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Der Senator für Finanzen

„Die Haushaltssituation im Lande Bremen - Neue Impulse für ein Sanierungsprogramm unter verschärften Rahmenbedingungen“

22.01.2004

Rede von Finanzsenator Dr. Ulrich Nußbaum auf dem Neujahrsempfang der Bundesbank in der Filiale Bremen

In seiner Rede auf dem Neujahrsempfang der Bundesbank (Hauptverwaltung Hannover) hat Finanzsenator Dr. Ulrich Nußbaum unter anderem ausgeführt: „Ich freue mich, Sie hier in der Filiale Bremen der Deutschen Bundesbank begrüßen zu dürfen. Als wir im letzten Jahr diesen Termin verabredet hatten, gab es noch keine öffentliche Diskussion über das Standortkonzept der Deutschen Bundesbank. Zwischenzeitlich sah es nach einem Grundsatz­beschluss des Vorstandes so aus, als drohte der Standort Bremen aufgegeben zu werden.

Vor diesem Hintergrund möchte ich noch einmal unterstreichen, was hier in Bremen, beim Senat und der hiesigen Kreditwirtschaft zu großer Freude geführt hat: Die Filiale Bremen der Deutschen Bundesbank bleibt auf Dauer erhalten.

Für diese vernünftige und abgewogene Sachentscheidung danken wir ausdrücklich. Herr Kotz, bitte geben Sie unseren Dank auch an Ihre Vorstandskollegen in Frankfurt weiter.

Für mich hat der Erhalt der Filiale Bremen eine hohe symbolische Aussagekraft: Durch solche Standortentscheidungen wird deutlich, dass die Bedeutung Bremens als eigenständiges Bundesland, aber auch die Bedeutung der Stadt Bremen als Oberzentrum für die Region nicht zur Disposition steht.

Die Eigenständigkeit und die politische Gestaltungsfähigkeit Bremens sind aber nichts Natur­gegebenes. Angesichts unserer extremen Haushaltsnotlage müssen wir für die „Lebensfähigkeit“ unseres Zwei-Städte-Staates hart arbeiten. Die kommenden beiden Jahre stellen die entscheidende Phase der Haushaltssanierung dar, an deren Ende ein verfassungskonformer Haushalt stehen muss, bei dem die laufenden Ausgaben durch die laufenden Einnahmen gedeckt sind.

Das ist kein abstraktes Ziel, sondern die Basis dafür, dass Bremen im föderalen System der Bundesrepublik Deutschland auch weiterhin eine konstruktive Rolle spielen und seine spezifische Stärke als Innovationsmotor einbringen kann.

Die Debatte um eine Neugliederung der Länder geht dabei am Thema vorbei. Die Konjunktureinbrüche der letzten Jahre belasten die gesamte Volkswirtschaft gleichermaßen. Am Reißbrett eine handvoll „Durchschnittsländer“ bilden zu wollen ist ein deutsches Phänomen, das keines der Probleme der öffentlichen Haushalte löst!


Dass auch wir in Bremen mit massiven Einnahmeausfällen zu kämpfen haben, verschärft allerdings die Anforderungen an unseren Sanierungskurs. In Verbindung mit unvorsehbar stark gestiegenen Sozial­ausgaben sowie kaum zu beeinflussenden Versorgungslasten werden damit auch unsere bisher beachtlichen Erfolge beim cost-cutting aufgezehrt.

Die Folge ist ein konsumtives Defizit von zur Zeit 345 Mio. €, dass wir bis 2005 auf Null reduzieren wollen. Gemäß des Eckwertbeschlusses für den kommenden Doppelhaushalt müssen wir dafür unsere Ausgaben in allen Bereichen nochmals um 5,6% reduzieren. Dies ist ein ambitionierter Eigenbeitrag. Wir werden aber - wegen nicht von uns zu vertretender Einnahmeausfälle - vorerst auch noch auf besondere Hilfen des Bundes angewiesen bleiben.

Meine finanzpolitische Aufsicht über den „Konzern Bremen“ ist für mich Anlass, mich in dieser Situation nicht nur auf das Herbeiführen von Beschlusslagen zu konzentrieren. Mein Credo lautet: Klar und transparent kommunizieren wo wir stehen, dann einen rationalen und zielorientierten Weg aufzeigen und konsequent und direkt Handeln!

Wir müssen deshalb auch unpopuläre Maßnahmen ergreifen. Selbst wenn wir in den letzten zehn Jahren schon 4000 Stellen abgebaut haben und dadurch Personalkosten in Höhe von 155 Mio. € vermieden haben, muss dieser Kostenblock weiter reduziert werden. Wir haben beschlossen, unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter das Urlaubsgeld zu streichen und das Weihnachtsgeld auf die Hälfte zu senken. Für den Tarifbereich stehen diesbezüglich noch schwierige Verhandlungen mit den Gewerkschaften bevor. In dieser Situation ist es deshalb wenig hilfreich, wenn bei den verabredeten Maßnahmen im Beamtenbereich „zurückgerudert“ und im Nachhinein eine Befristung der Kürzungen auf zwei Jahre gefordert wird.

Im Rahmen ihrer Leistungsfähigkeit müssen aber auch andere gesellschaftliche Gruppen die Sanierung Bremens als gemeinsame Aufgabe betrachten. Mit Hinblick auf den alles entscheidenden Sanierungszeitraum 2004/2005 wurden noch im letzten Jahr die gesetzlichen Grundlagen zur Verbesserung der Steuereinnahmen geschaffen. Der Gesetzgeber hat sich aber auch einen Spielraum für mögliche Korrekturen erhalten. So soll z.B. der erhöhte Gewerbesteuerhebesatz einer späteren Überprüfung unterzogen werden. Auch den Nutzern öffentlicher Dienstleistungen werden höhere Beiträge und Gebühren abverlangt werden müssen.

In erster Linie muss aber die Verwaltung selbst eine strenge Haushaltsdisziplin einhalten. Eine der ersten haushaltsrelevanten Maßnahmen im Hinblick auf dieses Jahr war deshalb der Erlass restriktiver Verwaltungs­vorschriften zur vorläufigen Haushalts- und Wirtschaftsführung. Diese gilt auch für ausgelagerte Bereiche, die wir konsequent auf das Gesamtinteresse des Konzern Bremens ausrichten müssen.

Den Auftrag zum Sparen ernst zunehmen ist eine notwendige Bedingung zur Sanierung. Das Ziel kann aber nur durch die besondere Sanierungsstrategie Bremens hinreichend erreicht werden. Neben dem Sparen werden wir auch weiter investieren.

Sowohl nach Analysen des Bundesverfassungs­gerichtes (Urteil vom Mai 1992), als auch nach Aussagen des Bundes (Verwaltungs­vereinbarung vom Juli 1993) führt die schuldentilgende Verwendung von Sanierungs­hilfen allein nicht aus der Krise!

Langfristig ist die Abhängigkeit Bremens von innerstaatlichen Transferzahlungen nur zu reduzieren, wenn die Wirtschafts- und Finanzkraft des Landes Bremen gefördert wird. Wir werden deshalb den ökonomischen Wachstumsrückstand weiter abbauen, der durch weit unterdurch­schnittlicher Investi­tions­quoten entstanden ist. Zwischen 1980 und 1995 hat sich ein Investitionsstau in Höhe von 3 Mrd. € aufgetürmt. Bis 1987 und dann noch einmal 1994/1995 lag Bremen sogar unter dem Pro-Kopf-Investitionsniveau der westdeutschen Flächenländer. Diese haben strukturbedingt einen geringen Pro-Kopf-Investitionsbedarf als Stadtstaaten.

Mit einer Investitionsquote von aktuell 16,7% liegt Bremen heute im oberen Mittelfeld der Bundesländer. Allein im Kernhaushalt sind in Bremen bis 2010 Investitionen in Höhe 6,8 Mrd. € vorgesehen.

Mittlerweile zeichnen sich erste positive volkswirtschaftliche Effekte ab: Seit dem Jahr 2000 entwickelt sich die Zahl der Arbeitsplätze in Bremen positiver als im übrigen Bundesgebiet. Auch beim Wirtschaftswachstum gehört Bremen seit drei Jahren zu den Top 4-Ländern. Die Arbeitslosen­quote sinkt bereits seit 1998 in Annäherung an den Bundesdurchschnitt. Seit 2001 verzeichnet das Land Bremen, verursacht durch die positive Bilanz in der Stadt­gemeinde Bremen, auch einen positiven Einwohnersaldo.

Auch die letzte Steuerschätzung vom November 2003 spiegelt die überdurchschnittlich gute Entwicklung Bremens wider: Die originären bremischen Steuereinnahmen steigen entgegen dem Bundestrend. Die bundesstaatliche Steuerzerlegung und –verteilung führt allerdings unter dem Strich dennoch zu realen Einnahmeausfällen.

Wenn ein großer Einnahmeanteil durch die Wertschöpfung in Bremen zunächst abfließt und ein Stadtstaat mit hoher Wirtschaftskraft somit rechnerisch zum „Nehmerland“ wird und anschließend Rückflüsse aus dem Länderfinanzausgleich erwarten darf, ist dies nur schwer nachvollziehbar.


Mit überdurchschnittlichem Wirtschaftswachstum müssten wir auch real die Chance haben, unsere Einnahmesituation eigenständig zu verbessern.


Wir fordern daher, bei der Einwohnerwertung im Länderfinanzausgleich genauso angemessen behandelt werden, wie andere Großstädte innerhalb der kommunalen Finanzausgleichssystematik!


Ungeachtet der positiven Zwischenbilanz der bremischen Strategie „Sparen und Investieren“ will das Land Berlin einen anderen Sanierungsweg gehen. Unsere Erfahrungen zeigen, dass ein Verzicht auf die investive Komponente angesichts der Berliner Ausgangslage nicht erfolgreich sein kann: Nur die ostdeutschen Flächenländer haben ein schlechteres Pro-Kopf-Brutto-Inlands-Produkt als Berlin. Auch bei der Wachstumsentwicklung der letzten drei Jahre gehörte Berlin regelmäßig zu den drei schlechtesten Ländern. Hinzu kommt der höchste Einwohnerverlust aller Länder seit 1995.


Mit dem Berliner „Rentnermodell“ wird dieser Abwärtstrend nicht zu stoppen sein. Berlin hat bereits heute - ungeachtet bestehender Infrastruktur­defizite im Ostteil der Stadt - die zweitniedrigste Investitionsquote aller Länder. Statt aktiv gegenzusteuern droht sich eine Alimentationsmentalität durchzusetzen.


Unsere aktive Sanierungsstrategie wird demgegenüber kritisiert, weil die einnahmenerhöhenden Effekte einer gesteigerten Wirtschaftskraft nur zum Teil in Bremen verbleiben. Tatsächlich fließt der größte Teil der zusätzlichen Einnahmen an den Bund und über den Länderfinanzausgleich auch an die übrigen Länder – nur etwa 10% der steuerabhängigen Einnahmen eines Arbeitsplatzes verbleiben in Bremen. In Verbindung mit einer allgemeinen Konjunkturschwäche haben unsere Investitionseffekte deshalb bislang nicht real schuldentilgend wirken können.


Dies als Strategiedefizit aufzufassen offenbart nach meiner Auffassung ein fragwürdiges Verständnis unserer föderalen Ordnung. Zielsetzung der aktiven Sanierung ist es, nicht auf Dauer „am Tropf“ zu hängen. Es geht um dezentrale strukturpolitische Impulse und gleichwertige Lebensbedingungen in allen Regionen. Wir begreifen die Sanierungshilfen für Bremen als gesamtstaatliche Investition. Es ist deshalb kein strategischer „Webfehler“, wenn auch die Geberländer am return-on-investment partizipieren.


Trotzdem müssen auch wir unsere Strategie noch besser an die schwierigen Rahmenbedingungen anpassen. Dazu gehört auch die maßvolle Neujustierung der Investitionspolitik.


Wir wollen Wachstum nicht mit einem unverhältnismäßig hohen Verschuldungs­grad erkaufen. Dies würde nur zusätzlichen Zinsaufwand und perspektivisch auch - rating-bedingt - schlechtere Zinskonditionen bedeuten. Diese zusätzliche Belastung unseres konsumtiven Haushaltes gilt es zu vermeiden.


Wenn wir feststellen, dass unser historischer Investitionsrückstand kompensiert ist, muss unsere Investitionsquote angepasst werden.


Im Moment haben wir unseren ökonomischen Wachstumsrückstand aber erst teil­weise aufgeholt. Gemessen am Brutto-Inlands-Produkt wollen wir im Länder­durch­­schnitt so positioniert sein, wie 1982. Dieses Ziel haben wir aktuell zu 84,6% realisiert.


Dynamisch betrachtet wächst unser BIP um 0,6%-Punkte besser als im Bundes­durchschnitt, absolut erreichen wir aber nur 70% des Groß­stadt­durchschnitts. Das beweist: Wir sind auf dem richtigen Weg, aber noch lange nicht am Ziel.


Wir dürfen deshalb aber nicht der Verführung einer notwendigerweise offensiven Investitionspolitik erliegen, die uns scheinbar politische Profilierungsmöglichkeiten bietet, die wir im Rahmen unseres laufenden Haushaltes nicht mehr haben. Deshalb muss neben dem Management der laufenden Ausgaben auch die Steuerung der Investitionspolitik verbessert werden.


Wir müssen uns genau überlegen, wo wir unsere Mittel am wirkungsvollsten einsetzen. Dabei gilt:


  1. Schwerpunktsetzung nach dem Grundsatz „Qualität vor Quantität“,

  2. Zweckbindung für wirtschafts- und finanzkraftstärkende Maßnahmen,

  3. Investive Mittel für die Zukunftsaufgaben Bildung und Kultur,

  4. Konsequentere Folgekostenabschätzung,

  5. Konzentration auf wertschöpfende Investitionsbereiche („Software“ vor „Hardware“)

  6. Übertragung des Investitionsrisiko auf den Projektträger,

  7. Unabhängige externe Begutachtung,

  8. Verbessertes Investitionscontrolling.


Die Leitlinie muss sein, Handlungsspielräume auch für zukünftige Generationen zu erhalten. Auch im Jahre 2010 müssen noch zeitnahe Investitionen möglich sein. Angesichts von Vorfest­legungs­graden von 51 bis 100% im laufenden Anschlussinvestitionsprogramm bis 2010 erscheint dies keineswegs selbstverständlich zu sein. Deshalb ist eine Ausdehnung des Investitionsprogramms mit Festlegungen bis 2014, sowie es im Koalitionsvertrag vorgesehen ist, äußerst kritisch zu sehen.


Im abgelaufenen Jahr ist die Balance aus notwendigen Investitionen und Ausgabenbegrenzung trotz schwieriger Vorzeichen gelungen:


Bei einem Gesamthaushalt von 4,2 Mrd. € war es möglich, den Gesamtausgaben-Zuwachs unter 0,5% zu halten. Die vom Finanzplanungsrat vorgegebene maximale Zuwachsrate von 1% wurde also nicht einmal zur Hälfte ausgeschöpft, obwohl bei den Sozialhilfeausgaben und durch Tarifsteigerungen im Personalkostenbereich erhebliche zusätzliche Belastungen zu verzeichnen waren. Der Durchschnitt der anderen Länder und Gemeinden verzeichnet im gleichen Zeitraum einen Ausgabenzuwachs von voraussichtlich 1,7%.


Hierbei handelt es sich nicht um einmalige Effekte. Im gesamten Sanierungszeitraum konnte Bremen die Auflagen zur Ausgabenbegrenzung ebenfalls einhalten. Während in Bremen der Zuwachs der Gesamtausgaben von 1994 bis 2002 bei 0,8% lag, betrug der Durchschnitt der West-Länder 1,5%.


Diese Lichtblicke in unserer Zwischenbilanz müssen Ansporn für eine weitere Intensivierung unserer Eigenanstrengungen sein, wenn wir unsere bisherigen Erfolge nicht gefährden wollen.


Eines ist aber klar. Wir als Landesregierung können nur den Rahmen schaffen, um die Eigenständigkeit Bremens zum Vorteil der hier lebenden und arbeitenden Menschen zu sichern.


Es kommt aber auch auf Sie an, die Sie mit Ihrer unternehmerischen Tätigkeit und Ihrem wirtschaftlichen Handeln diesen Rahmen ausfüllen!


Lassen Sie uns das Jahr 2004 nutzen, um mit erfolgreicher Arbeit, jeder auf seine Weise, gemeinsam ein erfolgreiches Bild für Bremen und die Region abzugeben!


Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!“