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Sonstige

BIPS: Entwarnung für das Kernkraftwerk Krümmel


09.04.2003

Ergebnisse der größten deutschen Leukämiestudie in Kiel vorgestellt

Das Bremer Institut für Präventionsforschung und Sozialmedizin (BIPS) teilt mit:


Jahrelang hatten Leukämie-Erkrankungen bei Kindern in der Elbmarsch für Besorgnis gesorgt: Zu nahe lag der begründete Verdacht, das nahegelegene Atomkraftwerk Krümmel nahe Hamburg könnte mit radioaktiven Emissionen nicht nur bei Kindern sondern auch bei Erwachsenen das Risiko für Leukämie drastisch erhöht haben.


Auf einer Presse-Konferenz des Kieler Umweltministeriums stellte jetzt Prof. Dr. med. Eberhard Greiser, Direktor des Bremer Instituts für Präventionsforschung und Sozialmedizin (BIPS), klar: "Das Kernkraftwerk Krümmel scheidet als Verursacher der Leukämie-Häufung in der Elbmarsch aus. Alle durchgeführten Analysen ergeben keinen verwertbaren Hinweis auf ionisierende Strahlen als Ursache“.


Anlass für die grösste deutsche Studie über die Ursachen von Leukämie und Lymphdrüsenkrebs waren seit 1989 auffällige Erkrankungsfälle von Kindern an Leukämie in derjenigen Gemeinde, die dem Kernkraftwerk Krümmel an der Elbe gegenüber lag. Dieses sogenannte Leukämie-Cluster war vom Deutschen Kinderkrebsregister als die weltweit grösste regionale Häufung von Kinderleukämien bestätigt worden. Alle Fälle waren nach der Inbetriebnahme des Kernkraftwerkes aufgetreten und führten zu einer starken Beunruhigung der Bevölkerung.


Das Niedersächsiche Sozialministerium und das Schleswig-Holsteinische Umwelministerium beuftragten deshalb das BIPS mit einer ersten Studie über die Häufigkeit von Leukämie und Lymphdrüsenkrebs in den drei Landkreisen, die das Kernkraftwerk umschlossen. Das 1994 vorliegende Ergebnis zeigte auch für Erwachsene ein erhöhtes Erkrankungsrisiko, wenn sie in einem 5-Kilometer-Kreis um das Kernkraftwerk Krümmel wohnten.


Ende 1996 entschlossen sich die beiden Landesministerien zu einer weiteren Studie, die die Ursachen dieser Krankheitshäufung aufklären sollte: eine sogenannte epidemiologische Fall-Kontroll-Studie. Dabei sollte nicht nur untersucht werden, ob das Kernkraftwerk mehr Leukämien verursachte - das Kieler Umweltministerium plagte auch ein zusätzliches Problem: Im westlich von Hamburg gelegenen Landkreis Pinneberg hatte das Institut für Sozialmedizin der Medizinischen Universität Lübeck eine Häufung von Lymphdrüsenkrebs in einer Gegend ermittelt, in der auffallend viele Baumschulen lagen. Die in den Baumschulen angewendeten Pestizide standen schon länger im Verdacht, gesundheitsgefährdend zu sein.


Prof. Dr. med. Wolfgang Hoffmann, war als wissenschaftlicher Projektkoordinator für die Durchführung und Auswertung der Studie verantwortlich. Für die Studie mussten aus 6 Landkreisen in Niedersachsen und Schleswig-Holstein zuerst alle zwischen 1986 und 1998 an Leukämie und Lymphdrüsenkrebs erkrankten Patientinnen und Patienten identifiziert werden. Dazu wurden in allen Krankenhäusern der Landkreise und in vielen weiteren Kliniken darüber hinaus Recherchen durchgeführt. In ver-gleichbarer Weise mussten die Praxen niedergelassener Ärzte, Gesundheitsämter und pathologische Institute einbezogen werden.


Ziel der Studie war es, Patienten und eine Vergleichsgruppe nicht-erkrankter Personen aus der Allgemeinbevölkerung intensiv daraufhin zu befragen, ob sie jemals mit solchen Stoffen in Kontakt gekommen wären, die im Verdacht standen, diese Krankheiten auszulösen. Wenn ein Patient zum Zeitpunkt der Studie bereits verstorben war, wurden Interviews mit Angehörigen durchgeführt.


Letzten Endes konnten mit Patienten oder ihren Angehörigen 1.430 Interviews gemacht werden, mit Vergleichspersonen 3.041 Interviews.


Zusätzlich zu den Interviews wurden auch in vielen der Haushalte Messungen von elektromagnetischen Feldern durchgeführt, weil auch diese in letzter Zeit in Verdacht geraten sind, das Leukämierisiko zu erhöhen. Energieversorgungsunternehmen lieferten - wenngleich manchmal widerstrebend - Daten über Hochspannungsleitungen.


Wie Prof. Hoffmann erläuterte, zeigen die Auswertungen für Männer ein erhöhtes Leukämie-Risiko im 100-Meter-Umkreis um Hochspannungsleitungen, jedoch nicht für Frauen, so dass insgesamt ein Erkrankungsrisiko durch elektromagnetische Felder aus der Umwelt nicht ausgeschlossen werden kann.


Starke Risiko-Erhöhungen durch Holzschutzmittel und Pestizide


Nach der Anwendung von Unkrautvertilgungsmitteln, Insektiziden und Holzschutzmitteln war in den Interviews intensiv gefragt worden. Dabei war darauf geachtet worden, die berufliche Anwendung von der Anwendung im Haushalt und im Kleingarten zu trennen. Die Ergebnisse der Analysen dieser sind ausserordentlich beunruhigend: Es zeigen sich für Leukämien wie für Lymphdrüsenkrebs starke und statistisch signifikante Erhöhungen der Erkrankungsrisiken, die zum Teil auf Risiko-Steigerungen um über 100 % hinauslaufen. Diese Befunde zeigten sich sowohl bei der beruflichen Anwendung dieser Stoffe als auch im Haushalt.


Die Ergebnisse bestätigen Befunde aus einer früheren Fall-Kontroll-Studie des BIPS. Die Wissenschaftler des BIPS stellten fest: "Holzschutzmittel ganz gleich welcher Art sind in Innenräumen vollkommen überflüssig. Für Insektizide und Unkrautvertilgungsmittel gibt es in den meisten Fällen ungefährliche Alternativen." Prof. Greiser warnte ausdrücklich vor Elektroverdampfern: "Elektroverdampfer gehörten verboten. Zum Mückenschutz im Sommer hilft ein Mückenschutzgitter vor dem Fenster, ohne dass man dabei ein Leukämierisiko eingeht."


Die Norddeutsche Leukämie- und Lymphomstudie (NLL) kostete insgesamt ca. 6.5 Millionen DM. Sie wurde finanziert vom Schleswig-Holsteinischen Umweltministerium, vom Niedersächsischen Sozialminiserium und vom Bremer Institut für Präventionsforschung und Sozialmedizin (BIPS).