit:

Mehr als 50 % der Erdoberfläche ist Meeresboden, der tiefer als 3000 Meter unter dem Wasser liegt. Auf diesem Tiefseeboden geht es - für menschliche Verhältnisse - ziemlich ungemütlich zu. Es ist stockfinster dort unten, die mittlere Temperatur liegt bei 2 bis 4 °C und die Nahrung ist extrem knapp. Im tiefen Nordatlantik z.B. gibt es nur ein Mal im Jahr, nach der wiederkehrenden Planktonblüte, Nahrung in Hülle und Fülle in Form von abgestorbenen Algen, die von oben herab auf den Meeresboden sinken. Damit muss die Lebensgemeinschaft dort unten dann ein weiteres Jahr haushalten. Obwohl dies schon seit Mitte der 80er Jahre bekannt war, war es bisher nicht gelungen, herauszufinden, wie die Tiefseeorganismen sich diese Nahrung erschließen.

Erst jetzt haben deutsche Meeresbiologen vom Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie (Bremen) zusammen mit ihren Kollegen vom Geomar (Kiel), der Universität Tübingen und der Gesellschaft für Biotechnologische Forschung (Braunschweig) zum ersten Mal dank der Kombination von modernster Tiefseetechnik und Isotopen-Markierungstechniken in den Abgründen der Ozeane die Zusammenhänge dieses größten Ökosystems erforscht und berichten darüber in der Zeitschrift NATURE.

Nicht die vielen Bakterien und andere Mikroorganismen wie bisher angenommen, sondern die wenigen kleinen Krebse und Würmer sind die ersten, die die Nahrung in Form von abgestorbenen Algen aufnehmen. Sie sind es auch, die die Nahrung in die Tiefen ihrer Bauten schleppen. Mit diesem aktiven Transportprozess schaffen sie die Nahrung dorthin, wo sich weitere Abnehmer für die Reste finden. Erst dort sind die kleineren Bewohner wie Nematoden und anschließend die Mikroorganismen an der Reihe. Diese neue Erkenntnis ist sehr wichtig, um den Abbau von organischem Kohlenstoff am Tiefseeboden zu verstehen und die Stabilität dieses Ökosystems besser abschätzen zu können. Dieser Prozess ist ein wichtiges Element des globalen Kohlenstoffkreislaufs.


Es ist eine Binsenweisheit: alles Leben braucht Energie. Das gilt auch für die Bewohner der Tiefseeböden. Diese Böden bedecken mehr als die Hälfte der Erdoberfläche und bilden das größte Ökosystem der Erde. Bis jetzt ist nur wenig bekannt darüber, wie sich das Leben dort organisiert hat und wie es mit den stark begrenzten Nahrungsressourcen umgeht.

Am Anfang der Nahrungskette stehen kleine, einzellige Algen, die mit Hilfe der Photosynthese Biomasse aufbauen und so das als Treibhausgas bekannte Kohlendioxid oder CO2 binden. Diese Verbindung ist ein wesentlicher Bestandteil des globalen Kohlenstoffkreislaufs, der entscheidend unser Klima beeinflusst.

Abb1: (links) Diese mikroskopisch kleinen Diatomeen sind Teil der Nahrung für die Tiefseebewohner. Thalassiosira rotula wächst in Zellverbänden, in denen die einzelnen Zellen durch einen Gallertfaden miteinander verbunden sind. Rechts: Eine typische Mischung von Phytoplankton. Mit speziell markierten Zellen von Thalassiosira rotula gelang es erstmals, den genauen Weg der Nahrung durch die Nahrungskette an Ort und Stelle im Tiefseeboden zu verfolgen.
(Beide Fotos von www.mikrobiologischer-garten.de, Marcus Baumann)

(Downloads der hochaufgelösten Bilder unter http://www.mpi-bremen.de/deutsch/presse/witte/)


Im Nordatlantik kommt es in jährlichen Abständen zu einer Algenblüte, die sich auch optisch vom Satelliten aus verfolgen lässt. Sterben die Algen ab, kommt am Meeresboden ein großer Nahrungsschub an: Das "große Fressen" beginnt. Bisher gab es nur wenig wissenschaftliche Fakten darüber, was nun genau passiert. Um diesen Abbauprozess verfolgen zu können, setzten die Wissenschaftler um Ursula Witte vom Bremer Max-Planck-Institut für marine Mikrobiologie und ihre Kollegen Algen der Art Thalassiosira rotula ein (s. Abb. 1). Die Algen wurden mit dem stabilen Kohlenstoffisotop 13C markiert, um den Weg des Algenkohlenstoffs durch die Nahrungskette der Tiefsee verfolgen zu können.

Im Mai 2000 brach ein Team von Meereswissenschaftlern an Bord des deutschen Forschungsschiff FS „Poseidon“ auf zur „Porcupine Abyssal Plain“ (PAP) mitten im Atlantik, rund 1000 Seemeilen südwestlich von Irland. Die Forscher schickten dann Tiefseeroboter, sogenannte „Lander“ zum Meeresgrund.

Alles lag gut im Zeitplan, denn im Mai 2000 war es noch lang bis zur Algenblüte. Seit fast einem Jahr hatte es dort keine Nahrung gegeben - ein idealer Zeitpunkt, um mit Hilfe der markierten Algen zu studieren, was genau beim Eintreffen eines Nahrungspulses passiert.

Abb.2: (rechts) Mit dem deutschen Forschungsschiff Poseidon ging es auf große Fahrt in den Atlantik zur Porcupine Abyssal Plain. Dort konnten die Forscher mit ihren neu entwickelten Tiefseeforschungsgerät die Aktivitäten am Meeresboden in mehr als 3000 Meter Tiefe verfolgen (Foto MPI Bremen). Links: Aussetzen eines Landers.

(Downloads der hochaufgelösten Bilder unter http://www.mpi-bremen.de/deutsch/presse/witte/)

Wie die Messungen zeigten, wurde dieser experimetielle Nahrungspuls in den Messkammern des Tiefseeroboters besonders schnell umgesetzt. Die Bioaktivität - gemessen in Sauerstoffumsetzraten - verdoppelte sich schlagartig. Das war neu für die Wissenschaftler, erwartet wurde, dass es Tage bis Wochen dauern würde, bis der Abbauprozess auf Touren kommt. Bakterien stellen immerhin 95 % der Biomasse in den oberen Tiefseesedimenten dar, deshalb glaubte man lange, sie wären maßgeblich für den Abbau organischen Materials in der Tiefsee verantwortlich. Die Messreihen am Porcupine Abyssal Plain belegten aber, dass zuerst die großen Bewohner wie Krebse und Würmer (bis zu 1 cm) die Nahrung in Angriff nahmen und sie in ihre Gänge transportierten. Dort in bis zu 10 cm Tiefe des Sediments konnten dann kleinere Lebewesen wie z.B. Nematoden, die den für sie weiten Weg zum Meeresboden niemals schaffen würden, sich über die Reste und Ausscheidungen der Würmer und Krebse hermachen. Als Nebeneffekt ihrer Tätigkeit durchlüften die Krebse und Würmer den Meeresboden und sorgen so für optimale Sauerstoffbedingungen. Erst ganz zum Schluss – nach drei Wochen- sind die Mikroorganismen an der Reihe.

Weitere Forschung tut Not: diese Arbeit zeigt, dass die Menschheit immer noch viel zu wenig über die Tiefsee weiß.

Mit dieser neuen Kombination verschiedener moderner Technolgien können die Forscher nun in Zukunft genauere Einblicke in das riesige Ökosystem auf dem Tiefseemeeresboden gewinnen. Dies ist auch dringend nötig, denn der politische Druck wächst, den Meeresboden als Entsorgungspark für unerwünschte Stoffe zu nutzen.

Titel der Originalarbeit:
U. Witte, F. Wenzhöfer, S. Sommer, A. Boetius, P. Heinz, O. Pfannkuche, N. Aberle, M. Sand, A. Cremer, W-R. Abraham, B. B. Jørgensen (2003) “In situ experimental evidence of the fate of a phytodetritus pulse at the abyssal sea floor” Nature, in press.