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Der Senator für Finanzen | Sonstige

"Ausplündern und Verwalten"

Bürgermeisterin Karoline Linnert und Staatssekretär Werner Gatzer eröffnen Ausstellung über die Beteiligung der Finanzverwaltung am Nazi-Terror

10.12.2015

"Es ist erschütternd zu verfolgen, wie der NS-Staat die Juden buchstäblich bis auf das letzte Hemd ausplünderte. Vor der physischen Vernichtung stand die finanzielle. Der nationalsozialistische Terror wäre ohne das reibungslose Funktionieren des Verwaltungsapparates so nicht möglich gewesen", erklärte Bürgermeisterin und Finanzsenatorin Karoline Linnert bei der gestrigen Eröffnung (9. Dezember 2015) der Ausstellung "Ausplündern und Verwalten" in der Bremer Landesvertretung in Berlin.

Bei der Ausstellungseröffnung: Prof. Dr. Jaromir Balcar, Bürgermeisterin Karoline Linnert, Johannes Beermann, Staatssekretär Werner Gatzer, Staatsrat Henning Lühr und Ulrike Hiller,  Bevollmächtigte beim Bund, für Europa und Entwicklungszusammenarbeit (von links nach rechts)
Bei der Ausstellungseröffnung: Prof. Dr. Jaromir Balcar, Bürgermeisterin Karoline Linnert, Johannes Beermann, Staatssekretär Werner Gatzer, Staatsrat Henning Lühr und Ulrike Hiller, Bevollmächtigte beim Bund, für Europa und Entwicklungszusammenarbeit (von links nach rechts)

Mit dieser Ausstellung stellt sich die Bremer Finanzverwaltung dem dunkelsten Kapitel ihrer Geschichte. Die Ausstellung stellt Ergebnisse eines Forschungsprojekts an der Universität Bremen in Kooperation mit der Senatorin für Finanzen vor. Es wird dokumentiert, wie jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger im Nationalsozialismus mit Hilfe der bremischen Finanzverwaltung um ihr Hab und Gut gebracht wurden. Die Finanzverwaltung war aktiv beteiligt an der Enteignung und wirtschaftlichen Vernichtung jüdischer Familien, die in Bremen lebten und über Bremen auswanderten oder deportiert wurden. Die Finanzsenatorin betont: "Das Handeln der Reichsfinanzverwaltung ist ein erschreckendes Beispiel dafür, wie eine Fachverwaltung zu einem willfährigen Instrument des Unrechtsstaates wurde. Die Finanzbehörde hat eine aktive Rolle beim staatlichen Terror gespielt. Akten über steuerliche Benachteiligungen, Sonderabgaben und Enteignungen belegen die Ausplünderung der deutschen Juden, ihre schrittweise Entrechtung und wirtschaftliche Vernichtung. Der Staat hat sich schamlos bereichert, private Unternehmen haben die Ausplünderung als "Dienstleister" unterstützt und ein beachtlicher Teil der Bevölkerung hat davon profitiert. Auf so genannten Judenauktionen wurde der Besitz geflohener, vertriebener oder deportierter jüdischer Mitbürgerinnen und Mitbürger öffentlich versteigert."

Werner Gatzer, Staatssekretär beim Bundesministerium der Finanzen, berichtete, dass auch das Bundesfinanzministerium die Geschichte der Finanzverwaltung in der Zeit des Nationalsozialismus untersuche. Eine unabhängige Historiker-Kommission ist mit der Erforschung der Geschichte des Reichsfinanzministeriums in der Zeit des Nationalsozialismus beauftragt: "Wer die Zukunft gestalten will, muss die Vergangenheit verstehen." Nach dem Krieg habe man gern von einem reinen Fachministerium gesprochen, das an den politischen Entscheidungen des NS-Regimes nicht beteiligt war. Man sei lediglich Hauptbuchhalter und Zahlmeister des NS-Regimes gewesen. Kommentar des Staatssekretärs: "Diese verharmlosende Sichtweise ist nicht haltbar. Die Finanzverwaltung und das Ministerium waren eng verstrickt mit dem NS-System und seinen Verbrechen."

Der Historiker Dr. Jaromir Balcar, Leiter des Forschungsprojektes zur "Judenverfolgung und Wiedergutmachung in Bremen", bezeichnete die Kooperation zwischen Forschern und Finanzressort bei der Aufarbeitung der Geschichte der NS-Steuerverwaltung und der Wiedergutmachung in Bremen als gelungen. Er erinnerte an die "Aktion M" im besetzten West-Europa: Jüdischer Besitz wurde in europäischen Nachbarländern beschlagnahmt und ins Gau Weser-Ems transportiert. "Dadurch hat Bremen eine gesamteuropäische Bedeutung bei der Ausplünderung der Juden." Er freute sich, dass die Forschungsergebnisse im Rahmen der Ausstellung einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.

Der Historiker Johannes Beermann ging auf die Rolle der Fuhrunternehmen bei der Ausplünderung der Juden ein. Ein Thema, dem die Forschung bisher wenig Aufmerksamkeit gewidmet habe: "Für die Speditionen waren die Massenauswanderung und Deportationen mit einträglichen Geschäften verbunden. Außerdem gab es Fälle, wo die Zwangslage der jüdischen Kunden ausgenutzt wurde, zum Beispiel durch überzogene Preise."

Erinnern für die Zukunft
Finanzsenatorin Karoline Linnert dankte allen Beteiligten, die zum Gelingen der Ausstellung beigetragen haben: "Die Historiker der Bremer Uni, die Aktiven in der Geschichtsgruppe der Finanzämter und die Ausstellungsmacher haben eine Auseinandersetzung mit dem, was Recht und Unrecht war und ist, ermöglicht." Sie freute sich, dass sich in Bremen, wo die Ausstellung zuvor gezeigt wurde, zahlreiche Besucherinnen und Besucher über dies dunkle Kapitel der deutschen Geschichte informierten.
"Ich hoffe, dass auch viele Berlinerinnen und Berliner die Gelegenheit nutzen. Die Ausstellung sensibilisiert gegenüber vielfältigen Formen von Ausgrenzung und Diskriminierung in unserer Gesellschaft. Wie hätte ich in der damaligen Situation gehandelt? Diese Frage sollte sich jede und jeder stellen."

Die Ausstellung in der Bremer Landesvertretung in Berlin (Hiroshimastraße 24) ist bis zum15 Januar2016 montags bis freitags von 10 bis 15 Uhr geöffnet.

Der Eintritt ist frei.

Weitere Auskünfte gibt in der Bremer Landesvertretung Veit Swoboda, Referent für Veranstaltungen, Telefon: 030-26930-177, Mail: veit.swoboda@lvhb.bremen.de.

Die Ergebnisse des Forschungsprojekts "Judenverfolgung und Wiedergutmachung in Bremen" sind in dem Buch "Raub von Amts wegen – Zur Rolle von Verwaltung, Wirtschaft und Öffentlichkeit bei der Enteignung und Entschädigung der Juden in Bremen" nachzulesen. Neben der Rolle der Verwaltung in der Zeit des Nationalsozialismus wird in dem Buch der Frage nachgegangen, welche Versuche in Bremen nach 1945 unternommen wurden, um sie für das erlittene Unrecht – soweit überhaupt möglich – zu entschädigen.

Foto: Pressereferat, Senatorin für Finanzen