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Die Senatorin für Gesundheit, Frauen und Verbraucherschutz

Bremer Bündnis rückt die natürliche Geburt wieder in den Mittelpunkt / Empfehlungen zur Unterstützung der natürlichen Geburt vorgestellt

Bremer Bündnis zur Unterstützung der natürlichen Geburt

28.04.2015

Nach zweijähriger Beratungsphase stellte heute (28. April 2015) das "Bremer Bündnis zur Unterstützung der natürlichen Geburt" seine Empfehlungen vor und empfiehlt den in der Geburtshilfe Tätigen, sich auf diese zu verpflichten. So plädiert das Netzwerk aus Ärztinnen und Ärzten, Hebammen, Krankenkassen sowie gesundheits- und frauenpolitischen Akteuren dafür, Schwangerschaft und Geburt als natürliche Lebensprozesse zu sehen und Frauen in ihrer Fähigkeit natürlich zu gebären zu unterstützen. Hierzu bedarf es nach Meinung der Expertinnen und Experten einer gezielteren Information der Schwangeren und einer veränderten Betreuung der Gebärenden.
Über eine gute Zusammenarbeit zwischen Hebammen und Frauenärztinnen und Frauenärzten sowie eine enge Vernetzung zwischen Klinik, Praxis und außerklinischer Betreuung kann die natürliche Geburt zusätzlich gestärkt werden. Weiterhin fordert das Bündnis, die bisherige Risikobetonung in Schwangerschaft und Geburt zu überdenken.

Mit den Empfehlungen wendet sich das Bündnis an die breite fachliche Öffentlichkeit und möchte zum konstruktiven Dialog anregen, um zu entsprechenden Veränderungen zu kommen. Mit einer gezielten Öffentlichkeitskampagne im Juni 2015 soll die natürliche Geburt in den Fokus gestellt werden.
Das Bündnis trat erstmals im Jahr 2012 auf Einladung des Senators für Gesundheit und der Landesfrauenbeauftragten zusammen. Ausgangspunkt der Beratungen war die in den letzten Jahren stetig gestiegene Kaiserschnittrate, die sich in den letzten 20 Jahren fast verdoppelt hat. So hatte in Bremen im Jahr 2013 fast jede dritte Frau ihr Kind durch einen Kaiserschnitt bekommen.

Senator Dr. Hermann Schulte-Sasse (Senator für Gesundheit): "Ich begrüße die Arbeit des Bremer Bündnisses zur Unterstützung der natürlichen Geburt. Es sollte alles getan werden, um die natürliche Geburt als eine tatsächliche Option für die Frauen zu erhalten. Anstrengungen zur Verbesserung der Qualität und Transparenz in der gesundheitlichen Versorgung bewegen derzeit die Gesundheitspolitik. Die Bremer Empfehlungen greifen dieses Thema nun ebenfalls auf. Frauen und ihre Partner sollen durch verbesserte Informationen befähigt werden, eine informierte Entscheidung zu treffen. Des Weiteren führt eine verbesserte Zusammenarbeit der beteiligten Berufsgruppen zur Steigerung der Qualität. Ich wünsche mir, dass diese beispielhafte Arbeit des Bündnisses fortgesetzt wird und damit zur stetigen Verbesserung der geburtshilflichen Versorgung in Bremen beiträgt."

Ulrike Hauffe (Bremische Landesfrauenbeauftrage): "Ich bin dankbar und stolz, dass wir es in Bremen als erstem Bundesland geschafft haben, ein solches Bündnis zu schmieden: Verantwortliche aus Kliniken, Ärzteverbänden, der Hebammen sowie Gesundheits- und Frauenpolitik setzen sich an einen Tisch und analysieren gemeinsam die Ursachen der hohen Kaiserschnittrate auf den Bremer Geburtsstationen. Es ist gelungen, die Interessen von Frauen in den Vordergrund zu stellen und die eigenen - oft widerstreitenden - Interessen außen vor zu lassen. In dieser Gemeinsamkeit sind praktikable, umsetzbare Empfehlungen entstanden, die auf das Wohl der Frauen und ihrer Kinder abzielen. Nicht nur ihnen wird die Umsetzung der Empfehlungen zugutekommen: Auch Hebammen sowie Ärztinnen und Ärzten helfen die Empfehlungen und geben ihnen Rückhalt, den natürlichen Vorgang von Schwangerschaft und Geburt als solchen begleiten zu können."

Heike Schiffling (1. Vorsitzende des Hebammenlandesverband Bremen e.V.): "Es verdient schon eine Beachtung, dass es uns so ernsthaft und konstruktiv gelungen ist, in die „Revision“ zu gehen. Wir haben alle Maßnahmen, die wir üblicherweise während einer Schwangerschaft und unter der Geburt ausführen, dahingehend hinterfragt, ob diese eine natürliche Geburt unterstützen. Berufsgruppenübergreifend haben wir die Punkte benannt, die nach unserer Auffassung zu optimieren sind. Verbesserungspotential sehen wir im Schnittstellenmanagement. Wir wünschen uns eine bessere Zusammenarbeit zwischen der niedergelassenen Frauenärztin / dem niedergelassenen Frauenarzt und der betreuenden Hebamme, wie auch der niedergelassenen Fachkräfte und der Entbindungsklinik. Außerdem haben wir Punkte benannt, bei denen wir Nachbesserungsbedarf des Gesetzgebers oder der Kostenträger (Krankenkassen) sehen. Zum Beispiel führt die ständige Furcht vor möglichen Klagen in der Geburtshilfe zu vielen oft unnötigen Eingriffen. Diese führen häufiger zum Kaiserschnitt. Hier gibt es einen dringenden politischen Handlungsbedarf."

Dr. Elisabeth Holthaus-Hesse (niedergelassene Frauenärztin): "Wir haben festgestellt, dass sich die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen für werdende Mütter in den letzten Jahren erheblich verändert haben. Da ist zum einen die Fülle an Informationen, der sich die Schwangere ausgesetzt sieht. Vor allem in den Internetforen werden Ängste geschürt, die zu einer Verunsicherung vieler Frauen führt. Darunter leidet dann häufig die Körperwahrnehmung und das Vertrauen in die natürlichen Fähigkeiten des eigenen Körpers geht wohlmöglich verloren. Zum anderen beobachten wir eine zunehmende Tendenz vieler Arbeitgeber, die Arbeitsplätze nicht schwangerengerecht zu gestalten, sondern bei Bekanntwerden der Schwangerschaft, die werdende Mutter freizustellen oder ihr deutlich zu verstehen zu geben, dass sie sich doch von ihrer Frauenärztin / ihrem Frauenarzt ein Beschäftigungsverbot holen soll. Dieses Verhalten verunsichert Schwangere zusätzlich. Die Botschaft ist, Schwangerschaft ist ein so anfälliger, sensibler Prozess, dass eine normale Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und am Arbeitsprozess für Mutter und Kind “gefährlich” erscheint. Hier sind auch die öffentlichen Arbeitgeber gefordert. Gängige Praxis in Kindergärten, sozialen Einrichtungen und in Schulen ist es, Schwangere sehr häufig freizustellen. Ein fatales Signal nicht nur für die direkt betroffene Schwangere. Entspannt und auf die eigenen Kräfte vertrauend in die Geburt zu gehen ist bekanntermaßen die beste Voraussetzung für das Gelingen einer natürlichen Geburt."

Imke Helmke (leitende Hebamme, Kreißsaal, Klinikum Bremen-Nord): "Wir sind uns einig, dass die natürliche Geburt möglich ist, wenn Frauen/ Paare eine kontinuierliche Begleitung durch eine Hebamme während der aktiven Phase der Geburt erfahren. Hebammen leisten fachlich fundierte, intensive Betreuungsarbeit, um den Geburtsfortschritt zu fördern. Sie geben emotionale Unterstützung und Anleitung – angepasst an die individuellen Bedürfnisse der Frau. In der kontinuierlichen Unterstützung während der Geburt liegt das Potential, medizinische Interventionen zu begrenzen und die Rate der Kaiserschnitte zu reduzieren – dies ist bereits durch nationale und internationale Studien belegt. Um dies leisten zu können, ist eine intensive Beziehungsarbeit notwendig, die eine kontinuierliche 1:1-Betreuung zwingend erforderlich macht. Hierfür muss der Personalschlüssel in den Kliniken entsprechend angehoben werden."

Dr. Torsten Frambach (Chefarzt der Frauenklinik im St. Joseph-Stift): "Auch die Geburtskliniken vermitteln: Die natürliche Geburt ist machbar und stärkt Frauen und Kinder. Bei Wunsch nach einem Kaiserschnitt erfolgt neben dem üblichen Beratungsgespräch durch Fachärztin oder Facharzt eine Beratung durch einen Kinderarzt und eine erfahrene Hebamme. Dringend benötigt wird die Unterstützung von Politik und Krankenkassen, um der Unterfinanzierung der klinischen Geburtshilfe begegnen zu können. Die Versäumnisse des Vergütungssystems müssen korrigiert und eine auskömmliche Vergütung sichergestellt werden, um insbesondere eine kontinuierliche 1:1-Betreuung durch Hebammen unter der Geburt sicherstellen zu können."

[FETTDie Empfehlungen im Einzelnen]

Voraussetzungen für gute Rahmenbedingungen in der Schwangerschaft: Fundierte Information der Schwangeren

  • Ärztinnen und Ärzte sowie Hebammen vermitteln in der Schwangerenvorsorge, dass die Geburt ein gesunder Prozess ist – und Risiken die Ausnahme sind.
  • Ärztinnen und Ärzte informieren alle Schwangeren, dass sie während der Schwangerschaft auch die Unterstützung der Hebammen in Anspruch nehmen können und dies von den Krankenkassen bezahlt wird.
  • Nutzen und Risiken der medizinischen Diagnostik in der Schwangerschaft werden verständlich erklärt.
  • Zu Beratung und Aufklärung gehört: Alkohol, Rauchen und andere Drogen schaden dem ungeborenen Kind und der Schwangeren. Sie erhöhen auch das Risiko für einen Kaiserschnitt.
  • Ernährungsberatung und intensive Betreuung für übergewichtige Schwangere wird angeboten - dies senkt das Risiko eines Kaiserschnitts.
  • Jede geburtsvorbereitende Medikalisierung wird kritisch hinterfragt.
  • Alle Schwangeren erhalten eine ergebnisoffene Beratung über mögliche Geburtsorte (klinisch – außerklinisch) sowie über die Unterschiede einer ambulanten und stationären Geburt.
  • Niedergelassene Frauenärztinnen und -ärzte sowie Klinikärztinnen und –ärzte erarbeiten gemeinsame Kriterien, welche Schwangeren in der Klinik vorgestellt werden sollen.
  • Bei der Anmeldung zur Geburt in einer Klinik klären ausschließlich erfahrene Ärztinnen und Ärzte auf. Dies soll eine Beratung gewährleisten, die die werdenden Eltern möglichst wenig beunruhigt.
  • Partnerinnen und Partner werden aktiv eingebunden und informiert, besonders im Hinblick auf ihre Rolle während der Geburt und im Wochenbett. Es wird auf die Geburtsvorbereitung /Partnerkurse für werdende Väter hingewiesen.
  • Die werdenden Eltern werden über die möglichen kurz- und langfristigen Risiken einer Kaiserschnitt-Entbindung für das Neugeborene aufgeklärt.
  • Schwangeren wird die Website der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) www.familienplanung.de empfohlen. Sie bietet fachlich korrekte und neutrale Informationen.

Das Bremer Bündnis zur Unterstützung der natürlichen Geburt empfiehlt: Die bisherige Risikobetonung sollte kritisch überdacht werden.

  • Der Mutterpass begleitet die Frau durch die Schwangerschaft. Der Begriff „Risikokatalog“ im Mutterpass kann Befürchtungen wecken und Frauen verunsichern. Deshalb soll der Risikokatalog besser "Anamnesebogen" heißen.
  • "Risikoschwangere" erhalten eine ergebnisoffene Beratung über den möglichen Geburtsmodus bis zum geburtsvorbereitenden Gespräch in der Klinik.
  • In jeder Klinik gibt es feste Ansprechpersonen für Frauen / Paare mit besonderen Fragestellungen.

Voraussetzung für gute Rahmenbedingungen bei der Geburt:
Orientierung an den Bedürfnissen der Frau

  • Die Geburtskliniken vermitteln: Die natürliche Geburt ist machbar und stärkt Frauen und Kinder. Ziel ist, die Ressourcen der Frauen und Paare zu fördern.
  • Die Geburtshilfe orientiert sich an den Bedürfnissen der einzelnen Frau.
  • Der Respekt vor dem Wunsch der Frau ist die Grundlage für die Beratungsgespräche im Vorfeld der Geburt. Ärztinnen und Ärzte sowie Hebammen nehmen die Frau mit ihren Ängsten ernst. Sie fragen, unter welchen Umständen sie sich für eine vaginale Geburt entscheiden würde. Sie sichern ihr zu, dass sie bei einer vaginalen Geburt alle Unterstützung erhält, die sie braucht.
  • Es wird angestrebt, dass eine Frau von einer Hebamme betreut wird (1:1). Dies reduziert die Rate der Kaiserschnitte.
  • Die Angst vor Gerichtsprozessen beeinflusst das Handeln der verantwortlichen Hebammen und Ärztinnen und Ärzte negativ. Hier besteht dringender politischer Handlungsbedarf.

Empfehlungen bei Beckenendlage

  • Die Kompetenz, Frauen aus einer Beckenendlage zu entbinden, ist nicht mehr durchgängig vorhanden. Deshalb wird die Bildung von Beckenendlage-Teams angestrebt. Betroffene Schwangere können so bei Bedarf in Kliniken mit bereits bestehenden Beckenendlage-Teams geschickt werden. Gegenseitige Hospitationen finden statt.

Empfehlungen bei Terminüberschreitung

  • Bei Überschreitung des Geburtstermins kooperieren die gynäkologischen Praxen mit den Kliniken, um eine gute Betreuung der Schwangeren zu gewährleisten.
  • Ist der voraussichtliche Geburtstermin mehr als 7 Tage überschritten, wird die Schwangere in der Klinik vorgestellt und, falls notwendig, stellt die Klinik die Indikation für eine Geburtseinleitung.

Empfehlungen bei Kaiserschnitt

  • Bei einem Wunsch nach Kaiserschnitt ist die Aufklärung durch Kinderärztinnen und -ärzte erwünscht. Neben der Beratung der Frau durch ihre niedergelassene Gynäkologin oder ihren niedergelassenen Gynäkologen findet auch eine Beratung durch die Fachärztin oder den Facharzt für Frauenheilkunde der Klinik, durch eine Hebamme und ggf. eine Psychologin oder einen Psychologen statt. Nach Möglichkeit werden mehrere Beratungstermine angeboten. Es wird als sinnvoll erachtet, dass es in jeder Klinik eine feste Ansprechpartnerin unter den Hebammen für die Beratung zum Wunschkaiserschnitt gibt.
  • Der geplante Kaiserschnitt sollte möglichst nach der 39. + 0 Schwangerschaftswoche erfolgen.
  • Muss die Geburt durch einen Kaiserschnitt beendet werden, sollten der Frau / dem Paar in Ruhe die Gründe dafür verständlich erklärt werden. Ist das vor der Operation nicht möglich, sollte die Erklärung später auf der Station durch eine an der Geburt beteiligte Ärztin oder einen beteiligten Arzt erfolgen. Dabei sollte den Eltern die Angst vor einer vaginalen Geburt bei einer nächsten Schwangerschaft genommen werden.
  • Nach einem Kaiserschnitt oder einer schwierigen Geburt sollte allen Frauen ein Nachgespräch mit einem bekannten Mitglied aus dem Geburtsteam angeboten werden.

Empfehlungen zu gemeinsamen Fortbildungen aller Berufsgruppen in der Geburtshilfe

  • Erfahrene Geburtshelferinnen und -helfer schulen Assistenzärztinnen und -ärzte in der praktischen Ausbildung.
  • Gemeinsame klinikinterne Fallkonferenzen für Hebammen, Frauenärztinnen und Frauenärzte werden eingerichtet.
  • Fortbildungen zu den Themen "angstfreie Risikokommunikation" und "geburtsvorbereitende Gespräche" werden geplant und durchgeführt.

Mitglieder im Bremer Bündnis zur Unterstützung der natürlichen Geburt:

Der Senator für Gesundheit der Freien Hansestadt Bremen

Bremische Zentralstelle für die Verwirklichung der Gleichberechtigung der Frau (ZGF)

Berufsverband der Frauenärzte, Landesverband Bremen

(Chef- und Ober)-Ärztinnen und -Ärzte der Geburtshilfe, Neonatologie und (leitende) Hebammen aus allen Bremer geburtshilflichen Abteilungen:
DIAKO Ev. Diakonie-Krankenhaus
Klinikum Links der Weser
Klinikum Bremen-Nord
Klinikum Bremerhaven-Reinkenheide
Krankenhaus St. Joseph-Stift

Hebammenlandesverband Bremen e. V.

Hebammenschule Bremerhaven

AOK Bremen/Bremerhaven

Verband der Ersatzkassen e. V. (vdek) – Landesvertretung Bremen

BARMER GEK

DAK-Gesundheit

hkk