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Die Senatorin für Bau, Mobilität und Stadtentwicklung

Wohnen in Nachbarschaften

04.05.1999

- die Soziale Stadt Grußwort von Senator Dr. Bernt Schulte

Wohnen in Nachbarschaften" - die Soziale Stadt Grußwort von Senator Dr. Bernt Schulte Vorsitzender der ARGEBAU-Ministerkonferenz Senator für Bau, Verkehr und Stadtentwicklung der Freien Hansestadt Bremen zum Kongreß des Bundesverbandes deutscher Wohnungsunternehmen (GdW) am 6. Mai 1999 in Berlin


Sehr geehrter Herr Bundespräsident,

sehr geehrter Herr Steinert,

meine sehr geehrten Damen und Herren!


Als im vergangenen Dezember die Konferenz der Bauminister der Länder - kurz ARGEBAU - ihr fünfzigjähriges Jubiläum in festlichem Rahmen beging, da ging es zentral um die Frage, wie die Städte unserer Zukunft aussehen werden. Diese Frage hat natürlich mit der Entwicklung des Städtebaus seit 1945 zu tun.


Nach dem Krieg begann eine enorme Leistung des Wiederaufbaus. In dieser Zeit standen natürlich Neubaumaßnahmen im Vordergrund. Modellprojekte von Großsiedlungen veränderten und prägten das neue Bild der Stadt. Urbanität sollte durch Masse und Dichte repräsentiert werden. US-amerikanische Vorbilder waren hier nicht weit.


Heute stehen wir vor den Nachkriegsbauten unserer Städte und stellen fest, daß ein enormer Sanierungsbedarf besteht. Wir stellen aber auch fest, daß sich die damalige Konzeption des Großsiedlungsbaus heute überlebt hat und wir im Rahmen der Sanierung neue Antworten zu finden haben. Wir wissen zum Beispiel, daß Menschen nicht immer so wohnen wollen, wie sich Stadtplaner und Architekten das einmal gedacht haben. Die Ansprüche sind höher als früher; viele Mieter sind in ihren Wohnanlagen alt geworden und möchten einerseits nicht auf das vertraute Umfeld verzichten, andererseits verlangen sie moderne Standards und gepflegte Nachbarschaften.


Diese Nachbarschaften durchmischen sich zunehmend mit neuen, oft vom Sozialamt zugewiesenen Mietern. Diese leben häufig am Rande des finanziellen Existenzminimums und bringen sich vielfach mit anderen Sprachen und anderen Lebensgewohnheiten zum Ausdruck. Hier wird die Forderung nach einer baulichen Sanierung plötzlich überlagert vom Problem des Aufbrechens der sozialen Stabilität innerhalb der Quartiere - und hier muß deshalb die Baupolitik der Sozialpolitik, der Arbeitsmarktpolitik, der Wirtschaftspolitik, der Innenpolitik und der Bildungspolitik die Hand reichen, um diese Probleme zu lösen.


Stadtentwicklung muß in der heutigen Situation die bestehenden Stadtquartiere behutsam weiterentwickeln. Dem Nachteil des oft hohen Sanierungsaufwandes steht dabei der Vorteil erschlossener, integrierter Lagen gegenüber. Sowohl in Fragen der Stadtentwicklung als auch in Fragen der Wohnungsbaufinanzierung, der Stadtreparatur und des Wohnens in Nachbarschaften stehen Modernisierung und Substanzerhaltung im Vordergrund städtischen Handelns.


Bitte erlauben Sie mir, daß ich an dieser Stelle einige Bremer Erfahrungen einflechte, weil Bremen hier exemplarisch für viele andere deutsche Großstädte stehen kann - und in mancher Hinsicht sogar vorbildlich ist.


Neben Stadtteilen mit ausgeglichener Sozialstruktur hat auch Bremen Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf. Bereits Mitte der achtziger Jahre wurde erkennbar, daß die sogenannten "Großwohnsiedlungen des sozialen Wohnungsbaus" - ein unangenehm angemessener Begriff - eine Reihe von Folgeproblemen mit sich brachten.


Bremen antwortete damals zunächst mit der Verbesserung baulicher und planerischer Situationen vor Ort: Aus dunklen Ecken wurden lichte Höfe, aus engen Wegen überschaubare öffentliche Räume, und aus ungenutzten Kellern wurden Nachbarschaftstreffs.


Das hatte ein doppeltes Ergebnis zur Folge: Erstens verbesserte sich die Situation vor Ort erkennbar. Die Bewohner fühlten sich schlicht wohler. Zweitens nahmen die Menschen wohlwollend auf, daß "die Politiker" sich um sie kümmerten und die Bewohner in die Planung und Umsetzung einbezogen.


Genug aber war es nicht.


In den letzten Jahren wurde erkennbar: Hier reichen die baulichen Rezepte der Vergangenheit nicht mehr aus. Die Probleme sind nicht allein baulicher Art. Vielmehr sind integrative Lösungen für ein gemeinsames Zusammenleben gefragt. Dazu gehören die Kriminalitätsbekämpfung ebenso wie die Schaffung stadtteilbezogener Arbeitsplätze, Betreuungs- und Bildungsangebote für junge Menschen und auch Begegnungsmöglichkeiten für alle Bewohner des Quartiers.


Unter Federführung meines Hauses hat der Bremer Senat im Juni 1998 unter Beteiligung aller anderen Ressorts ein ressortübergreifendes Programm zum "Wohnen in Nachbarschaften" (WiN) erarbeitet. Es erstreckt sich auf zehn regionale Gebiete und ist unterteilt in sechs Handlungsfelder:


Wohnungsbestand und Neubau Städtebau Wirtschaftliche Effekte und regionale Ökonomie Bildung, Qualifizierung und Beschäftigung Gemeinwesenbezogene Prävention und Integration Soziale und kulturelle Netzwerke / Förderung von Eigeninitiative und Selbstorganisation


Durch ein lokales Management in den Gebieten soll weiterhin sichergestellt werden, daß Projekte bzw. Maßnahmen aus der Bewohnerschaft unter Beteiligung örtlicher Projekt- bzw. Maßnahmenträger gefördert werden.


Hier haben wir festgestellt, daß es keine Patentlösungen gibt, daß eine hohe Kompetenz bei den Bewohnern liegt, die sich ihr Zuhause gestalten wollen, und daß Lösungen, die aus deren Mitte kommen, in Entscheidungsprozessen einfacher durchzusetzen sind. Diese Einsicht hat uns in Bremen bewogen, diese Entscheidungsstrukturen beizubehalten.


Eine weitere Einsicht war ebenfalls prägend für unser Programm: Überzeugung für die Ziele können wir glaubwürdig nur erzielen, wenn wir die Kontinuität sichern - man kann auch von Nachhaltigkeit sprechen. Deshalb hat das Bremer Programm "Wohnen in Nachbarschaften" eine Laufzeit von zunächst sechs Jahren und ist mit 36 Millionen Mark dotiert, die von allen Senatsressorts aufgebracht werden.


Ich bin sehr froh und ein wenig stolz, daß es uns in Bremen gelungen ist, frühzeitig zu einem breit abgestimmten und weitgefächerten Vorgehen zu gelangen. Die Große Koalition in Bremen - dieser Hinweis sei mir gestattet - hat sogar noch vor der Beschlußfassung der ARGEBAU ein Ergebnis erreicht, das auch für andere Städte Vorbildfunktion hat. Die gemeinsam mit dem Verband der Wohnungswirtschaft Bremen/Niedersachsen durchgeführte Fachtagung hat dazu wesentlich beigetragen.


Die ARGEBAU hat am 29. November 1996 eine Bund-Länder-Gemeinschaftsinitiative "Soziale Stadt" empfohlen, um "wachsende soziale Probleme in den Städten" zu lösen. Hierfür wurden ein integrativer Ansatz sowie eine mittelfristige Finanzierungskontinuität gefordert und zur Lösung auf die städtebauliche Erneuerung als bewährtes "handlungsorientiertes und finanzpolitisches Instrument" verwiesen.


Am 25. Juni 1998 hat die ARGEBAU einem "Leitfaden zur Ausgestaltung der Gemeinschaftsinitiative Soziale Stadt" zugestimmt. Auch hier ist der ressortübergreifende Ansatz zentraler Gedanke. Nicht die Gliederung in "Zuständigkeiten", die wir im öffentlichen Dienst - und nicht nur dort - so gerne pflegen, sondern im Gegenteil erst die übergreifende Sicht wird auch der Komplexität der Probleme gerecht und ermöglicht deren Lösungen.


Während ihrer Jubiläumssitzung am 4. Dezember 1998 schließlich begrüßte die ARGEBAU, daß der Bund die Gemeinschaftsinitiative "Soziale Stadt" nun haushaltswirksam einzuplanen beabsichtigt, und forderte den Bundesbauminister auf, diese Initiative finanziell mittelfristig zu sichern.


Inwieweit das bestehende Instrumentarium, insbesondere die Wohnungs- und Städtebauförderung noch weiterentwickelt werden, wie dies von der ARGEBAU und verschiedenen anderen am Diskussionsprozeß Beteiligten eingefordert wird, muß sich noch herausstellen. Der Baufinanzierungsausschuß der ARGEBAU erarbeitet zur Zeit hierzu einen Vorschlag.


Die neue Bundesregierung hat die "Soziale Stadt" zu einem Teil ihrer Regierungsabsichten gemacht. Das wurde von den Bauministern der Länder einmütig begrüßt - verbunden allerdings mit dem Hinweis, daß das neue Programm nicht zu Lasten der Städtebauförderung gehen dürfe.


Inzwischen liegen erste Ergebnisse auf dem Tisch. Die Bundesregierung beabsichtigt, ein Programm im Umfang von 100 Millionen DM aufzulegen, die leider nicht zusätzlich eingestellt, sondern an anderer Stelle eingespart werden. Daß hier die rechte Tasche zu Lasten der linken Tasche gefüllt worden ist, trübt den Eindruck allerdings doch. Die Förderung der "Sozialen Stadt" auf Kosten der Wohnungsbauförderung ist traurig, weil auch die Wohnungsbauförderung letztlich ein Instrument für unseren Städtebau ist. Bremen zum Beispiel nutzt einen wichtigen Teil seiner Wohnungsbauförderung in genau den Stadtteilen, die nun durch die "Soziale Stadt" gefördert werden sollen. Ein zusätzlicher Nutzen ist damit nicht erreicht. Es bleibt also die Verantwortung der Städte, es z.B. Bremen nachzutun und selbst zusätzliches Geld bereitzustellen. Hier bleibt der Bundesregierung noch Spielraum für "Nachbesserungen" im wörtlichen und im übertragenen Sinn.


Mit der Wohnungswirtschaft haben wir erfahrene Partner im Städtebau und im Wohnungswesen. In vielen deutschen Städten gibt es seit langem eine enge und oft erfolgreiche Zusammenarbeit der Beteiligten. Das schließt unterschiedliche Auffassungen nicht aus und bedeutet auch immer wieder Konflikte - aber es ist die einzige Möglichkeit, um die Zukunft unserer Städte lebenswert zu machen.


Zur Zukunft der Städte gehört neben dem Umgang mit dem Bestand auch immer der Neubau. Auch weiterhin - und noch stärker als früher - haben wir Bedarf an individuell gestalteten Wohnformen. Noch einmal aus der Erfahrung der Stadtstaaten: Wo die Stadtgrenzen gleich den Landesgrenzen sind, ist der Weg aus der Stadt aufs Land auch immer ein Landeswechsel.


Bremens Wohnungsbauprogramm "Bremer bauen in Bremen" ist ein erfolgreiches Beispiel für den Umgang mit dieser "Stadtflucht". Und der Trend der Suburbanisierung trifft das Land Bremen nur hinsichtlich des Steueraufkommens des Landes etwas härter als andere Bundesländer. Die städtebaulichen und sozialen Folgen für die Stadt Bremen entsprechen durchaus denen z.B. der Stadt Hannover.


Insofern - und darauf lege ich großen Wert - liegt die Zukunft der Städte nicht nur im Umgang mit ihrer Substanz, sondern auch in einem konsequenten Neubauangebot. Hier können die Städte Menschen gewinnen, die sonst wenige Kilometer vor den Stadttoren siedeln, dort Landschaftsraum verbrauchen und Verkehr erzeugen.


Nur wer beides pflegt, sorgfältigen Umgang und Modernisierung der Substanz sowie attraktiven neuen Städte- und Wohnungsbau, wird seine Zukunft erfolgreich bauen. Die sogenannte "Erbengeneration" ist ein Potential, das in den nächsten Jahren unseren Städte- und Wohnungsbau prägen wird. Hierin liegt eine große Chance, die wir mit Entschiedenheit nutzen können.


Daß die Eigentumsbildung mit Immobilien ein wesentlicher Teil unseres sozialen Gemeinwesens ist, muß ich vor diesem Publikum nicht begründen. Das Wissen darum aber kann unsere Entschlossenheit stärken, weiter auf diese Weise an der Zukunft und für die Zukunft unserer Städte zu bauen. Die Städte sind die Träger unserer Kultur. Wenn die europäische Stadt Zukunft haben soll - und das befürworte ich nachdrücklich -, dann gewinnt sie mit dieser Doppelstrategie der Sozialen Stadt.


Ich bin außerordentlich erfreut darüber, daß in der bisherigen Diskussion kaum schwarzer Peter gespielt wurde. Wenn es überhaupt feststellbar wäre, wer an der negativen Entwicklung einzelner städtischer Bereiche Schuld hat - und wahrscheinlich sind es alle Akteure gemeinsam -, dann wäre damit noch nichts erreicht. So ist die Diskussion um die Zukunft der Städte überraschend einmütig und zielgerichtet. Insofern wünsche ich uns allen, daß die Diskussion auch so weitergeführt wird. Und dem Verband der Wohnungswirtschaft danke ich dafür, daß er auf Bundes- und Landesebene diese Diskussion engagiert und qualifiziert führt und vorantreibt.


Für Rückfragen:


Thomas Wedrich, Tel.: 361-15 837 e-mail: twedrich@bau.bremen.de