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Der Senator für Inneres und Sport

Mäurer warnt bei Vorstellung des Verfassungsschutzberichts 2020: „Linksextremistische Szene nimmt eine gefährliche Entwicklung“

Starke Zunahme militanter Aktionen in Bremen / Gefahr von rechts besteht unverändert

10.06.2021

Bremens Innensenator Ulrich Mäurer hat heute (10. Juni 2021) gemeinsam mit dem Leiter des Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV) in Bremen, Dierk Schittkowski, den Verfassungsschutzbericht 2020 vorgestellt.

Innensenator Ulrich Mäurer begann die Vorstellung des diesjährigen LfV-Berichtes unter dem Eindruck der jüngsten Anschläge auf die Bereitschaftspolizei in Huckelriede, Immobilienunternehmen und ein Geldinstitut in der Bremer Neustadt und der Selbstbezichtigung durch die linksextreme Szene.

Bei bundesweit über 300 Brandanschlägen auf Fahrzeuge, Einrichtungen und Häuser in 2019 und 2020 sowie zahllosen Sachbeschädigungen stehe fest: "Wir sind Zeugen einer gefährlichen Entwicklung. Die Militanz der linksextremistischen Szene hat in jüngster Vergangenheit noch einmal stark zugenommen. Die Gewaltspirale dreht sich anscheinend immer schneller."

Auch in Bremen habe es in jüngster Vergangenheit öffentliche Bloßstellungen und massive Einschüchterungsversuche seitens der linksextremistischen Szene gegenüber Personen gegeben, die von ihr zuvor als "rechts" eingestuft wurden. Inzwischen liege der Polizei auch ein als authentisch eingestuftes Bekennerschreiben von Linksextremisten zu dem Brandanschlag auf die Bereitschaftspolizei am vergangenen Wochenende vor. Darin werden Polizistinnen und Polizisten unter anderem als Mörder und Schweine bezeichnet, die ein ausbeuterisches System schützten. Mäurer: "Brandstiftungen stellen eine hohe Eskalationsstufe dar. Mit diesen Anschlägen versucht diese Szene ihre selbst auserkorenen Gegner zu terrorisieren. Das Sicherheitsgefühl in der bremischen Gesellschaft soll untergraben und die Gesellschaft polarisiert werden. Aus der Vergangenheit der Bundesrepublik wissen wir, dass dieser Schritt im wahrsten Sinne des Wortes brandgefährlich ist und bewusst Menschenleben kosten kann."

Zwar werde die Gefahr durch Hass und Hetze im Internet in der Regel mit rechten Gruppierungen in Verbindung gebracht. Wer sich aber die Pamphlete gewalttätiger linker Gruppen nach Brandanschlägen, Hausbesetzungen oder Sachbeschädigungen durchlese, stelle auch in dieser Szene durchgängig eine "selbstgerechte, teils hasserfüllte Herabsetzung" gegenüber großen Teilen unserer Gesellschaft fest, so Mäurer. Diese Tendenz spiegele sich in Bremen auch in der Zunahme der militanten Aktionen wider.

Das LfV zählte im Jahr 2020 insgesamt 51 militante Aktionen der linken Szene, in der Hauptsache Sachbeschädigungen, aber auch zwölf Brandanschläge auf Fahrzeuge und Gebäude. Überwiegend richteten sich die Anschläge gegen Immobilien- und Wohnungsunternehmen sowie gegen Einrichtungen und Fahrzeuge der Polizei (im Vorjahr waren es insgesamt 31 militante Aktionen, davon neun Brandanschläge). Die Polizei Bremen richtete Ende 2019 eine eigene Ermittlungsgruppe (EG) "Feuer" ein und steht dazu im ständigen Austausch mit anderen Polizeibehörden bundesweit. Auch politisch motivierte Sachbeschädigungen und Straftaten zum Nachteil von Gebäuden und Fahrzeugen werden in der EG-Feuer gebündelt und analysiert. Mäurer: "Die Täter aus dieser Szene gehen äußerst konspirativ und in Kleingruppen abgeschottet vor. Hier hilft nur ein langer Atem." Bundesweit sei die Aufklärungsquote in diesem Bereich sehr niedrig. "Aber", so Mäurer, "irgendwann machen auch diese Kriminellen Fehler." Die bundesweite Vernetzung der linksradikalen Szene zeige sich in sogenannten "Resonanzaktionen". Als Reaktion auf die Räumung des besetzten Hauses "Liebig 34" in Berlin am 9. Oktober 2020 wurde am selben Tag das ehemalige Möbelhaus Deters (Dete) in der Bremer Neustadt besetzt. Unter den Besetzerinnen befanden sich auch Angehörige der gewaltorientierten linksextremistischen Szene. "Neben Hamburg, Berlin und Leipzig zählt Bremen zu einem der stärksten betroffenen Städte linksextremistischer Militanz", betonte Mäurer. Eine Gefahr für Leib und Leben von Menschen werde dabei von dieser Szene immer häufiger in Kauf genommen. Polizeibeamtinnen und –beamte würden oft ohne Skrupel attackiert, verbal herabgesetzt und entmenschlicht. Mäurer: "Die Tendenz, die sich hier abzeichnet, ist besorgniserregend."

Auch die Corona-Proteste beeinflussten im vergangenen Jahr die linksextremistische Szene deutlich. Vielfach kam es bundesweit zu Gegenprotesten und zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit sogenannten Querdenkern.

Bundesweit zählt der Verfassungsschutz 41.000 Linksextremisten. 9.600 gehören dabei zum gewaltorientierten Spektrum. In Bremen zählen 240 Personen zum gewaltorientierten Spektrum.

Im Folgenden verwies LfV-Chef Dierk Schittkowski auf die weiterhin große Gefahr des demokratischen Staates durch rechtsterroristisch geprägte Einzeltäter und Kleingruppen. So habe nur wenige Monate nach den Anschlägen von Kassel und Halle im Jahr 2019 mit dem Anschlag von Hanau am 19. Februar 2020 erneut eine Terrortat die Bundesrepublik erschüttert. Bei dem Hanauer Attentat kamen elf Menschen einschließlich des Täters ums Leben. "Radikalisierte Einzeltäter und Kleingruppen sind häufig nicht mehr vor Ort auffällig und aktiv, sondern ziehen sich zunehmend in die virtuelle Welt zurück und sind so deutlich schwerer zu fassen", warnte auch Innensenator Mäurer. Das Gefahrenpotenzial, das von diesen Personen ausgehe, sei unverändert groß.

Um reale und virtuelle Radikalisierungsprozesse frühzeitig zu erkennen, verfolgt das Landesamt für Verfassungsschutz insbesondere einen personenorientierten Ansatz. Neben der Stärkung der Analysefähigkeit im Internet bildet die enge Zusammenarbeit mit anderen Bremer Behörden eine wichtige Grundlage zur Bekämpfung des Rechtsextremismus. Das betrifft beispielsweise die Zuverlässigkeitsprüfungen bei der Erteilung der Waffenerlaubnis oder des Bewachungspersonals von besonders sensiblen Einrichtungen. Zudem wird das Bremer Landesamt die gemeinsame Internetbeobachtung im Verfassungsschutzverbund intensivieren.

Von den 33.300 Rechtsextremisten in Deutschland zählen rund 13.300 zum gewaltorientierten Spektrum. In Bremen sind dem LfV 180 Rechtsextremisten bekannt, 90 davon gelten als gewaltorientiert.

Schittkowski erinnerte an die Vereinnahmung der Proteste gegen die Corona-Beschränkungen durch Rechtsextremisten, "Reichsbürger" und "Selbstverwalter". Die Pandemie und ihre Folgen werden in die jeweiligen Ideologien und die Propaganda integriert. Vielfach hätten die drei genannten Gruppen bundesweit das Protestgeschehen geprägt, so auch bei Erstürmung der Reichstagstreppen in Berlin am 29. August vergangenen Jahres. Damals standen nur wenige Polizeibeamtinnen und –beamte 400 aufgebrachten Demonstranten gegenüber. Mäurer: "In den sozialen Medien können wir immer wieder beobachten, dass gezielt Fehlinformationen und Verschwörungsideologien gestreut werden, um das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit des Staates zu untergraben." Als besonders anschlussfähig habe sich dabei die Querdenken-Bewegung erwiesen.

"Das LfV Bremen hat als eines der ersten Landesämter bereits im Frühjahr 2020 ein phänomen-übergreifendes Lagebild erstellt und aktiv dazu beigetragen, 'Querdenken' und die dazugehörigen Verschwörungsideologien als neue Form des Extremismus im Verfassungsschutzverbund zu etablieren", betonte Schittkowski.

Die Szene der sogenannten 'Querdenker' sei durch eine starke Heterogenität und hohe Fluktuation geprägt. Nach Demonstrationen im Bundesgebiet, auf denen Personen einen gelben "Ungeimpft-Stern" an ihrer Kleidung trugen, hat Bremens Innensenator einen Erlass auf den Weg gebracht, der den Versammlungsbehörden Möglichkeiten an die Hand gibt, das Tragen eines solchen Sterns im Rahmen von Demonstrationen oder das Tragen von Sträflingskleidung zu untersagen. Denn, so Mäurer: "Dies ist eine unerträgliche Relativierung des Holocausts."

Um die Sichtbarkeit von rechtsextremistischen Symbolen in der Öffentlichkeit einzudämmen, wurde zudem auf Initiative Bremens im Auftrag der Innenministerkonferenz ein Mustererlass erarbeitet, der die Möglichkeiten aufzeigt, wie konkret vor Ort gegen das öffentliche Zeigen von Reichs- und Reichskriegsflaggen vorgegangen werden kann. Die Flaggen können beim Vorliegen wegen einer Gefährdung der öffentlichen Ordnung konfisziert und ein Bußgeld verhängt werden.

Zu dem aktuellen Rechtsstreit zwischen der Partei "Alternative für Deutschland" und dem Bundesamt für Verfassungsschutz hinsichtlich der Einstufung der Gesamtpartei wollten sich weder Mäurer noch Schittkowski äußern. Klar sei aber, dass unzweifelhafte Anhaltspunkte für den Verdacht rechtsextremistischer Bestrebungen in der AfD bestehen, so Mäurer. Darüber hinaus sei es wichtig, dass sich alle Demokratinnen und Demokraten damit auseinandersetzen, was die Gründe dafür seien, dass der Rechtspopulismus nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen europäischen Ländern auf so viel Resonanz stoße. Die Erklärung, dass Populistinnen und Populisten gezielt mit Fake-News arbeiteten und sich dazu der sozialen Medien bedienten, greife zu kurz. Die Rechtspopulisten fischten unter anderem gezielt in gesellschaftlichen Milieus, in denen Menschen von finanziellen Existenzängsten geplagt seien und sich von der Politik allein gelassen fühlten, so Mäurer.

Zum Schluss gingen Mäurer und Schittkowski noch auf die weiterhin hohe Gefahr jihadistischer Anschläge ein und erinnerten an die Terrortaten in Frankreich, Wien, aber insbesondere auch in Berlin, Dresden und Waldkraiburg. Nach wie vor richtet sich daher ein Fokus auf die salafistische Szene.

Im vergangenen Jahr ist die Zahl der Anhänger des Salafismus in Bremen geringfügig auf 580 (in 2019: 560) angestiegen. Der Anteil der gewaltorientierten Personen innerhalb des salafistischen Spektrums beträgt rund 30 Prozent. Neben dem weiteren Ausbau bestehender Präventionsnetzwerke liegt in der Beobachtung salafistischer Strukturen ein weiterer Schwerpunkt der Arbeit des Landesamtes für Verfassungsschutz. Wegen der sehr unterschiedlichen ideologischen Ansichten kann jedoch inzwischen nicht mehr von einem einheitlichen salafistischen Milieu gesprochen werden. "Wir müssen Einzelakteure und Kleinstgruppen im Auge behalten, die sich konspirativ und kleinteilig organisieren", fasste Schittkowski die besonderen Herausforderungen in diesem Bereich zusammen. Die Online-Aktivität von extremistischen Akteuren der islamistischen Szene könnte bei isolierten Jugendlichen, welche nahezu rund um die Uhr Online-Inhalte konsumieren, auf fruchtbaren Boden treffen. Dies sei im vergangenen Jahr durch das pandemiebedingte Ausmaß der Isolation begünstigt worden.

Eine antidemokratische Einstellung ist allen gemein. Obwohl nur noch vereinzelt Ausreisen in Richtung Syrien/Irak registriert werden, versuchte im Berichtsjahr eine Bremerin mit ihren drei Kindern nach Syrien auszureisen. Der Versuch misslang. Bemerkenswert und erschreckend zugleich war, dass sich die dreifache Mutter zuvor offenbar ausschließlich im Internet radikalisiert hatte. Die Frau hatte keine Anbindung an die jihadistische Szene in Bremen.

Zentrale Aussagen aus dem Verfassungsschutzbericht 2020:

  • In Bremen gab es im vergangenen Jahr insgesamt 277 Straftaten (2019: 134, 2018: 152, 2017: 110, 2016: 122 und 2015: 126) politisch motivierter Kriminalität von rechts, davon 12 Gewalttaten. (2019: 3, 2018: 4, 2017: 4, 2016: 13 und 2015: 6).
  • Die politisch motivierte Kriminalität von links zählte in Bremen 237 Straftaten in 2020 (2019: 127, 2018: 119, 2017: 126, 2016: 70 und 2015: 88). Darunter waren 26 Gewaltdelikte (2019: 22, 2018: 15, 2017: 11, 2016: 14 und 2015: 7).
  • Die politisch motivierte Ausländerkriminalität zählte 9 Straftaten in 2020 (2019: 10, 2018: 29, 2017: 23, 2016: 52, 2015 34) darunter 0 Gewaltdelikte (2019: 3, 2018: 5, 2017: 1, 2016: 13, 2015: 2).
  • In Bremen wurden im vergangenen Jahr 46 antisemitische Straftaten verübt (2019: 4, 2018: 15, 2017: 17, 2016: 6, 2015: 8)

Ansprechpartnerin für die Medien:
Rose Gerdts-Schiffler, Pressesprecherin beim Senator für Inneres, Tel.: (0421) 361-9002, E-Mail: rose.gerdts-schiffler@Inneres.Bremen.de