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Bremische Zentralstelle für die Verwirklichung der Gleichberechtigung der Frau

Potenziale heben, Defizite angehen: Landesfrauenbeauftragte besucht Fraueneinrichtungen in Osterholz-Tenever

20.06.2018

"Das Miteinander der Frauen in Tenever, die gegenseitige Unterstützung, das große Engagement und die hohe Professionalität in den Einrichtungen haben mich tief beeindruckt", resümiert Landesfrauenbeauftragte Bettina Wilhelm ihre Eindrücke in Osterholz-Tenever, wo sie der Einrichtung Frauengesundheit in Tenever, dem Haus der Familie und dem Mütterzentrum einen Besuch abgestattet hat. Zusammen mit Frauen der drei Häuser und der Quartiersmanagerin hat Wilhelm einen Spaziergang durch den Stadtteil unternommen. "Zugleich ist bitter zu sehen, dass viele dieser so wichtigen Leistungen nicht angemessen, nur befristet, nur projektbezogen oder auch gar nicht vergütet werden", so die Landesfrauenbeauftragte. "In Osterholz-Tenever leben Menschen aus 90 Nationen, es ist der kinderreichste Stadtteil Bremens – wo, wenn nicht hier soll Integration stattfinden, brauchen wir Netzwerke und Strukturen, die Menschen ermöglichen Hilfe zu bekommen, mitzumachen, sich einzubringen. Die drei Einrichtungen leisten das in hervorragender Weise, und ich hoffe, dass diese wertvolle und notwendige Arbeit nachhaltig verstetigt und gesichert werden kann und nicht so viel Zeit und Energie in die Struktursicherung fließt. Würden die Mitarbeiterinnen weniger Energie für die Sicherung der Strukturen verwenden müssen, würde mehr bei den Frauen ankommen – Themen und Notlagen gibt es genug."

Kein Supermarkt, keine Kinderarztpraxis
Die strukturellen Defizite hat Bettina Wilhelm in ihren Gesprächen mit Bewohnerinnen und den Teams um Jutta Flerlage (Frauengesundheit in Tenever), Bettina Zokoll (Haus der Familie), Christa Brämsmann (Mütterzentrum) sowie Quartiersmanagerin Katrin Höpner erfahren. Ein drängendes Thema ist die fehlende Nahversorgung: Es gibt in Tenever keinen Supermarkt. Die nächsten Einkaufsmöglichkeiten für Lebensmittel sind weiter entfernt – zu erreichen mit der Straßenbahn, die Geld kostet. Wilhelm: "Dass sich hier etwas ändert und die Menschen sich auch vor Ort fußläufig versorgen können, ist existenziell und ganz besonders für die Frauen im Stadtteil wichtig, da sie häufig für die Versorgung der Familie zuständig sind. Hier sollte unbedingt etwas geschehen." Beispiel ärztliche Versorgung: In Osterholz-Tenever gibt es keine kinderärztliche Versorgung. "Kinderärzte fehlen zwar allerorten, aber gerade im kinderreichsten Stadtteil Bremens muss es unbedingt eine Kinderarztpraxis geben", so die Landesfrauenbeauftragte. Beispiel Sport: Die Halle der Bewegung ist offen für alle ohne Eintritt und die Bindung an einen Sportverein. Doch leider fehlt es am Personal, um die gute Infrastruktur voll auszunutzen. Auf der Suche nach Lösungen konnten zwar zwei halbe Stellen finanziert werden, jedoch nur temporär. Somit ist unklar, ob und wie die Halle künftig nutzbar ist.

Mütter stellen sich selbst hintenan
Die Erfahrungen dieses Nachmittags im Stadtteil belegen, was auch Armuts- und Gesundheitsstudien immer wieder nachweisen: Die Nutzung von Bewegungs- und Sportangeboten hängt stark vom Einkommen ab. Die geschlechtsspezifische Dimension verstärkt diesen Aspekt: Während Jungen und Männer eher Sport im öffentlichen Raum treiben, tun Frauen und Mädchen, insbesondere mit Migrationshintergrund, dies kaum. In Familien, wo das Geld knapp ist, stellen vor allem die Mütter ihre eigenen Bedürfnisse hinter denen der Familie zurück. So erzählte zum Beispiel eine Mutter von elf Kindern, dass sie nach ihrem Schwimmkurs gerne weiter üben würde, der Eintrittspreis von 4,70 Euro für das Schwimmbad für sie aber zu hoch sei. Damit können die Bewohnerinnen die Möglichkeiten ihres Stadtteils nicht voll ausnutzen, aber mehr noch: Auch wertvolle Potenziale der Frauen selbst liegen brach. Fehlende Kinderbetreuung bei Sprachförderangeboten verhindern häufig, dass die Frauen gut Deutsch lernen. Aber ohne oder mit nur geringen Sprachkenntnissen kann vermeintlich Alltägliches wie der Besuch beim Arzt, das Gespräch mit der Lehrkraft oder der Brief einer Behörde enorme Unsicherheiten auslösen. "Jeder Brief im Briefkasten bedeutet Stress", berichtete eine Bewohnerin aus dem Stadtteil der Landesfrauenbeauftragten. Beim Mütterzentrum Tenever ist eine ausgebildete Kultur- und Sprachmittlerin beim Übersetzen von Briefen und Ausfüllen von Formularen behilflich – doch auch dies nur projektfinanziert und befristet. "Auch hier wäre eine Verstetigung wichtig. Denn viele Probleme im Stadtteil könnten aus eigener Kraft gelöst werden", ist sich Wilhelm sicher. "Manchmal fehlt es nur an einer kleinen Unterstützung oder an einer passgenauen Lösung, die die Ressourcen von Frauen nutzen."

Modellprojekt Hebammen-Versorgung?
Ein Beispiel ist die Projektidee zur Verbesserung der Hebammenversorgung im Stadtteil, die die Landesfrauenbeauftragte gemeinsam mit den Leiterinnen der drei Einrichtungen bei ihrem Besuch entwickelte: So haben offenbar einige Frauen aus afrikanischen Ländern eine Hebammen-Ausbildung, die aber hier nicht anerkannt ist. Hier entstand die Idee, zu einem Qualifizierungsprojekt zu kommen, in dem die Frauen ihr Wissen einbringen und erweitern können bei gleichzeitigem Spracherwerb und Kinderbetreuung. Bettina Wilhelm: "Damit könnte die Hebammen-Versorgung im Stadtteil und darüber hinaus aus eigener Kraft gestemmt werden und zugleich könnten viele Frauen, die bisher keine oder wenig Zugänge zum Arbeitsmarkt haben, eine Chance bekommen – so geht Empowerment! Wenn es gelingt, die Frauen im Stadtteil zu stärken, wirkt sich dies vielfach zum Guten aus, auch auf die ganze Familie. Die Arbeit der drei Fraueneinrichtungen ist hier richtungsweisend."