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Die Senatorin für Arbeit, Soziales, Jugend und Integration

Senatorin Adolf stellt dritten Bericht des Senats zu Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit im Lande Bremen vor

19.12.2000

Hilde Adolf: "Wir sind auf dem richtigen Weg – aber nicht schon am Ziel"

"Der Kampf gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit ist eine Daueraufgabe, er kann daher nicht nur Gegenstand von Aktionsprogrammen sein. Wer sich ehrlich den Ursachen von Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit stellt, wird seiner Auseinandersetzung damit politische Kontinuität geben".Das hat die Senatorin für Arbeit, Frauen, Gesundheit, Jugend und Soziales, Hilde Adolf, heute (19. Dezember 2000) bei der Vorstellung des dritten Berichts des Senats über Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit im Lande Bremen betont. Im Zwei-Städte-Staat, so die Senatorin, sei diese politische Kontinuität gewahrt. Als der Senat 1987 seinen ersten Bericht zum Thema vorgelegt habe, sei dies - nicht zufällig - auch der erste Bericht gewesen, den überhaupt ein Bundesland erstellt hatte.


Bremen ist nach Angaben von Hilde Adolf das Bundesland, das – noch immer – auf dem letzten Platz der dramatischen Statistik liegt, nach der berechnet ist, wieviele Gewalttaten mit rechtsextremistischer oder fremdenfeindlicher Motivation je 100.000 Einwohner verübt worden sind. In dieser Statistik ist für das Land Bremen noch in keinem Jahr ein Tötungsdelikt oder ein Brandanschlag registriert worden. Aber auch in Bremen und in Bremerhaven gibt es nach Einschätzung des Landesamtes für Verfassungsschutz "Personen und Gruppen mit neonazistischer Ausrichtung, deren Gewaltbereitschaft nicht anzuzweifeln ist".

Beleg dafür ist die vor einigen Wochen aufgedeckte Vorbereitung eines Sprengstoffverbrechens durch einen zu diesem Spektrum gehörenden Mann aus Bremen-Nord.


Senatorin Adolf: "Dass es im Lande Bremen besser aussieht als anderswo, heisst nicht, dass es hier schon gut aussieht, heisst vielleicht, dass wir hier auf dem richtigen Weg sind aber eben nur auf dem Weg, nicht schon am Ziel".


Der Senat hat es sich zur Verpflichtung gemacht, die Öffentlichkeit darüber zu informieren, wie sich im Lande Bremen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit entwickeln und welche Anstrengungen der Senat unternimmt, diesen Entwicklungen gegenzusteuern.


Ein erster Bericht wurde 1987 vorgelegt, ein zweiter 1993. Der heute vom Senat vorgelegte dritte Bericht bilanziert die Entwicklungen für die Zeit zwischen 1993 und 2000.


Es gibt zumindest drei Tatsachenbereiche, die zu Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit im Lande Bremen objektivierte Hinweise liefern:

  • das Wahlverhalten,

  • die rechtsextremistisch oder fremdenfeindlich motivierten Straftaten



Der Bericht liefert dazu in seinen ersten Kapiteln detaillierte Zahlen, Daten und Fakten.


Der Bericht setzt sich weiter mit der wissenschaftlichen Erforschung von Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit auseinander und gibt dabei grundlegende Antworten vor allem auf zwei Fragen: Erstens: Was ist unter "Rechtsextremismus" und "Fremdenfeindlichkeit" zu verstehen? Und zweitens: Wer ist rechtsextrem oder fremdenfeindlich – und wer ist gefährdet, dies zu werden?


Fremdenfeindlichkeit ist nach Auffassung von Senatorin Adolf indessen nicht annähernd nur ein Phänomen des Rechtsextremismus. Fremdenfeindlichkeit habe nicht nur eine kleine Heimat an den rechten Rändern der Gesellschaft, sondern nehme auch in deren Mitte viel Platz ein - dort, wo zwar der Rechtsextremismus aktuell keine große Chance habe, wo es aber Anfälligkeiten für diverse Formen des Rechtspopulismus gebe.


Die auch heute noch weit verbreitete Vorstellung, es gebe ‚die‘ rechtsextremistischen Täter,- und "die" seien alle jung, männlich, bildungsmäßig benachteiligt und arbeitslos – sei abwegig, so Hilde Adolf. Diese Vorstellung sei aber auch gefährlich, weil sie die Ziele der notwendigen politischen Arbeit falsch festlege – und die Ursachen von Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit verkenne.


Der Begriff "Anerkennungszerfall" (er stammt von Wilhelm Heitmeyer) ist neueren Datums und war 1993, also im ersten Jahr des Berichtszeitraums, noch nicht bekannt.

Das damit bezeichnete Phänomen war dennoch der vielleicht wichtigste Kristallisationspunkt in den 1993 für den Senat richtungweisend gewordenen politisch-strategischen Bewertungen der Ursachen von Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit.


Danach besteht die Überzeugung, dass die Demokratiefähigkeit derjenigen Menschen gestört oder gefährdet ist, die erleben oder fürchten, dass ihre Anerkennung nicht gegeben ist.

Sie reagieren auf das Gefühl der Nicht-Anerkennung damit, auch andere Menschen nicht mehr anzuerkennen - und sich dann das Gefühl von Wert dadurch zurückzuholen,dass unterhalb des eigenen Wertes Menschen klassifiziert werden, die minderwertig seien.


Dies geht aber nur in einer aggressiven Herangehensweise, die soziale Normen und Regeln auflöst, ohne dabei die Folgen für andere zu berücksichtigen. Die Gewaltschwelle kann jetzt sinken, die Gewaltbereitschaft wachsen und schließlich zu Gewalt werden.

Wenn dafür noch Legitimationsmuster

    z.B. in einer Ideologie der Ungleichwertigkeit – gefunden werden, und wenn vielleicht auch Organisationen gefunden werden,die Stärke und Anerkennung versprechen, dann eskalieren die Entwicklungen, die einmal in fehlender Anerkennung ihren Anfang genommen haben.


Im Bericht wird dargestellt, wo die Ursachen für Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit liegen, mit welchen Strategien der Senat darauf reagiert und wie diese Strategien zu Konzepten und Maßnahmen umgesetzt werden. In einem weiteren Kapitel wird hervorgehoben, dass sich im Lande Bremen der Kampf gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit auf starke zivilgesellschaftliche Aktivitäten stützen kann. Dieser Kampf wird nicht als nur staatliche Aufgabe, sondern als Aufgabe aller demokratiebewussten, gesellschaftlichen Kräfte begriffen.


Der Bericht konzentriert sich nach Angaben der Senatorin besonders auf diejenigen Ursachen von Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit, die einer unmittelbaren landespolitischen Einflussnahme zugänglich sind. Dabei werden insbesondere vier Ursachenfelder herausgehoben auch als strategische Ziele für die politischen Aktivitäten im Berichtszeitraum:


    1. Verbesserung von schulischen und beruflichen Erfolgen

    2. Werte-Erziehung

    3. Herstellung sozialer Bindungen und Orientierungen,besonders unter Jugendlichen und

    4. Verbesserung von Wohn- und Wohnumfeldsituationen.


Jedem dieser vier strategischen Ziele werden im Bericht die dazugehörigen Teilkonzepte und Einzelmaßnahmen zugeordnet, in einem viele Seiten füllenden Maßnahmen-Katalog. Der Katalog liefert bereits Angaben zu rund 200 Konzepten, Maßnahmegruppen und Maßnahmen. Wegen des Umfangs und der Vielfalt der insgesamt geleisteten Arbeit musste jedoch verkürzt, zusammengefasst und exemplifiziert werden.


Im Hinblick auf das erste strategische Ziel (die Verbesserung schulischer und beruflicher Erfolge) wird dokumentiert, welche bildungs-, ausbildungs- und arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen entwickelt und umgesetzt worden sind. Und es wird, durch Offenlegung statistischer Zahlen, deutlich, dass -und wie - diese Maßnahmen Wirkung gezeigt haben:

  • durch eine Verbesserung von Schulabschlüssen,

  • durch eine Verbesserung der Vermittlung von Ausbildungsplätzen

  • und durch eine Verbesserung der Arbeitsmarktlage.


  • Im Hinblick auf das zweite strategische Ziel (die Werte-Erziehung) unterscheidet der Bericht zwischen schulischer und außerschulischer Werte-Erziehung und differenziert dabei - allein bei der außerschulischen Werte-Erziehung - noch zwischen mehr als 10 Teilkonzepten. Einige davon sind: Orientierung auf die Werte der Demokratie, Aufarbeitung der Zeit des Nationalsozialismus, Aufarbeitung von zeitgeschichtlichen Themen wie Flucht, Asyl, Migration und Integration, Antidiskriminierungsarbeit mit Ausstellungen, mit Publikationen, mit Veranstaltungen und mit dem Infomobil sowie die Institutionalisierung der Antidiskriminierungsarbeit.


    "Bei der Dokumentation von Maßnahmen, die dem dritten strategischen Ziel dienen (der Herstellung sozialer Bindungen und Orientierungen) drücken wir uns nicht schönredend um die Tatsache herum, dass es im Zusammenhang mit Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit Gewalt und Gewaltbereitschaft gibt", sagte die Senatorin. Aber es gebe eben auch Möglichkeiten, auf Gewalt und Gewaltbereitschaft mit repressiven, deeskalierenden und präventiven Verfahren zu reagieren. Diese Möglichkeiten würden systematisch wahrgenommen.


    Im Bericht ist eine lange Liste von Einzelmaßnahmen enthalten; ebenso eine Darstellung der einzelnen - in der praktischen Jugendarbeit zu unterscheidenden – Jugendszenen, denen die Einzelmaßnahmen gelten. Keine Jugendszene wird bei der Arbeit vergessen, aber auf die sogenannten ‚normalen Jugendlichen‘ wird anders und mit anderen Konzepten zugegangen als zum Beispiel auf Jugendliche in rechtsextremen Cliquen.


    Bei der Dokumentation von Maßnahmen, die dem vierten strategischen Ziel dienen (der Verbesserung von Wohnumfeldsituationen), bildet sich die Gesamtstrategie des Senats noch einmal ab, und zwar im besonderen Bezug auf bestimmte (sogenannte benachteiligte) Wohngebiete. Es sind dies vor allem Wohngebiete mit Großwohnsiedlungen an den Rändern der Stadt (in Bremen z.B. Tenever, Marßel und Kirchhuchting), in denen Konflikte zwischen Deutschen und Nicht-Deutschen auffällig gewesen sind, in denen aber auch das Wahlverhalten besondere Anfälligkeiten für Rechtsparteien gezeigt hat.


    Hier werden gezielte zusätzliche Anstrengungen unternommen

  • zur Verbesserung schulischer und beruflicher Erfolge,

  • zur Werte-Erziehung und

  • zur Herstellung von sozialen Bindungen und Orientierungen.

  • Wo Maßnahmen zur Sanierung der bremischen Haushalte Einsparungen erfordern, wird nach Angaben der Senatorin darauf geachtet werden, dass politisches und konzeptionelles Engagement gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit davon unberührt bleibt. Dieser Leitsatz ist einer von 10 Leitsätzen, die den Bericht abschließen. Hilde Adolf: "Es sind dies Leitsätze, die im Berichtszeitraum das operative Handeln der bremischen Landespolitik gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit bestimmt haben - und weiter bestimmen werden."