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Die Senatorin für Justiz und Verfassung

Bericht der Sachverständigenkommission zur Bewertung der Personalausstattung der bremischen Gerichte und Staatsanwaltschaften

14.05.2001

Übergabe des Zwischenberichtes an den Präsidenten des Senates und Justizse-nator, Herrn Dr. Henning Scherf, am 14. Mai 2001 im Rathaus Bremen

Kurzfassung vom Vorsitzenden der Kommission

Die Kommission:

Die Sachverständigenkommission zur Bewertung der Personalausstattung der bremischen Gerichte und Staatsanwaltschaften wurde mit einem Senatsbeschluss vom 8. Februar 2000 ins Leben gerufen. Die Mitglieder der Kommission sind:

Ständige Mitglieder:
Prof. Dr. Frank Haller (Vorsitzender) BAW
Institut für Wirtschaftsforschung GmbH, Bremen
Monika Nöhre Vizepräsidentin des Oberlandesgerichtes Hamburg
Rainer Voss Vorsitzender des Deutschen Richterbundes, Berlin
Anton Braun Hauptgeschäftsführer der Bundesrechtsanwaltskammer, Bonn
Dr. Henning Hübner Präsident der Hanseatischen Rechtsanwaltskammer Bremen
Prof. Dr. Peter Derleder Fachbereich Rechtswissenschaft der Universität Bremen
Rüdiger Tönnies Präsident des Amtsgerichts Bremen
Dr. Klaus-Dieter Schromek Richter am Landgericht Bremen
Henning Lühr Senatsdirektor beim Senator für Finanzen, Bremen

Nichtständige Mitglieder der Kommission:
Jan Frischmuth Leitender Oberstaatsanwalt, Bremen
Matthias Stauch Präsident des Verwaltungsgerichtes, Bremen
Monika Paulat Präsidentin des Landessozialgerichtes, Celle
Prof. Hans-Jürgen Ziemann Präsident des Finanzgerichtes, Bremen

Die Aufgaben der Kommission:
Ziel der Sachverständigenkommission ist es, die Leistungsfähigkeit der bremischen Gerichte und Staatsanwaltschaften zu ermitteln und Wege zu deren Optimierung aufzuzeigen. Im Rahmen eines Leistungsvergleiches sollen dabei Erkenntnisse einerseits über die Stellung der bremischen Gerichte und Staatsanwaltschaften auf Bundesländerebene erbracht werden. Andererseits sollen Verbesserungsmöglichkeiten auch im Rahmen von Fallstudien bei besonders gut positionierten Ländern bzw. Städten erkundet werden.

Zum methodischen Vorgehen:
Das methodische Vorgehen der Kommission stützt sich in erster Linie auf die Anwendung des Benchmark-Verfahrens. Dieses Verfahren, das aus der Betriebswirtschaft und der regionalwirtschaftlichen Sicht stammt, soll im Sinne des Wettbewerbs Transparenz zwischen vergleichbaren Wirtschaftseinheiten schaffen. Instrumente des Benchmarks sind der Regionalvergleich, die Ermittlung von Best Practice (also des Leistungsstärksten) und die Ursachenanalyse der Abweichungen.

Die Sachverständigenkommission bedient sich der Methode des Benchmarkings mit dem Ziel, Transparenz zu schaffen. Durch ein Benchmark-Verfahren soll herausgefunden werden, warum Unternehmen/Verwaltungen mit ähnlichen Aktivitäten und Verfahren unterschiedliche Leistungen erzielen. Die Kommission war sich bei der Wahl dieser Methode bewusst, dass die Übertragung dieses Verfahrens auf einen hoheitlichen Dienstleistungssektor mit Problemen behaftet ist. Die Input- und Output-Größen werden hier im wesentlichen durch Mengen, nicht Preise bestimmt, die reale Marktorientierung ist nicht ohne weiteres aus den erzielten Einnahmen abzuleiten.

Gleichwohl sind auch betriebswirtschaftliche Kriterien geeignete Parameter, Aussagen zur Leistungsfähigkeit der Justiz im Rahmen der rechtsstaatlichen Vorgaben mit zu ermöglichen. Die Entwicklung der öffentlichen Haushalte, gerade auch in Bremen, macht es notwendig, in einem Länder- und Regionenvergleich die Chancen zur Effizienzsteigerung zu ermitteln, d.h. dort, wo es möglich ist, von anderen zu lernen.


Ergebnisse:
Die hier vorgelegten Zwischenergebnisse der Sachverständigenkommission enthalten Aussagen zu folgenden Justizbereichen:

Amtsgerichte (Zivil- und Familiensachen)
Landgerichte (Zivilsachen, Erst- und Berufungsinstanz)
Oberlandesgerichte (Zivil- und Familiensachen)

Im Rahmen eines einheitlichen Benchmark-Verfahrens werden dabei fünf Indikatorenbereiche vertiefend für den Zeitraum 1994 bis 1998 untersucht:

(1) Erledigungen je Richter, (2) Verfahrensdauer in Monaten, (3) Anteil der Vergleiche an allen Erledigungen, (4) Anteil der Streitigen Urteile an allen Erledigungen und (5) die Rechtsmittelerfolgsquote.

Die Auswahl der Indikatoren orientiert sich zum einen an quantitativen Maßstäben, wie dem Merkmal Erledigungen je Richter. Dadurch ist ein Maßstab für die Produktivität gegeben. Die Kennziffer für die Bürgerorientierung wird durch die Verfahrensdauer in Monaten definiert.

Andererseits werden aber auch eher qualitativ ausgerichtete Merkmale wie die Häufigkeit der Prozessvergleiche einbezogen. Der Prozessvergleich stellt sicherlich einen zentralen Qualitätsfaktor dar. Er ist von außerordentlicher Bedeutung für die Rechtskultur, da er wesensmäßig die beidseitige Hinnahme einer von dem Gericht vorgeschlagenen Lösung voraussetzt. Auch unter ökonomischen Gesichtspunkten stellt der Vergleich einen Qualitätsfaktor dar, denn das Verfahren wird durch ihn in einer Instanz abgeschlossen.

Die Kommission hat einen relativ geringen Anteil der streitigen Urteile an der Gesamtzahl der Erledigungen als Qualitätsmerkmal gewertet, weil sich insoweit eine autoritative staatliche Regelung als nicht erforderlich erwiesen hat. Sie verkennt dabei nicht, dass je nach Streitgegenstand, Streitwert und Instanz streitige Urteile unvermeidlich sein können und eine höhere Zahl von Urteilen in solchen Angelegenheiten auch einen Ausweis der Leistungsfähigkeit darstellen kann.

Die Rechtsmittelerfolgsquote ist der Anteil aller Berufungen, die von der Justizstatistik in den Rubriken „Änderung und/oder eigene Sachentscheidung“ bzw. „Aufhebung und Zurückverweisung“ erfasst werden. Da mit der „kleinen“ Rechtsmittelerfolgsquote (Anteil dieser Berufungen an allen Berufungen) nur ein kleiner Ausschnitt der Verfahren erfasst werden kann, wird der Rechtsmittelerfolg hier auf alle Erledigungen bezogen. Die folgende Tabelle 1 enthält einen Überblick über die untersuchten Indikatoren.


Tabelle 1: Untersuchte Indikatoren und ihre generelle Bewertung


IndikatorBewertung
Viele Erledigungen je Richterpositiv 
Lange Verfahrensdauer in Monatennegativ
Hoher Anteil der Vergleiche an allen Erledigungenpositiv
Hoher Anteil der streitigen Urteile an allen Erledigungennegativ
Hohe Rechtsmittelerfolgsquote (Anteil erfolgreicher
Berufungen an allen Erledig.)
negativ

Grundsätzlich ist die Zugänglichkeit und Vergleichbarkeit der Daten ein entscheidendes Kriterium. Aus diesem Grund bildet die empirische Basis dieses Berichtes im wesentlichen die amtliche Statistik. Die bundesweiten Ergebnisse der Zählkartenerhebung, die im Rahmen der Justizgeschäfts-statistik der Länder durchgeführt wird, werden vom Statistischen Bundesamt erstellt und jährlich veröffentlicht. Als räumlicher Maßstab für das Benchmarking stehen die Bundesländer zur Verfügung.


Ziel der Auswertung der amtlichen Statistik ist es, eine von zufälligen Komponenten weitgehend bereinigte Bewertungsgröße für jedes Bundesland zu erhalten. Aus diesen Informationen werden dann die sog. Best-Practices - die besten Werte aus den 11 untersuchten (alten) Bundesländern - abgeleitet. Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass die hier untersuchten bremischen Gerichte in keinem Indikator schlecht abschneiden, dafür aber in sieben Indikatoren die Best-Practice-Beispiele im Bundesländervergleich stellen.


Wie diese statistischen Untersuchungen im weiteren Gang des Benchmark-Verfahrens für die Optimierung des bremischen Gerichtswesens genutzt werden, soll an einem Beispiel verdeutlicht werden. So wurde das gute Abschneiden bei der Verfahrensdauer (5,1 Monate) in erstinstanzlichen Zivilprozesssachen in den Landgerichten Baden-Württembergs als Anlass für eine vertiefende Fallstudie genutzt. Daraufhin wurde das Landgericht Stuttgart für eine Vor-Ort-Untersuchung ausgewählt, um den Ursachen für die besonders schnelle Erledigung der Verfahren nachzugehen. Im Ergebnis zeigte sich, dass die Durchführung eines frühen ersten Termins (§ 275 ZPO) unmittelbar nach Klageeingang und mit einem Vorlauf von ca. 6 Wochen einen entscheidenden Einfluss hat. In Einzelfällen findet bereits in dem ersten Termin die Anhörung von Sachverständigen oder – in geeigneten Sachen – ein Ortstermin statt. Offensichtlich zahlt sich der hohe Vorbereitungs- aufwand für den frühen ersten Termin aus: Er verhindert ein Ausufern des Schriftwechsels zwischen den Parteien, hält den Aktenumfang gering und vermeidet die Verfestigung des Prozessstoffs durch ausgedehntes schriftliches Vorbringen.

Um die Einführung möglicher Effizienzverbesserungen auch in den Bremer Gerichten zu erreichen, erprobt die 1. Zivilkammer des Bremer Landgerichts seit dem Anfang des Jahres 2001, ob und ggfs. welcher Zeitgewinn durch eine vergleichbar gezielte frühe Terminierung erreicht werden kann. Anhand dieses Beispiels kann die Arbeitsweise der Sachverständigenkommission gut deutlich gemacht werden: Im Benchmark-Verfahren geht es nicht in erster Linie um ein Ranking der „Besten und Schlechtesten“. Diese Grund- informationen sind eher als Ausgangspunkt für gegenseitige Lerneffekte zur Steigerung der Leistungsfähigkeit anzusehen.


Fazit und Ausblick:

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass mit dem Benchmark-Verfahren der Einstieg in die Transparenz eines quantitativ nur schwer zu analysierenden Bereichs hoheitlicher Dienstleistungen möglich wird. Mit der Ableitung von Einzelindikatoren sind Ansatzpunkte zur Abbildung der Leistungsfähigkeit des Justizwesens, im überregionalen Vergleich hier anhand der Amts-, Land- und Oberlandesgerichte, gegeben.

Um die Beurteilung zu vervollständigen, wird die Kommission in einem nächsten Schritt die Untersuchungen auf andere Gerichtsbereiche (Fachgerichtsbarkeiten und Staatsanwaltschaft) ausdehnen, um auf diese Weise auch die Gesamtschau des Bremer Gerichtswesens zu ermöglichen.