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Die Senatorin für Kinder und Bildung | Sonstige

"Meine Oma Emma - als 'asozial' gebrandmarkt"

26.01.2022

Pressemitteilung der Landeszentrale für politische Bildung Bremen

Wie die junge Bremerin Emma Ukrow wegen 'asozialen' Verhaltens zuerst in ein Fürsorgeheim, dann in Vorbeugehaft und schließlich in das KZ Ravensbrück gekommen ist - und wie sie das alles überlebt hat, darüber berichten Anja Schmeiser (Enkelin von Emma Ukrow) und Joachim Hoppe (Familie) am Mittwoch, den 2. Februar 2022 in der Landeszentrale für politische Bildung. Der Vortrag "Meine Oma Emma - als 'asozial' gebrandmarkt" findet im Rahmen des Programms zum "27. Januar – Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus" statt. Die Moderation übernimmt John Gerardu (Verein "Erinnern für die Zukunft e.V."/Spurensuche Bremen).

Die Veranstaltung findet in Präsenz statt. Beginn ist um 19 Uhr in der Landeszentrale für politische Bildung Bremen, Birkenstraße 20-21. Der Eintritt ist frei. Für die Teilnahme ist eine Anmeldung erforderlich. Zusätzlich bietet die Landeszentrale für politische Bildung einen Livestream an. Anmeldung und Zugang zum Stream finden Sie hier: www.politische-bildung-bremen.de/veranstaltung/meine-oma-emma.

Der Ausweis von Emma Kristens. Foto: LzpB Bremen
Der Ausweis von Emma Kristens. Foto: LzpB Bremen

Ab Dezember 1937 war es der Kripo in Deutschland erlaubt, diejenigen, die "durch ihr asoziales Verhalten die Allgemeinheit gefährden" auf dem Wege kriminalpolizeilicher Vorbeugehaft in ein KZ einzuweisen. Diese Willkür traf auch Emma Ukrow in Mai 1942. Geboren wurde sie 1920 in Finkenwalde, Kreis Randow (Vorpommern) als Tochter von Erich Ukrow und Emma Becken. Einige Jahre später zieht Erich Ukrow gemeinsam mit seiner Tochter Emma nach Bremen. Offensichtlich wurden die wechselnden Männerkontakte der jungen Emma als "asoziales Verhalten" eingestuft. In diesem Kontext wurde die 19-Jährige 1939 wegen ihrer Geschlechtskrankheiten in einem Krankenhaus zwangsbehandelt. Anschließend verfügte das Amtsgericht Blumenthal für mehr als zwei Jahre die sogenannte Fürsorgeerziehung im Frauenheim "Himmelsthür" in Hildesheim.

Nach ihrer Entlassung aus dem Heim arbeitet sie in der Gastronomie in der Lloyd-Halle an der Faulenstraße, in der sie auch eine Wohnung bezieht. April 1942 wird sie schließlich in Vorbeugehaft genommen und im Gefängnis Ostertor inhaftiert. Einen Monat später wird sie ins Frauen KZ Ravensbrück verbracht. Dort erhält sie die Häftlingsnummer 10 937 und ein schwarzes Dreieck auf ihrer Häftlingskleidung. Emma Ukrow ist jetzt offiziell als "Asoziale" eingestuft. Sie passt laut den Herrschenden nicht in das Bild einer großdeutschen Volksgemeinschaft. Im KZ wird sie in verschiedene Arbeitskommandos eingeteilt. Abwechselnd wird sie unter anderem zum Verbrennen von Leichen, Baumfällen und Arbeit in der Rüstungsindustrie eingesetzt.

Kurz vor der Befreiung des KZ Ravensbrück durch die Rote Armee wird sie entlassen. Sie reist zu ihrem Vater Erich in Bremen-Farge. Der in Hermsdorf bei Berlin geborene Arbeiter war seit 1931 Mitglied der KPD und wegen der angeblichen Vorbereitung zum Hochverrat von 1937 bis 1938 in Lesum und Vechta inhaftiert. Bis zum Kriegsende 1945 war er bei den Bremer Vulkan-Werken dienstverpflichtet. Nach der Rückkehr aus Ravensbrück hilft er seiner Tochter so gut er kann, sich wieder einzuleben. 1947 entbindet Emma ihre erste Tochter, deren Vater unbekannt bleibt. Emma kann sich jedoch schlecht eingewöhnen. Sie wohnt zeitweise in einem Jugendheim in Bremen-Farge, von Dezember 1949 bis April 1950 ist sie ohne festen Wohnsitz und kommt danach für mehrere Monate im Bunker der Inneren Mission am Bahnhofsplatz unter. Schließlich heiratet sie am 10. Juni 1950 Fritz Kristens und zieht mit ihm nach Findorff. Dort wird die zweite Tochter geboren. Nach Aussage ihrer Familie erzieht sie ihre Kinder mit Konsequenz, großem Sinn für Gerechtigkeit und liebevoller Treue.

Am 9. Dezember 1957 erhält sie vom Amt für Wiedergutmachung den Bescheid, dass sie nicht "entschädigungsberechtigt" sei. Emma Kristens wird damit ein zweites Mal gesellschaftlich diskriminiert.

Erst am 13. Februar 2020 beschließt der Deutsche Bundestag "Asoziale" und "Berufsverbrecher" als Opfergruppen des Nationalsozialismus anzuerkennen. Für Emma ist das viel zu spät: Am 18. Mai 1964 ist sie bereits einem Krebsleiden erlegen.

Achtung Redaktionen:
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Weitere Informationen:
Tobias Peters, Landeszentrale für politische Bildung Bremen, Tel. (0421)361 2098, E-Mail tobias.peters@lzpb.bremen.de