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Die Senatorin für Kinder und Bildung

Dr. Elmar Schreiber: "An Studiengebühren führt kein Weg vorbei"

21.01.2004

Rektor der Hochschule Bremen plädiert für Paradigmenwechsel

"Man muss nicht gleich als unverbesserlicher Pessimist gelten, wenn man vorhersagt, dass in den nächsten Jahren die Ausgaben für Bildung der Bundesrepublik Deutschland nicht mehr signifikant steigen werden. Wir können schon froh sein, wenn die Haushaltsanschläge für Bildung mit der Entwicklung der Lebenshaltungskosten Schritt halten. Wenn man über weitere Finanzierungsquellen zur Sicherung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit nachdenkt, führt daher an Studiengebühren kein Weg vorbei. Alles andere ist Augenwischerei. In dieser Frage brauchen wir einen Paradigmenwechsel." Damit bekennt sich Elmar Schreiber, Rektor der Hochschule Bremen, ausdrücklich zur Einführung von Gebühren auch für grundständige Studiengänge. Denkbar sei ein Betrag von eintausend Euro pro Semester, der den Hochschulen in Deutschland zuzüglich zum staatlichen Anteil in vollem Umfang zur Verfügung stehen müsse. Damit ließen sich spürbare Qualitätsverbesserungen in Lehre und Studium sowie Wettbewerbs fördernde Effekte erzielen. Der aktuellen Diskussion über Elite-Hochschulen erteilte Schreiber eine Absage. "Diese Gedankenspiele bringen weder mehr Qualität noch mehr Wettbewerb." Schreibers Modell geht von einer Mischfinanzierung aus, bei der die staatlichen Hochschul-Zuschüsse inflationsbereinigt auf dem derzeitigen Niveau fortgeschrieben und die Studiengebühren draufgesattelt werden. Die Gebühren selbst sollen nicht zu Beginn, sondern "nachlaufend", das heißt nach Abschluss des Studiums einkommensabhängig entrichtet werden.

Nach Schreibers Auffassung würden Gebühren dann von den Studierenden akzeptiert, wenn es dafür eine echte zusätzliche Gegenleistung gebe. Dabei stützt er sich auf zahlreiche Gespräche, die er in der Vergangenheit mit Studierenden geführt hat. "Wir brauchen zusätzliche Investitionen in die Qualität der Ausbildung, um auf dem internationalen Hochschulmarkt konkurrenzfähig zu sein. Diese ,On-Top-Investitionen' müssen die jungen Menschen zur Sicherung ihrer eigenen beruflichen Zukunft aufbringen."

Vorbild: "Nachlaufende Finanzierung nach australischem Muster"

Für den Reformvorschlag gibt es in Australien ein Vorbild, das "Higher Education Contribution Scheme", kurz: HECS. Die australischen Hochschulen werden nur noch teilweise durch den Staat finanziert, einen weiteren Anteil tragen die Studierenden. Die Studiengebühren können entweder mit einer Vergünstigung bei der Einschreibung im voraus entrichtet werden - diese Möglichkeit nutzen gut 20 % der Studierenden - oder die Rückzahlung wird solange aufgeschoben, bis die Absolventen mindestens das durchschnittliche, steuerpflichtige Jahreseinkommen eines Australiers verdienen. "Der Student erhält vom Staat einen Kredit, dessen Zinshöhe lediglich an die Inflationsrate gekoppelt ist," so Schreiber.

Um die positiven Effekte vorstellbar zu machen, erläutert der Hochschul-Rektor das HECS-Modell am Beispiel der Hochschule Bremen: "Würden unsere derzeit 8.000 Studierenden pro Semester 1.000 Euro entrichten, würde das der Hochschule Bremen jährliche Zusatz-Einnahmen in Höhe von 16 Mio. Euro einbringen, immerhin etwa zwei Drittel des derzeitigen Budgets. Die gesetzliche Festschreibung eines Bildungsfonds aus den Rückzahlungen müsse die Finanzierung des privaten Anteils der Hochschulen sichern. Die gewonnenen finanziellen Spielräume ließen sich in konkrete Projekte und Maßnahmen zur Qualitätsverbesserung investieren." Einige Beispiele: bessere Betreuung der Studierenden durch mehr Personal, bessere Bibliotheks-, Medien- und Laborausstattung, höhere Qualität in der Lehre durch Anwerbung exzellenter Lehrender oder verbesserte bauliche Qualität der Hochschulen. Die dadurch optimierten Studienbedingungen könnten sich verkürzend auf die Studienzeiten auswirken", erwartet Rektor Schreiber.

Da wegen der Rückzahlungsmodalitäten diese zusätzlichen Einnahmen den Hochschulen nicht sofort bei Einführung zur Verfügung stünden, müsse der Staat in Vorleistung treten. "Bei bundesweit 2 Mio. Studierenden und 2.000 Euro Gebühreneinnahmen pro Jahr hätten die Hochschulen jährlich 4 Mrd. Euro jährlich zur Verfügung", rechnet Dr. Elmar Schreiber vor. "Erst ab dem 6. Jahr würde sich durch die Rückzahlungen das System refinanzieren. Der Staat müsste folglich in Vorleistung treten und im Rahmen eines 20-Milliarden-Programms den Anschub ermöglichen. Hier bedarf es meiner Meinung nach der Anstrengungen aller, auch der privaten Seite. Unternehmen sind ebenso gefordert wie Privatbürger, die eine Art ,Bundesbildungsbrief' - ähnlich den Bundesschatzbriefen - als zinsbringende Kapitalanlage erwerben können. Hier sind pfiffige Ideen gefragt." Voraussetzung dafür seien ausreichende Mittel für Darlehen und Stipendien, die der Staat vergibt. Auf der anderen Seite könne der Staat dann auf eine Rückzahlung teilweise oder ganz verzichten, wenn er bei Fachkräftemangel arbeitsmarktpolitisch steuernd eingreifen will.

Schreiber rechnet auch mit einer Förderung des direkten Wettbewerbs der Hochschulen untereinander, da sich die Studierenden noch bewusster als bisher für eine leistungsstarke Hochschule entscheiden. Ferner stärke das neue System die Autonomie der Hochschulen, der Wettbewerb erfolge "durch Abstimmung mit den sozusagen nachlaufend Gebühren zahlenden Füßen."

HECS erlaubt eine grundlegend neue Struktur der Hochschulfinanzierung durch die einkommensabhängige Rückzahlung der Studiengebühren. "In das deutsche Hochschulsystem sind dringend zusätzliche Investitionen erforderlich, die auf Dauer aus dem Steueraufkommen nicht mehr bestritten werden können." Außerdem biete das australische System einen Ansatz, das Verhältnis von öffentlichem und privatem Nutzen bei der Hochschulfinanzierung zu bewerten.


Da nach Schreibers Auffassung die Einführung von Studiengebühren auch in Deutschland zu erwarten sei, müsse eigentlich nur noch das "Wie" und nicht mehr das "Ob" diskutiert werden. "Und da sprechen alle Argumente für HECS", ist sich der Rektor der Hochschule Bremen sicher. "Verteilungsgerechtigkeit, Chancengleichheit und Qualitätsverbesserung in der Lehre ließen sich ideal miteinander verbinden."

Bei Nicht-Erhebung von Studiengebühren könne kaum noch von Verteilungsgerechtigkeit gesprochen werden, da die Studierenden ja erhebliche wirtschaftliche Vorteile wegen des zu erwartenden Lebenseinkommens aus der Hochschulbildung zögen. Außerdem werde die Lastenverteilung innerhalb der Gesellschaft gerechter: "Das Lebenseinkommen von Akademikern ist in der Regel höher, und die Phase der Arbeitslosigkeit ist statistisch kürzer." Ferner würden sozial schwächeren Familien keine finanziellen Hürden aufgebaut, weil HECS die Rückzahlung der Studiengebühren erst dann fordert, wenn der Student ausreichende Erträge aus der Investition in seine eigene Bildung erzielt. Damit werde der Hochschulzugang von der individuellen und aktuellen wirtschaftlichen Lage abgekoppelt. "Man kann bei dem HECS-Modell von einem regelrechten Generationenvertrag der Akademiker sprechen", so Rektor Dr. Elmar Schreiber abschließend.