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Die Senatorin für Arbeit, Soziales, Jugend und Integration

"Bremer Programm" für einen verbesserten Schutz der Bevölkerung beschlossen

29.01.2001

Die auf Einladung der Bremer Gesundheitssenatorin Hilde Adolf in Bremen tagende Sonderkonferenz der für den gesundheitlichen Verbraucherschutz zuständigen Ministerinnen und Minister, Senatorinnen und Senatoren der Länder hat heute (29. Januar 2001) in Bremen das sogenannte „Bremer Programm“ für einen verbesserten Schutz der Bevölkerung beschlossen. Die Entschließung hat folgenden Wortlaut:

I.

Deutschland hat sich zu lange in der Sicherheit gewähnt, BSE-frei zu sein. Seit dem Auftreten der ersten BSE-Fälle im November 2000 und angesichts beunruhigender Prognosen über zu erwartende Fallzahlen sowie über die Möglichkeit der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit neuer Art beim Menschen ist in der Bundesrepublik der notwendige Paradigmenwechsel beim Verbraucherschutz eingeleitet worden.

Allerdings gilt weiterhin, dass wissenschaftliche Erkenntnisse zu entscheidenden Fragen, wie z.B. den genauen Eigenschaften des Erregers, der Übertragbarkeit oder der Nachweismethoden, fehlen oder teilweise unsicher sind. Die Forschungsaktivitäten sind zu verstärken; sie sind jedoch weder ausreichend noch genügend koordiniert. Aber selbst bei vermehrten Anstrengungen wird es jahrelang noch Wissensdefizite bei der BSE-Problematik geben. Viele unserer jetzigen Erkenntnisse sind möglicherweise auch noch nicht endgültig. Dies muss dem Verbraucher offen dargelegt werden.

Die Gesundheit der Bevölkerung und somit die Sicherheit der Nahrungsmittel müssen Vorrang haben vor anderen, auch wirtschaftlichen Erwägungen. Die Sonderkonferenz spricht sich für das Vorsorgeprinzip aus. Wo immer möglich, sind Klarheit, Nachvollziehbarkeit und Eindeutigkeit für die Kaufentscheidung der Verbraucherinnen und Verbraucher zu gewährleisten. Die Verbraucherinnen und Verbraucher das Recht auf Transparenz bei Herkunft, Zusammensetzung und Verarbeitung der von ihnen ausgewählten Lebensmittel. Die Lebensmittelproduktion hat sich an diesen Forderungen nach Sicherheit und Transparenz auszurichten. Dabei werden Umstellungen in der Produktion unumgänglich sein.

Verstöße gegen das Lebensmittelrecht sind keine Bagatelldelikte. Die korrekte Information stellt ein hohes Gut im Verbraucherschutz dar.

Unsere Lebensmittel sind eine internationale Handelsware. Deshalb sind diese neuen verbraucherschutzorientierten Vorgaben zwingend auch in der EU und beim Import aus Drittländern durchzusetzen.

Die Auswirkungen der BSE-Gefährdung treffen auch das Gesundheitswesen. Medikamente, Blut und Blutprodukte sowie Hygienemaßnahmen sind einer neuen, strengeren Risikoüberprüfung zu unterziehen und auf sichere Verfahren umzustellen.

Neben den eigenverantwortlich zu treffenden Umstellungen in der Wirtschaft bedarf es eines koordinierten staatlichen Handelns auf sicheren Rechtsgrundlagen. Beides, abgestimmte Vorsorge und Überwachungsmaßnahmen auf hohem Niveau einschließlich der notwendigen gesetzlichen Regelungen, ist in einem nationalen Aktionsplan zu formulieren, der zeitnah vorgelegt werden kann und muss.

Die finanziellen Folgen der BSE-Problematik aus der Vergangenheit, aber insbesondere die weit höheren künftigen Kosten, sind gemeinsam von EU, Bund und Ländern sowie der Wirtschaft zu tragen. Auch der Verbraucher wird für sichere Lebensmittel einen höheren Preis zu zahlen haben.

II.

In Kenntnis der bisherigen Vorschläge anderer Gremien und Institutionen verständigt sich die Sonderkonferenz der für den gesundheitlichen Verbraucherschutz zuständigen Ministerinnen und Minister, Senatorinnen und Senatoren der Länder auf ein 9-Punkte-Programm für einen verbesserten gesundheitlichen Verbraucherschutz:

  1. Die Sonderkonferenz begrüßt die Absicht von Bund und Ländern, die Forschung auf den Gebieten von BSE und der neuen Variante der Creutzfeldt-Jakob Krankheit zu verstärken. Besonders wichtig ist dabei, die Erforschung der Übertragungswege von Tier(art) auf Tier(art) und von Tier auf Mensch sowie die Entwicklung von Diagnosemethoden/Tests am lebenden Tier.

    Es bedarf einer offenen Bilanz der bisherigen nationalen und internationalen Forschungsergebnisse über BSE und CJK.

    Die abgeschlossenen, laufenden und geplanten Forschungsvorhaben müssen dokumentiert und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.

    Die Sonderkonferenz fordert die Bundesregierung auf, die Forschung zu verstetigen und mit deutlich erhöhten Finanzmitteln auszustatten. Entsprechendes gilt für die EU. Die Ministerinnen und Minister, Senatorinnen und Senatoren werden sich dafür einsetzen, dass die Länder ihrerseits mehr Mittel bereitstellen.

    Die laufenden und künftigen Forschungsvorhaben bedürfen einer Prioritätensetzung und Koordinierung.

  2. Die Sonderkonferenz sieht die Notwendigkeit, BSE-Tests EU-weit schrittweise auf alle Schlachtrinder, krank geschlachtete und verendete Tiere auszudehnen. Das Untersuchungsprogramm muss auch auf Schafe und Ziegen erweitert werden. Die Tests sind dementsprechend weiterzuentwickeln. Die Länder bitten die Bundesregierung, zusammen mit der EU, gegenüber der WTO Schnelltests bei Importen aus allen Drittländern durchzusetzen.

    Solange mit Testungen keine BSE-Freiheit nachgewiesen werden kann, darf der irreführende Hinweis „BSE-frei“ nicht verwendet werden. Dagegen muss im Interesse des Verbrauchers der Hinweis „BSE-getestet“ möglich sein, wenn gleichzeitig darauf hingewiesen wird, dass die Aussage nicht „BSE-frei“ bedeutet. Die Sonderkonferenz begrüßt die Verordnung der Bundesregierung, dass alle Schlachtrinder über 24 Monate getestet werden müssen als Schritt in die richtige Richtung.

  3. Die Kennzeichnung von Lebensmitteln wird von den Ländern verstärkt überwacht.

    Die Sonderkonferenz hält es für notwendig, dass die Rechtsgrundlagen für „Öffentliche Nennungen“ von Herstellern/Inverkehrbringern falsch deklarierter Lebensmittel nach Bundesrecht eindeutig sein sollten.

    Die Sonderkonferenz bittet die Bundesregierung um Schaffung eindeutiger rechtlicher Voraussetzungen, dass „Öffentliche Nennungen“ aus o.a. Veranlassung bei Vorliegen eines besonderen öffentlichen Interesses erfolgen können.

    Parallel prüfen die Länder die Möglichkeit zur Schaffung übereinstimmender Rechtsgrundlagen auf Landesebene.

    Ziel sollte sein, dass die obersten Landesbehörden berechtigt werden, bei besonderem öffentlichen Interesse die Öffentlichkeit über Erzeugnis, Hersteller/Inverkehrbringer falsch deklarierter Lebensmittel zu informieren. Zuvor sind die Unternehmen anzuhören.

    Die Bundesregierung wird um Prüfung gebeten, ob ein Verbraucherinformationsgesetz geschaffen werden kann.

    Protokollnotiz des Landes Rheinland-Pfalz:
    Zum jetzigen Zeitpunkt ist nicht absehbar, wie die technischen und personellen Voraussetzungen geschaffen werden können, um ein Verbraucherinformationsgesetz zu vollziehen.

    Die personellen und technischen Ressourcen sollten für Überwachung, Kontrolle und Weiterentwicklung der bestehenden Verbraucherschutzgesetzes zur Verfügung gestellt werden.

  4. Aufgrund der wissenschaftlichen Erkenntnisse muss die Liste der spezifizierten Risikomaterialien erweitert und auf Rinder jeglichen Alters ausgedehnt werden. Separatorenfleisch stellt ein erhöhtes Risiko dar und muss für die Herstellung von Fleischerzeugnissen verboten werden.
  5. Alle medizinischen Produkte mit Ausgangsmaterialien vom Rind oder von anderen infizierbaren Tierarten sind einer vom Hersteller unabhängigen neuen Risikobewertung zu unterziehen. Entsprechendes gilt für kosmetische Mittel. Menschliche Materialien wie Blut oder Transplantate aus Staaten mit mehreren Fällen von vCJK sind von der Verwendung in Deutschland auszuschließen.
  6. Die Sonderkonferenz schließt sich der Forderung der Amtschefkonferenz der Agrarminister an, dass das Verfütterungsverbot von Tiermehl und Tierfett intensiv überwacht und verschärfte Sanktionen bei Verstößen ergriffen werden. Das bisher auf EU-weit sechs Monate begrenzte Verfütterungsverbot ist dauerhaft zu bestätigen und auf Tierfette und Dicalciumphosphat auszuweiten. Die Länder bitten die Bundesregierung, die gesetzlichen Grundlagen dafür zu schaffen, damit die hergestellten Tiermehle und das Tierfett grundsätzlich verbrannt oder mit gleich wirksamen Verfahren vernichtet werden müssen.

    Die Bundesregierung wird aufgefordert, unbedenkliche Futtermittel, Futterausgangsstoffe und Zusatzstoffe in einer Positivliste festzulegen und diese fortzuschreiben. Dies ist europaweit umzusetzen.

  7. Tierarzneimitteln dürfen bei Tieren nur noch im Krankheitsfall angewandt werden. Davon ausgenommen sind Impfungen oder andere, einheitlich von den zuständigen Bundesoberbehörden in Zusammenarbeit mit den Ländern festzulegende Präventionsmaßnahmen. Eine Verfütterung von Tierarzneimittel an gesunde Tiere in Form der bisher üblichen Bestandsbehandlung ist abzulehnen. Die Länder werden die Überwachung des Einsatzes von Tierarzneimitteln verstärken. Die Anwendung von Tierarzneimitteln über das so beschriebene Maß hinaus, wie zum Beispiel antibiotische Zusatzstoffe als Leistungsförderer oder ungezielt prophylaktisch, muss verboten werden. Diese Maßnahmen müssen auch EU-weit umgesetzt werden.
  8. Im Falle der Bestätigung eines positiven BSE-Tests müssen
    a) alle Rinder – vorbehaltlich neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse und vorbehaltlich Entscheidungen des EU-Agrarministerrates - der betroffenen Bestände zur Sicherung des Verbraucherschutzes getötet bzw. deren Produkte vernichtet werden und

    Protokollnotiz des Landes Rheinland-Pfalz:
    Rheinland-Pfalz unterstreicht, dass eine sichere Aussage hierzu erst nach Vorliegen der Ergebnisse des Agrarrates vom 29. / 30. Januar 2001 möglich ist.

    Bayern stimmt der Ziff. 8a nicht zu.

    b) alle Tiere aus dem Schlachtprozess, die nach dem positiv getesteten Tier geschlachtet wurden, sowie die entsprechenden Nebenprodukte und alle mit dem infizierten Tier in Berührung gekommenen Schlachtkörper vernichtet werden. Bei Chargenbildung bezieht sich die Vernichtung auf die Tiere, die zu der definierten Charge gehören. Zwischen einzelnen Chargen ist eine BSE-wirksame Reinigung und Desinfektion der Gerätschaften und Einrichtungen durchzuführen. Die Sonderkonferenz ist sich bewusst, dass dies wesentliche Veränderungen im Schlachtprozess erfordert.

    Die Länder erwarten von der Bundesregierung die Schaffung einer einheitlichen rechtlichen Grundlage für diese Maßnahmen.

  9. Die Länder trifft bereits heute einen erheblichen Teil der Kosten der BSE-Krise. Sie sehen die Bundesregierung und die Europäische Union stärker in der Pflicht, sich an diesem nationalen Problem finanziell maßgeblich zu beteiligen. Dies betrifft z.B.
    - die Entsorgungskosten von sichergestelltem Tiermehl oder daraus hergestellter Futtermittel und Tiermehlprodukte
    - die Beteiligung an den Kosten der BSE-Tests
    - die Kosten für einen Hilfsplan für Schlacht- und landwirtschaftliche Betriebe, in denen positive BSE-Fälle aufgetreten sind.
    - eine finanzielle Hilfe für die mittelbar betroffenen Landwirte sowie vor- und nachgelagerte Betriebe.

    Die Länder erwarten eine Einigung der Bundesregierung mit der Ministerpräsidentenkonferenz über die BSE-Folgekosten bis zum 16.02.2001.

    III.

    Die AOLG und die ArgeVet werden beauftragt, die BSE Problematik als ständiges Thema weiter intensiv zu bearbeiten.

    Über der Fortgang der Beratungen ist der GMK fortlaufend zu berichten.

    Die für den gesundheitlichen Verbraucherschutz zuständigen Ministerinnen und Minister, Senatorinnen und Senatoren der Länder werden bei Bedarf ihre Beratungen in einer weiteren Konferenz fortsetzen.