Sie sind hier:
  • Sonderausgabe des „Bremer Tagebuchs“ der Landesbildstelle mit dem neuen Film über die Böttcherstraße in Bremen

Die Senatorin für Kinder und Bildung

Sonderausgabe des „Bremer Tagebuchs“ der Landesbildstelle mit dem neuen Film über die Böttcherstraße in Bremen

23.06.2003

Im Mittelpunkt einer Sonderausgabe des „Bremer Tagebuchs“ der Landesbildstelle steht der von Heiko Gertzen produzierte Dokumentarfilm über die Böttcherstraße in Bremen. Dieser Film wurde am 2.Juni 2003 im Scotland-Saal des Casino Bremen in Anwesenheit von Bürgermeister Dr. Henning Scherf sowie zahlreichen Ehrengästen uraufgeführt und fand in den Medien eine positive Resonanz, so dass sich die beiden Koproduzenten entschlossen haben, diesen Film unverzüglich der bremischen Öffentlichkeit vorzustellen. Diese Vorstellung findet nun statt am Donnerstag (26.6.2003) um 20 Uhr in der Landesbildstelle Bremen, Uhlandstraße 53.


Der Weser-Kurier berichtete am 4.Juni 2003: „Der Film ist so bunt und vielfältig wie die Straße selbst." Kleine Porträts der Kunsthandwerker, Einzelhändler, Gastronomen, Architekten und Künstler wechseln mit "Events" wie der 95. Geburtstag der Niedersachsenrunde von 1900, einer Theateraufführung, einer Modenschau, dem Nachbarschaftsfest, der Eröffnung des Huckebein-Kinderladens usw. Aktuelles Filmmaterial mit historischen Filmausschnitten und Fotografien wurde zu einem informativen Kaleidoskop über die Geschichte und Gegenwart der Straße und ihrer Protagonisten verbunden.


Tatsächlich erzählt der Film die Geschichte der Böttcherstraße, die in den zwanziger Jahren von dem Bremer Kaffeekaufmann und Kunstmäzen Ludwig Roselius völlig neu gestaltet wurde. Mit dem Kauf des Hauses Böttcherstraße Nr. 6 im Jahre 1902 beginnt die spannende Geschichte. In dieser Zeit ging der junge Prokurist Ludwig Roselius (1874-1943) täglich durch die Böttcherstraße zur Martinistraße, um bei Roselius & Co. – der Kaffee-Importfirma seines Vaters - zu arbeiten.


Als sein Vater an einer chronischen Koffeinvergiftung im Jahre 1902 stirbt, übernimmt er die Firma, erfindet den koffeinfreien Kaffee und gründet 1906 die Kaffee-Handels Aktien–Gesellschaft, kurz Kaffee HAG genannt. Er beauftragt den Bremer Reformarchitekten Hugo Wagner mit dem Bau einer modernen Fabrikanlage in Eisenbeton, die 1907 mit einem Fließband versehen am Holz- und Fabrikenhafen fertig gestellt wurde.


Diese Anlage war der erste Fabrikationsbetrieb in Bremen, der Werbung für seine Produkte machte, und zwar auf Plakaten, in Zeitschriften, durch Sammelbildchen, Kaffeedosen, Kaffee-HAG-Geschirr usw. Dabei arbeitete Roselius mit bedeutenden Werbefachleuten seiner Zeit zusammen und legte großen Wert darauf, seriöse Werbung auf hohem künstlerischen Niveau zu machen.


Ludwig Roselius ließ sich die Erfindung des koffeinfreien Kaffees in Deutschland patentieren und gründete 1908 die Kaffee Patent AG, um den neuen Markenartikel auch im Ausland zu schützen. In kurzer Zeit eroberte er neue Märkte in Europa und Amerika und verdiente so viel Geld, dass er die Böttcherstraße völlig umgestalten konnte. Dabei hat er es meisterhaft verstanden, wirtschaftliche Interessen mit künstlerischen Absichten zu verbinden.


Die architektonische Spannung der Böttcherstraße besteht in den gegensätzlichen Baustilen. Die vom Markt aus gesehene rechte Seite (Westseite) haben die Architekten Alfred Runge (1881-1946) und Eduard Scotland (1885-1945) weitgehend geschaffen. Nur das Robinson-Crusoe-Haus wurde 1931 als letztes Haus der Böttcherstraße von Karl von Weyhe nach Entwürfen von Roselius errichtet.


Das Haus St. Petrus ist nach dem heiligen Petrus, dem Schutzpatron der Fischer benannt. Seine Fassade enthält gotische Stilelemente. Mit einer vornehmen Weinstube im Obergeschoss und einem rustikalen Restaurant im Erdgeschoss (Flett) wollte Roselius hier ein gastronomisches Zentrum schaffen und Runge & Scotland mussten ihm für jedes Detail der Inneneinrichtung Entwürfe vorlegen, die dann von bremischen Kunsthandwerkern realisiert wurden. Heute laden hier das Casino Bremen und die "Ständige Vertretung" im Flett zu einem Besuch ein.


Das HAG-Haus - heute Haus der Sieben Faulen genannt - wurde mit einem Laubengang für Fußgänger versehen, weil damals noch die Befahrung der Böttcherstraße geplant war. Wie durch ein Wunder hat die HAG-Probierstube mit ihren alten Delfter Fliesen den Zweiten Weltkrieg überstanden. Ursprünglich bildeten die Probierstube und der Propaganda-Raum die HAG-Kaffeeschau am Eingang der Böttcherstraße. Heute sind hier ein Spezialladen für Tee und der Sieben-Faulen-Laden für Bremensien untergebracht.


Auf der vom Markt aus gesehenen linken Seite der Böttcherstraße (Ostseite) haben Runge & Scotland im Jahre 1922 mit der Neugestaltung der Böttcherstraße begonnen, in dem sie die beiden Kontorhäuser neben dem Roselius-Haus, heute Haus des Glockenspiels, umbauten und dort die Bremen-Amerika-Bank einrichteten. Diese Bank war Haus- und Geschäftsbank des HAG-Konzerns bis nach dem Zweiten Weltkrieg.


Heute befindet sich hier eine Boutique mit exklusiver Designer-Mode für Damen, außerdem ein Filmkunsttheater, ein Designerbüro, ein Anwaltsbüro, die Geschäftsführung, das Archiv der Böttcherstraße und das Glockenspiel.


Seit 1934 ist das Glockenspiel aus Meißener Porzellan eine Attraktion in der Böttcherstraße und wird täglich von zahlreichen Besuchern aus aller Welt besucht. Zum Glockenspiel rotieren in einem Turm zwischen dem Roselius-Haus und dem Haus des Glockenspiels zehn bedeutende Atlantikbezwinger auf farbigen Holztafeln, die von Bernhard Hoetger entworfen und von Victor Kopytko geschnitzt wurden. Dazu gehören zum Beispiel Christoph Columbus, Graf Zeppelin, Charles Lindbergh usw.


Architektonisch geprägt wurde die linke Seite der Böttcherstraße jedoch durch den herausragenden Bildhauer und Architekten Bernhard Hoetger. Er baute 1927 das Paula-Becker-Modersohn-Haus mit einer Werkschau im Erdgeschoss und einer Kunstschau in den oberen Stockwerken. Zur Werkschau gehört auch der Handwerkerhof, ein kleiner Innenhof mit Werkstätten für Kunsthandwerker, der ursprünglich nur über das Vestibül zu betreten war. Der Zugang von der Böttcherstraße wurde erst nach 1945 eingerichtet. Heute arbeiten hier ein Goldschmied , ein Glasbläser und eine Designerin für Figurenbau.


Die Kunstschau hat Ludwig Roselius vor allem für Paula Modersohn-Becker geschaffen und damit das erste Künstlermuseum der Moderne in Deutschland errichtet. Heute sind hier wertvolle Bilder von Paula Modersohn–Becker in einer Dauerausstellung, Ausstellungen über Bernhard Hoetger oder andere Ausstellungen zu sehen.


Das Haus Atlantis, das in den Jahren 1930/31 ebenfalls von Bernhard Hoetger erbaut wurde, war seinerzeit ein Meisterwerk expressionistischer Baukunst in Deutschland. Das lässt die heutige Fassade mit Kreisbändern aus Backsteinen und Pyramidenstümpfen aus Glas ebenso wenig vermuten wie die Sternenhimmel-Fassade aus den fünfziger Jahren.


Ursprünglich bestand die Fassade aus Glas, Holz und Stahl und ihr vorgestellt war der große Lebensbaum aus Holz mit dem gekreuzigten Odin in einem Jahresrad und der Sonnenscheibe an der Spitze. Die Ideen für das Haus Atlantis stammen aus der germanischen Mythologie und wurden von Roselius und Hoetger in moderne Architektur umgesetzt.


Besonders eindrucksvoll ist die frei schwebende Wendeltreppe aus Beton und Glas, die zum Himmelssaal hinauf führt und im Original erhalten ist. Der Himmelssaal hat eine wundervolle Licht- und Raumwirkung und sollte ein mystischer Ort sein. An der Stirnseite wiederholen sich die Symbole des Hauptportals und an den Seiten des parabelförmigen Daches erscheint überall der Lebensbaum in blauen Glasbausteinen. Genutzt wurde der Himmelssaal als Veranstaltungsraum, stand aber auch als Gymnastiksaal und für den Ausdruckstanz zur Verfügung.


Obwohl Ludwig Roselius dem Dritten Reich aufgeschlossen gegenüber stand, hielten die Nationalsozialisten die Bauten von Hoetger für „Ausgeburten eines kranken Hirns“. Kritisiert wurde das Steinrelief am Paula-Becker-Modersohn-Haus: „Zum Zeichen edler Frauen zeugend Werk, das siegend steht, wenn tapferer Männer Heldenruhm vergeht.“ Daraufhin ließ Roselius das “wenn“ durch ein „bis“ ersetzen. Heute heißt es natürlich wieder „wenn“.


Kritisiert wurde auch das expressionistische Buntglasgefüge von Hoetger am Eingangsportal der Böttcherstraße. Roselius ließ das alte Relief durch den Lichtbringer, der ebenfalls von Hoetger stammt, ersetzen und schrieb den Nationalsozialisten: „Der Lichtbringer soll den Sieg des Führers über die Mächte der Finsternis darstellen.“


Aber den Nationalsozialisten ist die Böttcherstraße fremd geblieben. Die Kunstwerke von Paula Modersohn-Becker und Bernhard Hoetger galten als „entartet“ und das Paula-Becker-Modersohn-Haus wurde zeitweise geschlossen. Doch die Böttcherstraße ist erhalten geblieben und wurde 1937 als Denkmal der Verfallskunst von den Nationalsozialisten unter Denkmalschutz gestellt.


In der Bombennacht des 6.Oktober 1944 fiel die Böttcherstraße bis auf das Haus Atlantis fast vollständig in Schutt und Asche. Dieser Schock ist dem Bauherrn Ludwig Roselius erspart geblieben, denn er starb am 15. Mai 1943 in Berlin. Unmittelbar nach Kriegsende begann die HAG mit dem langwierigen Wiederaufbau der Böttcherstraße und am 6.Oktober 1954 - also genau zehn Jahre nach der Zerstörung - wurde die Böttcherstraße wieder eröffnet. Das Gesamtkunstwerk Böttcherstraße war immer in Privatbesitz und befindet sich - bis auf das Haus Atlantis, das heute zum Hotel Hilton gehört - seit 1988 im Besitz der Sparkasse in Bremen.


Der Film ist ein aktueller Dokumentarfilm mit einer Länge von 45 Minuten und richtet sich an alle, die die Böttcherstraße in Bremen kennen lernen möchten. Er wurde gemeinsam von der Böttcherstraße GmbH und der Landesbildstelle Bremen für unterrichtliche Zwecke produziert und kann in allen schulischen und außerschulischen Bildungseinrichtungen gezeigt werden. Der Film ist zu beziehen über den Sieben-Faulen-Laden in der Böttcherstraße und die Landesbildstelle Bremen, Uhlandstraße 53, 28211 Bremen.


Als Begleitmaterial befindet sich eine kleine Broschüre in Vorbereitung. Umfassende Hintergrundinformationen zum Film sind dem Buch Projekt Böttcherstraße, herausgegeben von Hans Tallasch und im Jahre 2002 erschienen im Aschenbeck & Holstein Verlag, zu entnehmen.


Die Programmfolge der Sonderausgabe des „Bremer Tagebuchs“ der Landesbildstelle Bremen am kommenden Donnerstag:


Begrüßung: Susanne Gerlach, Böttcherstraße GmbH
Zur Entstehung des Films: Heiko Gertzen, Landesbildstelle Bremen
Die Böttcherstraße in Bremen, ein Film von Heiko Gertzen, Beta Digi/VHS, 45 Min., 2003


Alle Interessierten sind herzlich in die Landesbildstelle eingeladen. Das Programm dauert ca. 60 Minuten.

Der Eintritt ist frei. Platzreservierungen sind unter Telefon 361-3503 erforderlich.