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Der Senator für Finanzen

Bürgermeister Hartmut Perschau zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Länderfinanzausgleich:

11.11.1999

  • Bundesverfassungsgericht bleibt in der Kontinuität seiner Rechtssprechung
  • Angriff auf Solidarpakt und Föderalismus gescheitert
  • Der Weg für politische Gestaltung ist jetzt offen

Im Anschluß an die Verkündung des Urteils durch den Zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts am 11. November 1999 erklärte der Finanzsenator der Freien Hansestadt Bremen, Bürgermeister und Finanzsenator der Freien Hansestadt Bremen Hartmut Perschau in Karlsruhe: nimmt zu der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 11.11.1999 wie folgt Stellung:

"Das schriftliche Urteil ist wie erwartet sehr umfangreich ausgefallen und bedarf einer gründlichen Analyse, die die kommenden Tage in Anspruch nehmen wird. Aber die Verkündung der Leitsätze und der tragenden Urteilsgründe durch das Gericht erlauben schon folgende, noch vorläufige Einschätzung:


Ich begrüße im Grundsatz das heutige Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Länderfinanzausgleich. Das Gericht hat damit seine bisherigen Rechtspositionen bestätigt. Damit ist der Angriff der klagenden Länder auf den Föderalismus und den Solidarpakt gescheitert. Das Bundesverfassungsgericht hat mit seinem Urteil den Föderalismus gestärkt. Auf dieser Grundlage können jetzt vernünftige politische Lösungen zur Stärkung des bündischen Prinzips gefunden werden. Die Freie Hansestadt Bremen wird als wirtschaftsstarkes Bundesland aktiv an der Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung mitwirken. Dabei muß es unter anderem darum gehen, dass künftig die Finanzkraft die Wirtschaftskraft widerspiegelt und dass es eine klare Aufgabendefinition von Bundes- und Landesaufgaben mit einer dafür ausreichenden Finanzausstattung gibt.

Das Bundesverfassungsgericht hat die umfassende Regelung die Bund und Länder zur Integration der neuen Länder in den bundesstaatlichen Finanzausgleich gefunden haben - den Solidarpakt - bestätigt. Dessen Regelungen sind zum Teil bis zum Jahre 2004 befristet. Solange haben die geltenden komplexen Regelungen Bestand. Damit ist die wesentliche finanzwirtschaftliche Grundlage für die Verteilung der Lasten der deutschen Einheit zwischen dem Bund und den Ländern gewährleistet und verfassungsrechtlich bekräftigt worden. Die Anträge Bayerns, Baden-Württembergs und Hessens, diese Regelungen sofort für verfassungswidrig zu erklären, sind damit abgewiesen worden. Die anderen Länder haben im Bundesrat mehrfach erklärt, dass Änderungen des erst 1993 geschlossenen Solidarpakts bis zum Jahre 2004 nicht in Betracht kommen. Diese Haltung hat in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts jetzt seine Bestätigung gefunden. Einer Reform des bundesstaatlichen Finanzausgleichs nach diesem Zeitpunkt haben sich die Länder zu keinem Zeitpunkt versagt.


Für eine Fortgeltung der bisherigen Regelungen des Finanzausgleichts oder vor Neuregelungen nach dem Jahre 2004 hat das Bundesverfassungsgericht umfangreiche Prüfungsaufträge erteilt. Diese Aufträge werfen Fragen auf, deren im Rahmen der Prüfungen eingehend nachzugehen sein wird, sie lassen aber die Ergebnisse der Überprüfungen verfassungsrechtlich weitgehend offen. Nach solchen Überprüfungen wird der Bundesgesetzgeber im Rahmen des ihm zustehenden gesetzgeberischen Gestaltungsspielraumes zu entscheiden haben.


Das Bundesverfassungsgericht fordert, dass der Bundesgesetzgeber ein sogenanntes "Maßstäbegesetz" bis zum 1.1.2003 erläßt, in dem die allgemeinen Maßstäbe für Umsatzsteuerverteilung, für die Bestimmung der Finanzkraft im Finanzausgleich, für die Berücksichtigung von Sonderlasten, für die Feststellung der Ausgleichsansprüche und Ausgleichspflichten sowie für die Bundesergänzungszuweisungen festgelegt werden. Solche allgemeinen Maßstäbe für den Finanzausgleich hat das Bundesverfassungsgericht schon bisher in seiner Rechtsprechung aus dem Grundgesetz abgeleitet. Die nunmehr geforderte Festlegung und Ausformulierung dieser Maßstäbe in einem eigenen Gesetz kann die bestehenden Grundsätze zusammenfassen und systematisieren und damit zu mehr Übersichtlichkeit im Finanzausgleich führen. Es wird im Ergebnis auch die Begründungsanforderungen für die Einzelregelungen im Finanzausgleichsgesetz erhöhen. Sie werden für sich im Einklang stehen müssen mit dem Maßstäbegesetz. Dies ist als zusätzliche Systematisierung zu begrüßen.


Die Freie Hansestadt Bremen weist darauf hin, dass das Bundesverfassungsgericht bereits in seinem Urteil vom 27.05.1992 dem Bundesgesetzgeber als verfassungsrechtliche Pflicht aufgegeben hat, allgemeine Maßstäbe für die Behandlung von Haushaltsnotlagen der Länder in einem Gesetz festzulegen. Bremen hat bereits 1992 aber auch in den Jahren danach mehrfach verlangt, dass ein solches allgemeines Gesetz über Haushaltsnotlagen vom Bund vorgelegt wird. Der Bund ist dieser Verpflichtung zur Schaffung allgemeiner Maßstäbe für Haushaltsnotlagen aber nicht nachgekommen. Auch diese Regelungen werden nunmehr in ein Maßstäbegesetz aufzunehmen sein. Dass die in Anwendung des Gesetzes gefundenen Regelungen des Finanzausgleichsgesetzes in regelmäßigen Abständen überprüft und an die geänderten Verhältnisse anzupassen sind, entspricht der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und der Praxis des Bundesgesetzgebers.


Zu den einzelnen Regelungen des Finanzausgleichs:


Zum horizontalen Finanzausgleich unter den Ländern hat das Bundesverfassungsgericht die verfassungsrechtlichen Maßstäbe benannt, die schon bisher in den beiden ergangenen Entscheidungen benannt wurden. Die Finanzkraft der Länder darf einander angenähert werden, die Abstände dürfen verringert, aber nicht aufgehoben oder ins Gegenteil verkehrt werden. Eine Verkehrung der Finanzkraftreihenfolge ist unzulässig. Dem entsprechen die bisherigen Regelungen im Finanzausgleichsgesetz. Insbesondere eine Verkehrung der Finanzkraftreihenfolge ist nach dem bisher geltenden Recht nicht eingetreten. Dies hat insbesondere die Bundesregierung in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht eingehend dargelegt.


Den konstruierten und inkonsistenten Rechnungen Baden-Württembergs und Bayerns, nach denen es schon unter dem geltenden Recht angeblich zu völligen Verkehrungen der Reihenfolge käme, ist das Gericht nicht gefolgt. Sonst hätten die gesetzlichen Bestimmungen unmittelbar aufgehoben werden müssen. Diese willkürlichen mit dem Finanzausgleichsgesetz unvereinbaren Rechnungen haben sich damit als das erwiesen, was sie sind: unseriös und einer ernsthaften Behandlung zwischen Bund und Lädnern nicht würdig.


Die Seehafenlasten sollen darauf hin überprüft werden, ob sie als abstrakter Mehrbedarf der Küstenländer angesehen werden können. Damit ist erneut bestätigt worden, dass gegen die Abgeltung der Seehafenlasten im Länderfinanzausgleich grundsätzliche Bedenken nicht bestehen. Die Sonderbelastung ist allerdings zu begründen. Dies kann die Freie Hansestadt Bremen durch bereits vorliegende Gutachten jederzeit belegen. Bremen führt auch eine genaue jährliche Rechnung über die Hafenlasten, die damit in allen Einzelpositionen nachvollzogen werden können. Ähnliche Mehrbedarfe anderer Länder sind bereits verschiedentlich benannt, jedoch zu keinem Zeitpunkt nachprüfbar als Nettolasten belegt worden. Bremen ist überzeugt, dass die Seehafenlasten nach einer sachgerechten Überprüfung bestätigt werden.


Auch einer Überprüfung der Einwohnerwertung der Stadtstaaten steht Bremen aufgeschlossenen gegebenüber. Eine Aktualisierung des IFO-Gutachtens, das auf Daten aus den Jahren 1982 bis 1985 beruht, ist dringlich und kann durchaus zu dem Ergebnis führen, dass die auf dieser Grundlage ermittelte Einwohnerwertung inzwischen erhöht werden muß. Ob eine etwas geringere Besiedelung einzelner Flächenländer im Verhältnis zu den anderen Flächenländern eine Einwohnergewichtung rechtfertigt und wie diese zu bemessen wäre wird durch eine finanzwissenschaftliche Untersuchung zu prüfen sein. Die Strukturunterschiede zwischen den einzelnen Flächenländern mit mehr oder weniger hoher Besiedlungsdichte sind in jedem Fall von wesentlich geringerem Gewicht als die zwischen Stadtstaaten und den Flächenländern insgesamt. Einer Überprüfung kann auch insoweit gelassen entgegen gesehen werden.


Die vom Gericht vorgegebenen Überprüfungsaufträge sollten ohne zeitlichen Verzug von Bundestag und Bundesrat abgearbeitet werden. Mit dem Urteil ist auch der Weg wieder frei für die Suche nach einvernehmlichen politischen Lösungen zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung, die uns in den nächsten Jahren intensiv beschäftigen wird. Bremen wird im Rahmen dieser Reformdiskussion konstruktiv mitarbeiten und seine eigenenen Anliegen verstärkt einbringen. Zu nennen sind vor allem die schon seit längerem gebotene Besserstellung bei der originären Steuerverteilung und bei der Einwohnerwertung der Stadtstaaten. Auch eine Neuverteilung der Sozialhilfelasten muß angegangen werden.